Nnterhaltungsblatt des?orivarts Nr. 33. DiertStag� den 20. Februar. 1912 lNachdruik»ertaleif.T" 33] pelle der Gröberer, Ter flrof;e Kampf. Roman von Martin AnderfenNexo. „Was, wollt Ihr schon gehen?" sagte Stolpe.„Ja, Tod und Teufel, es ist ja auch schon spät geworden. Aber erst »nässen wir noch ein Lied singen." „Bald wird es tagen," schlug Frau Stolpe vor: sie war so mude, daß sie einnickte. Als man den Sozialistenmarsch gesungen hatte, brach man auf. Lasse wurden die Taschen mit Süßigkeiten für die drei Verwaisten vollgestopft. „Wo ist denn bloß auf einmal der Pardauzspringer ab- Heblieben?" fragte Otto plötzlich. „Der ist am Ende unten im Hof krank geworden," sagte Stolpe,„lauf doch mal runter und sieh nach ihm,-Freden !!" Sie hatten ihn ganz vergessen. Frederik kam zurück. Pardauzspringer sei nicht unten im Hof und der Torweg sei abgeschlossen. „Er wird doch wohl nicht aufs Dach gegangen sein," sagte einer. Sie stiegen die Hintertreppe herauf, die Tür zum Boden stand offen und das Dachfenster ebenfalls. Otto warf den Rock ab und schwang sich durch das Fenster. Ganz hinten auf dem Dachrücken saß der Pardauzspringer und schnarchte. Er lehnte sich gegen die Kante der Brandmauer, die eine halbe Elle aufragte, gleich hinter ihm lag der jähe Abgrund. „Ruf um Gotteswillen nicht," sagte Mutter Stolpe ge- dämpft,„und faß ihn fest an, ehe Tu ihn weckst." Aber Otto ging geradeswcgs auf seinen Kameraden los. ».Hallo, Kamerad, Feierabend!" rief er. „Jawohl," sagte der Pardauzspringer und kam auf die Beine. Er stand einen Augenblick da und schwankte über dem Abgrund: dann zog er die Richtung über das Dach vor, folgte Otto aus den Fersen und kroch durch das Fenster. „Was, zum Teufel, hast Du da eigentlich gemacht?" fragte Stolpe lachend.„Bist Du auf Arbeit gewesen?" „Ich bin bloß da oben gewesen, und habe ein bißchen frische Lust geschöpft. Habt Ihr eine Flasche Bier? Aber »vas ist denn das? Die gehen alle schon nach Hause?" „Ja. Du hast zwei Stunden da oben gesessen und Sterne angeguckt," antwortete Otto. Alle Gäste waren gegangen. Lasse und das junge Paar standen da und warteten, um sich zu verabschieden. Frau Stolpe standen die Tränen in den Augen, sie wickelte Ellen ein.„Gib nun auch gut acht, die Nacht ist so kalt," sagte sie mit erstickter Stimme und stand da und nickte ihnen mit fräncngeblendeten Augen nach. „Herr Du meines Lebens, da ist doch nichts zum Weinen," sagte Maurer Stolpe und führte sie hinein.„Mach Tu nun, daß Du zu Bett kommst, ich will den Pardauzspringer schon in Schlaf lullen. Hab Tank für den heutigen Tag, Mutter!" » Pelle hatte seinen Arbeitstisch vor dem schmalen Pfeiler zwischen den beiden Fenstern der Wohnstube aufgestellt. Man konnte sich gerade zwischen dem Ende des Arbeitstisches und dem runden Tisch, der mitten im Aimmer stand, hindurchdrücken. An der Hauptwand stand ein eichengemaltes Büfett, das Ellens Stolz war, und gerade gegenüber an der ent- gegengesetzten Wand stand ihre Junge-Mädchen-Kommode mit dem Spiegel darüber und einer weißen gestickten Tecke dar- auf. Auf der Kommode standen ein polierter?kähkasten. ein paar Photographien und einige Nippesgegenstände: mit ihrer weißen Tecke glich sie einem Altar. Pelle war nun jeden zweiten Tag bei Meister Beck, die übrige Zeit saß er daheim und spielte den kleinen Meister. Er hatte viel Bekannte hier draußen, lauter arme Leute, die ihr Schuhzeug bis auf die Strümpfe verschlissen, ehe sie es wachen ließen: aber ein Tagelohn ließ sich doch damit ver- dienen. Aus Ellens Familie und ihrem Verkehr erhielt er auch Arbeit. Das war eine andere Art Leute: selbst wenn es ihnen schlecht gehen konnte, bewahrten sie immer den Schein und traten mit einer gewissen Flotthcit auf. Ihre wunden Punkte behielten sie für sich, Er hätte sicherlich reichlich Gesellenarbeit finden können, zog aber diese Ordnung vor, die die Grundlage zu etwas Selbständigem gab: es war mehr Zukunft darin. Es lag auch ein eigener Klang in der Arbeit, mit dem Heim als Hintergrund. Es verlieh dem Gemüt fruchtbare Wörme, den Blick von der Arbeit ins Zimmer hineinschweifen zu lassen, wo die Dinge so vertraulich standen und Gemütlichkeit um sich her verbreiteten, als hätten sie immer zusammengehört.