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als er gerade einen Grand mit Vieren bekam so fein wie nur möglich, stürzte die junge Hirschenwirtin herein ins Neben zimmer. Sie nahm ohne weiteres dem verblüfften Doktor feinen riesengroßen Grand aus der Hand und zog ihn vom Stuhle auf. Was ist denn los?" fragte der Doktor. Weinend antwortete die junge Hirschenwirtin, die Schwiegertochter vom alten Hirschenwirt:

Kommen Sie, Herr Doktor, der Vater ist hingefallen und rührt sich nicht mehr!"

Da ging der Doktor mit der jungen Frau weg. Der Altenberger meinte leise und schaute den Fremden finnend an:

Sollte der Hirschenwirt der erste von uns sein?" Der Doktor ging zum Krankenbette. Da lag der Hirschen­wirt mit großen Augen bewegungslos. Ein Schlag hatte ihn gerührt. Der Stranke lag hoffnungslos danieder. Aber der Doktor sagte, um den Mann in Sicherheit des Wiedergenesens hinübersterben zu lassen:

Bis morgen seid Ihr wieder wohlauf."

Da leuchtete in den Augen des Wirtes ein Feuer auf voll Sohn, und ein lautes gelles Gelächter schien dem Doktor irgendwoher zu kommen. Der alte Hirschenwirt glaubte an feinen Trost und war des Sterbens sicher. Er schaute weg zur Dede. Da ging der Doktor.

Als er wieder beim Stat saß, meinte er, es sei eine berfluchte Sache mit manchem Sterbebett, und man wär im Grund genommen heillos machtlos gegen den Tod.

Dann spielten sie weiter Stat.

Aber es war eine eigene Gleichgültigkeit bei dem Spiele. Jeder hing anderen Gedanken nach, und diesen Gedanken legten sie mit dem Statspiel ein Mäntelchen um.

( Fortsetzung folgt.)

Hyndmans Erinnerungen.

ich von Utah nach New York zurüdfchrte, in der New York Tribune " mit folgendem Kommentar: England schidt manche närrische Rei­fende nach den Vereinigten Staaten , aber es hat nie zuvor einen folchen Narren geschickt wie diesen." Da ein paar Monate nachher der schreckliche Stamps bei Homestead stattfand, in dem Herr Andrew Carnegie Pinkertons Thugs mit Winchester- Gewehren losließ, um die Arbeiter niederzuschießen, mit deren unbezahlter Arbeit er sein folossales Vermögen angehäuft hatte, und da nicht lange danach die Chicagoer Tumulte und andere große Streikunruhen die Welt in Erstaunen fetten, glaube ich beanspruchen zu können, daß der när­rische Reisende ein wenig flarer sah, was vor sich ging, als der zu Hause bleibende Weise, der sich als der allwissende Redakteur auf­spielte. Ich gebe jedoch nichtsdestoweniger zu, daß aus Ursachen, die ich heute sehr deutlich erkennen kann, der Klassenkampf nicht so schnell, als ich damals erwartete, das Stadium der revolutionären Klassentrise erreicht hat. Die Mühlen der Dekonomie mahlen lang sam, aber sie mahlen äußerst fein."

Hyndmans Berehrung für Marg, den er zuerst in England popularisierte, spiegelt fich in mancher prächtigen Beschreibung wider. Greifen wir eine Stelle heraus:

"

Mary war ein Jude und mir schien es, daß er in seiner Person und seinem Wesen mit der imponierenden Stirn und den großen hervortretenden Augenbrauen, den stechenden, glänzenden beweglichen Munde, alles umrahmt von dem ungeschorenen Haupt­Augen, der breiten, Empfindsamkeit verratenden Nase und dem und Barthaar, den gerechten Zorn der großen Propheten seiner Raffe mit den kalten, analytischen Fähigkeiten eines Spinoza und der jüdischen Doktoren verband. Es war eine außerordentliche Ber­einigung von Eigenschaften, wie ich sie bei keinem andern Menschen gelannt habe.

