folgt. Erst Fitting hat ihr seine volle Aufmerksamkeit zugewandt. Dabei hat er gefunden, datz es sich nicht um eine Alterserscheinung, fondern um einen sehr merkwürdigen Lebensvorgang handelt, der, wie gesagt, in seinem gesamten Ablauf auf» lebhaf- teste an jene Geheimnisse erinnert, die man im Tierreich Selbst- Verstümmelung nennt. Soweit die Beobachtungen bis jetzt reichen, kommt nur destimmten Pflanzen diese Fähigkeit zu, doch kann der Vorgang(wie im Tierreich) durch die allerverschiedensten Reize aus- gelöst werden. Zunächst einmal können chemische Einflüsse die vor- zeitige Auflösung der Blüte zur Folge haben. Als solche kommen Spuren von Leuchtgas in der Luft in Frage. Am empfindlich- ften dafür ist unser Pyrenäen st orchschnabel(Geranium pyrenaicum). Je nach dem Alter, das die Blüte hat, stößt sie ihre Kronblätter zwei bis sechs Stunden nach erfolgter Reizung ab, wo- bei ältere Blüten sich immer schneller entblättern als junge. Aber auch allerjüngste Gcraniumblüten, die sich eben erst aufgefaltet haben, halten der Reizung durch Leuchtgas nicht länger als sechs Stunden stand. Ganz ähnlich wirkt auf diese Pflanzen Tabaks- rauch in sehr geringen Mengen. Da vom einen oder andern Stoff fast in jeder Zimmerlust Spuren vorhanden sind, versteht man gut, warum gerade die wilden Storch- und Reiherschnabelarten sich in Vasen nie halten wollen. Noch heftiger treibt Kohlensäure zur Entblätterung. Die Blumen des Phrenäenswrchschnabels spürten es schon, wenn sich infolge menschlicher Atemtätigkeit 4 bis 5 Hunderttcile Kohlensäure in der Lust angesammelt hatten. Eben aufgebrochene Blüten dieser Pflanze warfen in einer Atmosphäre mit 40 bis 50 Hundertteilen Kohlensäure sogar schon nach 3 bis 12 Minuten die Krone in voller Frische ab, und die Königskerze reagierte bereits nach 30 Sekunden auf dieses Gas! Im allgemeinen zeigte sich, daß die Empfindlich- keit gegen Kohlensäure im Pflanzenreich viel verbreiteter ist, als die gegen Leuchtgas , so daß Fitting mit Dauerlein, Flachs, Reiher- schnabcl, Borretsch u. a. eine ganze Reihe von Pflanzen aufzählen kann, deren Krone diesen Einflüssen nicht standhält. Auch hohe Außenwärme(40 Grad) läßt in kurzer Zeit l2V� bis 10 Mi­nuten) die Blüten mancher Pflanzen auseinanderflattern, während andere wieder(Ehrenpreise und Königskerze) für Erschütterungen entfernter Stengelteile recht empfindlich sind. Bei einer Reiher- schnabelart(llrextium rnanescävi) konnte sogar durch Ber- wundung des Griffels die Krone zu vorzeitiger Selbstauf- lösung hingedrängt werden. Dieser Fall ist besonders bemerkens- wert, weil der Reiz nicht dort zur Wirkung kommt, wo er verab- folgt wird, sondern an einer ziemlich entlegenen Stelle des Blüten- organs, unterhalb des Fruchtknotens nämlich, wo die Kronblätter festgemacht sind. Der Reiz muß also von der Empfangsstation über eine beträchtliche Strecke hinwegwandern, was wiederum das Vor- handensein reizleitender Bahnen in der betreffenden Blume vor- aussetzt. Werden die Kronblätter selbst verwundet, so erfolgt eine Entblätterung nicht. Es ließe sich von hier aus eine hübsche Parallele zum Tierreich ziehen, wo ja auch durch die allerverschiedensten Reize ein Geschöpf zum Abwerfen bestimmter Körperteile veranlaßt werden kann. Aus Raumgründen muß ich leider von diesem Versuche abstehen. Da- gegen möchte ich kurz auf die interessante Tatsache hinweisen, daß auch in der Technik der Selbstvcrstümmelungsvorgänge innerhalb Tier- und Pflanzenreich eine gewisse Gleichsinnigkeit herrscht; denn hier wie dort ist die Abstoßung eines noch durchaus