Anterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 233
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Freitag den 1. Dezember.
( Nachdruck verboten.)
Die Guten von Gutenburg.
Die Missionswoche von Gutenburg und die Not des Simon.
Der Gutenburger Philosoph, was der Seppetoni, ein halbverhungerter Schneider, war, sagte im Schlüssel just an Tage, als ihn sein getreues Eheweib mit dem zwölften Kinde beschenkt hatte:„ Ein Stall voll Kinder ist das ärgste und schlimmste Fehljahr."
Der Seppetoni hatte nicht mehr an Bildung genossen als die Gutenburger Dorfschule. Und das auch nur bis zu seinem neunten Jahr vom siebenten weg. Zudem war er die ganze Zeit über in der ersten Klasse siten geblieben. Darum verziehen ihm seine Mitbürger die ihm eigentümliche Phantasie seiner Sprache.
Von denen, welche des Toni weisen Spruch vernahmen, nickte mancher sehr bedächtig und wußte sein Teil dazu.
Auch der Waldhüter. der Simon, hatte diese Weltnotlösung vernommen. Er saß stille vor seinem Schöpplein und grübelte und dachte in sich hinein.
Der Seppetoni, der heute in einer Stimmung war, die nach Ergründen aller Dinge ausging, meinte in Betrachtung des Simon:" Der Wein des Schlüsselwirtes, den die Familienväter und sonstigen armen Teufel zum Trinken bekommen, schaut so dünn und abgestanden aus im Glase, daß jeder Augenblick des Abwartens vor dem Trinken dem Wein und dem armen Sünder, welcher den Wein trinfen muß nur gut tut."
Das schien nicht so unrecht zu sein. Denn der alte Schlüsselwirt sagte voller bejahender Einsicht des eben Aus gesprochenen:„ Für die paar elenden Groschen kann man auch nicht ein Weinlein geben, das einem selber einen Taler foftet." Darauf nickten wieder alle die Gäste im Schlüssel. Diese wichtige Frage war nun aus und erledigt zum Wohl und Wehe der Weintrinker von Gutenburg am Rheine und des Schlüsselwirtes.
Der Simon hingegen trank sein wässriges, trübjeliges Tränklein hinunter. Er war immer noch so tief in Gedanken versunken, daß er rein nicht spürte, wie ihn der Wein im Halse kragte.
Der alte Schliffelwirt, der aber zusah und dies noch mit feinen Augen, mit seinen eigenen Augen fogar, fonnte gar nicht begreifen, daß ein solches schmerzloses Austrinfen seines Weines, der im Keller gewachsen war und neben Fässern mit gutem echten vorbeigetragen werden mußte, möglich war. Da der Schlüsselwirt aber ein guter tüchtiger Birt und das Ereignis wirklich geschehen war, nahm er sich vor, das nächste Faß vom Armenwein", wie er den billigen im geheimen rannte, noch bedeutend schlechter wachsen" zu lassen. Aber zu seinem Leidwesen mußte er vom Apotheker Fetthaus, der jedesmal für den Armenwein Sonne und Rebberg war, hören, daß man den Wein unmöglich noch liederlicher machen könne. Wurden doch bisher schon die laufigsten Chemikalien dafür verwendet. Dies betrübte den alten Schlüsselwirt derart, daß er sich beinahe hinteriann, eine Möglichfeit zu er racern. Und als er einfach nichts und immer nichts fand, ging er hin und versuchte es ganz im kleinen mit einem Bufat", wie er sagte. Aber kaum hatte er die erste Probe gekostet, bekam er Leibweh und tags darauf war er eine schöne Leiche und der Erhard für die nächste Zeit Alleinherrscher im Schlüssel von Gutenburg am Rheine .
Der Simon aber ging mit bedrückter Miene weg vom Schlüssel, die Risi hinunter seinem Hof zu. Langsam ging er voran, und in ihm wogte Bitternis und Weh. Er hätte weinen fönnen. Ab und zu blieb er stehen, er sann und fann, aber mit einer hoffnungslosen Gefte warf er sozusagen den neuen Gedanken weit von sich. Und hastiger schritt er dann voran. Und wieder kam das alte Spiel feines Sinnens. Und so verharrte er einmal länger denn vorher und horchte feinen Gedanken aus und gab wohl acht, vielleicht könnte er doch noch helfen.