"

Als ich, erfüllt von dem tiefen Eindruck, den die große Per­Der Altenberger antwortete darauf, daß bei solchen Ge- sönlichkeit, die wir verlassen, auf mich gemacht hatte, mit Hirsch danken die Gutenburger viel Hoffnung hätten, mit der Zeit hinausging, fragte mich dieser, was ich von Mary hielte. Sun," erwiderte ich, ich glaube, er ist der Aristoteles des 19. Jahrhun an dem Preußen noch einen ganz vernünftigen Arzt zu be- berts." Und dennoch, als ich dies jagte, war ich mir bewußt, daß kommen. sich dies nicht ganz mit den Tatsachen decke. Erstens war es ganz unmöglich, sich Marx vorzustellen, als spiele er bei Alexander den Höfling, während er tiefe Studien betrieb, die spätere Genera= tionen so einschneidend beeinflußt haben, und außerdem schloß er sich nie so vollständig von den unmittelbaren menschlichen Inter­effen ab, um imstande zu sein, die Dinge und ihre Umgebung in dem falten, leidenschaftlslosen Lichte zu betrachten, wie der größte Philosoph des Altertums. Es kann nicht der geringste Zweifci darüber bestehen, daß sein Haß gegen das System der Ausbeutung und Lohnsklaberei, das ihn umgab, nicht nur intellektueller uno philosophischer, sondern auch bitterer persönlicher Art war. Ich erinnere mich, wie ich einmal zu ihm sagte, daß ich glaubte, ich würde toleranter, je älter ich würde. Glauben Sie das," sagte er, glauben Sie das?" Es war ganz sicher, daß dies bei ihm nicht bestehende Gesellschaftsordnung und die vernichtende Kritit, mit der er seine Gegner bedachte, was viele von der gebildeten woh­habenden Klasse verhindert hat, sein meisterhaftes Lebenswert in feinem vollen Werte einzuschäßen, und was Halbwisser und Wor­flauber dritten Ranges wie Böhm- Bawert zu solchen Helden in ihren Augen gemacht hat, nur weil diese seine Worte verdrehten und versuchten, ihn zu widerlegen". Wir sind heute besonders in England daran gewohnt, stets mit großen weichen Knöpfen an der Spize unserer Rapiere zu fechten. Die gewaltigen Angriffe, dle Mary mit dem bloßen Stahl auf seine Gegner ausführte, sahen so ungehörig aus, daß unsere Gentlemenly", Scheinfämpfer und intellektuelle Akrobaten, nicht glauben fonnten, daß dieser schon­nungslose Polemiker und wütende Gegner des Kapitals und der Kapitalisten wirklich der tiefste Denter der modernen Zeit war. Eine oberflächliche Bekanntschaft mit den Streitschriften Thomas Mores oder John Miltons würde sie befähigt haben, Marg von diesem Gesichtspunkt aus viel besser zu verstehen. Er kämpfte in seinem ganzen Leben immer einen Kampf bis zu Ende, und diefes Ende, das möchte ich voraussagen, wird sich hinausziehen, bis seine Größe allgemein anerkannt wird."

" Die Aufzeichnungen eines Lebens voller Abenteuer"( The Record of en Adventurous Life) ist der Titel des Buches, das Ge- zutraf. Ich glaube, es war Margens tiefe Abneigung gegen die noffe Hyndman bor kurzem veröffentlicht hat und das einen höchst interessanten Beitrag zur sozialistischen Memoirenliteratur darstellt. Auf den ersten Blick mag der Titel etwas sonderlich erscheinen. Aber wer wie Hyndman, die Kämpfe Garibaldis in Italien ver­folgt, die wilden Zeiten in Australien miterlebt, in den polynesischen Gewässern dem stets hungrigen Magen der Haifische knapp ent­ronnen und im wilden Westen Amerikas die allgegenwärtigen Schießtnüppel um sich knallen gehört, hat wohl ein Recht, von einem Leben voller Abenteuer zu reden. Die lebhaften. Schilderungen des englischen Genossen bilden eine fesselnde Lektüre von der Art, die man am liebsten in einem Zuge genießen möchte und von der man sich nur ungern trennt.

