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Ja, das muß man sich ja mal überlegen," antwortete ihn zu fich heran und begann ein längeres Gespräch. Sehr zu­Belle; er war in übermütiger Laune, frieden schien er, als Karl Münzer verlauten ließ, daß er die Ueberlegen? Is da was bei zu überlegen? Manch ein Lateinschule beim Herrn Kaplan bejacht und auch genügend in armer Graf würde das Anerbieten mit Handfuß annehnten, wenn man ihn bloß hier hätt'."

Aber ich bin nun ja mal fein Graf. Jett muß ich auch; fort."

Willst Du denn ihre Bilder nich mal sehen?" Die Alte fing an, in einer Schublade herumzuwühlen. forg

Nein." Pelle machte nur, daß er wegkam. Er hatte diese Bilder oft genug gesehen, beschmuzt von der Kellerluft und den efligen Händen des alten Weibes, diese Bilder, die Mary darstellten, bald biegiam und gestreift wie eine Tieger­fate, so wie sie in dem feinen Tingeltangel in St. Petersburg jang, bald nackend in einem Mantel von weißem Belzwerf, allein in einer Schar russischer Offiziere. Fürsten , sagte die Alte, wären es. Da war auch ein Bild aus dem Aquarium, wo sie nadend zwischen seltsamen Bilanzen in einem großen Glasbehälter umherschwamm, und hatte nichts anderes auf dem Leibe als goldene Schuppen und Diamanten. Sie hatte einen prächtigen Leib, das konnte er wohl sehen. Aber dazz sie steinreichen Fürsten den Kopf verdrehen und ihnen Tau­fende aus der Tasche ziehen konnte, nur indem sie sich nackend auskleidete, das begriff er nicht. Na, und er sollte sie jetzt zur Frau bekommen, und dafür all das kriegen, was sie zu sammengescharrt hatte! Das war übrigens höchst ulkig!

Schnellen Schrittes ging er durch die Straßen dahin, Es regnete ein wenig; das Licht der Laternen und der Läden spiegelte sich in der Feuchtigkeit des Pflasters wider; es lag ein feftlicher Glanz über der Straße. Er ging dahin mit einem Gefühl, als sei sein Sinn über den Alltag empor­gehoben. Das dreckige Weib, das von dem Elend der Arche" schmarozte und eine prachtvolle Tochter kriegte, die sich an dem Reichtum festsog. Und dann schließlich er, der fleine Pelle mit der Glückslocke, wie eine Art Alfons" über dem Ganzen! Das war doch einmal das sehnsüchtig erwartete Märchen!

Er hob den Kopf empor und lachte. Belle, der sonst so bitter über die Schmach wurde, hatte Sinn für die Göttlichkeit des Lebens bekommen.

( Fortiehung folgt.)

Zwei Väter.

Gine Geschichte von Friedrich Freksa .

Zu Weilderstadt in Schwaben steht auf dem Marktplatz ein stattliches Gasthaus, das vor Zeiten zu den berühmtesten Wirts­Häufern des Landes gehörte und die Post dem Elsaßz kamen die Postkutschen damals zu einem Zore der Stadt Dit het hereingerollt und begegneten in der Post den Reisenden, die von Stuttgart und Mim, aus Bayern hertamen und Vorspann für die Fahrt durch den Schwarzwald forderten.

der in der Post längere Zeit frant gelegen. So auffällig lange der gallischen Zunge von einem französischen Herrn profitiert hätte, dauerte dieses Gespräch, daß die Wirtin herzutrat und den Sohn mahnte, an die Nachtruhe zu denken. Zögernd erhob sich der junge Mensch. Allein der Fremde hielt ihn fest an der Hand und sagte: Frau Wirtin, ich habe großes Gefallen an dem Burschen gefunden, meine auch, daß er bei seinem feinen Berstand und stattlichen Konditionen zu etivas Befferent berufen ist, als die Post zu Weilder­Stadt zu regieren. Wie Sie mich her vor sich sieht, Frau Wirtin." war ich auch einstmals ein schmales Bürgertind und habe es durch fuhr er mit seltsam erhöhter Stimme und glänzenden Augen fort, Herrendienst selbst zum Herrn gebracht. Darum, Gesell, schlag' Er ein und fahre Er morgen mit mir zusammen an die Donau , nach Wien , der Kaiserstadtt Soll da etwas Rechtes aus ihm werden!"

