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Münzer, weil mich der Firlefanz und die Würden unkenntlich machen. Glog ' mich nur an. Wie ich hier vor Dir stehe als Reichsfreiherr von Lerchenfeld, so war ich doch einstmals Hans Sindelfinger und Schreiberlein vom Stadtschultheißen zu Weilderstadt! Du aber, Bube, fomm mit mir! Brauchst nit mehr mit schmutzigem Tuche den Gästen Gläser und Teller abzuwischen! Sollst ein Herre werden wie Dein Vater. Die tausend Dukaten aber da mögen dem alten Tropf die Zehrkosten ersehen, so er an den Kudud in seinem Neste gewendet!"
In Melchior Müngers gebeugte Gestalt war Leben gekommen. Seine alten Zügen strafften sich. Hand weg vor der Fraue !" Herrschte er den Fremden an, nicht laut, aber in jenem Tone, der unbeugsamen Willen verrät. Und der Reichsfreiherr mußte ge= horchen. Hinaus mit Ihm!" fuhr Melchior Münzer fort. Will nit, daß Er meine Stube verpeste!" Dann wendete er sich an den Buben, und die Härte der Stimme schmolz, als er sagte: " Junge, der Lump da ist nun Dein Vater, von Natur aus. Geh mit ihm, ich halte Dich nicht. Aber tu's rasch!"
Des Buben Hände hatten sich geballt. Seine Blide glitten zwischen den beiden Männern hin und her. Sein Atem ging rasch. Sein Herz hämmerte so stark, daß er das Tiden der Uhr im Raume übertäubte. Seine Füße schienen im Boden zu wurzeln. Endlich rang er sich aus seinem Innersten los: Jch bleibe bei Dir, Bater! Ich kenne diesen da nicht!" Und dann fiel er, als sich sein Krampf löste, dem alten Manne zu Füßen, füßte seine Hände unter Tränen und bat: Laß mich bei Dir bleiben als Knecht! Schic' mich nicht mit dem da fort."
Der Reichsfreiherr wanite bei diesen Worten. Dann griff er nach vorwärts, um den Jungen an der Schulter zu fassen. Melchior Münzer aber stieß die greifende Hand zurück und sagte:„ Er gehört mir! Er ist mein Sohn!" Karl schmiegte sich bei diesen Worten fester an ihn.
Da stieß der Lerchenfelder noch einen graufigen, gotteslästerlichen Fluch aus und stürzte hinaus. Vater und Sohn aber blieben schweigend beisammen, wie er sie verlassen. Endlich schaute fich Melchior um nach seinem Weibe. Sie war aus dem Zimmer
entwichen.
Es wurde nach der Frau gesucht, allein sie ward nicht mehr gefunden. Verschwunden blieb sie von diesem Tage an.
Karl Münzer aber übernahm nach dem Tode des Vaters das Amt des Poftmeisters von Weilderstadt und brachte es au hohen Ehren, soweit es die schweren Zeiten zuließen.
Unechte Sprüche und echte Edikte.
Könige haben mit Philosophen das gemein, daß die Nachwelt fon ihnen nur die Aeußerungen aufbewahrt, die sie entweder gar
nicht getan oder ganz anders gemeint haben.
Der friderizianische Ruhm besteht im wesentlichen aus einem halben Dußend solcher unechter Spruchweisheiten. Franz Meh ring het in seiner Lessing- Legende diese liberal" geflügelten Worte des alten Friß eines nach dem anderen hergenommen. Das Wort vom König der Armen" ist überhaupt nicht getan, ebensowenig das von den Pasquillen, die niedriger gehängt werden sollten. Die Aeußerung, daß Gazetten, wenn sie interessant sein follten, nicht geniert werden müßten", die sechs Tage nach dem Regierungsantritt von seinen Kabinetisminister v. Podewils vermeldet wurde, ist feine Broflamation der Preßfreiheit, sondern eine Organisation offigiöser Schriftstellerei gegen auswärtige Mächte, für die der König unter Berufung auf die Freiheit" die Verantwortung abzulehnen wünschte. Die berühmte Randbemer fung Friedrichs endlich:" Die Religionen Müsen alle Tolleriret werden, und Mus der Fiscal nuhr das Auge darauf haben, das feine der andern abrug Tuhe, den hier mus ein Jeder nach seiner Fasson Selich werden" das ist keine Urkunde der Toleranz, sondern ein Mittel, sein voltsarmes Land auch mit Angehörigen anderer Konfessionen zu bevölkern.
Alle wirklichen Gejinnungen, Taten, Regierungsafte Friedrichs widersprechen diesen apokryphen Sprüchen.
Stellen wir diese unechten Worte mit den echten Kundgebungen des Königs zusammen:
König den Armen".
Aus dem Edikt vom 28. April 1748, wie die wirklichen Armen verforget und verpfleget, die mutwilligen Bettler beftrafet und zur Arbeit angehalten, auch überhaupt keine Bettler geduldet werden follen":
§ 11. Dieweil auch öftere fich zugetragen, daß boshaftige Bettler unter dem Vorwand der Armaith und gesuchten Almosen hin und wieder Diebstahl begangen haben; so ist zwar deshalb in dem Edict vom 14. Julii 1721. Versehung geschehen: Wir wollen aber solches, obgleich das Betteln durch dieses gegenwärtige schon überhaupt verboten ist, dahin geschärfet haben, daß, wann das Gestohlene sich auf zehen Thaler oder darüber beträffe, als dann die Diebe und Bettler mit ewiger Festungs- Arbeit geftrajet werden sollen."
