Nnterhaltimgsblatt des Vorwärts Nr. 236 Mittwoch den 6. Dezember. 1911 (Nachdrulk verboien.) 171 Vie Guten von Gutenburg. Von Hermann Kurz . Die Ehepaare, die früher laut gestritten, die taten'Z jetzt eben leise, weil sich's nicht paßte, zu brüllen, so rasch nach der heiligen Mission. So änderte sich in den ersten Wochen nach der Mission das Gesicht des Städtleins. Das Gute schien dort nun wirk- lich zu wohnen. Aber als die Haussauferei und das Spiel daheim den Reiz der Neuheit verloren, ging der Teufel wie früher so allgemach wieder um. Ganz allgemach kam's. Zuerst waren es die Vereine, die zur Sitzung riefen, und nachher zum Sitzenbleiben, und dann des Ansehens halber einen zwangen, ein Spielchen zu tun, damit nicht die Mci- nung aufkäme, es reiche nimmer. Und als der erste Schritt getan, ging das weitere im Hui voran. Und ehe der Mond zweimal voll war, hatten die meisten Bürger von Gutenburg denselben Zustand verschiedentlich in aller Oeffentlichkeit ge- habt. Die alte Gemütlichkeit war wieder hergestellt. So kam es, daß auch der Erhard vom Schlüssel daran dachte, drei Wochen nach dem Tode seines Vaters, sich ein wenig zu zerstreuen. Nur wußte er nicht sofort, wie. Dann aber kam ihm der Gedanke an die Liest. Die andere, die er sich nach dem Tode seiner Frau auserwählt hatte, war ihm verleidet. Er sehnte sich nach etwas Abwechselung. Darum dachte er, es wäre nicht zu verachten, wenn er der Liest nur ein wenig das Glück lächeln ließe, das würde ja auch dem Kinde der Liest zugute kommen. Und zugleich ihm einige Gedanken an dieses Kind mildern. Denn schließlich war es doch nicht einerlei, eigen Fleisch und Blut arm zu wissen, dieweil man selbst reich ist. Freilich milderte der Weltlauf diesen Vorwurf. Der Segen der Kirche klebte nicht an allem Fleisch und Blut von seinem Fleisch. So dachte der Erhard vom Schlüssel. Und als der Simon bei einer Holzversteigerung stunden- lang vom Hause weg sein mußte, zog er seine Stiefel an und machte sich auf den Weg. Ehe er aber zur Liest ging, ließ er sich vom Barbier schön machen. Die Haare wollte er ge- kräuselt und wohlgerüchig, den Bart fein zierlich, wie Stadt- Herren, gestutzt haben. Dann setzte er das Hütlein schief auf den Kopf und zog der Liest zu nach dem Waldhüterhaus. Als er eintrat, war sein Wesen sicher und selbstbewußt. Aber als ihn die Liest groß anschaute und ein wenig blaß wurde und immer nur schaute und schaute und nichts, nichts sagte, auch nicht lamentierte, wurde er doch ein kleines aus seiner Ruhe gebracht. Er trat zur Liest hin und bot ihr die Hand: „Guten Tag, Liest!" Die Liest nahm die Hand nicht. Immer noch schaute sie ihn an, nur waren ihre Augen nicht mehr so groß und der- wundert, sondern es blitzte darin etwas wie Mißachtung. „WaS willst Du?" fragte die Liest. „Ich Hab mit Dir zu reden." „So, mit mir? Du?" Der Erhard verlor seine Sicherheit immer mehr. Immer schwerer wurde ihm zu sagen, was ihn drückte, und dennoch war sein Gelüste zur Liest durch diesen schroffen Willkomm nicht abgekühlt, denn jetzt war die Liest eher begehrenslverter denn ebcmals. Heut war sie keine dumme Gans mehr, heut lag über ihr der Zauber der jungen Frauen, die viel denken und über deren volle Jugend der Reif einer Enttäuschung ging, ohne welk zu machen, wohl aber seinen flimmernden, herben Hauch hinterließ. Und so erwachte die Sinnlichkeit in Erhard, und sein kalter Verstand ging durch, und er warb aufs neue um die Gunst des Weibes vor ihm. Aber die Liest hatte zu lange gelitten, und das Weh war zu tief gegangen, um einem Ansturm verwirrter Mannes- sinne zu unterliegen. Dann fragte sie wieder: „Was willst Du reden?" „Daß mein Vater starb, wirst Du wissen." Die Liest nickte. Als sie nicht redete, fuhr er fort, sich öfter unterbrechend, wie aus die Antwort der Liest wartend: „Und Du weißt auch, wie er schuld daran war, daß ich die Madlen heiraten mußte. Und Du weißt auch, daß ich da» nur tat, weil mir sonst nichts anderes übrig blieb— und daß ich am liebsten Dich genommen hätte.