Die legitime(erste) Frau denkt nicht daran, die Trennung zu der» langen, und noch viel weniger die Konkubinen. Da der Mann als der Frau in jeder Beziehung überlegen betrachtet wird, so kann er natürlich auch nichts tun, worüber die Frau zu klagen ein Recht hätte. Alle Kinder, die in dem weiberreichen Hause des Chinesen geboren werden, gelten als die Kinder der ersten Frau. Diese ist die«große Mutter" für alle; sie hat das entscheidende Wort in allen häuslichen Angelegenheiten, sofern die Schwiegermutter nicht mehr vorhanden ist. Obwohl fich die Frauen eines Mannes im Rang nicht gleich stehen, scheinen es doch die Kinder. Ihnen ist die Zärtlichkeit der ganzen Hausgenossenschast sicher. Jeder Familien- zuwachs wird mit lauter Freude begrüßt, vorausgesetzt, daß er männlichen Geschlechtes ist. Zwar besingt der Poet das Mädchen als«tausend Stücke Goldes", aber der prosaisch veranlagte Chinese ist der Vorsehung dankbar, wenn sie ihm so wenig wie nur möglich von diesem goldigen Segen beschert. Die Mädchen werden so gering bewertet, daß sie bei der Nennung der Kinderzahl der An- führung nicht wert erachtet werden. Könnte der Chinese es ein- richten, so würden ihm lauter Jungen geboren werden. Desgleichen die Frau. Die stillende Mutter singt ihrem Mägdelein: Man hält einen Hund zu bewachen das HauS, Und ein Schwein ist nützlich auch; Man hält eine Katz, zu fangen die Maus, Aber zu was bist Du nutze. Du Mädchen? Die vielen kleinen Leichen, die halb verscharrt auf den Feldern liegen oder auf den Flüssen treiben, bezeugen mit schrecklicher Be- redsamkeit die Abneigung gegen die Kinder weiblichen Geschlechts. Würde die Chinesin nur Knaben gebären, der Kindermord wäre vielleicht auch in China nicht höher als in westlichen Ländern. In manchen Gegenden ist die Vernichtung der Mädchen so groß, daß die heiratsfähigen Burschen gezwungen sind, nach auswärts auf die Brautschau zu senden. Gewiß ist es der Widerwille gegen Mädchen nicht allein, was die Kindstötung so häufig werden läßt. Wirt- schaftliche Kalamitäten, wie Mißernte, Hungersnot und Ueber- schwemmung, zwingen die Eltern, sich ihrer Kleinen ohne Unter- schied des Geschlechts zu entledigen. Die ersten, die geopfert wer- den, sind in der Regel die Mädchen. In Zeiten der bitteren Not nimmt der Kinderhandel große Dimensionen an. Mädchen und Jungen werden den Meistbieteirden feilgeboten. Die einen kommen in Privathäuser als Haussklaven, die anderen in die Bordelle der Städte. Die Gesetzgebung des Landes, das für eine ganze Anzahl von Verbrechen die Todesstrafe und Folter kennt, zeigt dem Kindes- mord und dem Kinderhandel gegenüber eine merkwürdige Milde. Mvar erlassen die Mandarinen hie und da Proklamationen, worin dem Volk inS Gewissen geredet wird, von der Vernichtung der Kinder Abstand zu nehmen, aber damit hat cS sein Bewenden. Man wagt nicht, die staatlichen Organe gegen den Mißbrauch der Macht des Familienoberhauptes in Bewegung zu setzen. Die Macht des VaterS über die Kinder ist praktisch unbegrenzt. Er kann sie wegen Ungehorsam töten, ohne daß er eine entsprechende Strafe, wenn überhaupt eine, zu gewärtigen hat. Stellung der Schwiegermutter. Altersgraue Sitten haben in China dem kleinen Reich, da? von vier Hauswänden umhegt ist, Verfassung und Gesetz gegeben. den Hausgenossen ihren Platz angewiesen. Die legitime(erste) Gattin nimmt nach dem Gatten die erste Stelle ein. Sie geht ihres Ranges und der Hausgewalt