Den Buben laß ich nicht von meiner Seite! Es ist ein Schmerzenstind!" rief die Wirtin, die die Angst bei dem seltsamen Stadt und ein sicheres Brot um einer ungewissen Fremde willen! Wesen des Freiherrn überkam. Nimmer verläßt er mir die unser einziges Kind ist er und meines Mannes Augapfel!" Sagt Eurem Manne, Frau Wirtin, ich lasse ihm eintausend Holländische Dutaten zurüd als Pfand. Er mag jie behalten oder sie dem Buben geben, wenn der enttäuscht aus der Fremde heim­fehrt. Aber morgen zum Frühesten muß ich die Entscheidung haben. Um fünf Uhr, wenn sich noch kein Gast am Morgenfeuer wärmt!" Mit diesen Worten verließ der Reichsfreiherr und Rent­meister des Erzbistums Mainz die Gaststube. schüttelnd alle Kerzen, gab ihrem Sohne einen langen Stug auf Starr schaute die Wirtin ihm nach. Dann löschte sie fopf­bie Lippen und begab sich ins eheliche Schlafgemach. Der Post­meister erstaunte nicht wenig, daß ihn sein Weib aus dem ersten Schlafe wedte, und verwies ihr die Sorge um den Fremden. Große Herren hätten oft närrische Launen und Einfälle wie Weiber und vergäßen auch so schnell wie diese.

Doch am nächsten Morgen, ehe noch der Hahn gefräht hatte, wurde der Postureister gewahr, daß es dem Fremden mit seinem Vorschlag Ernst sei. Wirt, Wirtin und Sohn wurden von dem Leibjäger des Lerchenfelders ins Gastzimmer beordert. Der sonderliche Gast saß bereits am Kaminfeuer und wärmte seine Beine, während er einen Trunk Gierbieres zu sich nahm. Sein Gesicht, das von den zuckenden Flammen beleuchtet wurde, hatte einen entschlossenen Ausdrud. Ohne sich zu erheben, reichte er den dreien, die zaghaft vor ihm standen, einzeln die Hand. Zuerst der Wirtin, die ihr Haar in ein Tuch gehüllt hatte, geisterhaft bleich erschien und ihre großen Augen nicht vom Gesicht des Frem den wenden fonnte. Dann Melchior Münzer, der mit eingefnidten Beinen dastand und den Kazenbudel machte, den er durch fünfzig­jährige Uebung in der Post wohl erlernt hatte. Mit Erstaunen waren feine guten grauen Augen auf den Gast gerichtet. In den Händen drehte er die Kappe. Zuleht reichte der fremde dem jungen Burschen die Hand herzlich und zog ihn zu sich heran.

Run ergriff er das Wort, schilderte den Eltern eindringlich das Leben, das der Junge an seiner Seite als sein Sekretarius ledernen Sade zum Vorschein und ließ sie lieblich und verlockend liegt ie baten in einem klingen. Doch der alte Melchior Münzer schüttelte feinen grauen Kopf und bemerkte, das Geld möge der Herr nur dahinten lassen, es So begab es sich auch im Jahre des Geiles 1723, daß eine fähe ja aus, als felle er feinen Sohn verkaufen. Wenn dem große Reisefutsche, die mit vier schwarzen Pferden bespannt war, Jungen die Lust ſtäche, in die Fremde zu ziehen wie so mancher vor der Post hielt. Die Bürger, die im Honoratiorenzimmer Wein junge Merl schon vor ihm, wolle er selbst für den Reisegroschen tranten und nach der neuen Sitte der Zeit lange holländische Ton- sorgen. Entscheiden solle sich der Bursche selbst, defin daß ihm pfeifen mit Fidibussen in Brand sehten, streiten ihre Berüden Fortuna eine glüdliche Gelegenheit schente, sähe er ein. aus dem Fenster heraus und sahen einen gewaltigen Herrn aus Trat der Junge vor und erflärte mit fester Stimme, er wisse der Kutsche steigen und dem reichgalonierten Jäger den Reise- selbst, daß ihn der Vater brauche in Haus, Hof, Feld und bei den mantel zuwerfen. Der violette Samtrod, der mit breiter Gold- Gästen. So sündhaft wäre er nicht, den Bater ohne Not zu ver­stiderei besetzt war, die aus den Aermein fallenden breiten Spigen lassen. Und von plötzlicher Zärtlichkeit getrieben, faßte er den verrieten den Mann von Stand und Reichtum, die festen, durch- alten Mann unter den Arm.

