Anterhaltungsvlatt des DorwärtsNr. 84. Mittwoch� den 1. Mai. 1912r?!a»dru« verboten.?111 Suitana.Ein arabisches Frauenschicksal von Emil Rasmussen.Nur saß da und lauschte den Ermahnungen seiner jungenMutter— sie war bloß dreizehn Jahre älter als er— lauschtemit Leib und Seele, wie nur Kinder und Araber aufhorchenkönnen, wenn man Märchen erzählt.Im tiefsten Innern fühlte er nun allerdings seinenwankenden Glauben an Djinnen durch diesen starken Beweiswesentlich gestärkt. Aber als Student mit französischer Kulturkonnte er sich nicht von unwissenden Frauen aus dem Feldeschlagen lassen, weshalb er seinen zaghaften Zweifel mitaußerordentlich lauter Stimme äußerte.„Aber sag mir doch. Bruder, fiel Sultana ein, wenn DuDich nun in einer notwendigen Angelegenheit auf el kanifsetzest, sagst Du dann nicht, um Dich zu schützen, wie wir alleanderen: Eisen. Du böser Geist?"„Ich sage: b'ism Allah— in Gottes Namen— aber dasist etwas anderes. Das sage ich nicht der Djinnen wegen,sondern gegen el rul(den Zauberer)!"Si Hamzas Heimkehr zog sich hinaus. Er verrichtetesein Gebet und zwar in der Moschee der Hanefitten Saheb elTaba auf dem Halfauln-Platz. Als Sohn einer türkisch ge-borenen Mutter schloß er sich den Hanefitten an, die mit überder Brust gekreuzten Armen beten, was die meisten seinerLandsleute, die Malekiten sind und während des Gebetes wieLeichen die Arme längs des Körpers ausstrecken, als eineKetzerei betrachten, die unmöglich Allahs Gnade herabrufenkann.—Vater und Sohn speisten in der Speisestube des innerenHofes, und hier, wo kein Europäer sie beobachten oder verlachen konnte, saßen sie auf dem Fußteppich bei einem Tische,der nicht höher war als ein Schemel. Alle Gerichte wurdenzugleich vorgesetzt: Kuskus, Schafragout mit gekochtem Riesen-sauerampfer, Datteln und Mandarinen: dazu tranken sie eineArt sehr zuträglicher, eigentümlich zubereiteter saurer Milch.In seltsamem Gegensatz zu ihrer sonstigen Zierlichkeit undManierlichkeit nahmen sie das Fleisch mit den Fingern undlösten einander in mächtigen Rülpsern ab. die mit zum Wohl-behagen der Mahlzeit zu gehören schienen.Die Frauen speisten in der Küche.Lange saßen die beiden Männer, ohne einen anderen Lautvon sich zu geben, als den. der ihre fortschreitende Sattigkeitverkündete.Endlich brach Si Hamza das Schweigen.„Warum sehe ich Marcel Barriäre nie in Deiner Gesell-schaft?" scholl sein gewichtiger Baß.„Ich habe Dir gesagt,Du solltest seine Freundschaft pflegen, aus der Du großenVorteil ziehen kannst. Ist es etwa Deine Mutter, die meinenWillen durchkreuzt und Dich zurückhält."„Vater, ich war erst Freitag mit Marcel beisammen.Mutter warnt mich bloß, mich von seinem Glauben ansteckenzu lassen."„Deine Mutter haßt die Franzosen und will nicht ein-sehen, welche Vorteile wir durch sie genießen. Ich habe ihrbefohlen, Madame Barriöre, die ihr schon viele Visiten abge-stattet hat, zu besuchen, ober sie weigert sich. Es ist meineAbsicht, wenn sie fortfährt mir zu trotzen, sie aus meinemHause zu schicken und zu verstoßen."Nur tat einen tiefen Seufzer, wagte aber nicht, gegen dieväterliche Autorität zu mucken.Er erzählte Marcels Abenteuer und gab das Gesprächüber die Djinnen wieder, in der Hoffnung versöhnend einzu-wirken, da er die Eltern in diesem Punkte einig wußte.„Was die Franzosen betrifft, so gilt es. ihre Gaben zunehmen und ihren gottlosen Unglauben zurückzuweisen, der-setzte Hamza. An den Djinnen kann kein guter Muslimzweifeln. Die Djinnen aus Ninive offenbarten sich unseremPropheten, als er bei Sonnenaufgang unter dem Palmen-bäume betete, und verkiindeten ihm, daß die meisten von ihnensich dem Islam anschlössen. Darum beschützen diese gutenGeister unser Volk. Hierüber kannst Du Gottes Worte imKoran lesen."Er legte einen Augenblick die Hand über die Augen, umsein unfehlbares Gedächtnis zu prüfen.