oB und zu Bat er Marcel, die FamilieuBiBliothek durchzusehen und ihm ein neues Buch über amor herauszusuchen, das er auswendig lernte, um sich mit Hilfe seiner neuerworbenen Kenntnisse unter seinen arabischen Jreunden an der Universi- tat in der großen Moschee D.jamatl ez-Zituna ein unerhörtes Ansehen zu verschaffen. Nur hatte überdies gewisse Eigenschaften, die Marcel auf die Dauer unerträglich fand. Es hatte ihm im Beginn ge- schmeichelt, wenn der junge Muhammedaner alles französische Wesen rühmte. Er zweifelte auch nicht daran, daß diese übrigens sehr äußerliche Bewunderung echt sei. Denn wie- wohl Nur, besonders bei ganz direkten Fragen, sehr verschlossen und geheimnisvoll sein konnte und aus Wohlerzogenheit eine Menge gefälliger Aeußerungen tat, mit denen er nichts meinte, verriet er doch in unbewachten Augenblicken seine allerinnersten Gedanken und Geheimnisse auf eine kindlich treuherzige Art, die trotz allem nach wie vor nicht verfehlte, Marcel zu entzücken. Nein, seine Fremdenbewunderung war tatsächlich echt, und sie würde Marcel auch kaum verletzt haben, wenn sie nicht ihren Ausdruck in einem beständigen Verspotten und Hofmeistern seines eigenen Volkes gefunden hätte, über dessen große Masse er sich hoch erhaben fand. Marcel, der selbst seine hauptsächliche Erziehung in einem fremden Lande genossen, unter lauter italienischen Kameraden, kannte eine weit würdigere Art, die Vorzüge anderer Nationen anzuer- kennen. Als sie dann im Lyzeum die Flammenworte lasen, mit denen Hasdrubals Weib den verräterischen Gatten brand- markte, ehe sie, verächtlich die Gnade des Siegers der- schmähend, ihre Kinder und sich selbst in den brennenden Tempel stürzte, hatte er Hasdrubal init Nurs Zügen vor sich gesehen. Und hatte er auch viele Gründe, diese ganze zur Schau getragene Verachtung für das eigene Volk nicht viel höher denn leeres Gerede zu taxieren, als ein Nachplappern der schmähenden und herabsetzenden Nörgeleien der Franzofen, so machte dies Nurs Haltung nur um so unsympathischer. Andererseits war er nicht blind für die zahlreichen Um- stände, die Nurs Benehmen entschuldigten, und ernstlich böse konnte er ihm schon aus dem einen Grunde nicht werden, weil er ihn nach wie vor als großes Kind betrachtete und be­handelte, das selbst keinen genaueren Ueberblick über die Tragweite seiner Gedanken und Handlungen hat. Wie wenig er sich in dieser Auffassung täuschte, ging daraus hervor, daß Nur selbst nie bemerkte, wie ihn sein Freund bloß als halb- erwachsen behandelte._(Fortsetzung folgt.) Im l�ebel. Ein Drama auf See von Hans Harmening. Mit einer Geslbwindigkeit von fünfundzwanzig Knoten jagte die Thuringia" über den Ozean. Wie der Pflug, die Erde durch- furchend. Schollen zu beiden Seiten wirst, so durchschnitt der scharfe Bug des Schnelldampfers das Meer und warf schäumende Wasier» masien vor sich her. Das Schiff befand sich auf der Höhe der Neufundlandsbanken.. Keine weihen Wellen, wie sonst, kräuselten das blau schimmernde Meer; dunkel, träge und unheilverkündend lag der Atlantik , wie eine unendliche, schwarze Wüste. Die Luft war schwül und feucht, und über das Wasser strichen vereinzelte leichte Ncbelschivaden. Kein Hauch war zu spüren. An Bord des Dampfers strahlte alles im hellen