„Die armen Würmer!" sagte Frau Johnsen,„'es ist wirk- lich rührend zu sehen, wie sie zusammen halten I Und sich durchzuschlagen wissen.— Aber warum faßt Du Pelle unter den Ann, Hanne, Tu meinst ja doch nichts damit." „Soll man durchaus was damit meinen, Mütterchen? Pelle ist heute mein Herr und soll mich verteidigen." „Großer Gott, gegen wen soll er Dich denn verteidigen? Doch wohl höchstens gegen Dich selbst, und das ist nicht leicht." „Gegen eine Schar Räuber, die mich im Wald überfallen und anstarren wird. Sonst mußt Tu ja eine große Summe Lösegeld herausrücken!" „Ach, Du lieber Gott ! Ich würde viel eher Geld dafür bezahlen, wenn ich Dich los werden könnte. Wenn ich über- Haupt Geld hätte.— Aber habt Ihr wohl gesehen, wie blau der Himmel ist? Es ist herrlich, mit all der Sonne aus dem Rücken, die wärmt einen ganz bis ans Herz hinan." Beim Triangel kamen sie an einen Omnibus und rollten den Strandweg entlang. Der Wagen war voll von fröhlichen Menschen: sie saßen da und lachten über ein paar gemütliche Biirger, die schwitzten und einander dumme Witze zuwarfen. Hinter ihnen rollte sich der Staub drohend auf, blieb aber wie eine träge Wolke um die großen schwarzen Wassertonnen hängen, die gespreizt auf ihren hohen Gerüstbeinen am Weges- rande standen. Draußen auf dem Sund lagen die Boote mit ihren Segeln und kamen nicht von der Stelle. Mes feierte Sonntag. Drinnen im Tiergarten war es kühl und frisch. Das Buchenlaub hatte noch seinen jungen Glanz und nahm sich wunderbar leicht und festlich aus zu den nmchtigen hundert- jährigen Stämmen.„Ei, wie schön der Wald istl" rief Pelle. „Der ist ja wie ein Riesengreis, der sich eine junge Braut ge- nommen hat." Er war noch niemals in einem richtigen Buchenwald gewesen. Man wanderte hier ja wie in einer Kirche. Unmengen von Menschen waren hier auch. Ganz Kopenhagen war auf den Beinen bei dem guten Wetter. Die Leute waren wie berauscht von dem Sonnenschein, ganz ausgelassen, und der Schall ihrer Stimmen hängte sich an den Baumkronen fest und forderte nur auf, sich Lust zu machen. Drinnen zwischen den Baumstämmen gingen Menschen umher und amüsierten sich auf eigene Faust, schlugen mit großen Zweigen um sich und schrien rücksichtslos auf, nur um ihre eigenen lauten Stimmen zu hören. Einige Männer standen da drüben am Waldessaum und sangen im Chor: sie hatten weiße Mützen auf, und über die Grasebcnen spazierten fröhliche Gruppen dahin, spielten Haschen oder rollten sich wie junge Kätzchen im Grünen. Frau Johnsen trabte getreulich ein paar Schritte vor ihnen her. sie war am bekanntesten hier draußen und führte an. Pelle und Hanne gingen nebeneinander, ohne zu reden. Hanne war stumm und abwesend: Pelle nahm ihre Hand, um sie zu veranlasien, einen Hügel hinaufzulaufen: aber sie merkte es nicht einmal, daß er sie beriihrtc, und die Hand war schlaff und naßkalt. Sie ging wie im Schlaf, alles bei ihr war verschlossen und ausgelöscht. „Jetzt schwärmt sie wohl!" sagte Pelle und ließ mißmutig ihre Hand los.— Sie fiel tot nieder. Ter Alte wandte sich um und sah sie mit strahlenden Augen an... � .„So herrlich hat der Wald seit vielen Jahren nicht gc- schimmert", sagte sie.„Nicht seit ich ein junges Mädchen war." Sie kamen oben bei der Eremitage an und gingen von dort aus über die Ebene wieder in den Wald hinein, bis sie an ein kleines Waldwärterhäuschen kamen, wo sie Kaffee tranken und von den mitgebrachten Butterbroten aßen. Dann trabten sie weiter. Frau Johnsen kam nur dies eine Mal in den Wald und wollte darum alles sehen; die Jungen erhoben Einwände, aber sie war gar nicht totzukriegen. Ihre Mädchen- zeit hatte Erinerungen hier draußen, und nach denen sah sie sich um: dann mochten die beiden sagen, was sie wollten. Waren sie es müde, ihr nachzurennen, so fanden sie wohl ihre eigenen Wege. Aber sie folgten ihr getreulich, ermüdet sahen sie aus und gingen ein wenig stumpfsinnig einher, mehr als im Grunde erlaubt war. Auf dem Steige nach Raavad waren nicht so viele Menschen... „Hier ist doch noch Waldeinsamkeit, ganz wie in meiner Jugend?" sagte die Alte.„Und schön ist es hier. So wie sich das Laub schließt, so recht ein Ort für Liebespaare. Nun setze ich mich hin und ziehe die Stiefel ein wenig aus, die Ballen fangen an, mir weh zu tun. Seht Ihr Euch man so lange ein bißchen um." Aber die pj-,....... hu; zu ihren Füßen nieder. Sie hatte die Gainaschenstiefel ausgezogen und kühlte die Ballen in dem frischen Gras, während sie dasaß und plauderte.