Unterhaltungsblatt des Vorwärts
Nr. 235.
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Dienstag den 5. Dezember
( Nachdruck verboten.
Einer der Patres rief laut, mit trübem Blicke und Trauer in der Stimme:
„ Was geschehen ist, können wir schwache Menschen nicht ändern. Betet für die Kezerin, und Gott wird uns nicht zürnen!"
Und langsamen Schrittes ging er zu dem Kepergrab und besprengte es mit geweihtem Wasser.
1911
frohen Lebensfeste. Mannigfach sind diese Lieder des Glückes, und immer neu ertönen die Saiten der Seele. Bei dem Fremden lag aller Lebenswert im Glücke seines Weibes. Alles Licht auf seinem Wege ging von seiner Liebe aus. Und da der Tod dieses Licht tilgte, verblieb dem Fremden nur noch die Erinnerung. Wie Abendschein nach Sonnenuntergang eine matte Helle über die Erde gießt, so warf das gewesene Glück eine letzte Spur, Erinnerung. Und dieses Leban im Geiste hatte eine gar mehe Stimme erklingen lassen, stilles Trauern und Sehnen nach einst und Harren der Auflösung, um einzugehen in das Himmelreich des Gewesenen.
Darum verblieb der Fremde in Gutenburg. Hier konnfe er ungestört vollenden, denn die Versuchung ging in GutenAm gleichen Morgen verließen die Patres Gutenburg. burg nicht allzu gespenstig um. Diese Versuchungen waren Borher hatten sie im Pfarrhause noch einmal aut getatelt. für den Fremden Menschen vom Geist". Er hatte abgeIhr Scheiden schmerzte die Menge. Kränze hatten die Jung- schlossen mit dem Leben und fürchtete durch die Macht den frauen gewunden, und die Kutsche ward damit geschmückt, und ringenden, zum Höchsten strebenden Menschen aus der Vege viele heulten große Tränen. Alle waren tief bewegt. Un- tation, die fortan sein Leben sein sollte, herausgerissen zu gern sahen sie die Patres scheiden. werden zu neuem Tun und Ningen. Denn früher einmal, im Glücke seiner Liebe, hatte auch er ausschreiten wollen auf den Pfaden menschlicher Bildung, um zuni unendlichen Ge bäude einen Baustein zu geben.
Nachmittags kam der Sarg mit dem Weibe des fremden Mannes an. Nach dem Geseze mußte die Bestattung gleich vor sich gehen. Aber feine Hand rührte sich, dem Manne, der von weit herfam mit seinem toten Weibe, zu helfen. Der Bahnvorstand gab dem Fremden den Rat, nach dem Altenbergischen hinüberzugehen. Der dortige Bürgermeister wisse sicher, was zu tun.
Der Fremde ging nach Altenberg .
Dort bat er mit hartem Gesichte den Bürgermeister um Hilfe. Der Altenberger Herr las in den Augen des Fremden eine wehe Geschichte. Mit seinen Knechten bot er sich selbst an, dem toten Weibe des Fremden den letzten Liebesdienst zu tun.
Und so trugen vier stämmige Knechte des Altenberger Bürgermeisters die tote Frau des Fremden in ihrem Schrein zum Anger von Gutenburg.
Hinter dem Sarge her ging der Fremde. Mit einem Antlig wie aus Stein gehauen, aber unsicheren Schrittes. Den Weg lang schaute er unverwandt auf den Sarg, als wollte und fönnte er sehen, was die Bretter verbargen. Der Vifar von Altenberg schritt neben dem Fremden. Der evan gelische Pfarrer von dort war alt und nur dem Namen nach noch im Amte. Seine Beine waren beinahe achtzig Jahre lang durch das Leben gelaufen und nun müde und fündeten den Dienst auf. Der Bürgermeister der Altenberger ging als letter hinterdrein.
Aber das Erlöschen seines Glückes machte ihn still und matt, und so wollte er rerschwinden als einer der vielen, die da kommen und gehen. Die Erinnerung sollte seines Lebens Zwed sein. Jeden Tag sahen darum die Gutenburger den Fremden auf ihrem Kirchhofe vor dem Grabe seines Weibes stehen. Da stuzten sie und steckten die Köpfe zusammen und. tuschelten allerlei.
