-

170

-

war natürlich aus den Linien seiner eigenen Organisation! gehen und fich auf dem schbellenben Bfühl an ihrer Seite zur Ruhe herausgewachsen, so war eins wie das andere. Aber er fuhr fort, sich mit zu beschäftigen, bis es feste Formen annahm. Und date ging er mit em Plan zu seinem Schwiegervater, der Mitglied des Parteivorstandes war, und wurde durch ihn aufgefordert, zu kommen und ihn der Hauptdirektion vor­zulegen.

Belle hatte jett Uebung im Reden, und doch hatte er Fieber, ale er dem starken Herzen der Bewegung gegenüber­stand. ne Worte fonnten die Vielen hinreißen; würde es ihm abe gelingen, diese geprüften Männer zu gewinnen, die lauschend hinter dem Ganzen standen, während sie ruhig ihren Geschäften nachgingen? Er fühlte, daß es der bedeutungs­vollste Tag in seinem Leben war.

Es waren Männer mit ruhigerem Temperament als das feine. Si saßen unbeweglich da und lauschten mit halb­geschlossa en Augen; seine starken Worte erweckten den An­flug eines Lächelns bei ihnen, über die waren sie ja längst hinweg! Es waren Handwerker und Arbeitsleute, die den ganzen Tag hart für das Auskommen fämpften, so wie er selbst; aber mehrere von ihnen hatten ein bedeutendes Selbst­Studium hinter sich, sie mußten gelehrte Leute genannt werden. Des Abars und am Sonntag arbeiteten sie für die Be­wegung, miedeten politische Pläne und vertieften sich in das Rechnungswesen und in die ständig wachsende Admini­stration. Sie waren schwerfällig geworden von all diesem Ungewohnten, das bisher den anderen Gesellschaftsklassen vor­behalten war, und mußten es sich ganz von Grund auf an­eignen. Die Köpfe waren ergraut und runzlig.

Belle ühlte, daß er erst im Anfang stand. Diese Männer wirkten auf ihn wie ein mächtiger geheimer Nat; da draußen faben sie aus wie jeder andere, hier aber an dem grünen Tisch faßen sie und schufen ungeheure Organisationen, in die er nur die Massen hineintrieb; die große Politik kam hier zu stande. Es lag etwas Gottvergessenes darüber, so als wenn man Ameisen Bläne machen sieht, um einen Berg zu verseßen; hier mu er hinein, wenn er etwas Wirkliches ausrichten wollte! Aber hier verlangte man etwas anderes als starke Worte! Er dämpfte unwillkürlich seinen Ton und bemühte fich, rein sachlich zu reden.

legen. Er mußte zunächst, so wenig Lust er dazu auch verspürte, fein Nachmittagsgebet verrichten, daa er schon als religiöser Führer und Berater seines Volkes nicht unterlassen durfte, und das als geistige Speise ihm so notwendig geworden war wie das tägliche Brot. So erledigte er denn die Waschungen wie das Gebet und ging dann an dem Empfang aller jener, die ihn zu sprechen wünschten. Zunächst erschien vor ihm sein Lehrer und Schwiegervater Dschemal- Gddin, ein hochgewachsener, stattlicher Greis mit schnee­weißem Larte und frischem, rotem Gesichte. Er verrichtete ſein Gebet, fragte Schamyl, wie sein Kriegszug verlaufen wäre, und berichtete ihm, was während seiner Abwesenheit in den Bergen fich ereignet hatte.

den, die auf Grund der Blutrache begangen worden waren, bon Allerhand Nachrichten bekam da Schamyl zu hören: von Mor­Viehdiebstählen, von Vergehem gegen die Vorschriften des Laris tat"*), die den Genuß des Tabata und des Weines verboten, und zuletzt teilte Dschemal- Eddin dem Imam auch mit, daß Chadschi­Murat heimlich Leute gesandt habe, die seine Familie zu den Russen bringen sollten. Sein Anschlag sei jedoch entdeckt worden, und man habe Chadschi- Murats Familie hier am Orte untergebracht, wo sie unter strenger Bewachung seines Urteils harre. Im anstoßenden Gastzimmer seien die Weltesten aus den Nachbargauen versammelt, um über diese Dinge zu beraten. Dschemal- Eddin riet dem Imam , sie noch heute zu entlassen, da sie bereits drei Tage auf ihn ge­

wartet hätten.

Schamyls älteste Gattin, die spißnäfige, schwarze, häßliche Saider, für die der Imam nur wenig übrig hatte, trat ein und trug ihm das Mittagamahl auf. Nachdem er dieses verzehrt, begab er sich nach dem Beratungszimmer.

Sechs Greise mit weißem, grauem oder rotem Bollbart er hoben sich bei Schamyls Eintritt von ihren Siben. Es war der hohe Rat, der Schamhl zur Seite stand. Sie trugen alle neue Kleider und den Riemen mit dem Dolche über Beschmet und Tscherkesta. Auf dem Kopfe faß die Lammfellmüße, mit dem Turban**) oder ohne diesen Schamyl überragte sie alle um Haupteslänge. Seinem Beispiele folgend, hoben sie alle die Arme mit den gegeneinander­gekehrten Handflächen empor, schloffen die Augen und beteten, worauf sie mit den Händen sich über das Geficht fuhren und am unteren Bartende beide Hände vereinigten. Hierauf sehten sich alle rings um Schamyl herum, der auf erhöhtem Pfühl mitten unter ihnen saß, und machten sich an die Beratung der zu entscheidenden Angelegenheiten.