1911
Und als er gut hingehorcht hatte, zog er aus seiner Tasche einen Bettel bedruckten und beschriebenen Papiers. Darauf war zu lesen, teilweise schön, wie gestochen, geschrieben, teilweise zur Bequemlichkeit auch gedruckt, daß der Waldhüter Simon Haubensack der Witwe des verstorbenen Doktors für jahrelanges Bemühen einhundertunddreiundneunzig Mark zu zahlen habe. Der Zettel hatte aber als Böses an sich, daß er nicht von der Witwe, sondern vom Amtsgericht abgesandt worden war als Betreibung, und was das war, wußte der Simon.
Aber wo er in den paar Tagen das Geld hätte hernehmen sollen, das wußte er nicht. Doch wußte er wieder, daß gerade darum das Amtsgericht Mittel und Wege suchen und daß sein Häuslein einfach ausgeräumt würde, ausgenommen die Kinder. Und er wußte, daß im gleichen Augenblick wie die Not auch die Dienstentlassung fäme und er wie die Kinder nichts zu beißen und zu brechen hätte.
Das drückte den Simon so. Und wenn dann der Gedanke kam und ihni sagte:„ Hilf dir doch, der Wald ist ja dein und du bist sein Süter, sein fein Narr, Simon!" immer, wenn dieser Gedanke kam, dann wollte der Simon troß seiner Not nichts davon wissen. Und als der Gedanke zum letzten Male kam und ihn drohte und sagte, wenn er nicht wolle, dann könne er wie ein Hund verrecken, da sagte der Simon, er wolle noch zuwarten. Und dann dachte er daran, daß vom Samstag an die vier Patres vom heiligen Kreuzkloster von Tubelbach nach Gutenburg fämen und die Missionswoche abhielten. Vielleicht machten diese Patres der Menschen Herz weich und milde und alles käme noch zum Guten. So hoffte der Simon. Der Gedanke aber lachte da jöhnisch auf, als er das kindische Geschwät des Simon hörte. Und so wurde der Simon wieder niedergedrückt und hoffnungslos.
Als er nach Hause kam, kochte die Liefie die Abendsuppe, einen Kartoffelbrei mit Brot und genügend Salz und Wasser und gedachtem Fleisch. Das war alles, aber es stopfte die Löcher zu, und dicke Backen machte dieje Suppe auch. ihm wieder weh und bang im Herzen, und er sagte zu deur Und wie der Simon seine Kinderlein essen sah, wurde Gedanken, der ihm Hilfe versprach, daß er eher den ganzen Wald abbaue, als die Kinder notleiden sehen könne.
So lief die Betreibung von Tag zu Tag weiter und das Dach wurde unsicherer über dem Haupte des Simon. Aber auch die Missionswoche kami.
Am Samstag waren die Patres eingezogen. Der Bürgermeister mit dem Gemeinderat und die geistlichen Herren vor Ort. der Pfarrer mit dem Kaplan, hatten any Bahnhof die Missionspatres abgeholt. Und die Kirchenglocken läuteten und alle Leute beteten und leierten an den Rojenfränzen herum vor Freude.
Ganz Gutenburg war in Aufregung und Bewegung. In alle Herzen schien ein Funken vom heiligen Geist gefommen zu sein, denn übervoll wie nie war die Kirche anz ersten Abend der Missionspredigten. Und alle beteten und fnieten, und Frauen weinten, und Männer, die sonst spotteten, waren stille und harrten der Dinge. Vielleicht war andy einige Neugierde in allen.
Auf jeden Fall begegnete der Altenberger Bürgermeister, als er in seinem Chaischen nach Gutenburg fuhr, dem Find. ling vom Simon.
Der Findling war gerade im Städtchen gewesen und hatte Del und Salz geholt. Der Bürgermeister von Alten berg hielt fein Gefährt an und fragte, den Findling vertraulich anschauend und lächelnd:
Na, Racker, sind die Patres jezt zu Euch gekommen?
He?" Da sagte der Findling eifrig in Erinnerung seines Erlebnisses, denn er hatte die Schule geschwänzt, um die Her. kunft der Patres nicht zu verpassen:
Ja, ja, Herr Bürgermeister, die sind gekommen, der eine, der fleine, hat bei Gott einen dideren Bauch als unser Stadtpfarrer."
Da lachte der Altenberger vor sich hin. Dann fragte er: Haft Du's denn gesehen?" „ Sicher."