Die Gesamtausgabe umsaßt 8 Bände zu se 40V Seiten. Drei liegen jctzl vor. In ihnen ist die epische und lyrische Ernte geborgen. Daß Dehmel   denPoggfred" an die Spitze gesiellr hat, entspricht der hoben dichterischen Bedeutung dieses EpoS, für das man irgend- ein Vorbild in der Weltlitei rtur vergeblich suchen wird. Eigentlich nur eine Reihenfolge lose zusammenhängenderKantusse", fehlt ihm doch nicht die innere Einheitlichkeit. Im heiinatlichen Holstein liegt zwar nicht in Wirklichkeit, sondern im Bereich der Poetenphantasie das Zauberschloß,.Poggfred"(Froschfrieden) genannt. Dorr lebt der Dichter sich ans in sagenhafter Vergangenheit und greifbarer Gegenwart..Poggfred" ist der Ausgangspunkt für alle Phantasie- ritte in Erden» und Himmelsweiten. Liliencron  , der Mensch, holstischcS Land und Volk' alles ist eins. Hier wurzelt deS Dichters herrliche Krafmatur. Dies Epos in seiner großartigen Poesiedurcksättigung ist Liliencron  , wie er leibte und lebte, litt und kämpfte. Es ist die persönlichste aller seiner Schöpfungen. Hier mögen dann einige Bemerkungen über Liliencron   als Sprach- und Formenschöpfer am Platze sein; obwohl weder trotz aller Beherrschung metrischer Regeln jemand Dichter zu heißen ist, noch zuni Verständnis eines Kunstwerks gelangt falls ihm kein Gemüt von der Natur mitgegeben wurde. Wie Goethe sagt: Wenn ihr's nicht fühlt, ihr werdet's nicht erjagen usw." Lilien- cron, der modernste unter den modernen, war doch auch insofern fein Eigener, als er die Abschwörung alles Ueberkommenen nicht mitmachte, sonst hätte er ja niemals exotische, spezifisch italienische Metren verwenden dürfen. Wir finden aber die meisten seit je ge- bräuchlichen Versformen bei ihm; außer sämtlichen deutschen z. B. oltfranzösiiche(Alexandriner), orientalische(Phaselen), griechische lHexamcter), altcnglische(Spenserstanze) und italienische(Oktaven, Terzinen, Ritornellen, Sizilianen usw.). Alle handhabt er meistcr- Haft. Die Siziliane, dann die hauptsächlich durch Torquato Tasso  zur Klassizität erhobene, von Lord Byron   in seinem EpoS Don Juan  zum ersten Male auch auf komische und realistische Schilderungen eingestellte Otavo reine bevorzugt Liliencron   oft und geni. Fast durchgängig ist sein Poggfred in dieser Strophe geschrieben i und »vo er einenKantuS" mit einer anderen Form durchsetzt, griff er zur Terzine. Da? Beispiel Byrons   war verlockend für ihn; jamankannsagcn: Liliencron   ist noch über den Briten   hinausgegangen bis zu völliger Modernisierung der Oktave. In diesem Bestreben kommt's ihm freilich auch nicht auf Bruchstücke versivizierter Prosa und Flickereien an. Die Forschheit jedoch, womit sie riskiert werden und noch mehr der humoristische Seitensprung, mit dem der Dichter sich dann plötzlich über sich selbst zu belustigen pflegt, macht auch solche Versandungen genießbar. Und Homer   schläft wie in Hermann Linggs Völkerwanderung", die gleichfalls in Oktaven   gehalten ist natür­lich auch zuweilen im Poggfred-Epos. Die bildhafte poetische Au- schauung aber und die sprachschöpferische Energie sind einfach er- staunlich. Der malenden Begriffe hat Liliencron   soviel, daß er wie ein Krösus   erscheint. Und dazu find sie alle so neu, so plastisch, so packend der Leser verfällt aus einer Verblüffung in die andere. Ja vernahm sie noch keiner? Gewiß: denn sie sind der Sprache de? Landvolkes abgelauscht. Nur gefischt hatte diese Perlen kaum je ein deutscher Poet. Aber wie wunderbar weiß sie Liliencron   lebendig zu