frischen und gesunden Körperteils der Erfolg aktiver Tätig- ! e i t des-betroffenen Organismus. Im Tierreich man erinnere sich an die Eidechse, die, wenn man sie anfaßt, ihren Schwanz ab- wirft, an den Seestern, der(gepackt) seinen Arm hergibt, oder an die Krabbe, die ihr Bein im Stiche läßt wird die Lostrcnnung stets durch Muskelzusammenziehungen bewirkt, die so heftig sind, daß die Gewebe an der betreffenden Stelle zerreißen. Jm� Pflanzenreich fehlen natürlich Muskeln, und die Gewächse müssen infolgedessen zu jenen Hilfsmitteln greifen, deren sie sich immer bedienen, wenn es irgendeine heftige Bewegung zu machen gilt. Diese Mittel heißen: entweder rasches einseitiges Wachstum -einer Gewebescite oder plötzliche Aenderung des Zellsaftdruckes. Nach den Untersuchungen Fittings ist bei den sich selbst verstüm- melnden Pflanzen plötzliche Druckänoerung gewöhnlich der Träger der Ablösungsvorgänge. Indem sich in den lebendigen Zellen jener Trennungsschicht, die sich zwischen Blütenboden und Blütenblatt einschiebt, der Sastdruck plötzlich erhöht, zerreiht das TrcnnungS- gewebe, und das Blumenblatt fällt mitten im Leben zu Boden: als noch durchaus unverbrauchtes Organ. Fitting hat auch ganz recht. wenn er sagt, daß es sich hier nicht um eine Absterbeerscheinung handelt, sondern um einen Lebrnsvorgang, der gleich den Schlaf- bowegungen nur der direkte Erfolg gewisser wirksamer Anlässe ist, die von der Außenwelt auf die Pflanze einstürmen. Wenn er nämlich die Gewächse in Wärme- oder Sauerstoffstarre versenkte, fo blieb die Entblätterung aus. Die Gewächse waren gewissermaßen unempfindlich gemacht für die Reize, die aus der Umwelt auf sie «indrangen und ließen ihre Kronen erst zerfallen, wenn die Starre wieder gelöst war. Schwieriger als bei den Tieren ist es, einen biologischen Vor« keil für die Selbstzerstörunq der Blumen herauszurechncn. Fitting fand kernen. Man darf aber vielleicht doch daran denken, daß in Entblätterung durch Eimvirtung von Gklsen her- beigeführt wird, die Kronblätter auf die schädlichen Stoffe wirken Verantwortl. Redakteur.: Albert Wachs, Berlin. Druck u. Verlag:! wie Fließpapier auf Wasser, sich also gewissermaßen sehr rasch mit ihnen vollsaugen und dann abfallen, so daß ein Hinüberströmen jener giftigen Substanzen in die Pflanze verhindert wird. Hier- über könnten zukünftige Versuche vielleicht einige Klarheit schaffen. kleines Feuilleton. Kunstgewerbe. Arbeitermöbel. Im Gewerkschaftshause(täglich von 0 bis S, Sonntags von 12 bis 2) ist die neue Musterwohnimg zu sehen. Sie wurde von Peter Behrens geschaffen. Wir empfinden auch sofort etwas von der energischen Architektonik, die gewohnt ist mit eisernen Gerüsten und großen Massen zu wirt- schasten. Durch ein sehr einfaches System gelang eS, den Möbeln eine straffe Gedrungenheit und klare Gliederung zu geben. Bei den Kastenmöbeln(ausgenommen den großen Schrank) wurden die Seitenwände an der Vorderkante abgerundet; sie stoßen dadurch um ein weniges über den eigentlichen Körper und wirken(beinahe wäre man verleitet, von Säulen zu sprechen) als Träger de» Gerüste». Diese konstruktive Verdeutlichung wird dann weiter unterstützt durch die klare Abgrenzung der Füllungen von den Rahmen, der Deck- platten und auch der Füße von den Hauptkörpern. Die Schatten- bildung ist bei dieser Behrenstype stärker als bei Formen mir ganz glatten Wandungen; dadurch gewinnt das Möbel an Ausdruck und Eindringlichkeit. Ohne daß eine eigentliche Schmuckform(ausgenommen bei dem kleinen Schrank) zur Anwendung kam, ist durch die intereffante