„Es steht im zweiundsiebzigsten Sure."Sie beendeten schweigend ihr Mahl.Nach der Mahlzeit brachte Sultana ein getriebenesMetallbecken und eine große Silberkanne mit von Zitronen»scheiden duftendem Wasser herbei, das sie ihnen über dieHände goß, während sie das Becken darunter hielt.Sie war noch in der Beduinentracht der Mutter. SiHamza, der sich schläfrig und satt auf einen Diwan geworfenhatte, folgte ihr mit den Augen, während sie beim Tischeschaffte. Dann fielen seine Lider zu, als sei er todmüde.Als Sultana zwei kleine Tassen mit arabischem Kaffeebrachte, der zu drei Vierteilen feingemahlener Bodensatz war,erhob er sich halb und leerte seine Tasse in einem Zug.Nur schöpfte Mut zu einer Frage.„Hast Du von der wunderbaren Zirkesserin gehört, Vater,die El Bidi dem alten Sjech aus Stambul mitgebracht hat?"Si Hamza fuhr auf. Der Ausdruck seines Gesichts warunbestimmbar und unbeschreiblich. Er blickte Nur mit großen,wachen, forschenden Augen an, als wüßte er nicht, was derSohn meine oder wie er seine Frage aufzufassen habe.„Die ganze Stadt spricht ja von El Bidis Dame. Wiesollte ich nicht davon gehört haben? Warum fragst Du?"„Ich denke daran, daß ich schon neunzehn Jahre bin. Ichsehne mich nach der Ehe. Wenn Du mir diese Dame kaufenwürdest, würde ich sie heiraten."„Du!" brach es aus Si Hamza hervor. Er war Purpur-rot geworden und seine Augen drohten aus dem Kopfe zuspringen.Aber mit einer plötzlichen Kraftanstrengung nahm er sichzusammen und fiel in seine olympische Ruhe zurück.„Du hast recht, mein Sohn. Aber diese Dame hat deinVater nicht die Mittel Dir zu kaufen."Damit sagte er Gutenacht und ging hinaus. Kurz daraufverließ er das Haus.Nurs Heiratsplänc waren nicht auf seinem eigenen Ackergewachsen.Lalla Djerida hatte sie ihm des Scheines halber ein-geimpft und ihn angetrieben, den Vater um die Schönezu bitten.'Kaum war Si Hamza fort, als sie kam und den Sohnausfragte.Als sie die Antwort und den Eindruck erfuhr, den dieFrage hervorgerufen, war sie sich klar über das, was sie wollte.Ihr ehelicher Instinkt hatte sie nicht irregeführt.Nun wußte sie, um welcher schönen Augen willen SiHamza die Nacht schlaflos verseufzte.5.Obwohl es weit über Mitternacht war, lag Sultana wachauf ihrem weichen Jungfrauenbett, das tagsüber ihr Diwanwar. dem einzigen Möbel ihrer kleinen 5lammer.Ein getigertes Miezekätzchen, das sie ins Bett genommen,hatte sich in ihren Armen in Schlaf gesponnen.Sie lag unbeweglich mit großen heißen Augen undsah durch das Eisengitter des Fensters hinaus in den Hof.Den Mond selbst konnte sie nicht sehen, aber sie folgtedem spielenden Schatten der Zypresse auf der weißen Mar»mormauer und dachte an Marcel.Sultana hatte die Träumerseele der Araber und war justim Alter der Rosenträume.Noch vor einem Jahre— ja da waren es andere Träumegewesen.Da hatte ihre Mutter ihr soeben ihr Liebesabenteueranvertraut, und welche Wucherbliiten hatte diese Erzählungin der Phantasie der Tochter getrieben!Djeridas Vater, ein Häuptling der Bcm-Zid, eines derAraberstämme zwischen Gabes und den großen Salzseen, dersich vor der Mischung mit Berbcrblvt am reinsten bewahrt hat,hatte sie, als sie in ihr dreizehntes Jahr ging, mit nach Sfaxgenommen. Es war das erste Mal, daß sie eine Kaufstadt!sah, und der Anlaß dazu war Aid el kcbir, das große Fest desIslams, an dem jede Familie ein Schaf opfert und die Be»duinen daher scharenweise in die Städte ziehen, um die OpfAS»tiere zu verkaufen.