aeljenfaft mit einem unergründlichen Ausdruck. Der Schutz- mann, der herausfordernd an seinem Standplatz vorbei- patrouillierte, schielte jedesmal, wenn er vorbeikam, geheim- nisvoll zu ihm hin, als wollte er sagen: Können wir den Laban nicht bald zu fassen kriegen, warum macht er nicht ein- mal einen Streich? Es kam ganz von selbst eines Tages, und nicht infolge einer Ungeschicklichkeit von seiner Seite— in der„Arche" hob man das ganz besonders hervor—, sondern sein gutes Herz war schuld daran. Wäre Ferdinand nicht der gewesen, der er war, so wäre die Sache nie schief gegang« n. er war ein be- gabter Junge. Er war drinnen beim Krämer an der Ecke des Marktes und wollte für 5 Pf. Kautabak kaufen. Ein achtjähriger Knabe aus der„Arche" stand am Ladentisch und bettelte um ein wenig Mehl auf Kredit für seine Mutter. Ter Krämer machte einen gewaltigen Lärm aus der Sache.„Anschreiben, jawoll! Man hat sich ja hier an der Ecke niedergelassen, um all die Armen im ganzen Viertel zu futtern. Morgen soll ich das Geld haben? Sonderbar, daß man in diesem elenden Armenviertel immer gerade morgen Geld hat. Aber morgen das kommt bloß nicht!" „Herr Petersen kann ganz sicher sein!" sagte der Kleine leise. Der Krämer fuhr fort zu höhnen, fing aber doch an, das Mehl abzuwägen. Vor der Wagschalc waren Reisigbesen und andere Waren aufgestapelt, aber Ferdinand konnte doch sehen, wie der Krämer der Wage mit dem Finger nachhalf. Er mogelt im Gewicht, weil es für die Armen ist, dachte er und fühlte einen bösen Stich durch den Kopf, in dem der Gedanke entstanden war. Der Knabe stand da und fingerte mit etwas Eingewickeltem in seiner Hand herum. Plötzlich fiel eine Krone an die Erde und rollte da unten herum. Der Krämer warf einen blitzschnellen Blick auf die Geldschublade, indem er über den Ladentisch sprang und den Jungen im Nacken packte.„Ei, ei," sagte er scharf,„so ein kleiner geschickter Strolch!" „Ich habe nicht gestohlen," schrie der Junge und suchte sich loszumachen, um zu seiner Krone zu gelangen.„Das ist Mutters GeldI" Cm Ethcift von Gottee Gnaden. Zum 200. Geburtstag Friedrichs n. von Preußen. Die Unsterblichkeit Friedrichs II. von Preußen endete 1806— bei Jena . Die Unsterblichkeit Hatto 66 Jahre sich behauptet und den physischen Tod des Königs nur zwei Jahrzehnte überdauert. Die Verfasser Hoheuzollerischer Familienromane freilich, die man in Preußen auch Historiker nennt und die um so gefährlicher fabulieren, seitdem sie statt der plumpen Methode überschwänglicher Byzantincrci den auch die„Fieiken" sorgsam auspinselnden Stil objektiver Würdigung der Persönlichkeit anwenden, wissen es anders. Leopold von Ranke stellt an die Spitze seines Friedrich-Akts die Sätze:„Als Friedrich II. am 17. August 1786 in Sanssouci starb, hatten Europa und Amerika ihre Augen aus diesen Platz geheftet; ein Staat war geschaffen, welcher der königlichen Würde allgemeine Bedeutung gab. Friedrich II. halte sich einen Nuhm erworben, der die Welt erfüllte. Manchen Fürsten ist der Name des Großen nur bei seinen Lebzeiten beigelegt, dann aber wieder weggelassen worden; Friedrich II. hat denselben bei der Nachwelt behauptet." Ein Staat war geschaffe r? Ein Staat war zertrümmert! Es war nicht nur der unveränderte Staat Friedrichs IL, den Napoleon beseitigte, der schimpflicher unterging als irgend ein Land der Weltgeschichte, diese Niederlage hatte der große