Und als sich der Findling nach dem Fremden umschaute. nickte der und sagte: „Zum Teil stimmt's schon, doch gibt's auch darunter, Gott sei Dank, noch einige---- räudige Schafe, und die sind immerhin noch vor Gott gerecht, mein Bübleinl" Da kam aber wieder ein Wölklein an den Himmel der Gegenwart. Und dieses Wölklein wuchs und wuchs und wurde dem Findling zur Gewitterwolke. Dieses Wölklein war die Frage des Findlings, die er der Zukunst stellte. Und als er daran dachte, daß auch der Fremde und der Altenberger Herr ihm eine Mission für die Zukunst gegeben hatten oder vielmehr von ihm verlangten, in Zu- kunft als seine Mission etwas zu wirken und zu leisten, um so als ehrlicher Mensch seine Schuld an den beiden zu be- gleichen, da wurde die Wolke zum donnernden und blitzenden Ungetüm. Warum hatte der Fremde mit ihm in den letzten Jahren als Hauptsache die Weltgeschichte und die Geschichte des Volkes durchgenommen? Warum hatte er den Finger immer auf die blutigen Wunden gelegt, welche einst mit brutalem Schwerte den schwachen, dummen, zum viehischen Haufen herabgedrücktcn, aber gottesähnlichen und gottesebenbild- lichen Menschen geschlagen wurden, auf diese Wunden, die heute im Buche der Menschheit nur noch als blutrote Narben leuchten? Was hatte da der Fremde gewollt? Er hatte es nie gesagt, denn er meinte, aus dem Herzen heraus, von selbst. müsse die Tat zum Guten kommen. Der Mensch könne nur durch Wissen und Unterscheiden zu den Grenzen von Gut und Böse geführt werden, aber Wegweiser zur Tugend gäbe es keine. Als das Gewitter der Ungewißheit immer mehr wetterte im Hirn des Findlings, schaute er sich nach dem Fremden um. Aber da schien sich dieser lanasam zu verlieren, nur noch undeutlich konnte der Findling das zukunftssichere Lächeln des Fremden sehen, und da überwand er die Angst und die Unsicherheit. Er wußte wie mit einem Male, daß der Fremde sein Teil getan hatte, ehrlich und recht, und darum mußte das Leben ihn auch seiner Bestimmung zuführen, das mußte so sein. Es kommt ja öfters im Menschenleben ein Augen- blick, der an Gewinn von Erkenntnis und Einsicht nach Jahren zählt. Aber warum er das Vermächtnis des Altenberger Herrn an sich nehmen sollte, dies wollte der Findling immer noch nicht einsehen... Er dachte eher mit Groll an dieses Gut: nur Ungemach hatte es ihm bislang gebracht. „Und wenn das Ungemach nicht gewesen wäre, dann hätte es für dich kein Heute gegeben, mein Büblein!" So glaubte der Findling aus der Ferne des Fremden Stimme zu hören. Oder hatte das Gewissen ihm das alles gesagt? Trotz der Dankbarkeit fürs Heute, das als Frucht des Ungemachs gekommen war, blieb er gesonnen, das Erbe nicht anzunehmen: das, was er tun mußte und wofür er über die niedere dumpfe Unwissenheit seines Standes herausgehoben wurde, hing nicht am Geldeswert. So glaubte der Findling. Der Findling aber kramte zu Hause aufs neue den Brief seiner Schwester aus. Dann packte er langsam Stück für Stück zusammen, und als er fertig war. sagte er und lachte ob dieser Wahrheit, die erquicklich war: „Welch ein Esel bin ich gewesen!" Und als er am Bahnhofe war, gab er ein Telegramm an die Madlenen auf und meldete seine Heimkehr. (Fortsetzung folgt.) Cm Streik in cler Pampa. Skizze aus dem argentinischen Arbeiterleben. Von Leo Kolisch. Ich war wieder ei»?ial blank. Ganz blank, trotzdem ich erst vor kaum acht Tagen m�t schweren vierhundert Pesos nach Buenos Aires zurückgekommen war. Kvei lange Monate hatte ich in der Weizenernte geschunden, hatte auf der Mähmaschine gesessen und auf dem Gartenbinder, hatte im glühenden Sonnenbrand des süd« amerikanischen Dezember die Garben zusammengeschleppt und sie mit türmen helfen zu den haushohen„Pilas", den Riesenschobern, mit denen sich dann später die Sklaven der Dreschmaschinen herum- schlagen mußten. Und ,ls wir dann fertig waren mit den sechs- hundert Hektar, die der Farmer unter Weizen stehen hatte, da war nichts mehr in uns, als das Bedürfnis, die Gier nach Feiertagen. In der argentinischen Ernte gibts weder Sonn- noch Feiertag. Das Weihnachtsfest z. B., das in die Ernte fällt, wird nicht gefeiert, trotzdem Argenrinien ein sehr kathobsches Land ist. Verdienen ist überall wichtiger.... Der Patron wollte mich damals als Jahresknecht dingen: vierhundert Pesos, alles frei und fünf Prozent von der Ernte. Und ich wäre vielleicht geblieben, wenn mein Freund Charlie, der NorSamerikaner, mitgetan hätte. Aber der wollte nicht, und so waren wir beide, unseren Scheck in der Tasche, nach der nächsten Station geritten. Rasch genug war er eingelöst und auch das Ver- stopfen der Pferde dauerte nicht allzulange. Und dann gings fort. unserem Buenos Aires entgegen. Am Abend desselben Tages kamen wir an, verwildert, schwarzgebrannt und abgerissen wie immer, mit der Linehera, dem Reisesack auf dem Rücken. Ver- dächtig genug sahen wir aus. Und doch empfing uns