— Aber was kannst Du vor deinem Schicksal sein? Was konnte ich tun?" Er hielt inne. Da sagtfdie Liest: „Ist das alles? Das haben wir ja schon lange beide gewußt." „Nein, das ist nicht alles, warte, das andere kommtl" Wieder schwieg er, sann und fand die rechten Worte nicht. Die waren doch verteufelt schwer zu finden, und die Liest reizte seine Sinne. Er mußte sie aufs neue gewinnen. „Hör. Liest, bei mir fehlt die Frau im Hause, darum komme ich." Da erblaßte die Liest, heftig flog ihr Atem, und mit heißer Stimme fragte sie: „Und darum kommst Du ZU mir?"' „Ja, darum!" Da stürmten die Gedanken auf das Weib ein. An die viele Not und Schemde dachte sie und an ihr Kind. Lieb« fühlte sie keine mehr. Der Erhard sah die Bewegung der Liest. Und er biß sich auf die Lippen. So hatte er sein Wort nicht gemeint, kein« Werbung sollte es sein, dies nicht. Nur dies nicht. Frei wollte er bleiben. „Ich mein so, Liest, Du kommst zu mir in mein Hau». siehst um das Rechte, und das andere findet sich, verstehst Du, Liest?" Da schaute die Liest einen Augenblick zu Boden, dann stieg ihr die Schamröte in die Wangen. „Ach, so meinst Du, so, so!" sagte sie leise.„Nein, Erhard, so meine ich es nicht, so nicht." Da sagte der Erhard rasch: „Liest, sei vernünftig!" Fest sagte die Liest: „Das bin ich: nein, so tief im Schmutze steh'n wir hier in dem Hause nicht, verstehst Du das? Verstehst Du's?" Aergerlich murmelte der Erhard etwas vor sich hin. Di» Liest aber sagte: „Hör', Erhard, Du und ich haben zusammen ein Kind, heute kommst Du zum erstenmal wieder. Bis heute hattest Du für mich nur Hohn. Heute aber hast Du für mich di« Schande. Dem sei so! Erhard, hast Du denn an Dein Kind gedacht, an unser Kind? Ist denn das möglich?" Sie schwieg stille. Da sagte er: „Gerade weil ich an das Kind denke, komme ich zu Dir. Gerade darum, denn wenn eS Dir besser geht, dann geht es dem Kind doch auch besser, und besser soll es Euch beiden gehen« wenn Du vernünftig bist." Er war wieder sicher geworden, als er diese Worte zu da Liest sagte. Die Liest aber zog die Achsel hoch, dann sagte sie: „Du red'st, wie Du bist. Eben weil ich vernünftig bin. soll es weder mir noch dem Kinde besser gehen als wie jetzt. Und ich sag' Dir auch, warum. Ich werde nicht schlecht werden, damit nicht das Kind später einmal mit Abscheu an Dich denkt wie auch an mich. Nein, eines von uns beiden soll dem Kinde recht bleiben, so viel es noch geht. So, und jetzt sind wir zusammen im reinen, geh' jetzt, Erhard!"� Da nabm der Erhard stille wie ein folgsames Kind seinen Hut und ging weg. Aber als er zum Hause des Simon hinausschritt, hatt» er das Hütlein nicht mehr schief auf dem Kopfe. Er wa» derart verblüfft, daß er gar nicht mehr an seine wohlfrisierken Haare dachte und sich kratzte, als ob's ihn bisse. Aber den Gedanken brachte er nichts los, daß er etwa» Dummes, Dummes gemacht habe und lieber zu Hause g» blieben wäre. Der Altenberger Bürgermeister fragte einmal den Fremden, der sich im verkrachten Jungfernheim häuslich a» macht hatte mit einigen tausend Büchern und allerlei und» kannten Sachen, von denen kein Mensch in Gutenburg et» Ahnung hatte:„Warum seid Ihr ausgerechnet nach Guten» bürg gekommen?"
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28 (6.12.1911) 236
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