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schlingen. Den Mißmut und die Feindseligkeit des Volfes sucht die herrschende Kaste mit findlichen Gesten und billigen Konzessionen zu besiegen. Die unnachgiebigste aller Regierungen sieht sich vom Boltswillen zum Nachgeben gezwungen. Sie muß Forderungen ges währen, deren Erfüllung bor nur einem Jahr noch niemand träumen konnte, ohne Aussicht zu haben, sich selbst vor dem ends gültigen Untergang retten zu können.

von ihnen war Sados Gattin- dieselbe hagere, nicht mehr junge[ tische Erdbeben droht die alte Ordnung samt und fonders zu vera Frau, die vorhin die Kissen gebracht hatte. Die andere war ein noch ganz junges Mädchen in roten Pluderhosen und grünem Besch met, mit einem Schmuck aus Silbermünzen, der die ganze Bruft bedeckte. Am Ende ihres nicht sehr langen, dicen, schwarzen Zopfes, der zwischen ihren Schultern über den schmalen Rücken herabhing, war ein Silberrubel befestigt. Sie hatte dieselben munter bliden­den schwarzen Kirschenaugen wie ihr Vater und ihr Bruder, suchte jedoch ihrem jugendlichen Gesichte einen strengen Ausdruck zu geben. Sie blidte die Gäste nicht an, doch sah man sogleich, daß sie ihre Anwesenheit fühlte.

Sados Gattin brachte einen niedrigen, runden fleinen Tisch, auf dem sich Tee, Honig, Käse, Maiskuchen, Süßbrot und Butter­fladen befanden. Das junge Mädchen trug ein Becken, eine Metall­tanne und ein Handtuch herbei.

Sado und Chadschi- Murat schwiegen, während die Frauen, in ihren weichen roten Schuhen unhörbar hin und her schreitend, den Tisch vor den Gästen bereit stellten. Eldar saß die ganze Zeit über da die Frauen in der Hütte weilen, unbeweglich wie eine Statue auf seinem Plaze und hielt die schönen Widderaugen auf die ge­freuzten Beine geheftet. Erst als die Frauen hinausgegangen und ihre weichen Schritte hinter der Tür verhallt waren, atmete er er­Teichtert auf. Chadschi- Murat faßte nun wieder nach der Patrone an seiner Tscherfesta, zog zuerst die Kugel heraus und nahm dann einen zusammengerollten Bettel aus der Hülse.

" Das ist für meinen Sohn bestimmt," sagte er, auf den Zettel zeigend.

Wohin soll die Antwort gebracht werden?" fragte Sado. " Zu Dir, und Du wirst sie mir geben."

" Das soll geschehen," sagte Sado und verbarg den Zettel in seiner Tscherkesta. Dann nahm er mit beiden Händen die Kanne und schob das Beden vor Chadschi- Murat hin. Chadschi- Murat streifte die Aermel seines Beschmets an den muskulösen weißen Armen bis oberhalb des Handgelenks auf und hielt seine Hände unter den kristallklaren, fühlen Wasserstrahl, den Sado aus der Kanne herausfließen ließ. Das gleiche tat hierauf auch Eldar. Während die Gäste aßen, saß Sado ihnen gegenüber und dankte ihnen immer wieder für ihren Besuch. Der an der Tür fihende Anabe wandte seine blizenden schwarzen Augen von Chadschi­Murat nicht einen Augenblid ab und lächelte, als wollte er durch sein Lächeln die Worte des Vaters bestätigen.

Obschon Chadschi- Murat seit vierundzwanzig Stunden nichts genoffen hatte, er doch nur ein wenig Käse und Brot. Mit dem fleinen Messer, das er unter seinem Dolche hervorzog, nahm er etwas Honig, den er sich auf das Brot strich.

Wir haben sehr schönen Honig, seit Jahren hatten wir nicht mehr so viel und so guten Honig," sagte der Alte, offenbar stolz darauf, daß Chadschi- Murat von seinem Honig.

" Ich danke," sagte Chadschi- Murat und hörte auf zu essen. Eldar hatte wohl noch Hunger, doch folgte er dem Beispiel seines Murschid( Lehrer, Meister), rüdte vom Tische ab und reichte Chadschi- Murat das Becken und die Kanne.

