Wie verwundert das Gesinde war, ist nicht zu sagen. Am «Herverwundertsten war die Madlen. Jetzt ging die Welt unter. Und als gar eine Weile später die Schlüsselmadlen in die Küche herauskam und der andern Madlen etwas zuraunte unter Lachen und Kichern, und als dann alle beide sich schier nimmer fassen konnten vor Lustigkeit, da meinte die Schneibel ärgerlich:In dem Haus sind jetzt, glaub ich, alle verrückt I" Wenn auch der Erhard unbedingt der Meinung huldigte, er allein sei der berufene Bürgermeister der Gutenburger, und wenn er auch im Vollgefühl seines Wertes dafür sorgte, und zwar aus Leibeskräften, so viel er nur konnte, diese Meinung als einzige aufkommen zu lassen, mußte er dennoch den herben Schmerz, daß dem nicht so sei, erfahren. Diese bittere Er- fahrung brach zwar sein zartes Herz nicht. Immerhin fluchte er auf den verdammten Preußen, den Doktor, und den Gegen- kandidaten, der Bürgermeister in» Amt war, und dessen Sau- bände von Clique, die allesamt ein Siedigheißes und so weiter holen möge. Um so mehr aber lief der Erhard im Städtchen herum und verkündete in eigener Person feinen Ruhm, weidete in allen Wirtshäusern seine Schäfchen, und wenn es Abend werden wollte/ dann wackelte er bedenklich. Denn er war ein gesunder Mann, trank seinen Freunden zu und traktierte immer nur literweise. Die Guten mußten sehen, daß er kein Schmutzian war, der nur so ein kleines Schöpplein schmürzelte. Da aber der Erhard durch seinen Beruf ausgepicht und hoch geeicht war, wackelte er immer zuletzt, und die anderen merktcns nicht. Darum wurde er den Kumpanen eine impo- fante Persönlichkeit. Doch nicht nur in den Wirtshäusern zeigte der Kandidat zur Bürgermeistcrwahl, der Schlüsselwirt, seine Herzensgüte. Er suchte die Bürger allerorts auf, wenn die Not dies ver- langte, in der tiefsten Hölle des eigenen Heims. Er präsentierte sich selbst und zeigte sein vornehmes, tüchtiges Herz, gleichwie er zu Hause einem Gaste, wenn es darauf ankam, den mit Liebenswürdigkeit zu gewinnen, um eine Stimme mehr im Topf zu haben, selbst Wurst und Brot auf dem Teller servierte. Als er das erste Lüftlein rauschen hörte, das ihm einige Redensarten seiner Gegner zutrug, und daraus schloß, daß er mit wenig guten Namen belegt wurde, nahm er seinen schönsten Hut vom Nagel und zog aus dem Schlüssel. Er suchte die Bürger zu Hause auf und widerlegte im intimsten Zwiegespräch die Verleumdung der Gegner.' Und da in Gutenburg in so vielen Häusern noch ein natürlicher Ton herrschte, der wenig angekränkelt, war von Ueberkultur und blassem Aesthetizismus, fand der Erhard immer Wasser auf seine Mühle. Denn sein Geschäft bedingte dies, er suchte die siinimfähigcn Bürger nur vormittags auf, fein Hof und Wirtshans brauchte ihn nachmittags. Und in dieser Hinsicht war der Erhard klug. Dies verstanden die Gutenburger auch, und keine machte ihm einen Vorwurf, denn nach dem Mittagessen hatte der geplagte Herr Erhard mit dem Herrn Stadtpfarrer, dem Herrn Stadtkaplan und ähn- lichen Honoratioren Skat zu klopfen. So wollte es denn des Erhard gutes Schicksal, daß er nur allzu oft in ein Haus hereinkam und hörte und sah, wie eben der Asiate wieder aus dem Europäer herausgekommen, da irgend etwas im Haus- halt nicht geklappt hatte und so die Politur gerissen war. Natürlich hatten