Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 48.

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Freitag, den 8. März.

( Nachdruck berboten.)

Pelle der Eroberer.

Der große Kampf.

Roman von Martin Andersen Nerö. Sein Gehirn war neu und unberührt und arbeitete gut in der Kälte; er verglich rastlos und zog Ergebnisse aus allem, womit er in Berührung fam. Und es schien, als wenn die einzelnen selbst sich nicht viel regten. Die Agitation be­stand hauptsächlich darin, das zu wecken, was einmal vor handen war. Im übrigen mußten sie so verbraucht werden wie sie waren, und eine jüngere Generation an ihre Stelle treten, der die Forderung nach Vergeltung auf der Zunge Tag. Soweit er die Entwickelung übersehen konnte, ging fie nicht durch Generationen vor sich, sondern wuchs auf irgend­eine wunderliche Weise aus dem leeren Raum zwischen ihnen auf. So konnte die Jugend beginnen, wo die Alten aufgehört hatten.

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ihr her, hielt die Augen unverwandt auf sie gerichtet und tat genau so wie sie. Ein großer und starker Kerl war er, aber er unternahm nichts auf eigene Hand, schnob sich nicht einmal die Nase aus, ohne daß sie ihn dazu puffte. Komm her, Thorwald," sagte sie und puffte sich vor, so daß es weh tat. Halt Dich dicht hinter mir!" Sie sprach mit harter Stimme in die Luft hinein, als wolle sie ihr Vorgehen den anderen gegenüber begründen, sah aber niemand an: Er kann näm lich so schlecht für sich selbst reden!" sagte sie aufs Geratewohl. Ihre gereizte Stimme machte Belle zusammenzuckend, sie war aus Bornholm . Ach, die schneidigen, jungen Mädchen daheim, sie waren eine Errettung für den Mann!- ,, Und die Kinder müssen ja doch auch leben!" fuhr sie fort. Wir haben acht, ja acht!" ,, Dann ist er doch zu was zu gebrauchen," sagte ein ver. frorener Arbeiter.

Die Frau arbeitete sich hindurch, und es gelang ihr auch wirklich, ihren Kerl anzubringen. Und nun tust Du hübsch, was sie Dir sagen, und läßt Dich nicht zu irgendwelchen Narrenstreichen verlocken!" sagte sie und versezte ihm einen Das Schaffen des Geistes wirkte jetzt ebenso verborgen Buff, der ihm drüben auf der Arbeitsstelle in Gang setzte. und mystisch auf ihn wie das des Blutes in seiner Kindheit; Trogig erhob sie den Kopf, als um sie her spöttisches Gelächter ihn konnte ein geheimes Schaudern über sich selbst befallen, erklang. er fing an zu begreifen, was Morten damit gemeint hatte, Der Platz glich einem Sklavenmarkt, die Aufseher gingen daß der Mensch heilig sei. Entsetzlich war es, daß der Mensch umher und suchten die Kräftigsten aus, befühlten sie mit den so viel Not leiden mußte und Belles Groll vertiefte sich. Augen und wählten nach Muskeln und Rückenbreite. Der Durch seine Berührung mit allen den einzelnen erfuhr Unternehmer fuhr umher und erteilte Anordnungen. Das er jekt, daß Morten nicht so ganz allein stand. Die Gemüter ist einer von den Großen," sagten die Arbeiter knurrend," hier vieler flangen wieder von derselben Ungeduld und begriffen muß die ganze Arbeitskraft der Stadt aufmarschieren, damit nicht, daß der, der hungert, sich damit beruhigen und be- er fich die besten heraussuchen kann. Und dabei hat er den gnügen soll, daß man sich organisiert. Es lag Umstürzle- agelohn um fünfzig Dere heruntergesetzt. Er ist noch dazu risches in den Gemütern; ein harter Ton stieg auf, der an- selbst Erdarbeiter gewesen, nun ist er aber ein Mann, der seine ständige Leute veranlaßte, im weiten Bogen um die Arbeits- Hunderttausend das Jahr hat. Ein richtiger Blutaussauger losen herumzugehen, während alte Leute den Untergang der ist er!" Welt prophezeiten. Den Ton, den die Organisation sich jetzt aneignete, hatte noch niemand gekannt.

Eines Tages stand er in einem Torweg mit einigen an­deren jungen Leuten zusammen und beredete die Lage der Dinge; es war ein kalter Versammlungsort, aber sie hatten nicht die Mittel, in dem gewohnten Wirtschaftslokal zusam­men zu kommen. Die Diskussion wurde in einem sehr ge­dämpften Ton geführt, es lag etwas Berbissenes in den Stimmen. Da ging ein gut gekleideter Herr vorüber. Da seht mal den schönen Ueberzieher," rief einer, so einen möcht' ich auch wohl haben! Wollen wir uns den nicht mal in den Torweg hereinholen und ihm den Ueberzieher ausziehen?" Er sprach laut und wollte auf die Straße hinaustreten.