machen, zum Strahlen, zum Tönen zu bringen I Nicht einmal, nein unzählige Male, besonders wenn er Vor- gänge in der Natur schildert, vermeinen wir förmlich den Odem der Erde, blühende Frühlingswinde, salzige Seebrise, Heideluft zu verspüren. Alle? kriegt Farbe und Sprache. Der Windknipst" die Tautropfen von den Gräsern; der Regen ..fiebt"; die Eichestöhnt", die Birkeseufzt" im Traum; man ver- nimmt denTrommelschlag" deS Frühlings,sieht" den Sommer, dengroßen Triumphator". erfreut sich im Winter derfrechen Sternenpracht" undhört das Eis im Frost zusammenschweißen." Im nächtlichen Waldeschiebt" sich der Mond durch die weißen Stämme, wobei er sichschmal macht, als säß er in der Klemme" usw. usw. Eine prachtvolle Schilderung der Tag- und Nachtgleiche diese: Erinnerung: Es war ain längsten Tage, Wo Abendrot imd Morgenrot sich küssen, Mit blassen Armen, eine Sommersage, Friedlich umholst zu seligen Genüssen. Ich sah sie auf der eingestellten Wage, Die sich doch immer wieder trennen müssen. Die Sonne hört ich schon die Pfeile schärfen Und ihren Nachtsack in die Wogen werfen. Ober ein anderes, lenzliches Lebensbild: Nun ist der volle Frühling eingezogen; Die Fahne schwingt er hoch, der junge Held. Die Schwalbe kam, der Storch kam angeflogen; Zu Pflingsten haben alle Leute Geld. In jedem Dorfkrug fkratzt ein Fiedelbogen, In lausend grellen Farben tanzt die Welt, Und bunt sind Wiese, Hecken, Hein und Hasel, So scheckig wie die Nathauswand in Basel  Oder ein Reiter: ihmwippt" sein Bart; der Satteljaekt". Wo anderspurrt",surrt",pladdert",schlurft" cS. Oft stehen hoch- und plattdeutsche Malivorte nebeneinander. Da springt z. B. einerkopheistcr" wie köstlich ist das I Oder: die Seele senkte Vcrantwortl. Redakteur: Albert Wachs, Berlin. Druck u. Verlag: sich auf Halbmast; die Stille fährt dem Weltlärm in die Speichen und so fort im Reichtums Ueberschwang eines Dichtergemütes, das nimmer leer zu schöpfen ist. Jedes Stück in diesen drei ersten Bänden bezeugt ihn, der das alles sich einst vom Herzen gewälzt; bezeugt ihn in Leid und Plage, in Schuld und Fehle. Lebendiger vermöchte keiner dieses Mannes Erdenwallen nachzeichnend erstehen zu lassen, nachdem er selbst es zu einem Kunstwerk ver» dichtet Hai Und daher durfte Richard Dehmel   sich auf ein kurzes Vorwort zur Gesamtausgabe des Liliencronichen Schaffens beschränken. Aus ihm ivird klar, wie ernst und feierlich der Poet um den Preis seiner künstlerischen Vollendung gerungen hat. Für dieLiteraturphilologie" bleibt also noch immer ein freies Betätigungsfeld offen.Wenn Könige schaffen, haben die Kärrner zu tun." Die nächsten drei Bände sollen um Pfingsten, die zwei letzten vor Weihnachten 1912 erscheinen.. Sie werden in einem Bande fünf Dramen, in zwei Bänden fünf Romane und in einem Bande vier Novellenzyklen umschließen. Der Schlußband verspricht auch denen Ueberraschungen, die Liliencron   noch nicht als Causeur mit der Miene desKritikers" kennen. Er ist auch hier, nach einem Poggfredwort: er selbst, sein eigen,frech und frisch". Ueber die rein buchtechnische Herstellung der Ausgabe ist zu sagen: sie erweist sich würdig des Dichters. Wenn man dies im Auge behält, erscheint der Preis von 48 M. für das Gesamtwerk in acht Halbftanzbänden mäßig. Daß es sich kein Proletarier wird anschaffen können, bedauert wohl niemand bitterer als die Arbeiterschaft selbst, die gerade der Volkstümlichkeit Liliencrons die Bahn gebrochen hat. Vielleicht cnt- schließt sich der Verlag Schuster u. Locfflcr, Berlin  , bald zu billigen Einzelausgaben der Hauptwerke. E r n st K r e o w S k l kleines feuilleton. Geologisches. Die Zeitrechnung der Erdgeschichte. Seit die Geologie zu einer Wissenschaft geworden ist, hat man auch danach gestrebt, das Alter der Erde und die Zeiträume ihrer Entwickclung abzuschätzen. Daß man auf eine annähernde Genauigkeit zunächst nicht rechnen könne, war den Gelehrten von vornherein klar. Charles Lyel, der für die Begründung der Geologie ungefähr die- selbe Bedeutung erlangte als Darwin   für die Biologie, war ein Anhänger der Anschauung, daß die Vorgänge auf der Erde außer- ordentlich langsam geschehen und daher ungeheure Zeiträume in Anspruch nehmen. Später ist dann das Problem mehr von physi- kalischcr Seite angefaßt worden, und dadurch entstand eine Wand- lung der Anschauung in eine entgegengesetzte Richtung. Man kam zu dem Ergebnis, daß die Abkühlung der Erde aus einem seurig- flüssigen Zustand bis auf die heutigen Verhältnisse nur einige Dutzend Millionen Jahre in Anspruch gcnomuren habe und daß von dieser im Vergleich zu den bisherigen Annckhnwn kurzen Frist wieder nur ein Bruchteil auf die Bildung der Erdkruste   zu rechnen sei, mit deren Erforschung die Geologie sich heute beschäftigt. Die meisten Geologen sind dann dieser von den Physikern dargebotenen Lehre beigetreten. Nachdem die alten Theorien von der Entstehung der Erde au3 einem Gasball erschüttert worden sind und namentlich die Eni- hüllungen über die strablcnde Energie ganz neue physikalische Grundlagen geschaffen haben, ist auch die Abschätzung der erd- geschichtlichen Zeitrechnung wieder in ei» neues Stadinm cinge- treten. Außerdem haben die Geologen selbst Mittel gefunden, solche Berechnungen auf neue Art anzustellen. Ueber diese Arbeiten haben die beiden amerikanischen Geologen Clarle und Becker eine verdienstliche Zusammenstellung gegeben. Der erste, der auf ganz neuer Basis das Alter der Erde zu bestimmen versuchte, war Pro- fessor Joly. Er ging von der Annahme aus, daß das Weltmeer ursprünglich aus süßem Wasser bestunden und seinen Salzgehalt erst allmählich durch die Gewässer des Festlands erhalten lKttc. Er berechnete demzufolge erstens die Gesamtmenge von Kochsalz, die in den Ozeanen enthalten ist. und zweitens die Menge, die jähr- lich durch sämtliche Flüsse in den Ozean gelangt. Dadurch erhielt er für das Alter des Ozeans einen Zeitraum von 97.6 Millionen Jahren. Damit ist nun noch nicht das Alter der Erde selbst oder auch nur des Beginns der Entwickclung einer festen Erdkruste gegeben, aber man erhält doch eine gewisse Vorstellung davon, mit waö für Zeiträumen man überhaupt bei der Erdgeschichte zu rechnen hat und kann diese bis zu der Zeit zurück verfolgen, in der die Erdoberfläche sich hinreichend abgekühlt hatte, um eine Verdichtung und Ansammlung des Wassers zu gestatten. Dr. Clarke aber hat diese Berechnung noch einer peinlichen Prüfung unter» worfen, indem er die Abtragung der Landoberfläche durch die Flüsse in Betracht gezogen hat. Er schätzt danach die Menge von Kochsalz, die jährlich durch die Flüsse ins Meer gelangt, und zwar auf etwas über 173 Millionen Tonnen. Danach verbessert er die von Joly gegebene Ziffer aus etwa 86?L Millionen Jahre. Dr. Becker will sie gar noch weiter auf 74,4 verringern. Man sieht, auf 16 20 Millionen Jahre kann es auch heute den Geologen nicht ankommen, wenn sie erdgeschichtliche Rechnungen aufstellen wollen._ vorwärtSBuchdruckerei u-PerlagsansraitPa»lSinger�Co.,Bcrlin S\V.