Sado wußte, daß er sein Leben aufs Spiel sekte, indem er Chadschi- Murat bei sich aufnahm, da nach Ausbruch des Streites zwischen Schamyl und Chadschi- Murat an alle Einwohner der Tschetschna, unter Androhung der Todesstrafe, das Verbot ergangen war, Chadschi- Murat zu beherbergen. Er wußte, daß die Be­wohner des Dorfes jeden Augenblid von der Anwesenheit Chadschi Murats in seinem Hause erfahren und seine Auslieferung ber­langen konnten. Doch das machte Sado keineswegs bange. Er hielt es für seine Pflicht, einen Gast zu beschüßen, selbst wenn es ihn sein Leben kosten sollte, und es erfüllte ihn mit Genugtuung und Stolz, sich sagen zu können, daß er so handelte, wie es seine Pflicht gebot.

" Solange Du in meinem Hause weilst und mein Kopf mir noch zwischen den Schultern fißt, wird niemand Dir etwas an­haben," sprach er zu Chadschi- Murat.

Chadschi- Murat sah ihm in die blikenden Augen, und als er darin las, das Sados Worte aufrichtig gemeint waren, sprach er mit einiger Feierlichkeit:

" Freude und langes Leben mögen Dir zuteil werden!" Sado treuzte schweigend die Arme über der Brust, zum Zeichen seines Dantes für die wohlmeinenden Worte. Nachdem er die Fensterläden geschlossen und im Kamin Holz nachgelegt hatte, verließ er in ganz besonders froher und angereg ter Stimmung das Gastzimmer und begab fich nach jenem Teil der Behausung, in dem die Seinigen wohnten. Die Frauen schliefen noch nicht, sondern sprachen von den gefährlichen Gästen, die im Gaftzimmer nächtigten.

( Fortfehung folgt.)

Chinelifches Leben.

Von Frizz Kummer,

Der Zopf und sein Ende. Das Alte stürzt! Auch in China  . Ueber das schlafende, feit Jahrhunderten fulturell und geschichtlich stillstehende Neich der Mitte ist wie über Nacht der drängende, unftete, aufrüttelnde Geist der Neuzeit gekommen. An dem Plunder von mittelalterlichen Ein­richtungen rütteln die rauhen Stürme der Revolution. Das poli­

In der dritten Novemberwoche des verflossenen Jahres wurde dem chinesischen Volk kund und zu wissen getan, daß es ihm nun gestattet sei, den Zopf abzuschneiden. Das bedeutete einen Sieg, füg dessen Größe nur die Zopfträger ollein den richtigen Maßstab haben Er entfachte immense Freude Leim Chineſentum   im allgemeinen und bei der Haarkünstlerschaft im besonderen. Der eine freute sich weil nun endlich das so überaus verhaßte Zeichen der Knechtung verschwinden konnte, und die andere, weil für sie eine Periode der geschäftlichen Prosperität anbrach, wie sie noch nicht dagewesen und auch niemals wiederkommen wird.

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Noch ehe die vom Zopf befreiende Proklamation in alle Gassen geklungen, standen schon die Angehörigen der so sehr verachtetem Haarschneiderzunft Rasierer, Schauspieler und Bootsleute nehmen die unterste Stufe in der chinesischen Gesellschaft ein undi sind von der Bewerbung um ein Staatsamt ausgeschlossen beitsbereit auf der Straße. Uebrigens verrichten sie auch sonst ihre Arbeit auf der Straße. Vor ihrem Haus haben sie Schemel auf gestellt, worauf der Kunde geschozen und geschabt wird. Aber auch diese Sitzgelegenheit ist nicht immer vonnöten. Der weniger an spruchsvolle Sohn des Landes hockt sich dort nieder, wo er den Rasierer trifft, um sich die vordere Hälfte seines Schädels glatt schaben zu lassen. So war es auch meistens an dem denkwürdigen Tage, der das Ende des Zopfes brachte. Die Haarschneider durch zogen die Gassen, nach Opfer spähend. Wer sich nicht freiwillig der Schere bequemte, wurde unter fröhlichem Hallo der Passanten dazu gezwungen. Dann gings hinaus auf die Flüsse, von Boot zu Boot. Ein unschuldiger Zopf nach dem anderen wurde gemordet. Die Zopflosigkeit nimmt rapid zu. Das ständig auf dem Rücken baumelnde und an die Unterjochung mahnende Zeichen verschwindet. Das Chinesentum fühlt sich freier, durch kein deprimierendes Merk­mal mehr gekennzeichnet.