-

Ueber die Verbrecher, die zur Aburteilung gelangten, wurde Es erscholl fein Beifall, als er schwieg; die Männer saßen nach den Vorschriften des Schariat"( Lehre des Koran ) entschie den: zwei Diebe wurden zum Abschlagen der Hände, ein Mörder da und sahen schlicht grübelnd vor sich hin. Das Schweigen zum Tode verurteilt; drei Angeklagte wurden freigesprochen. Hier. wirfte auf ihn wie der ungeheure leere Raum und machte ihn auf gelangte der Hauptpunkt der Tagesordnung zur Verhandlung schwindlig. Alles in ihm lag nach außen gewendet und sog wie am besten der Uebergang der Tschetschenzen zu den Russen Stärke aus dem Widerhall von da draußen her von den vielen, berhindert werden könne. Dschemal- Eddin hatte, um diesem Ueber die ihn geschaffen hatten. Aber hier im entscheidenden Augen zu steuern, eine Rundgebung entworfen, die also lautete: blick schwieg das Ganze und ließ ihn schweben ohne Stützpunkt irgendwelcher Art. War der ganze mächtige Plan des Zu­fammenwirkens nur eine Torheit oder war er ein Tölpel, jetzt da, wo sich darum handelte, ihn vorzulegen? Niemand antwortete. Die Führer fragten ihn ruhig nach den Einzel­heiten seines Planes und nahmen ihn zur Kenntnis.

Belle ging und befand sich in entsetzlicher Spannung. Er fühlte, daß er an etwas von dem gerüttelt hatte, das die große Entscheidung in sich trägt, und bedurfte einer Bestätigung, daß er die Sache richtig angefaßt habe. In dieser Not wandte er sich anh selbst. Es war nicht seine Art, nach innen hin­einzufragen, aber hier wollte fein anderer antworten. Er mußte die Anerkennung bei sich selbst suchen.

Es war das erstemal, daß Pelle allen Ernstes zu seinem eigenen Ich Zuflucht nahm und erfuhr, daß man im ent­scheidenden Augenblick dort hinfliehen konnte. Aber ihm ge­fiel die amkeit nicht, und er tat es nur notgedrungen. Das Herz hüpfte unbändig in ihm, als er die Mitteilung er­hielt, daß dieser sein Plan anerkannt war. Es wurde ein Ausschuß gewählt, um ihn auszuführen, und Belle ward Mit­glied dieses Ausschusses.

24]

( Fortsetzung folgt.)

( Nachdruck verboten.)

Chadfchi- Murat.

Von Leo Tolstoi .

Doch noch war er weit davon entfernt, die Geliebte in seine Arme schlitzen zu können. Er konnte es sich wohl denken, daß sie dort hinter dem Zune, der quer durch den inneren Hof lief und die Wohnungen der Frauen von den Räumen für die Männer trennte, se erwartungsvoll harrte, ja er war davon überzeugt, daß sie jetzt, im Augenblick, da er aus dem Sattel stieg, mit den andern Frauen durch eine Spalte im Zaune nach ihm Ausschau hielt. Aber er fonnte dech zicht so ohne weiteres zu ihr hinein­

" Ich wünsche Euch, daß Ihr in ewigem Frieden leben mögek mit Gott dem Allmächtigen. Ich höre, daß die Ruffem euch um­schmeicheln und zur Unterwerfung auffordern. Glaubt ihnen nicht, sondern duldet. Wenn Euch dafür in diesem Leben kein Lohn zuteil wird, dann werdet Ihr im Jenseits belohnt werden. Bedenket, wie sie es früher machten, als sie Euch die Waffen abnahmen. Wenn Euch damals, im Jahre 1840, Gott nicht erleuchtet hätte, würdet Ihr jetzt alle in russischen Soldatentitteln steden, und Eure Frauen würden teine Pumphosen mehr tragen und würden entehrt sein. Beurteilet die Zukunft nach der Vergangenheit. Es ist besser, in Feindschaft mit den Russen zu sterben, als mit den Ungläubigen zusammen zu leben. Harret aus, und ich werde mit dem Koran und dem Säbel zu Euch tommen und Euch gegen die Ruffen führen. Für jetzt befehle ich Euch, jede Absicht, ja jeden leisesten Gedanken einer Unterwerfung unter die Russen aus Eurer Seele zu ber bannen."

Schamyl billigte diese Bekanntmachung, unterschrieb sie und beschloß, sie überall im Wolfe zu verbreitem

-

Hierauf kam die Angelegenheit Chadschi- Murate zur Berhand lung, die für Schamyl ganz besonders wichtig war. Er wußte sehr wohl wenn er es auch nicht offen zugab- daß die Schlappe, die er jetzt in der Tschetschyna erlitten, ihn nicht betroffen hätte, wenn Chadschi- Murat mit feiner Gewandtheit, Kühnheit und Tapferkeit ihm zur Seite gestanden hätte. Es wäre nur vorteilhaft für ihn gewesen, wenn er sich mit Chadschi- Murat versöhnt und ihn wieder seiner Sache dienstbar gemacht hätte. Für den Fall aber, daß dies ausgeschlossen war, durfte er nicht zulassen, daß jener sich auf die Seite der Rufsen, stellte, und daher war es unbedingt notwendig, ihn auf die eine oder andere Weise aus dem Wege zu schaffen. Dies tonnte entweder so geschehen, daß ein sicherer Mann nach Tiflis entsandt wurde, der ihn dort tötete, oder daß man ihn herüberlodte und ihm hier den Garaus machte. Das sicherste Mittel, ihn zur Rückkehr zu bewegen, war, ihm die Lefreiung seiner Familie in Aussicht zu stellen, insbesondere den Lostauf seines Sohnes, den Chadschi- Murat, wie Schamyl wohl bekannt war, über

Religiöse Lehre der Muriden,

**) Den Turban trägt, wer eine Pilgerfahrt nach Metta oder einer anderen heiligen Stätte gemacht hat.