aber die Gutenburger ebenso wie die an- ständigen Leute anderswärts im asiatischen Eurova soviel gute Erziehung, daß sie beim Eintritt des reichen, unerwarteten Besuchs dem Asiaten die Hand zum Abschied gaben, um unter guten Landsleuten zu sein. Hingegen faßte der Erhard die Situation jedesmal am rechten Zipfel am Er versicherte die Frau vom Manne, daß auch anderorts nicht alles wie am Schnllrlein ginge, darum manchmal eine Ohrfeige auf rosigster Wange reife und prange. Und mit derlei zartem Verständnis, das der Erhard für jede Situation zeigte, gewann er alle Herzen für sich. Zwar wäre den meisten lieber gewesen, wenn der Schlüssel- Wirt sonstwo, nur nicht gerade in ihrem Haushalt. Dampf ge- rochen hätte. Doch waren alle kluge Leute, die wußten, daß der Erhard nun einmal die Nase voll habe, Wirt sei, und im Falle sie nicht für ihn stimmten, den ganzen Radau in seiner Schankstube breitschlagen würde, zum allgemeinen Wohl und abschreckenden Beispiel natürlich. (Fortsetzung folgt. j Die Ausstellung äer Se�eMon. Die Zeichnung ist der Schlüssel zu den Geheimnissen der Malerei. Sie verrät uns das Eigentliche, txrs innerste Wesen des Künstlers. Das im Goldrahmen feierlich hängende Oelbild hält uns in einem gewissen, respektvollen Abstand; die Zeichnung aber erschließt uns des Künstlers Werkstatt, sie zeigt uns den Meister im Schlafrock. Die Zeichnung ist wie ein Sektionsbefund; sie ist zugleich ein Dokument von der Empfängnis und den Geburts-- wehen des Künstlers. �Jn der Zeichnung lesen wir wie in Tage» büchcrn und Bekenntnissen. Das ist der große, uns immer wieder packende Reiz dieser Winterausstellungen der Berliner Sezession  : sie stellen uns mitten in den Schöpfungsprozeß der Kunst. » Wir treien ein und gehen nach rechts. Im ersten Kabinett hängt eine Auswahl der sogenannten Nazarener  . Die Sezession sucht historischen Anschluß. Sie hat uns schon früher die Linie, die von Liebermann über Menzel und Steffel zu Krüger führt, als die ihre vorgeführt; sie will diesmal wohl andeuten, daß eigent- lich alle gute Kunst ein Vorfahr des lebendigen Heute war. Darin hat sie recht. So zaghaft uns diese Nazarener auch scheinen, so galten sie doch der damaligen Akademie für Revolutionäre. Man braucht nur zu lesen, wie Goethe   den Joseph Anton Koch   gescholten hat. dann spürt man etwas von dem Neuen, was die Nazarener brachten. Wir treffen hier neben einigen Biättern des knorrigen Koch, Arbeiten von Rein hold und Schnorr; sie und ihr ganzer Kreis mühten sich als Deutsche um die römische Landschaft. Darin waren noch Feuerbach, Böcklin   und Marees ihre Nachfolger. In dem kleinen Tendenzmuseum der Sezession finden wir dann noch G e n e l l i, den Scheffler neulich sehr treffend denMichel- angelo des Aktsaales" nannte; wir finden Karstens, der, als ein leidenschaftlicher Prophet der Schadellehre, Bischöfe, Hexen und Wahnsinnige zu wilden Fratzen wandelt. Daneben hängen einige Zeichnungen von Feuerbach, reichlich akademisch und merkwürdig gemischt aus Rokoko und Antike; nur die Landschaften zeigen naive Ursprünglichkeit. Um wieviel gesünder war doch Schadow; die berlinische Sachlichkeit Hills ihm, den verschiedensten Geistern gerecht zu werden. Er ist sehr akkurat, aber es mangelt ihm auch nicht an Forscfcc. Von solcher Objektivität gibt das kleine Selbstbildnis (747) treffliche Nachricht. Wie weiß Scbadow aber auch die weiche Anmut eines Jünglings(749), wie die beinahe kokette, frauenhafte Zartheit des Architekten Louis Catel   mit wenigen Zügen auf das Papier zu bringen. Schwind und S p i tz w e g, die den Rest des Kabinetts füllen, find nicht gut vertreten. Als Zeichner scheint Spitzweg   den Dilettanismus nie recht überwunden zu haben; man spürt gar nichts von den Reizen seiner Bildchen.