Ueber drei Jahrhunderte haben die Chinesen dieses Zeichen der Unterdrückung tragen müssen. Es kam als Folge der Erobe­rung des Landes durch die Mandschus. Den Unterjochten wurde befohlen, am Hinterkopf das Haar wachsen zu lassen, den Vorderkopf dagegen glatt zu rasieren. Den fremden Herrschern war es blutig ernst mit diesem Gebot: Auf die Uebertretung ward die Todes­strafe gesetzt. Das Volk, der Uebermacht sich beugend, befolgte den Befehl bis vor kurzem.

Das Ende des Zopfes werden die Freunde des Pittoresken sehr Beflagen. Denn China   ist dadurch um eine interessante Kuriosität ärmer geworden. Und dann: Wie soll das wenig geübte Auge des Fremden von nun an in der asiatischen Völkerfamilie den Republi­faner von dem ultra- chauvinistischen Monarchisten( Japaner)! unterscheiden? Wäre der Zopf erhalten geblieben, er hätte als Kennzeichen für die politische Gesinnung der Asiaten gute Dienste leisten können und wäre als solches vielleicht noch zu hohem Ruhm gekommen. Uebrigens nahmen sich die schlanken, sehnigen Gestalten allerliebst aus mit ihren glattgeschabten Vorderschädeln und den meterlangen Haarseil. Für den Fremden war insonderheit die Art äußerst ergöhlich, wie der Bopf, den mannigfaltigen Umständen ents sprechend, getragen wurde. Beim Spaziergang jah man ihn mit einem eingeflochtenen Seidenfaden in die Hosentasche geknüpft; wurde der Schabernad böser Buben befürchtet, wanderte er in die schüßende Hülle des Brustlakes; der Nabfahrer band ihn vorsorg wurde er als Halstuch nicht verschmäht. Ohne Zweifel hätte die lich an die Lenkstange des Vehikels; drohte eine Salserfältung, chinesische Findigkeit später auch für den Zopf des an Maschinen hantierenden Fabrikarbeiters eine wirksame Schußvorrichtung er funden, erfinden müssen, um die Skalpierung zu verhüten.

Anfänglich war es harter Zwang, dann schließlich Gewohnheit oder die liebe Eitelkeit, was die Unterdrückten der Mandschus hieß, der Haarpflege volle Aufmerksamkeit zuzuwenden. Der Weg zum Rasierer wurde allgemach ebenso wichtig wie der Gang in den Reis­laden. Selbst der Halbnackte Bettler glaubt an die Frisur eher als Wolfes über den Tod eines Herrschers mischte sich stets ein Tropfen an den Magen denken zu müssen. In die Freude des unterjochten Wehmut. Denn wenn ein Kaiser starb, mußte zum Zeichen der n der Regel wurde zeitig der Beginn der Trauerzeit angezeigt, Trauer während ihrer ganzen Dauer der Kopf ungeschoren bleiben. um noch jedem Gelegenheit zum Rasieren zu geben.

Der Bart macht dem Chinesen wenig Mühe, schon aus dem fimplen Grunde, weil davon kaum etwas vorhanden ist. Den Flaum auf der Oberlippe ersehnt der Chinese zwar ebenso inbrünstig wie der europäische   Jüngling. Wenn bei ihm die gütige Natur einige Borsten treiben läßt, werden sie zärtlich und ständig mit einem Kämmchen oder Bürstchen geliebfost, das an einer Schnur am Kleid getragen wird.

Taß die chinesische Rasse von seltener Strapazierfähigkeit ist, wird der Weiße sofort gewahr, wenn er sich einem gelben Rasierer überliefert. Einige Teile seiner Gesichtshaut hat er sicherlich zu rückzulassen. Ueber diesen Verlust kann auch der geringe Preis der Schaberei- ein bis drei Pfennig- nicht hinwegtröjten. Un angenehme Gefühle steigen einem schon auf, wenn man sich anstatt