- Wenn die Morgenionne hineinfiel, lachte das Ganze, und mitten darin ging Ellen summend und geschäftig umher. Sie hatte das Bedürfnis, immer in seiner Nähe zu sein, und freute sich iiber jeden Tag, den er daheim verbrachte. Dann kürzte sie ihre Arbeit in der Küche soviel wie möglich ab und saß drinnen bei ihm. Er mußte sie lehren, Flicken auf- zusteppen und eine Sohle aufzunähen, und sie half ihm bei der Arbeit. „Nun bist Tu Meister und ich bin Dein Geselle," sagte sie froh. Sie verschaffte ihm auch Kunden: ihr Bestreben ging darauf hinaus, ihn immer zu Hanse zu behalten.„Ich will Dir schon helfen, so viel ich nur kann. Und eines schönen Tages hast Du dann so viel Arbeit, daß Tu einen Lehrling annehmen mußt und später einen Gesellen." Tann nahm er sie in seine Arme, und sie arbeiteten um die Wette und sangen Lieder. Pelle war ganz glücklich und hatte alle Sorgen und Bürden von sich geworfen. Ties war sein Nest, wo jedes Reis und jeder Strohhalm mehr wert war als alles andere auf der Welt. Sie hatten genug zu tun, es zusammenzuhalten. und ein wenig weich auszufütterm, und Pelle ging in dieser Arbeit auf mit einer Freude, als habe er erst jetzt seine eigentliche Bestimmung gefunden. Hin und wieder trieben schwere Dünungen aus der Bewegung der Masse zu ihm hinein und versetzten sein Gemüt in starke Schwingungen. Dann redete er feurig in heftiger Empörung, oder sein Glück führte ihm lichte Bilder vor Augen, die er Ellen erklärte. Sie lauschte ihm stolz, und unter ihren verliebten Augen erkühnte er sich zu stärkeren Ausdrücken und Bildern, als es eigentlich seine Natur war. Wenn er dann endlich schwieg, fuhr sie fort, ihre dunklen Augen, die immer etwas in ihm zu sehen schienen, was er selbst nicht kannte, unverwandt auf ihm ruhen zu lassen. „Woran denkst Tu jetzt?" fragte Pelle, der gern eine Unterhaltung darüber anknüpfen wollte, was sich in ihm regte. Es gab niemand weiter für ihn als Ellen. Er hatte das Bedürfnis, das Neue gerade mit ihr zu bereden und das wunderbare Glück zu empfinden, auch das zu zweien zu durchleben. „Ich denke daran, wie rot Dein Mund doch ist. wenn Du redest! Er sehnt sich gewiß nach Küssen." antwortete sie und flog ihm um den Hals. Die Geschehnisse rings umher interessierten sie nicht: sie konnte nur von ihrer Liebe sprechen und von dem, was sie selbst betraf. Aber das heftige Starren in ihrem Blick ver- lieh dem Leben einen tiefen Hintergrund. Ganz rätselhaft konnte es auf ihn wirken, wie ein Locken, das den unbekannten Seiten seines Wesens galt. Ter Pelle, den sie sieht, muß ein anderer sein als der, den ich kenne, dachte er glucklich. Etwas Schönes und Starkes mußte es sein, das sie so fest hielt, daß sie litt, wenn sie sich nur einen Augenblick von ihm entfernte. Wenn sie dann lange genug gestarrt hatte, preßte sie sich verwirrt an ihn und verbarg ihr Antlitz. Ohne daß er es bemerkte, leitete sie seine Kräfte wieder auf sein eigenes Gebiet hin. Er konnte für zwei arbeiten, wenn sie ihm gegenüber am Tisch saß und ihn unterhielt, während sie half. Pelle fand eigentlich, daL ihr kleines Nest ganz gemütlich war, aber Ellen hatte den Siirn voller Plane für Verbesserungen und Fortschritte auch dort„Zu dem Geschäft gehört ein bürgerliches Heim mit weichen Möbeln und vielerlei Sachen," daran baute sie schon, �.as Heim hier, das ihin wie ein liebes Gesicht war, das man pch uoer- haupt nicht anders denken kann, war für sie nur ettvas Vor- läufiges: diese Gegenstände sollten allmahlim durch schönere und bessere ersetzt werden. Hinter ihrem traulichen Geplauder über alltägliche Kleinigkeiten erschloß sich eine große Perspek- tive. Er mußte sich anstrengen, wenn er all dem entsprechen I wollte, was sie von ihm erwartete. � o„, ', Ellen verjännite ihre Häuslichkeit keineswegs, es nei
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29 (20.2.1912) 35
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