Aus dem„ Circulare" bom 27. März 1763:
" Nachdem hin und wieder häufige Klagen einlaufen, daß es Senen Fabricanten, zu befferer und genugsamer Betreibung ihrer
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Fabriquen, en hinlänglichen Epinnern fehlet; so befehlen Wie Euch. aufzugeben, zu veranstalten, daß die müßigen WeibesLeute, und welche mehrenteils durch Betteln ihr Brodt fuchen, zum Spinnen mit Nachdruck angehalten; allenfalls solche aufgegriffen, und an die Fabriquen derer Orten, wo es an Spinnern mangelt, abgeliefert werden müssen."
" Basquille niedriger hängen!" Cabineitsordre bonu 14. April 1784 an den General Fiscal Eur. von Bismard:
Mein lieber Geheimder Etats- Minister von Bismard. Ihr follet aber denselben sowohl als die gesamte Buchführer zu Berlin , ernstlich berwarnen, daß dieselbe sich hinfüro wohl in acht nehmen, feine scandaleuse Schriften und Pasquille zu verlegen, oder drucken zu lassen, daferne dieselbe nicht eine nachdrückliche Ahn dung deshalb gewärdigen wollen, dabeh fie alsdann glauben fönnen, daß fie dergleichen Begnadigung von mir nicht aus ge= wärtigen haben, sondern daß ich den strengen Rechte seinen un veränderlichen Lauf gehen lassen werde."
Gazetten nicht genieren!"
Aus dem Editt vom 11. Mai 1749:
Nachdem Wir höchst mißfällig wahrgenommen, daß bere schiedene scandaleuse theils wider die Religion, theils wider die Sitten anlauffende Bücher und Schriften in Unseren Landen ver fertiget, berleget und debitiret werden, daß wir um diesem Un wesen, und denen dahero entstehenden üblen Folgen abzuhelffen, gnädigst gut befunden, die ehemalige seit einiger Zeit in Abgang gelommene Bücher- Censur wiederum herzustellen, und zu dent Ende eine Commission, in unserer hiesigen Residenz zu etabliren, an welche alle Bücher und Schriften, die in unseren jämtlichen Landen verfertigt und gedruckt werden, oder die Unsere Unterthanen außerhalb Landes druden wollen, gefördert aur Censur und Approbation franco eingesandt, und ohne deren Genehm haltung nichts gedrudt, noch verleget werden soll."
Schriften verboten, die etwas wider die Religion, oder gute Sitten Jiv dem gleichen Edikt wird auch der Verkauf ausländischer enthalten".
Befehl an die Juristen- Facultaet zu Halle am 7. Oftober 1758: Wir bernehmen mißfällig, daß seit einiger Zeit, verschiedene in die publique Sachen, besonders die teutschen Reichsverfassungen und die gegenwärtigen Kriegs- Troublen einschlagende Piecen theile mit, theils ohne Benennung des Autors, alldort zum Druck befördert worden; da es auch doch nicht unbekannt seyn fann, wie Bir durch wiederhohlte Verordnungen allen Unsern Universitäten ausdrüdlich aufgeben lassen, keinerley in die publica einschlagende Schriften abdrucken zu lassen, noch auch darinn Re
fponfa zu verfaffen, bevor nicht solche an Unſer Departement der
auswärtigen Affairen zur Censur eingesandt worden sind." ( Es wird nachdrückliche Bestrafung angedroht.) Sier muß ein Jeder nach seiner Gasson fehlig
werden.'
Aus den Kriegsartikeln vom 16. Juni 1749:
„ Ein jeder Soldat... maß sich eines Chriftlichen Wandels befleißigen, alles üppigen und ärgerlichen Lebens sich enthalten, bey den öffentlichen Gottesdienst sich einfinden, sich des Mißbrauchs des allerheiligsten Nahmens GOttes und seiner Sacramente durch Fluchen und Schaveren, beh Strafe des Stockhauses Pfahls, Spießruthen oder andern willfürlichen Strafen, gänzlid, enthalten.
Durch Circulare" vom 3. Februar 1763 wird den Predigern bei Strafe verboten, sich alles öffentlichen Vortrages in Bersen" gänglich zu enthalten.
Ein Resfript vom 25. März 1753 weist die Kriegs- und Domänenkammern an:
" Ihr habt indessen alle erfinnlichen Mittel anzuwenden, dah die Anzahl der Juden- Köpfe nicht vermehrt werden möge." Auch sollen sie bei Bermeidung ernstlicher Bestrafung darauf bigilieren, daß nicht etwa über die festgesetzte Zahl der JudenFamilien sich neue einschleichen noch mehrere, als seyn sollen, geduldet werden, und daß, wann von denen Schuh- Juden- Familien, welche ausgehen, folches jo fort angeigt, und statt der aus. gegangenen keine neue gelitten werden müssen."
Das Winterkleid der Erde.
Von Hermann Berdrow.
Verwöhnt durch die ungemeine Hize des leßten Sommers, flüchten wir beim Nahen der falten Jahreszeit fröstelnd in die Wohnräume, schaffen Winterkleidung herbei, setzen die Heizung in Betrieb, furz, tun alles Erdentliche, den Frost abzulvehren. Und wenn uns dieser unangenehme Gefell dennoch in seiner gangen Stärke überrascht, so steigt wohl der Wunsch in uns auf, Mutter Erde möchte doch ein wenig ökonomischer mit ihren Gaben umgehen und Hize und Kälte gleichmäßiger af die Jahreszeiten bers teilen. Aber die gute Alte hat für unsere Wünsche fein Gehör, bielleicht nicht einmal genügendes Verständnis. Denn fie als ge borener Weltkörper muß ja Tag für Tag, jahraus jahrein durch