König o r g a« n i s i e r t. Das Preußen von Jena war dasselbe wie das Preußen von Roßbach. Nur die Welt draußen war von Grund aus erneut, und die Volksheere der Revolution warfen die Friederizianische Armee geprügelter Mietlinge über den Haufen. Der jähe Absturz nach gewaltigem Weltruhm w.rd auch keineswegs dadurch erklärt. daß in den, Staate Friedrichs durch seine Nachfolger der beseelende„Geist" Friedrichs zerstört worden war. der das Unveränderte, stockig Siockende hätte lebendig erhalten können. Was man Friedrichs Geist nennen konnte, lebte auch zu seinen Rcgierungszeiten nirgends in Preußen. Friedrichs überall hintappendcr fahriger und dünkel- hafter Dilettantismus hatte d' lmehr die Anfänge eine? sich festigenden Staatswesens wieder zerrüttet, und seine Nachfolger, denen auch ein preußischer Geschichtsprofessor nicht„Geist" irgend einer Art nachzusagen wagt, haben eher sich bemüht, die ärgsten Schäden der friderizianischen Herrschaft ein wenig ausbessern zu lassen; Preußen wurde unter ihnen weit eher einem„Staate" ähnlich als witer Friedrich. Friedrichs II. Vater und Vorgänger, der in jedem Zuge das Temperament des Alkoholikers zeigt, hatte auf seine Art' einen preußischen Zuchthausstaat geschaffen, wüst und toll. Der groß» Sohn hat das Erbe so hintei lassen, wie er es übernommen. Es ist wahr: Friedrich hat Preußen um viele Ouadratmeilen und Untertanen vermehrt, aber sein gänzlich verworfener Nachfolger war ein noch größerer Mehrer des Reichs. Und der Länderraub, der mit dem ohne diplomatische Verhandlungen und Kriegserklärung verübten Einfall in Schlesien begann und mit der schimpflichen ersten Teilung Polens abschloß, war weder eine nationale Er- weitermig noch eine staatliche Vereinheitlichung— er war nichts weiter wie eine dynastische Betriebsvergrößerung. Die politisch- sozialen Zustände Preußens erfuhren grundsätzlich keinerlei Aenderung, wurden aber in ihrer Wirkung noch grauenvoller. Der kulturelle Umschwung endlich, der übrigens nur eine innere höfische Angelegenheit war, ist durchaus nicht überwältigend. Friedrich war seinem Vater viel ähnlicher, als es bei oberflächlicher Betrachtung scheinen möchte. Der Weg vom Tobakskollegium zur Tafelrunde in Sanssouci , von den„in tormontis" der Gicht gemalten Bildern des Vaters bis zum Flötenspiel des Sohnes, von der ewig qual» menden Tabakspfeife bis zur unendlichen Schnupftabaksdose, von dem deutschen Rheinwein bis zum französischen Bordeauxwein und Sekt» von den unflätigen Zoten bis zu den erotischen Witzen— der Weg war nicht weit; es waren izariationcn desselben Charakters unter dem Einfluß veränderter Zeit. Gleichwohl die Spuren Friedrichs und seiner Po» litik wirkten weithin und Friedrichs Regierung ist noch heute europäisches Verhängnis. Diese Be- hauptung scheint ein Widerspruch mit der Leugnung seiner Größe und zudem ein Zugeständnis an die höfische'Geschichtsauffassung. Aber der Widerspruch löst sich: Friedrichs Politik war eben nicht seine Politik. Es war die Politik einer K l a s sie, des preußischen Junkertums, besten prügelnder Krückstock er war. Friedrich hat die Herrichaft des Adels mehr wie irgend ein Vorgänger befestigt. In der Schärfe seines Begriffs sollte man überhaupt nicht vom A b s o- lutismuS Friedrichs reden, mag man ihn nun höchst aufgeklärt oder höchst despotisch nennen. Dieser preußische Scheinabiolutisnius hat nicht die