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" Steine Dummheiten," sagte Belle finster und padte ihm beim Arm ,,, wir schaden uns nur selbst! Bedenkt, die Obrig­feit hat ein wachsames Auge auf uns!"

Ach was,' n paar Wochen sißen, dann hat man doch we­nigstens so lange Kost und Logis," antwortete der Kamerad. Es war ein unheilverkündendes Aufblizen in seinen sonst so flugen ruhigen Augen.

Es waren Gerüchte im Umlauf, daß die Stadtverwal­tung einschreiten und der Arbeitslosigkeit abhelfen wollte, und kurz vor Weihnachten wurde auch eine größere Erdarbeit begonnen. Es war ein Stück von dem alten Wall, das ge­schleift und zu Parks und Boulevards umgewandelt werden sollte. Pelle meldete sich unter tausend anderen und hatte das Glück, angenommen zu werden; der Unternehmer nahm vorzugsweise die jungen Kräfte.

Jeden Morgen stellten sich die Arbeiter in Massen ein; die Aufseher wählten fich die aus, für die fie Verwendung hatten, der Rest fonnte wieder gehen. Daheim saßen Frau und Kinder und freuten sich, und man hatte keine Lust, mit dem traurigen Bescheid nach Hause zu kommen; deswegen Lungerte man auf dem Arbeitsplatz herum.

Sie stellten sich schon lange vor Tagesanbruch dort ein, um die ersten zu sein, obgleich nicht viel Hoffnung da war. Da war es doch wenigstens ein Vorwand, um das Bett zu verlassen, der Müßiggang brannte ihnen auf den Lenden wie ein Höllenfeuer. Wenn die Aufseher kamen, drängten sie sich stumm, aber mit eindringlichen Augen vor. Da war eine Frau mit ihrem Mann gekommen, er ging bescheiden hinter

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Die Massen fuhren fort, dazustehen und den Tag herum­zulungern, in der Hoffnung, daß irgend jemand abfiele oder frank wurde irgend was Blödsinniges so daß man seine Stelle einnehmen konnte. Es war ihnen unmöglich, fich los­zureißen. Schon allein, daß die Arbeit im Gange war, fesselte sie. Das sah aus, als wollten sie jederzeit den Arbeitsplatz stürmen, und die Polizei hatte einen Kreis um sie gebildet. Sie standen da und drängten sich vor, geistesabwesend vor Verlangen nach Arbeit, mit frankhafter Sehnsucht in den Mienen. Wenn die Masse zu weit vorgedrungen war, ließ sie sich zögernd wieder zurücktreiben. Plöblich konnte eine Lücke entstehen, ein Mann sprang über die Latten hinweg und griff nach einer Hade. Ein paar Schuyleute entrangen das Gerät seiner Hand und führten ihn ab.

Da stieg Trot in ihnen auf, wie sie so dastanden mit ihrer Not und der ganzen schamlosen Lage; es äußerte sich in einem wütenden halb inwendigen Knurren. Sie folgten dem Unternehmer mit wunderlichen Augen, als suchten sie etwas bei ihm, was ihnen nicht einfallen wollte.

In seinem Uebermut über das schwindelerregende An­erbieten von Arbeitskraft wollte er noch weiter gehen und die Arbeitszeit um noch eine Stunde verlängern. Das wurde den Arbeitern eines Morgens als Befehl mitgeteilt als sie gerade angefangen hatten. Aber im selben Augenblick warfen die vierhundert Mann bis auf zwei das Werkzeug hin und traten zu ihren Kameraden hinaus. Die Aufseher kamen und riefen neue Arbeitsfräfte herbei, aber niemand meldete sich. Sie standen da und beredeten die Sache, blau in den Gesichtern vor Wut, jetzt sollte ihre Ausgehungertheit dazu benutt werden, um dem Unternehmer mit einem weiteren Hundert tausend zu bereichern! Wir müssen uns an die Stadtver­waltung wenden," riefen sie. Nein, an die Zeitung!" er­widerten andere. An die Zeitung! Die Zeitung ist besser!" Sich an die Stadtverwaltung zu wenden, nüßt nichts, solange wir nicht unsere Parteigenossen hineingewählt haben!" rief Belle. Gedenkt ihnen das jetzt, bei den Wahlen, Ka­meraden! Wir müssen unsere Parteigenossen überall haben, eher haben ihre Uebergriffe kein Ende. Und jetzt müssen wir zusammenstehen und aushalten. Muß es sein, so ist es besser auf einmal totzuhungern als langjam!"

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Sie antworteten nicht, sondern scharten sich dicht um ihn und hörten schwerfällig zu, gar zu entsetzlich hart und gründ