- Im nächsten Raum wurden moderne Lithographien versammelt. Auf gelbem Papier reizt uns sofort Gauguin  ; ein prachtvoller Wilder. Gesund und sinnlich wie ein Urwaldtier, unbekümmert um die Konvention und doch ein Musiker, ganz erfüllt von weichen Melodien. Ein Blatt ist besonders schön(292); Frauen sitzen am Wege, sie schnurren im Genuß der Ruhe, wie Katzen. Frauen gehen vorüber, sie tragen Losten, sie strecken die Arme von sich, eine Welt der Bewegung läuft von der einen Frau zur anderen. Mitten zwischen diesen Gauguins liegt ein C e z a n n e; männliche Körper entfalten sich aus einem Duft von Grün. Es ist, als hätte ein schöpferischer Hauch dem Stein ein junges Leben erküßt; die Körper sind ausgespart. Das eigentliche Leben liegt im Umriß, doch ist auch dieser nicht fest, ist nur ein zitternder Niederschlag erregter Leidenschaft: das klassische Wesen der Zeichnung. Solcher Art verwandt, wenn auch nur von fern, ist Brockhusen; er architektonisicrt die Landschaft, als wäre sie eine Eisenkonstruktion. Das wirkt zuweilen etwas schroff, zwingt aber zum Erfassen der Gelenkpunkte im überquellenden Reichtum der Natur. Wie zärt- lich ist dagegen doch Karl Walser  ; und ist doch eigentlich des- selben Blutes. Auch einer, der den Rhythmus des Lebens wie eine Partitur niederschreibt. Nur: er liebt die feinen Dinge, die leisen Stunden, tue heimlichsten der Augenblicke. Püttncr scheint in seinen Lithographien ein wenig müde; diese Vögel sind gewiß sehr gut gesehen, aber die gedämpfte Farbe läßt die flotten Effekte seiner Keramiken doppelt vermissen. Beckmann weiß sein strotzendes Talent durch kluge Regie reifen zu lassen. Diese Litho- graphicn zum Neuen Testament erinnern immer noch erheblich an Corinth, aber sie kommen uns wesentlich näher als die beinahe akademischen Muster des Lehrers. Man kann das gut vergleichen, denn C o r i n t h s Illustrationen zumHohen Lied" liegen dicht daneben, lim wieviel lebendiger, zum mindesten nervöser, ist doch Beckmann; bei ihm moussiert das Licht, wenn es auch noch zu einem Teil Rampen- und Bühnenlicht ist. Bei Corinth ist alles ruhig. Das wurde zwar durch die Aufgabe bedingt, dürfte aber doch ein Symptom sein. Beckmann ist innerlich farbiger; Corinth neigt zum Bunten. Wie er seine Figuren mit Rot, Blau und Grün koloriert, das ist eigentlich schon langweilig; besonders der Akt. der im blauen Mantel vor dem grellen Teppich steht. Sinnlich ist dagegen, wie Rößler die Landschaft ansieht; wir dringen in die Tiefen der Dinge, der Raum erwacht. ' Der nächste Raum enthält Aquarelle, Pastelle und Gouachen. Hier hängt Liebermann; er enttäuscht. Seine Blätter haben etwas Jahriges, Oberflächliches; man beginnt zu fürchten, daß diesem gesicherten Meister das Alter kommt. Das wird nichts ändern an seiner ragenden Stellung noch an seiner Führcrschast;