Einige Wochen wohnte der Fremde im Hirschen. Dann mietete er sich ein Haus. Dasjenige, welches der legte Pfarrer, der in der Kirche von Gutenburg begraben liegt, mit dem erbettelten Gelde und sonstigen Gaben erbaut hatte, uni ein Altersheim für katholische Jungfern zu gründen.
Da aber eben dieser Pfarrer an Bauwut gelitten und zuviel gewollt hatte da und dort, gelang nichts. Es gab eine große Pleite, und so fam dieses Haus aus der Hand der Erben des geistlichen Herrn in die des fremden Kepers. Der Grund wird so zu erklären sein: Das Kcgergeld ist gleich gut und wie dasjenige der anderen Leute rund. Und die Leute von der anderen Seite wollten das Haus nicht, darum war das Stegergeld doppelt gut.
Der Fremde saß den letzten Abend im Sirschen. Er fonnte den nächsten Tag feine neue Wohnung beziehen. Da sagte der Wirt zu ihm in aller Güte, denn ein guter Gast Finster schauten die Gutenburger dem Geleite nach. Und ist nie zu verachten und ein Wirt im Geschäft hat nichts nach ab und zu stieß ein besonders Eifriger eine Verwünschung| dem Glaubensbekenntnis anderer Leute zu fragen: aus. Und Kinder spuckten nach dem Sarge. Die Alten lachten dazu. Drohend waren andere.
Da fam des Wegs daher der Waldhüter Simon. Eben machte ein Bube ein wüftes Gesicht. Als die Alten dazu lachten, gab der Simon dem Bub eins hinter die Ohren.
Dann zog er den Hut und schloß sich dem Geleite an. Der Vater des Buben machte eine Faust hinter dem Zuge her. Als die Knechte mit dem Sarge in den Kirchhof einbiegen wollten, wehrten es ihnen die Leute von Gutenburg.. ,, Reßerbrut!" schrie ein Weib.
Die Leute sprechen allerlei über Euch." „ So."
,, Wegen des Kirchhofgehens."
„ So."
Eine Weile war der Wirt stille. Er dachte, eine Hand wasche die andere, und der Fremde müsse doch erfahren, was die Leute redeten. Wenn nicht von ihm, von anderen. Er fagte: hr follt heren fönnen."
Groß schaute der Fremde auf.
„ Eure Frau sollt Ihr aus dem Grabe zwingen, um mit Macht Platz da!" fagte der eine Knecht, der vorn auf der ihr zu reden. Ja ja, seht Ihr, wie die Leute auf Euch achten? linken Seite des Sarges trug.
"
Nicht hinein, Kezerbrut!" schrien andere.
Da trat der Fremde vor. Er schaute sich um, und mit der rechten Hand schob er die Leute zur Seite und schritt voran. Ihm folgten die Knechte mit dem Sarge.
So famen fie zum Grabe.
Die Gutenburger aber gingen weg von ihrem Friedhof. leid in den Wirtshäusern behaupteten sie, der Fremde habe den bösen Blick.
So bestattete der fremde Mann, der von weit hergekommen war, sein totes Weib in Gutenburg.
Der Bikar sprach ein Gebet, und dann trennten sth die Evangelischen.
Der Fremde aber fümmerte sich um die Leute in Gutenburg nicht. Er hatte das laute Leben hinter sich gebracht, dieses Leben, das im Menschenherzen singt und klingt im
Go mein ich's, nichts für ungut!"
Da lachte der Fremde auf. Aber in dem Lachen lag ein tiefer schmerzender Hohn verborgen. Und als der Fremde allein war, fann er lange für sich hin.
Und wieder zog er sein Herz in bitterem Weh zu. sammen.
Er hätte seine Geele darum gegeben, sein Leben, alles, alles, um ein einziges vages Zeichen aus dem Jenseits. Er sollte seine Frau aus dem Grabe zwingen, er, der nachts ror sich hin sann, verbittert und vergällt, und sein Leben verfluchte und Gott bat: Gib mir die Gnade, nur einmal, ein einziges Mal, mein Weib zu sehen, nur ein Bort für mich gib mir, o Gott!" Er, der so flehte und sich verzehrte, da ohne sein Weib sein Leben in nichts zerfloẞ, er sollte die Macht haben, das zu tun, wofür er seiner Seele Seligkeit gegeben hätte!