gearbeiteten Züge, die schmalen gepreßten Lippen und der stolz Als der Gast diese Worte hörte und diese Bewegung der Liebe getragene Kopf den seiner Würde bewußten Mann. Fein geordnet fah, berzerrten sich die Züge feines Gefichtes. Die Erregung rig fielen ihm die langgetragenen Loden auf den Rüden. Sein scharfer ihn vom Stuhle empor und ein heiseres Lachen, das einem Wut­Blick scheuchte die Bürger ins Zimmer zurüd.

schrei glich, quoll aus seiner Kehle, so daß die drei vor ihm stehen­Nuhig betrat er die Gajtitube und gab mit flangvoller Stimme den Menschen erschredt zurüdwichen." Parbleu und Gottes Tod!" der stattlichen Postmeisterin, die bei der Fülle der Gäste selbst be- schrie er auf. Wie kehrt die Welt sich um! Hat Euch in Wahrheit diente, seine Befehle. Er schaute der Davoneinlenden nach und Frau Gewohnheit zusammengeschneidert! Euch beide!" Dann schien vor seinem Glase Wein in tiefes Nachdenken zu verjinten. fehrte er sich zur Wirtin, deren Gesicht weiß war wie der leibhaftige Nach einer Weile trat Melchior Münzer, der siebzigjährige Wirt, Tod. Kennt Sie mich nicht mehr, schöne Frau?" rief er der mit gezogener Kappe an den Tisch des Fremden, um ihn zu be- Aermiten ins Gesicht." Babette Münzerin! Bäbele! Und schäfer­grüßen, wie es der Wohlanstand forderte. Allein ein stechender ten doch beide unter dem Apfelbaum vorm Tore, als Blütezeit war Blick aus des Fremden schwarzen Augen wies den gutmütigen, und die Soldaten des bayrischen Mag Emanuel vor Stuttgart greisen Mann zurüd. Auf die letzten Fragen der scheu gewordenen ftanden! Durfte Sie getrösten, während der Herr Gemahl, der Gäste, wer der vornehme Fremde wäre, gab der Wirt fund, es adelgreis, das Bett hütete! Hehe, Münzer, glaubte er in Wahr­sei der Reichsfreiherr von Lerchenfeld, der Rentmeister des Erz- heit, Er fönne ein jung Weib ungestraft einspannen! Hat Er bistums Mainz . Da der Abend sich ausdehnte, verließ der alte Tropf sich gerühmet, Vater des Buben zu sein!" und breit legte Münzer das Gaftzimmer, um sich zur Ruhe zu legen. Er wurde, er die Hand auf die Schulter der Wirtin, die den Kopf beugte vertreten von seinem achtzehnjährigen Sohn, einem ruhigen, be- und Tränen über Tränen vergoß. fcheidenen Jüngling. Erstarrt standen Melchior Münzer und Karl vor dem Fremden.

Der Frembe bezeigte fofort ein merkwürdiges Intereffe an Dessen Brust arbeitete heftig und noch einmal schrie er hinaus, dem jungen Menschen, den er zuvor nie gesehen hatte. Er winkte' was er auf dem Herzen trug: Kennst mich wohl nicht, Melchior