Senor Knöpfle, der menschenkundige Besitzer des Hotels„Deutscher Bund " in der Paseo de Juleo, voll aufrichtiger Hochachtung. Kamplcute haben immer Geld wie Heu und wir waren zudem alte, treue Kundschaften. Und nun gingen wir Buenos Aires erobern, mit unseren vierhundert Papierpesos im Sack.... Wie ich also anfangs meiner Geschichte bemerke, ich war wieder blank. Caramba, nun wars Zeit, wieder loszugehen! Charlie wollte an eine Dreschmaschine und versprach sich und mir goldene Berge davon. Aber ich kannte den Zauber ja auch schon so ziemlich: die goldenen Berge haben Farmer, Dresch- Maschinenbesitzer und Maschinist. Die Arbeiter häufen sie bloß____ Der Dickschädel ließ sich aber von seinen Vorsätzen ebenso wenig abbringen, als ich von den meinen. Und so trennten sich wieder einmal unsere Wege. Ich stand wenige Tage später als Oberbauaroeiter wieder in der Pampa, an einem Schienenstrang der F. C. S.(Südbahn ) unter einem Haufen Italiener und Spanier. Um drei Pesos 53 Centavos(Abzug fürs Essen 53 Centavos) täglich schwangen wir Hacke und Schaufel, um auf eine Länge von mehr als lOV Kilometer Schienen und Schwellen auszuwechseln. Die nächste Station war an vier Leguas(20 Kilometer) von unserem Lager entfernt. Und diese Station, ich glaube, sie hieß Bonifacie, wies außer den Bahngebäudcn nur noch einen„Almacen " auf, einen jener Kampläden, in denen man alles bekommt, was in Wildwest nur zu erlangen ist. So war ich wieder einmal in meiner Pampa, wo sie am ödesten ist. Die Arbeit konnte nicht gerade schwer genannt werden. Die Schienen aufreißen, die alten gußeisernen Schwellen abheben und durch neue aus Eisenholz ersetzen, sodann die neuen Schienen auf- nageln und nivellieren, das war alles. Ueberanstrengen brauchte sich der Einzelne nicht gerade; zu jedem schwereren Handgriffe faßten wohl drei oder vier Leute mehr an als anderswo, etwa in Nordamerika , üblich ist. Und jegliche Hantierung vollzog sich unter stetem Kommandieren und aufgeregtem Hin- und Herlaufen; süd- liche Art. Die Kapatazc(Vorarbeiter) schienen mir erst nicht schlimmer zu sein, als alle die anderen, die ich auf meinen Irrfahrten kennen gelernt hatte. Sic trieben wohl von Zeit zu Zeit an, aber daS war nicht so ernst gemeint. Hätte auch wenig Zweck gehabt. Ein- mal waren unter uns genug von jener Sorte, die sich nicht alles bieten lassen. Und dann mußte auch ohne Antreiben eine gewisse Strecke täglich fertig werden. Einmal nur am Tage passicrie cur Zug diese Linie, das war vormittags. Vor seiner Durchfahrt mußten schon sämtliche Schienen gelockert sein. Tann fuhr der Zug langsam durch und nun erst wurden die Schienen abgerissen. Abends, wenn die Sonne gesunken war, mußte alles in Ordnung sein für den Nachtzng. Soweit hätten wir also zufrieden sein können, denn auch unsere Zelte waren nicht schlecht, ziemlich neu und rein und auch reichlich genug berechnet, so daß wir bloß zu Dritt in einem Zelte zu wohnen brauchten. Jedoch, das„Aber" fehlte auch hier nicht; und es traf uns alle an einer Stelle, die wohl am allerenipfind- lichsten ist. Am Magen. Es ist klar, daß man für fünfzig Centavos täglich keine fürst- liche Mahlzeit haben kann. Das zu verlangen, wäre wohl auch keinem von uns eingefallen. Aber im ersten Fleisch- und Weizen- lande der Welt will man doch nicht Hunger leiden. Das tut in Argentinien nicht einmal der Attorrante, der Landstreicher. Die Bahngesellschaften überlassen die Verpflegung der Erdarbeiter den Kapatazen, und alle fahren gut dabei, ausgenommen die— Arbeiter. Das Rechenexempel ist so einfach. Die Vorarbeiter werden nur mäßig bezahlt von den reichen Bahngesellschaften; dafür wer- den sie darauf verwiesen, daß die Verpflegung der Arbeiter genug abwerfen könne. So anständig, ein reichliches und gutes Essen zu geben, ist nicht der zehnte Borarbeiter. Auch unserer gehörte nicht zu der guten Sorte. Der Morgenmattee war zu schwach und zu wenig süß, das Fleisch nicht frisch, Reis und Rudeln öfters dumpfig. Billig zusammengekauftes Zeug. Uns so kam die Unzufriedenheit. Während der Arbeit murrte eS von einem hungrigen Magen zum anderen, flogen die Berech- nungen, wie viel aus uns herausgepreßt werde, von Mund zu Mund. Kam der Kapataz, so verstummten die Meisten. Ihr Knechtsinn war noch übermächtig. Aber der Hunger ist nicht nur der beste Koch, sondern er ist auch der beste Revolutionär. Er kroch in allen Eingeweiden umher, er fraß in jedem und hetzte und wühlte in uns allen, auch in den Dümmsten, bis er haßerfüllt auf den Kapatazwagen schaute, wo der Kapataz und seine Kreaturen reichliche Extrakost schmausten. Und bald flattert« das Wort Streik auf. Bei meiner Gruppe wurde eS zuerst ausgesprochen:„Wenn wir nicht anständiges Essen bekommen, wird alles stillgesetzt.",
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28 (28.12.1911) 251
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