Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 243.

24]

Freitag, den 15. Dezember.

( Nachdruck verboten.)

Die Guten von Gutenburg.

Von Hermann Kurz .

Und aus einer Furcht heraus, die er nicht fassen konnte, friebs ihn an, den Findling mit sich zu nehmen. Dieser sollte heute bei ihm sein. Nicht sehen sollte der, wie das Mädchen ging. Die Lust und die Versuchung, gleich dem Mädchen weg­zugehen, durfte nicht an den Findling kommen. Er wollte diesen im Hause festhalten. Alle seine Kinder waren, kaum flügge, weggeflogen, dahin und dorthin. Dieses fremde Kind aber mußte ihm bleiben, damit er nicht vollends irre wurde an seinem Leben.

Als sie lange draußen waren, fragte der Simon von un­gefähr und schaute weitaus:

Hast Du das Mädchen aus dem Schlüssel arg lieb, Bub?" Der Findling sagte ja".

Da fragte der Alte in gleich stiller Weise wie vorhin, ob­schon es in ihm auch wogte und Furcht war: ,, Und wie denkst Du dir das Weitere?"

Da sagte der Findling einfach und wehmütig: ,, Das weiß ich noch nicht."

1911

dieser Drill und Pfiff nicht gerade, doch war das Jahr nicht zum Schaden.

Und einmal, als der Verstand des Findlings auf Stelzen über den Kasernenhof stolzierie wie ein Nachtwandler und an den vier Wänden seinen Kopf anschlug, erwachte der Bursche aus der Dede des Soldatenlebens. Die langen steifen Stelzen in Gamaschen brachen mit einem Knacks in Stücke, hop- hop machte es, und vor dem Findling stand das Flügel rößlein der Phantasie, scharrte mit dem Borderfuß und lud zum Auffißen ein. Der Findling setzte sich auf den bequemen Rücken, und im weichen Sattel des Wunsches gings durch, das Nößlein. Im Nu war die Kaserne vergessen und das gute Zierlein weidete auf den Gefilden von Gutenburg. Der Find­ling aber lief schnurstracks, so rasch er konnte, dem Orte zu. Im Vorbeigehen sagte er im Waldhüterhaus rasch Grüßgott" und dann gings in den Schlüssel. In der Küche fand er seine Schwester Madlen. Die reichte gerade der armen Sütterli­Bäbi ein Becken Milch, wenn schon die Frau nur ein Viertel­beci bezahlt hatte. Aber die Schwester Madlen hatte ein weiches Herz und fonnte nicht anders, denn dem Bäbi konnte man sämtliche Rippen sogar noch durch das schäbige Kleidlein sehen. Darum erschraken die beiden nicht wenig, als der Find­ling so hereingedonnert fam. Sie hatten zuerst gemeint, es hatte ganz anderes im Kopfe. Als die verwunderte Schwester ihn fragte, wieso er daher nach Hause käme, da er doch beim Militär sei, gab der Findling gar keine Antwort, er unter­brach nur das Mädchen: Wo ist denn die Madlen?" Und gerade wie der Findling dies fragte, kam die Madlen in die Küche, und er hatte sie gerade füssen wollen, und-

Der Alte aber gab nicht nach, er mußte wissen, wie der sei der Schlüsselwirt. Doch der Findling merkte nichts, er Bub sein Schicksal gestalten wollte..

Du willst doch heiraten?"

" sa."

Also, warum weißt Du da nicht, wie alles kommen soll? Da ist doch Geld genug vom Vater der Madlen, der Hof, das Wirtshaus, das kann Dich wohl miternähren."

Wie er dieses sagte, zitterte des alten Mannes Hand. Er fürchtete die Antwort. Hatte er doch selbst den Burschen in Versuchung geführt. Jezt mußte er zugreifen und ja sagen, und alles das Vergangene war vergessen.

Der Findling aber schaute groß auf. Er glaubte nicht verstanden zu haben. Und dann wurde er irr an seinem Pflegevater. War dies der Mann, der ihm früher solch harte Worte von der Pflicht des Menschen gesagt und von Ehre und Menschenwert gesprochen hatte? Und als er das gewohnte Gesicht erblickte, erwachte in ihm eine zornige Schant. Konnte ihn sein Pflegebater, der ihn erzogen hatte, so unwert halten? In das Nest siten, das die reiche Frau aufmacht, und Herr sein und im Herzen und Gemüt ein elender unwerter Snecht, ohne eigen Gefühl?

Darum antwortete der Findling schroff: Nein, davon fann nicht die Rede sein!"

-

Simmmel und Einjähriger Unbekannt, hol Sie der Teufel! Sind Sie mondjüchtig? Was machen Sie denn? Sie fangen wohl Fliegen und können nicht hören!" und so gings weiter.