verlustig, wenn die Mutter des Gatten noch am Leben ist. Die chinesische Schwiegermutter ist eine gar ehvwürdige und Hohe Persönlichkeit. Für böse Menschen, die in der Schwiegermutter den Gegenstand gottlosen Witzes sehen, ist die Atmosphäre des Reiches der Mitte entschieden ungünstig. In China wird die Schwiegermutter mit einem Respekt behandelt, der an Anbetung grenzt. In allen häuslichen Dingen ist ihr Veto ausschlaggebend. Ihren Wünschen haben sich die Familienglieder lautlos und gehorsamst zu fügen. Die jungen Frauen find in vielen Fällen nicht viel mehr als die Sklavinnen der Schwieger- mutter, und wenn diese, wie so oft. tvrannisch oder launenhaft veranlagt ist, so haben ihre Untergebenen die Hölle auf Orden. Die Beschaffenheit des Verhältnisses zwischen Schwiegermutter und Schwiegertöchter wird durch Sprichwörter recht deutlich illustriert: «So gut wie eS keine Mutter gibt, die ihre Tochter nicht liebt, so gibt es keine Mutter, die ihre Schwiegertochter nicht haßt." Im Hause des Arbeiters läßt der Zwang. Sorgen und Pflichten gemeinsam zu tragen, die Gegensätze zwischen alten und jungen Frauen nicht dauernd und allzu schroff werden. Wo nur durch Aufbietung der ganzen Kräfte aller Familienmitglieder die bittere Not von der Tür gehalten werden kann, kann sich der Luxus häuslichen Haders und kleinlicher Eifersüchteleien nicht lange und oft einbürgern. Die Münze als Zeichen der Kärglichkeit. Die Aermlichkeit der Lebensverhältnisse Chinas läßt schon die Geringfügigkeit des Geldbetrags erkennen, der durch die Hand des Chinesen geht. China ist das einzige Land der Erde, das noch Kupferwährung hat. Deren Einheit bildet der Käsch, wovon fünf Stück noch nicht einmal den Wert eines deutschen llteichspfennigs ausmachen.(Der Tael existiert nur als Rechengeld und hat keine körperliche Gestalt.) Die Käschmünze ist schon einige tausend Jahre alt, ist etwa so groß als ein Zweipfennigstück und hat in der Mitte ein viereckiges Loch, um die Münzen auf einen Draht oder Faden schichten zu können. Der so aus Münzen entstandene Strang wird über den Schultern oder um den Leib gebunden getragen. Ilm die UnHandlichkeit des Käschs bei größeren Zahlungen zu vermindern die 100 3Jt. entsprechende Geldmenge wiegt 170 Pfund, wurden vor einigen Jahren Zehnkäschstücke, gleichfalls aus Kupfer, geprägt, deren Metallwert aber nur etwa vier Käsch beträgt. Die Herstellung dieser neuen Münze bildet für die hungrigen Provinzverwaltungcn ein recht vorteilhaftes Geschäft, bedeutet für das arbeitende Volk aber ein starkes Sinken des Real- lohneS kleines feuiUeton. Hygienisches. Krume und Kruste. Wenn der Kulturmensch der Gegen- wart der wunderbaren Vollkommenheit des Gebisse? seiner Vorfahren allermeist verlustig gegangen ist, so hat er sich diesen Mangel zum großen Teil selhst zuzuschreiben. Wir verwöhne» fast ohne Aus« nähme unsere Zähne in einem unerhörten Grade, und das führt nur zu ihrer Verschlechterung. Es ist ein Naturgesetz, daß Organe verkümmern, die nicht gebraucht werden, wie beispielsweise ein Tier, das zu dauerndem Aufenthalt in einer Höhl« verurteilt ist. sein Augenlicht einbüßt. Der Urmensch, der auch die Knochen in einem Stück Fleisch al» Nahrungsmittel be- trachtete, sorgte besser für seine Zähne als sein entarteter Nachkomme, der jedes Knöchelchen und jede Gräte sorgfältig beiseite tut. Aber die Verweichlichung geht viel weiter, denn wie viele Leute gibt es nicht, die schon