„Warm ist es heute, die Steine fühlen sich ganz glühend an, aber Ihr beide könnt wohl gar kein Feuer fangen. Warum glotzt Ihr eigentlich so? So küßt Euch doch mal im Grünen! Das schadet nichts! Und es ist so schön anzusehen!" lFortsetzung folgt.) I�ack.2wan2ig Jakren. von I. W. N hl an der. <Scklutz.) Uebrigens war der 10. Januar ein beißend kaller Tag mit Eisnadeln in der Luft. Das Wasser fror, und die Bertäutrosscn waren wie glasiert, wenn sie durch die Lippen kamen. Zwei Mann genügten kaum, um sie festzuhalten, wenn wir am Gangspill hievten. Aber so etwas fühlt man an seiner Haut! Das läßt Merkmale fürs Leben." sage ich und führe ihre seinen Finger über die alten Schwielen in meiner Hand. —„Und als wir dann end- lich herauskamen und das Bugsierboot verließen, hatten wiv gleich in der ersten Nacht einen steifen Südwest. In dieser Nacht bei meinem Rudertörn erwachte meine große Liebe zu dem schönsten" — ich beeile mich hinzuzufügen—„Fahrzeuge der Welt. Ich merkte sofort, daß ich auf ein seltenes Fahrzeug gekommen war. Es war schwer beladen, aber seetüchtig und geschmeidig wie ein Fischerboot. Und wie leicht trug es seine Segel, wie scharf lag es aus im Winde, und vor allem wie steuerte es!" „Aber diese Fahrzeuge hier schen doch auch fein und prächtig aus. Und wie wunderbar, daß sie von Frauen gesteuert werden können", sagt meine Frau und nickt einem neuen Prahm zu, der mit einem blühenden jungen Mädchen am Ruder durch den Kanal gebracht wird. „Die find nichts anderes als flachgrundige Prahme im Per- gleich mit meinem scharfkieligen Fahrzeuge", erwidre ich.„Einmal sah ich es im Trockendock, als es in Baltimore neu mit Kupfer beschlagen wurde, zwei Jahre nachdem ich an Bord kam. Es war fast unmöglich, den Blick von ihm loszureißen. Es glich einer Najade, dem Meere entstiegen.— Eines Abends hatte endlich das Aufnageln ein Ende, und ich war Wachtmann die lange, stille Nacht hindurch. Wir hatten Vollmond, und nie kann ich vergessen, wie es dastand, als wäre es ganz in glängendes Gold gekleidet, und wie es, je länger man hinsah, gleichsam im Mondeslicht zu schweben schien. Eine Stunde nach der anderen saß ich wie verzaubert. Kein Bauwerk kann doch auch so herrliche Linien und Proportionen haben wie solch ein vollendeter Schstfsrumpf. Seitdem habe ich mich nie mit diesen modernen, viereckigen. rauchenden Plattladern befreunden können", sage ich und zeige auf die Dampsbootflotille hinten im Dockbassin.„Auch bei einer anderen Gelegenheit entsinne ich mich seiner. Wir kamen nach Sidney herein in einen der schönsten Häfen, die ich je gesehen habe. Hunderte von Tieswasserschiffcn aus allen Erdteilen. Selten babe ich mich stolzer gefühlt als in dem Augenblick, wo wir in der Gigg uns in die Riemen legten, um den Schisser an Land zu rudern. Im ganzen Hasen war nicht ein Fahrzeug mit schöneren, schlanke- ren Linien. Wie schmale, weiße Rollen lagen die Segel an den Raaen. Alles an Bord war so weiß, als wäre eben Schnee gefallen über Teckhaus, Boote und Reeling, und darunter der Rumpf dunkelgrün. Kaum konnte ich meine Augen von ihm wenden, so- lange ich im Kai ruderte." „War Dein Schiff denn so groß wie dic'es hier?" fragt meine Frau und zeigt auf die Kohlenhulk, die jetzt näher gekommen ist und nicht mehr vom Schuppen verdeckt wird.„Diese schwimmt jcr so schön auf dem Wasser, wie einer von unseren schwarzen Schwänen in der Villa Borghest." „Vielleicht war's etwas kleiner als dieser Schwan hier", ant- Worte ich. Wer indem ich fortfahre zu erzählen und mich immer mehr in die alten Erinnerungen hineinlebe, kann ich es nicht lassen. die Kohlenhulk zu betrachten, die jetzt näherkommt. Jniponierenb hebt sich der alte Rumpf über all den Prahmen den Kai entlang, und das stöhnende Dugsierboot unter seinem Bug gleicht einem kleinen Spielzeug. Es liegt noch immer etwas Majestätisches Aber dieser schwimmenden Schisfsroine. Tie Kontur vom Kranbalken zum Wasser, diese reizvollste und schwierigste Linie, mit der ein Schiffsbauer zu ringen hat, ist noch wunder- bar schön, wie sie sich da scharf und klar gegen den Hintergrund eines großen Frachtdampfers abzeichnet, dessen undefinierbare Farbe man auf diese Entfernung hin für ein Gemisch von Erbsen- suppe und Sebokolade halten könnte. Jetzt fängt die Kohlenhulk an zu gieren. Die Bogenlinie wird verdunkelt. TaS Majestätische ist fort. Man sieht nur noch den kreuzlahmen alten Havaristen in seiner traurigen Gebrechlichkeit und Aerfallenheit. Als sie in den Kanal kommt, ist sie so hoch, daß ihr Deck in gleicher Höhe mit dem Steinpflaster des Kais liegt. Vom Raof ist nichts mehr zu sehen, und das ganze Deck ist aufgehauen, um Löschen und Laden zu erleichtern. Einige breite, schwarze Planken, über die Teckbalken gelegt, bilden den Ucbergang vom Vorder-
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29 (10.1.1912) 6
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