Aehnliches hatte der Findling noch nie gehört, und er trug feit jenem Tage auch kein Verlangen, nochmals so was zu hören. Er hatte die Geschichte weg, und bekam im Kajernenhof drei Tage Arrest für seine Träumerei. Dieses weise Urteil fällte der gewaltige Herr und Meister des Find­lings im Waffenrod . Und der Findling spazierte ins Loch und im Nu stand da wieder das Rößlein vor ihm, und diesmal hatte das brave Tierlein lange Weile zum Grafen auf der besten Wiese im Gutenburger Bann.

Und als das Jahr vorbei war, da nahm der Findling Plaz im ersten Eisenbahnzug, der nach Gutenburg dampfte, und war dann wieder glücklich für Gutenburg gerettet. Und

Wie ein Blitz zudte da die Freude über des Alten Gesicht. dieses war niemand lieber als den beiden Madlenen. Aber er drängte weiter.

,, Wie denkst Du dir denn die Geschichte?"

Der Findling wandte sich ab und grollte. Dann sagte er: ,, Nicht so, die Madlen muß zu mir kommen und ich nicht zu ihr; daß sie was hat, schadet nichts, doch mir nützt das auch nichts, wenn ich nicht soviel habe, um eigener Herr zu fein. Glaubt Ihr denn, Ihr und ich, wir würden zu einer Frau siten und aus ihrem Sacke leben?"

Der Alte tat verwundert.

hr und ich, wie meinst Du das?"

Ja, glaubt Ihr denn, daß ich Euch allein lasse, wenn Ihr im Alter seid? Habt Ihr mich allein gelaffen, als ich an den Wenigstnehmenden wie ein Hund vergeben wurde? Nein, Ihr und ich bleiben zusammen, da ist nichts vor."

Da ging dem alten Simon das Herz über. Ein Jubel war in ihm, wie er ihn noch nie im Leben gefühlt hatte. Doch floß die Freude nicht schäumend über. Alles, was er sagen fonnte, war still und hart, wie sein Wesen. Und dennoch fühlte der Findel, wie dem Alten war. Und er kannte seinen Vater wieder und verstand seine Worte, jetzt und vorher. Der Alte hatte ihm den Weg, den breiten, faulen Mastweg, leicht machen und nicht mit seinen Wünschen hindern wollen. Darum drückte er des Alten Hand wieder, als dieser sagte: Ich dank Dir, Bub, ich bin zufrieden!"

Wie der Erhard zum Wohltäter wurde und

seine Kandidatur betrieb.

Der Findling war wieder zurückgekehrt und hatte, feiner Dienstpflicht Genige getan. Viel genügt hatte dem Burschen

Denn das Jahr der Abwesenheit des Findlings war den Madlenen lange, besonders der Schlüsselmadlen. Die andere tat zwar der Freundin zuliebe auch so, doch fand sie noch anderes zu tun, als nur verliebte Seufzer loszulassen.

Das Wohltun an armen Leuten erfand sie. Bislang hätte außer der Mauer vom Schlüssel verhungern können, wer wollte. Der Erhard dachte bestimmt nicht daran, irgendwen in diesem Vergnügen zu stören, mochte jeder zusehen, wie er satt wurde. Er selbst sorgte für sich und sein Haus. Was darüber war, war vom Uebel. Und dann auch, hatte man nicht genug Schweine zum Füttern und Mästen im Stall? Da ist leicht sagen: Und die Armen, die dankbar sind der Brosamen vom Tische des Herrn." Dummes Zeug dast Gab er nicht gerade für dieses Pack jedes Jahr einhundert Mark in die Armenkaffe? War dies vielleicht eine Kleinig feit? ind die fremden Leute, die von der großen Straße kommen und wehleidig an fremder Häuser Türen klopfen, gabs für die nicht das Löffel- Amt"? Was ein rechter Mensch war unter diesem Gesindel, hatte ein Büchlein. Damit ging der Hungerleider zur Naturalberpflegungsstätte, und dort fonnte er zwischen Leben und Sterben begetieren, und durfte Dankschön" sagen und bekam einen Stempel, damit gleich alle Leut wußten, woran sie mit dem Kunden waren. Alles recht. Aber die, welche zarten Herzens. sind, welchen das Herz springen will, wenn sie anklopfen und die Hand ausstreden?" Da mußte der Schlüsselwirt doch lachen. Das war gut. Das ist ja alles Schwindel. Eine Vagantenbande, ein verfluchtes Bettelvolk war das, die feine Schriften hatten; die mußten alle verrecken, so gehört sichs. Darum hatte der Erhard auch