in jungen Jahren vom Brot die Kruste abschneiden und nur die weiche Krume essen, obgleich unser Brot ohnehin eine Verweichlichung erfahren hat. Wer als Kind einen Gefallen daran gefunden hat, trockene Brotkrusten zu essen, hat damit seinen Zähnen bessere Dienste erwiesen, als sie später von aller Kunst deS Zahnarztes geleistet werden können. Dazu kommt noch, daß in der Brollruste Stoffe enthalten sind, die in der Krume fehlen. Dadurch bereitet der Genuß einer Brotscheibe ohne Kruste eine Einbuße an Geschmack. Nun wird aber behauptet, sie seien schwerer verdaulich. Die chemische Untersuchung ergibt wenig Unterschied in der Zusammensetzung von Kruste und Krume, außer daß die Kruste nur 20, die Krume über 40 Proz. Feuchtigkeit ent- hält. Außerdem aber läßt sich nachweisen, daß die Kruste, die beim Backen mehr Hitze empfängt, einen größeren Gehalt an löslichen Kohlehydraten besitzt. Infolgedessen ist gerade die Kruste, wenn sie genügend gekaut wird, leichter verdaulich, zumal sie durch den kräftigeren Geschmack den Säflefluß mehr anregt. Wer es mit seinen Zähnen und mit seiner Ernährung überhaupt gut meint, sollte erstens nicht zu feines Brot effen und zweitens nie die Kruste ab« schneiden. Meteorologisches. Die ausgleichende Gerechtigkeit im Wetter. Der Verlauf der Witterung weist innerhalb eines Jahres für den- selben Ort eine ziemliche Gleichmäßigkeit auf, wenn man die Durch« schnitte der einzelnen Witterungselemente für das ganze Jahr in Berracht zieht. Jeder Ort der Erde, an dem längere Zelt meteoro» logische Beobachtungen gemacht worden sind, hat seine bestimmte mittlere Jahrestemperatur und seine sährliche Regenmenge usw. und von diesen Warten weichen die Durchschnittszahlen der einzelnen Jahre meist nicht allzu weit ab. Wenn ein Sommer ungewöhnlich heiß gewesen ist, so folgt darauf ein besonders kalter Winter, wie das letzte Jahr mit aller Deutlichkeit gezeigt hat. Es findet also, wenn nicht immer, io doch oft, ein Ausgleich der Gegensätze innerhalb der Jahreszeiten statt. Aber auch noch in anderer Hinsicht scheint für die Aufrecht- erbaltung eines Gleichgewichts im Gang des Wetters gesorgt zu sein. Nach den Untersuchungen von Profeffor Krebs, die im.Kosmos" besprochen werden, steht der großen Trockenheit deS Sommers 1911 in Europa ein um so stärkerer Regenfall in anderen Weltgegenden gegenüber, und zwar besonder« in Ostasien . Die großen Ueber» schwemmungsfluten in China sind bekannt genug geworden und haben ohne Zweifel ein gut Teil zur Emwickelung der revolutionären Be­wegung beigetragen. Auch in Japan fielen außerordentlich starke Regen. Ihre höchste EntWickelung scheinen sie auf den Philippinen erreicht zu haben. Auf der Hochfläche von Bagujo, auf der Haupttnfel Luzon , hat der Regenmesser in den Tagen vom 13. bis 17. Juli einen Rekord zu verzeichnen gehabt. Es fielen in dieser Zeit rund 2240 Millimeter Regen, drei bis viermal mehr als in unseren Gegenden in der Zeil eines ganzen Jahre«. Der Fall ist zwar nicht unerhört, aber doch eine große Seltenheit, selbstverständlich auch an tropische oder subtropische Gegenden gebunden. Der stärkste Regenfall, der in den Annale» der Witterungstunde überhaupt ver- zeichnet ist, erfolgte im Jahre 1876 am Südabhange des Himalaja , wo in fünf Tagen fast 2900 Millimeter Regen niedelgingen. Verantwortl. Redakteur: Albert Wachs. Berlin. Druck u. Verlag-vorwärtsBuchdruckereiu.Verlagsanstnlt Paul SingertCo., Berlins