Jedoch noch mehr als diese Schilderungen ziehen uns die Kapitel an, die von Männern wie Marr, Mazzini, Morris, Liebknecht und anderen großen und bedeutenden Geistern des neunzehnten Jahr-| hunderts handeln, deren Freundschaft der Verfasser genoß. Bietet uns die Geschichte die nach gewissen Gesichtspunkten geordnete und interpretierte Vergangenheit, so läßt die Memoirenliteratur die Vergangenheit wieder lebendig vor unseren Augen auferstehen. Und was tönnte uns Jüngeren, die die schweren, doch glorreichen Anfangsjahre unserer Bewegung nur aus den Büchern fennen, will­fommener fcin, als einen Blid in die Werkstätte der Geschichte zu tun, in das Leben der handelnden Personen, wie es sich in den Dar­stellungen dieses Zeitgenossen widerspiegelt?

Es wird wohl wenig Menschen geben, die auf dem Wege nach Sem Mormonenstaat zu Sozialisten geworden sind. Genosse Hynd­ man erzählt in seinem Zuche, wie er auf einer Geschäftsreise nach Utah Marrens Sapital" eifrig studierte, wie ihm diese Lektüre die Augen öffnete und wie er sich entschloß, die amerikanische Gesell­schaft im Lichte dieser neuen Erkenntnis zu untersuchen. In diesem Zusammenhang beschreibt er folgende amüjante Episode:

In einer Besprechung des Hyndmanschen Buches, die in einem Londoner Blatt erschien, wird dem Verfasser der Vorwurf gemacht, er reiße in seinen Memoiren alle Leute herunter. Das steht aber direkt im Widerspruch mit der Wahrheit. Wo er Zeitgenossen, die ihm lieb und wert waren, lobt, da tut er dies mit ganzer Seele und mit ganzem Herzen. Aber solche Charaktere wie Syndman sind auch gute Haffer. Die Renegaten schneiden bei ihm schlecht ab. Hören wir einmal, was er über Herrn Briand zu sagen hat:

" Ich kannte Aristide Briand eine Zeitlang ziemlich gut. Gr war damals ein noch wilderer und ein biel weniger höflicher Anarchist und Umstürzler als Krapotkin. Auf internationalen Kon­" Da ich damals mit Herrn John Morley auf gutem Fuße stand, gressen machte sich der Mann als Sekretär und Häuptling der schrieb ich diesem etwas von dem, was ich sah oder zu sehen glaubte, anarchistischen und Generalstreifselemente des französischen Gewert­was ein sehr amüsantes Nachspiel hatte. Ich schrieb ihm, daß das schaftertums zu einer wahren Landplage, störte systematisch die Aufeinanderprallen der Klasseninteressen nach meiner Ansicht so Verhandlungen und bestand darauf, weit mehr Redezeit zu haben Heftig würde, daß es nicht lange dauern werde, bis es zum offenen als ihm zukam. Er war ein unerträglicher, anmaßender, sich Konflitt töme. Selbst der noch gewaltige ungehobene Reichtum der selbst vergötternder Mensch. Das war der Eindruck, den dieser Republik , der noch der Entwidlung harre, fönne sie vor diesem un- heftige, die Propaganda der Tat predigende Anarchist Briand auf gestümen Klassentampf nicht schüßen, der sowohl bitter wie be- alle machte, die ihm auf diesen Kongressen begegneten. Und ta ständig sein werde. Herr Morley druckte diefes Schreiben anonym glaube, damals meinte er auch alles, was er sagte. Er war ein in der Ball Mall Gazette" ab, und so kam es wieder nach den Ver- konfequenter Individualist, der bereit war, für die vollständige einigten Staaten zurüd. Zufällig erschien dieser Passus gerade, als' Freiheit des Individuums als einen Schritt zur sozialen Freiheit