Mnterhaltungsblatt des vorwärts Nr. 237. Donnerstag� den 7. Dezember� 191» �Nachdruck verboten.; 181 Die Guten von Gutenburg. Von Hermann Kurz . Die Seuche, eingeworfene Scheiben und der ToddesAltenbergerHerrn. Im Herbst und im Frühling fallen die reifen Menschen- früchte dahin. In den Sturm, der von weither den Frühling bringt und dem der Lebensodem innewohnt, mengen sich die letzten Atemzüge verscheidender Menschen. Und das Herbst. gebrause übertönt mit zornigem Gebrülle das Aechzen der Sterbenden. Herbst und Frühjahr sind eine reiche Zeit für den Erlöser Tod. Als der Findling, der Gutenbnrger Viktor Fürchtemich Unbekannt, in seinem fünfzehnten Lebensjahr ging und sich gut anließ, wie ein junger Baum, der der Sonne zuwächst und auch viel Lärm macht mit seinem schlanken Reisig, wie's der Bub mit seinem jungen Leben tat, zur Freude des Altenberger Herrn und des Fremden, da kam der Tod. Er hatte, just wie's frühlingen wollte, eine reiche Ernte. In dem Hüttlein des Tagelöhners sah er sich um wie beim Bauer und fragte nicht viel nach reich und arm. Da, allwo er die Zeit gekommen hielt, griff er zu und riß manche Lücke und brach viel Herzeleid und Weh. Auch machte der Tod manchem Raum. Und den vielen, deren Weinen vom Herzen kam, sagte er:Weine Dich aus, die Zeit macht vieles wieder gutl" Und ganz leise, selten verstanden, sagte er mit feinem Lächeln, das mnwwemge sahen:Die Lücken sind da, um ausgefüllt zu werden, Du dummes Kindl" In dieser Sterbenszeit saß der Fremde, der nun schon seit vielen Jahren in Gutenburg wohnte, mit dem Altenberger Bürgermeister im Hirschen zusammen. Der alte Hirschenwirt hatte seine Reverenz gemacht.. Wen, Ihr Herren, nimmt der Knochenmann zuerst von uns, was meint Ihr dazu?" Der Altenberger schaute vor sich hin und sagte langsam: Wenn ich's wär', was lag' daran? Ich bin alt genug: das Leben liegt hinter mir." Der Hirschenwirt jachke da und schlug sich auf die Schenkel. Dann trank er einen tüchtigen Schluck von seinem Besten, daß ihm die Augen übergingen. Er zeigte auf den Wein und sagte: Das ist der beste Doktor, auf den lebenden gebe ich nichts, der hilft nicht." Der Hirschenwirt ging darnach weiter seinem Geschäft nach. Der Fremde und der Altenberger, die beide seit Jahren ungetrübte Freundschaft hielten, saßen eine Weile still bei- sammen. Habt Ihr nun die Sache wegen dem Findel überlegt?" fragte der Altenberger. Es wird für den Buben das Beste sein, wenn er auf der Scholle bleibt, das Beste für den Buben und vielleicht für die Gegend." Verwundert fragte der Altenberger: Wieso?" Der Fremde schaute da den Altenberger lange an, dann sagte er: Wie die Gegend hier herum in den Pfaffenhänden liegt. brauche ich Euch nicht zu sagen, und daß trotzdem tüchtige Leute hier wohnen, tvißt Ihr auch. Was glaubt Ihr nun, wenn da einmal einer käme, dem die Pfaffen mit ihrem Witze nichts tun könnten, und wenn gerade dieser Mann viel Liebe zur Gegend hätte und auch gut beschlagen wär' in demWenn und Aber" des Pfaffentums und sogar noch ein wenig darüber, und wenn er gegen die Pfaffen Front machte und so eine neue Lust, eine Frühlingsluft in die Gegend kam'? WaS meint Ihr dazu?" Der Altenberger Herr sagte rasch: ,�Ja, sicher wär' das gut! Aber gerade, um über das Wenn und Aber" zu kommen, müßte der Findel auf die Universität: hier kommt er doch nicht so weit!" Der Fremde lächelte leicht vor sich hin; da sagte der Altenberger: Nichts für ungut, so war's nicht gemeint, an Euch zweifle ich nicht; ich dachte an alle Fälle." Hört, Freund, wenn wir ihn hinausgehen lassen, dann kommt vieles an den Bub, das er erst noch überwinden muß, und darüber könnte leicht die beste Zeit vergehen. Er soll in der Jugend bester Kraft hier tun, was