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fids Bon hier entfernen, sonst machen wir Sie für die Folgen die Menschen, auch die Verbrecher, find nervöser geworden, und berantwortlich," sagt der Polizeiinspektor mit einem Blid, ber Unheil verkündet.

Belle sieht ihm in die Augen. Er würfe mich gern ins Befängnis, wenn er nur Mut duzu hätte," denkt er und jetzt ben Zug in Bewegung.

Draußen auf dem Gemeindeanger wogte die Volksmenge auf und nieder, in unruhigem Gewimmel. Von außen ge­fehen glichen fie einem finster empörten Meere. Um eine jede ber zahlreichen Rednertribünen stand eine dicht gedrängte Menge und lauschte den Führern, die die große Bedeutung des Tages darlegten. Aber die meisten waren heute nicht dazu aufgelegt, um eine Rednertribüne zu stehen. Man hatte das Bedürfnis, fich sorglos der Freude hinzugeben, nach all dem Garten, im Gras Kopf zu stehen und einen Augenblick Clown zu spielen. Auf dem großen Anger stand eine Gruppe neben ber anderen, essend und spielend. Die Männer hatten den Rock abgeworfen und rangen miteinander, oder frischten die Turnübungen aus ihrer Knabenzeit wieder auf. Man lachte mehr, als man sprach; machte jemand eine ernste Bewegung, fo wurde fie gleich in einen Kalaner aufgelöst. Heute war tein Ernst in den Leuten!

Belle ging langsam umher und freute sich über das Ge­bimmel, während er nach Frau Johnsen und dem Kinde fuchte; sie sollten hier draußen mit ihm zusammentreffen. Inwendig in ihm hinter all dem andern saß der Ernst und machte ihn still. Es müßte schön sein, hier so auf dem Bauch zu liegen, mitten in seinem eigenen Familienkreis, und hart­gefochte Eier mit Butterbrot zu essen oder mit Klein- Lasse auf den Schiltern herumzulaufen! Aber was nütte es, hinter einer Sache herzutrauern. Mit Ellen fonnte er ja nicht wieder anfangen, das Unmögliche stand zwischen ihnen. Klein- Lasse aus seinen Gedanken zu weisen, ward ihm am schwersten; er mußte sehen, ihn im Guten von Ellen zu be­Commen. Die Gesetze in Anspruch nehmen, um ihn zurück­guerlangen, das wollte er nicht.

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Die ganze Familie Stolpe lag in einem großen Kreis da und hielt Mahlzeit; die Söhne waren da mit ihren Frauen und Kindern, nur Belle und die Seinen fehlten.

Komm und lang. 3u," sagte Stolpe, sonst wird es zu spät Feierabend!"

" Ach, ja!" rief Frau Stolpe, es ist solange her, seit wir zusammengewesen sin. Wir brauchen doch nicht zu entgelten, daß Du und Ellen Euch nicht vertragen fönnt." Sie fann ten den Grund des Bruches nicht wenigstens nicht durch ihn, waren aber trotzdem freundlich gegen ihn.

Ich suche ja eigentlich nach meinem eigenen Proviant­forb," sagte Belle und ließ sich bei ihnen nieder.

( Schluß folgt.)

Verbrecher- Geständniffe.

Kriminalistische Studie von Albert Frid.

Zwei Kriminalfälle der jüngsten Zeit bieten Gelegenheit, das Thema der Verbrecher- Geständnisse einmal zu behandeln. Der eine Fall ereignete sich in Berlin : ein anscheinend schwächlicher und in der Tat schwer tranfer Mensch hat einen Raubmord aus­geführt und bei dieser Gelegenheit drei Menschen niedergeschlagen. Er iegt ein vollständiges Geständnis ab! Aber man will und kann ihm taum glauben, daß er allein die Tat ausgeführt hat. Er soll seinen Helfershelfer, Linen Mittäter nennen.

Der zweite Fall ereignete sich in New York . Dort hat vor Jahren ein Diener die Tat eines anderen, seines reichen Herrn, auf sich genommen und hat für sein angebliches, von ihm damals eingestandenes Verbrechen eine dreißigjährige Zuchthausstrafe er­halten, von der er einige Jahre bereits abgebüßt hat, ehe die wahre Sachlage jest zitage fommt.

Uns sollen hier uu nicht etwa diese beiden Fälle beschäftigen, fondern vielmehr die verschiedenen Umstände, unter denen ein Geständnis, das nach den Worten des Strafrechtslehrers an der Prager Universität, Groß, niemals als Beweis einer Tat, sondern nur als Beweismittel angesehen werden kann, zustande kommt, und wie es möglich ist, daß ein Unschuldiger ein Verbrechen, oder ein Verbrecher eine schwerere Tat, als er sie ausführte, oder die Mitschuld eines anderen auf sich nimmt.

Man hat in früheren Jahrhunderten Geständnisse durch die Folter expreßt, und mit Schaudern pflegen wir uns von dieser Grausamfeit abzuwenden. Aber gar zu fern steht auch unsere humanere Zeit solchen Schrednissen nicht. Gewiß, wir besiben leine Daumenfchrauben und ähnliche Marterwerkzeuge mehr, aber

manchen modernen Menschen gegenüber wirkt wohl unsere heutige seelische Folter, biel Tage langer Verhöre mit Kreuzfragen über die, intimften Vorgänge des Innern, nicht minder martervoll als die kürzere Prozedur der Daumenschrauben bei unseren Vorfahren.