Lichterglanz und ein reges Leben herrschte auf den Promenadendecks. Es war die Zeit nach demDinner". Schöne Frauen in kostbaren Toiletten und elegante Männer in tadellosem GesellkchastSdreh, dazwischen liebliche Kinder, ergingen sich in der abendlichen Kühle. Die Schiffs- kapelle spielte ihre Weisen, und auf dem Achterdeck improvisierte die tanzlustige Jugend einen kleinen Ball. Alles atmete Frohsinn und Heilerkeit. Warum sollte man sich auch sorgen? Man war doch auf einem, schönen, starken Schiff und unter Führung eines Mannes, wie Kapitän Braunschweig , brauchte man nichts zu fürchten; nicht Sturm und Wetter... ... Kapitän Braunschweig stand auf der Kommandobrücke. Schweigsam und gedankenvoll starrte er in die dunkle Nacht. Neben ihm stand sein erster Offizier. Nebel", wandte der Kapitän sich jetzt kurz an diesen. Hm", erwiderle jener und zuckle nur mit den Achseln, als Zeichen seiner Hilflosigkeit. Dann sahen beide wieder in die auf- ziehenden Nebelschleier, die sich in immer schnellerer Folge jagten, bis sie zuletzt wie eine undurchdringliche Mauer das Schiff um­schlossen. Lassen Sie blasen," rief der Kapitän dem dritten Offizier zu. Im nächsten Moment erlönte auch schon dumpf heulend die Dampfpfeife. Unwillkürlich schrak der Kapitän zusainmen und griff an den Hebel des Maschinentelcgraphen.-- Durste er noch mit voller Kraft weiterfahren? Das Gesetz schrieb ihm vor, bei Nebel und unsichtigem Wetter mit verminderter Fahrt zu laufen. Ja, das Gesetz. Aber was würde seine Reederei sagen, wenn er mit Verspätung in den Hafen käme? Die hohen Konveniionalstrafen an das Reich, wenn die Post nicht rechtzeitig abgelicferl wurde, wer bezahlte die? Und was hatte der Inspektor ihm damals gesagt, als er einmal mit zweiundzwanzig Stunden Verspätung in New Dork eingelaufen war: Kapitän, Sie haben kein Glück I Das hieh so viel wie: Das darf nicht vorkommen, Sie müssen den Termin der Ankunft innehalten, Sie müssen eben das Glück verbessern, sonst Das laute Geheul der Dampfpfeife lieh den Kapitän zusammen- fahren, als hätte er einen Peitschenhieb bekommen. Krampfhaft umklammerte er den Hebel des Telegraphen. Da, war da nicht ein rotes Licht voraus? Maschine Achtung!* stellte er den Telegraphen. Doch es war nichls. Seine erregte Phantasie hatte ihn genarrt. Volle Kraft vorwärts I" Aber kaum hatte er den Maschinen- telegraph ausVoll" gestellt, da sagte ihm eine innere Stimme: Sieh Dich vor, sieh Dich vor l Du weißt, daß Hunderte von Fischer- fahrzeugen auf den Neufundlandsbanken herumtreiben. Willst Du durch Dein tolles Fahren den Fischern Tod und Entsetzen bringen? Willst Du deren Weiber und Kinder zu Witwen und Waisen machen? Und Dich, Dich werden sie ins Zuchthaus werfen, wenn Du mit Deinem Schiff ankommst. Dir werden sie Dein Patent nehmen, und Du kannst betteln gehen. Sieh Dich vor, sieh Dich vor!