geschichtliche Aufgabe erfüllt oder auch nur versucht, eine wenn nicht nationale, so doch staatliche Einheit herbeizuführen. Die „Mißgeburt einer militärisch-patriotischen Regierungsform", von der Karl v. Moser, der Süddeutsche, im Hinblick auf Friedrichs Preußen sprach, war gar kein absolutistischer Staat, weil er kein Staat war. Der absolute König Preußens war lediglich der Gutsherr der städtischen Untertanen, außerdem der Eigentümer bewaffneter Sklaven; neben ihm und über ihm herrschten die un» abhängigen Gutsherren des flachen Landes, die der König an der Beute und der Rente seiner Sladlgutherrlichkeil und seiner militaristischen Ausbeutung teilnehmen läßt. Die Junkerpolitik wurde Peußen, Deutschland , Europa zum Verhängnis. Mirabeau hat das schlagende Wort geprägt, die einzige Industrie Preußens sei der Krieg. Wie der Junker seine Gutsdcrrschaft aus- breitete, indem er Bauernland sich aneignete, so erweiterte die regie- rcnde Familie ihren Besitz, indem sie Länder annektierte. Eine neu er» beutete Provinz, das war nur eine S a ch e � deren Wert für den eigenen Schatz man nach Ouadratmeilen, Bodenschätzen„Fabriquen", Zahl des Viehs und der Untertanen abschätzte(wie man heute Kolonien betrachtet!). Um seinen Besitz zu erweitern, und wie er selbst zu- gestand aus Ruhmbegier, war Friedrich, der als Kronprinz humanitäre Stilproben gegen den Krieg massenhaft erzeugt hatte, unmittelbar nach seinem Regierungsantritt in Schlesien eingefallen— mitten im Frieden, leichten Herzens. Aus diesem ersten schlesischen Krieg entstanden der zweite schlesiiche und der Siebenjährige Krieg mit seinen furchtbaren Verheerungen, seinen blutigen Menschen» opfern, seinen Seuchen— es starben nach der Schlacht von Torgau (8. Nov. 1760) von 0700 Verwundelen 2000 an Wundstarrkrampf —, seinen Hungersnöten, seinem erschöpfenden Steuerdruck. Diese rein dynastische Politik des„Länderlegens" zerrütteten die nationalen, wirtschaftlichen, physischen Kräfte Preußens und rüsteten seinen schnellen Zusammenbruch. Nichts ist alberner, als von den weitblickenden nationalen Plänen Friedrichs zu sprechen. Antinationaler und kurzsichtiger ist nie seine Politik gewesen. Sein Hirn war von der einzigen Idee erfüllt, der habsburgischen Familienkonkurrenz Abbruch zu tun. Nichts anderes wollte er. In diesen Kämpfen und durch sie festigte er im Osten die russische Herrschaft, verteidigte er den franzöfi- schen Besitz Elsaß -Lothringens gegen da? deutsche Oester» reichS, förderte er, seit seinem verräterischen, von Voltaire in zornigen Versen gestäupten Bruch mit Frankreich , die koloniale Weltherrschaft Englands: Mit den 81 Millionen Mark, die England im Siebenjährigen Krieg an Friedrich zahlte, damit er mit feinen Soldaten Frankreich beschäftigte, bat England sich sein Weltteich erkauft, indem es die französischen Kolonien weg» nahm. So hat Friedrich durch seine dynastisch bornierte Welt- Politik die Weltmächte gegen Preußen und Deutschland recht eigentlich organisiert. Er hat Rußland an der Weichsel , Frankreich am Rhein und England jenseits der Meere gefestigt. Dafür löste er Deutschland noch mehr auf. Die nationale Einigung aller Deutschen hat niemals auch nur für einen Augenblick sein Bewußt» sein bewegt. Deutschtum war ihm ein fremder Begriff, mußte eS fein, weil eS kein Volk für ihn gab
Ausgabe
29 (24.1.1912) 16
Einzelbild herunterladen
verfügbare Breiten