Man tut aber auch zuweilen noch mehr. Man erzählt von einem Untersuchungsrichter, der einen ihm als starken Raucher bekannt geweſenen Untersuchungsgefangenen dadurch zum Ges ständnis brachte, daß er den Berbrecher, dem in der Unter­suchungshaft der Nikotingenuß völlig entzogen war, behaglich rauchend empfing und, als er sah, wie der Verbrecher gierig den Duft der Zigarre einsog, ihm freundlich eine Zigarre anbot. Der Gefangene griff erfreut nach dem lange entbehrten Genuß, biß die Spike ab. Der Kriminalist holte langsam aus der Tajche die Streichhölzchen hervor, und indem er sich anschiate, ein hölz chen anzuzünden, fagte er ganz gemütlich: Aber erst, Freundajen, sagen Sie mir, wir war das mit Ihrer Anlegenheit!" Und in diesem Moment, schwankend zwischen dem Verlangen nach der Bigarre und der weiteren, jeht um jo schwerer gewordenen Ents behrung, legte er ein Geständnis ab.

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Im Jahre 1820 wurde der Maler Gerhard von Kügelgen berühmt auch als Portraitist Goethes auf dem Wege von Losch wit nach Dresden ermordert aufgefunden. Fußtritte, anscheinend von zwei Personen, gingen von der Straße über einen Sturz ader, an dessen Rande die Leiche lag. Es schien, daß der Mord an der Straße ausgeführt, die Leiche dann nach der Fundstells geschleppt worden und dort beraubt war. Wenige Monate vorher war in der Nähe Dresdens die Leiche eines Tischiergesellen Winter aufgefunden worden, und mancherlei Anzeichen wiesen darauf hin, daß derselbe Täter bei beiden Morden in Betracht tam, und daß beim ersten Verbrechen der Räuber unter den Sol­baten zu suchen sei.

Bald meldete fich ein jüdischer Handelsmann, der eine filberne Uhr am Tage nach der Ermordung Kügelgens, als diese in der Stadt noch nicht ruchbar geworden, von einem Artilleristen gekauft haben wollte, und diese Uhr wurde als die des ermordeten Malers erkannt.

Dem Juden wurden sämtliche Artilleristen in der Kaserne borgeführt; er fand nicht den Verkäufer der Uhr. Aber an dem­felben Tag begegnete er einem Soldaten in bürgerlicher Kleidung und glaubte in ihm den Verkäufer der Uhr zu erblicken. Er redete ihn an, der Mann- ein Unterfanonier namens Johann Fischer­gab verworrene Antwort, Fischer wurde arretiert. Er leugnete, dem Juden die Uhr verkauft zu haben, er machte sich aber dadurch verdächtig, daß er auch behauptete, von dem Raubmord an Kügelgen, von dem die ganze Stadt sprach, noch nichts geivußt zu haben. Aber am Tage darauf gestand er ein: ja, er habe die Uhr dem Juden verkauft, den Rügelgen aber habe er nicht ermordet und die Uhr habe er gefunden. Als er aber dann dies Ge­ständnis widerrief, mußte er seine Uniform wieder anlegen und ward so noch einmal mit dem Juden konfrontiert, der nun be­stimmt aussagte, daß er der Verkäufer der Uhr nicht sei. So waren alle Indizien gegen ihn plötzlich hinfällig geworden. Gleich wohl behielt man ihn in haft, weil das Publikum und die Gea richte an seine Schuld glaubten. Und vierzehn Tage später ge­stand er ein, den Maler ermordert zu haben; den Mord an deur Tischlergesellen dagegen räumte er nicht ein. Einen Tag später legte er auch ein Geständnis über diesen Mord ab. Wieder einen Tag später, am 20. April, ward er an beide Mordstellen geführt, und er blieb bei seinem doppelten Geständnisse und gab an: weil er doch so ganz unschuldig in Berdacht gekommen, habe er geras sterben wollen". Am 23. April wiederholte er seine Geständnisse. Am 27. April widerrief er von neuem.

Inzwischen hatte am 24. April ein anderer jüdischer Handels­mann, Löbel Graf, vor Gericht deponiert, er habe von einem Unterfanonier Kaltofen Kleidungsstüde gekauft und da ihm diese verdächtig vorgekommen seien, habe er neuerdings den Kaltofen über die Herkunft der Sachen befragt und Kaltofen habe, nachdenz er erst Ausflüchte gemacht, angegeben, er habe die Sachen von dem verhafteten Ranonier Fischer gekauft.

Kalfofen, der als Bursche eines Offiziers nicht in der Kaserne wohnte, wurde verhaftet, man fand in seiner Behausung Schlüssel, die Mügelgen gehört hatten. Er sagte aus, daß diese Schlüssel in den Kleidern gestedt, die Fischer ihm verkauft hätte. Fischer ge stand, die Kleider an Kaltofen verkauft zu haben, nahm aber, noch ehe das Protokoll verlesen worden, das Geständnis zurück und sagte: Run fann ich nichts mehr sagen, mein Verstand steht miz still. Ich habe weder den Herrn von Kügelgen noch den Winter umgebracht und mich selbst nur aus Furcht vor noch schwererent Arrest fälschlich angeschuldigt."

Nachdem Kaltofen durch weitere schweriviegende Beweismittet beider Mordtaten dringend verdächtig geworden, gestand er end­lich beide Verbrechen ein und sprach Fischer von aller und jedez Teilnahme frei. Auch der erste jüdische Handelsmann erkannte ia Kaltofen den Verkäufer der Uhr wieder.

So schienen nun die beiden Mordtaten ganz geflärt. Da plötzlich fam Kaltofen mit der Behauptung heraus, Fischer sei bei beiden Mordtaten sein Mittäter gewesen. Bei dieser Behauptung blieb er auch, als er mit Fischer konfrontiert wurde, obgleid Fischer nun fest bei seinem Zeugnen blieb und schließlich auch