Profilierung der Gesimse, durch die Drebung der Füße und durch die Anbringung gedrehter Knöpfe(als Handhaben an den Schubladen und Türen) das Möbel um einige Grade steundlicker, zugleich lebenslustiger geworden, als die Theorie am Anfang glaubte. eS fordern zu müsien. Es ist diesmal auch eine Kommode auf- gestellt worden; damit aber nach Möglichkeit den Benutzern die Ordnung gesichert bleibe, bekamen die Schubladen geringe Tiefe. Der Lehnstuhl sei zum Probesitzen empfohlen. Das dicke Kisten, das lose auf gespannten Gurten liegt, ist eine redliche Verführung zum Behagen. Recht witzig ist die Anwendung von weißem Linoleum für die Platten des Waschtisches und der Nachtschränke; das wird den durch falsche Gewöhnung verbreiteten Wunsch nach Marmor hoffentlich verstummen machen. Die Karbenstimmung in ihrer Ganzheit ist eine Verstärkung solcher Einzelheiten; braun zu grün ist sie ernst und doch freundlich. Gar appetitlich geriet die Küche; auf sie kann Behrens stolz fein. Man darf getrost sagen, daß in ganz Berlin kaum eine Küche angeboten werden dürfte, die für den hier geforderten Preis auch nur annähernde Qualitäten auf« weisen würde. Reben der neuen BehrenStype gibt eS noch die von Münchhausen zu sehen. Sie hat das eine Kriegsjahr gut überstanden und wird auch künftighin der Idee eines bewußten Arbeitermöbels manchen Freund zu gewinnen wissen. Am Sonnabend um S Uhr pünktlich wird von der Kommission für vorbildliche Srbeiterwohnungen im großen Saale des G e w e r t- schaftshauses ein Lichtbildervortrag veranstaltet. Astronomisches. Di« Frau in der Himmelskund«. Die Astronomie ist feit langem die Raturwisienschast gewesen, die von den Frauen am meisten bevorzugt und auch gefördert worden ist. In früherer Zeit sind namentlich in Engtand wesentliche astronomische Forschungen von Frauen ausgeführt worden. Einen großen und berechtigten Ruhm haben sich auf diesem Gebiet Karoline Herschel . die Schwester de« großen Friedrich Wilhelm Herschel , und Lady Somerville er» warben. Jene entdeckte u. a. acht Kanteten, diese gab großartige Werke über die Himmelsmechanik und über die magnetische Kraft der Sonnenstrahlen heraus. Da? Beispiel eine« geradezu idealen Zusammenwirkens eines Ehepaares haben dann die beiden HugginS gegeben, die bis in ihr höchste« Alter alle, auch die schwierigsten astronomischen und astrophyfikalischen Untersuchungen zusammen ausgeführt haben. Lady HugginS wurde die für eine Frau einzigartige Anerkennung zuteil, daß sie von der Britischen astronomischen Gesellschaft zum Ehrenmitglied ernannt wurde. Ein große? Verdienst hat fich auch die kürzlich ver- storbcne Frau Fleming erworben, eine Schottin von Geburt, die sich an der Sternwatte der Harvard-Universität bei Boston mit der Durchforschung von photographischen HimmelSaufnahmen beschäftigt und dabei eine große Anzahl neuer Sterne entdeckt bat. Ein Frau« lein Elizabeth Brown war an der Britischen astronomischen Ver» einigung mit der Leitung der Abteilung für Sonnenforschung be- traut und führte mehrere weite Reisen zur Beobachtung voll- ständiger Sonnenfinsternisse aus. Fräulein Catharine SlevenS steht noch jetzt an der Spitze der Abteilung für die Beobachtung der Meteore, Nordlichter und des Tierkreislichtcs. Henrietta Leavitt ist eine würdige Nebenbuhlerin von Frau Fleming gewesen, indem sie gleichfalls an der Harvardsternwatte 25 neue veränderliche Sterile entdeckte. Eben erst ist jetzt in Paris eine junge Astronomin an der Pariser Sternwarte angestellt worden._ SorwärtSBuchSruckereiu.VerlagSanjto.lt Paul SingerscEo., Berlin LW.