Vonnöten ist, und nicht diese Kraft an dem verzehren, was an ihn käme, wie's an alle kommt, die draußen sind, lveg von der Heimat. Und worüber er später von selbst weg kommt, wenn er in den Mannesjahren steht. Hier soll ihm sein Gesichtskreis auf» gehen, hier soll er seine Welt sehen und gar nicht daran denken, wie groß das übrige draußen ist und wie klein wir hier. Dann kann er ankommen und auch weiter kommen. Der Altenberger hörte schier andächtig den Fremden an. Dann aber wurde sein Gesicht trübe, und er sagte: Alles das ist schön, er selber findet vielleicht den Weg für sich. Aber das Gute, das er der Gegend geben soll, das ist eine schöne Musik, davon verstehen die Leute hierum nichts, nicht einmal die Melodei können sie fassen." Der Fremde sprang erregt auf, und seine Worte drängten ungestüm über seine Lippen: Und doch ist die Zeit da, gestcru kam sie ins Land ganz leise, und heute zuckt's da und dort, und morgen kommt das Wetterleuchten." Ach. was wollen die wenigen, was können die? Da einer und dort einer das Man! verbrennen." Alles müssen sie wollen, alles können sie dann mich: denn wir leben in einer Zeit, die einen Luther ertragen könnte, wollte doch dieser neue Luther nur kommen, denn die Zeit ist da und nur wenige wissen das. Und soviel kann da einer den Menschen sein. Könnte ich doch einer von diesen seinl Vom Grabe meines Weibes würde ich weglaufen, dem neuen Luther entgegen!" Eine Weile schwiegen die beiden, und der Fremde kam wieder vom Himmel, wo seine Baßgeigen hingen, auf unsere miserable Erde herunter, die so gut bewacht und so wohl ge- drillt wird von Gendarmen und Ministern, sowie nebenbei auch ein wenig regiert von Gottes Gnaden, da's Regieren Sport und Verdauung gesund sein soll. Und als der Fremde unter seinen beiden Füßen wieder Gutcnburger Erde hatte, da lächelte er in sirh hinein. Da fing er behende seine durch- gebrannte Phantalie wieder ein und band sie dieses Mal besser und vorsichtiger als früher, kreuzweife und überzwerch recht gut, packte sie obendrein noch in derbes Packpapier und sandte sie als eingeschriebenen Brief dem Negerhäuptling Frißmich und Verdanmich ins schwärzeste Afrika hinein, dorthin, wo sie so bequem gekleidet sind und schön tun, ehe sie sich vor lauter Liebe auffressen. Zu seinem Kumpan sagte er: Aber vorerst, lieber Freund, sind wir noch im heiligen römischen Reich-deutscher Nation und müssen auch noch eine Weile drin bleiben und da? Beste für den Jungen hoffen, da'» uns alten Eseln nimmer blühen will." Der Altenberger, der lieber lustig war als solchem Sinnen und Reden nachging, gab da nach: Macht,- wie Ihr für gut haltet, mir ist's recht! Ich denke an den Jungen, des seid gewiß! Ein armer Teufel darf er nicht bleiben. Dann geht's besser voran: denn Geld hikft immer ein Stück mit auf dem Weg in der Welt." Da kam der Doktor in die Nebcnstubc. Er war ein frisch auf die Menschen losgelassener Arzt, neugebacken nach Gutenburg gekommen und hatte in dem halben Jahre, seit er da war. eine Goldgrube von Praxis gefunden. Die Seuche half ihm ein gutes� Stück aus die Beine und sicherte ihm die Zukunft. Darum war der junge Doktor auch herzensvergnügt, denn zur guten Praxis hatte er noch seine Jugend, und in Preußen, woher er kam. hatte er auch noch eine Preußin, die ihm hold war. Der Doktor hatte gerade eine Weile Luft, und da der Altenberger die Preußen als Skatspieler ganz im besonderen liebte, staken die drei im Nu mitten in dem Grand und Solo und allem dem Schöne», was des Skatspielers Herz hüpfen macht. Sie mochten so ungefähr eine Stunde gedroschen haben. Der Doktor hatte bisher verloren, wie dies bei Leuten, die irgend» wo auf GyUtz-? Erde ein liebes Mädchen haben, so ist. VlnV