-- Dem Kapitän wurde heiß. Erregt riß er seinen zugeknöpften Mantel auf und wischte sich die feuchte Stirn. Finden Sie nicht, daß es etwas klarer geworden ist?" fragte er den ersten Offizier. Ein harter Zug ging über das glattrasierte, markante Seemannsgeflcht des Angeredeten. Ja, bedeutend." Es war eine Lüge, eine offenkundige Lüge. Aber nicht Leichtsinn oder Frivolität war eS, die ihn diese Antwort geben ließ. Der Mann wußte, wie es im Innern seines Vorgesetzten aussah. Er wußte auch, daß dieser nicht anders handeln konnte. Wortlos spähten die Männer nach vorn in den undurchdring- lichen Nebel, als könnten sie ihn mit den Augen durchbohren. Alles war still, nur leise tropfte die Feuchtigkeit von den Sonnen- segellatten. Vom Kajütssalon tönten einzelne Takte des ViljaliedeS bis auf die Brücke und entlockten dem Kapitän ein ärgerlichesver- flucht". Das Gefiedele machte ihn nervös. Schon wollte er den dritten Offizier hinunterschicken und die Musik aufhören lassen; aber er fürchtete, daß es Aufsehen erregen und die Passagiere beunruhigen würde und er unterließ es. Ein weißbejackter Kajütssteward kam auf Fußspitzen angeschlichen, um dem Kapitän den gewohnten Mokka und die übliche Habana zu zu bringen. Unschlüssig blieb er stehen, um dann auf einen Wink des dritten Offiziers wieder lautlos zu verschwinden. Aber gleich darauf tauchte die wohlbeleibte Gestalt des Oberstewards aus dem Dunkel. Mister Maclure möchte Herrn Kapitän einen Augenblick sprechen." Maclure Maclure? War da? nicht der Generaldirektor der englischen White Star Line ? Der ihn bei der Abfahrt von Southampton vor allen Passagieren blamieren wollte, weil sich diese wegen der Uebernahme der Post um eine halbe Stunde verzögert hotte. In seinem kanariengelben Ulster , die kurze Pfeife schief im Munde, hatte der lange Englishman sich breitbeinig vor ihn hin- gestellt und höhnisch gerufen: Was ist loS, Kaptain? Englische Schiffe gehen immer zur Zeit ab. Worauf er ihm kalt lächelnd erwidert hatte: Aber deutsche Schiffe kommen immer zur Zeit an. Sagen Sie dem Herrn, er solle sich zum Teufel scheren. Bestellen Sie dem Herrn, ich wäre nicht zu sprechen. Haben Sie gehört?" brüllte der Kapitän wütend, als der Obersteward noch stehen blieb. In den Gesichtszügen des Kapitäns spiegelten sich seine ganze» Empfindungen. Ein grimmiges Lächeln verzerrte seinen Mund. Wenn er überhaupt noch Bedenken gehabt hatte, mit voller Kraft weiter zu fahren, so waren diese jetzt verschwunden. Er mußte wcitcrjagen. Er durfte sich nicht verspäten. Seine Ehre stand auf dem Spiel, die Ehre seiner Reederei, die Ehre der deutschen Flagge. Wenn so ein schwaches, armseliges Fischerfahrzeug überrannt wurde, es waren eben Opfer des modernen Verkehrs. Der Schwache muß dem Mächtigen weichen.-- So suchte er sich zu trösten.-- Feuer rechts voraus I" ertönte da die Stimme des Ausgucks vom Mastkorb. Ein Ruck am Hebel des Maschinentelegraphen. Volle Kraft rückwärts. Hart Steuerbord das Ruder I"... tu spät.--- Ein Knirschen und Splittern vor dem Bug. vdcöschrei aus verzweifelten Mcnschenkehlen, dann war es still.--- DieThuringia" war in New Aork angekommen. Zur be- stimmten Stunde lag sie am Kai. Eilig und hastend verließen die Passagiere das Schiff. Ein kleines Mädel mit einem. Blumenstrauß in der Hand fragte nach dem Kapitän, um ihm Lebewohl zu sagen. Freundlich nahni ein Offizier die Kleine an die Hand und führte sie zur Kapitänskajüte. Er klopfte aiü Keine Antwort. Da öffnete er vorsichtig die Tür. Der Anblick der sich ihm bot, ließ ihm das Blut in den Adern erstarren. Leblos lag der Kommandant auf dem Sola, ein kleines, blitzende? Etwas in der schlaff herab» hängenden Rechten.