Unterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 85.

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Sultana.

Freitag, den 3. Mai.

( Nachdruck verboten.)

Ein arabisches Frauenschicksal von Emil Rasmussen. Die folgende Nacht verbrachten sie bei einem Hrammés, halb Sklave, halb Pächter seines Vaters, und von hier aus sandte Hamza Nachricht über das Geschehene nach Sfax  .

1912

jammerte, die ihn bis in die Seele hinein verlegten, und über die algerischen Juden, die ihn zum Gegenstand des Gespötts machten, dann aber als eines Lichtpunktes Marcel erwähnte, der sich für den armen Angegriffenen in die Bresche gestellt und die anderen mit den Schultern an die Wand gedrängt hatte, dann zerschmolz fie geradezu vor Begeisterung. Auf diesem Wege hielt er seinen Einzug in ihr Herz.

Lange bevor sie ihn gesehen, hatte sie sich ein Bild von ihm geformt.

Als Marcel Nur zum ersten Male besuchte, stand sie schon in dem Alter, wo ein islamitisches Mädchen anständigerweise in den Harem gesperrt und den Blicken aller Männer entzogen wird. Von der Driba aus, in welche Marcel geführt wurde, konnte man weder den Marmorhof noch dessen Gemächer sehen. Aber sie war bei seinem Kommen und Gehen hinter einem Musjarabieh der oberen Wohnung gestanden, dessen dichtes Lattenwerk ihr gestattete zu sehen, ohne selbst gesehen zu werden, während Nur, der von ihr eingeweiht war, Marcel wie zufällig aufgehalten und dafür gesorgt hatte, daß er ihr das Gesicht zuwandte.

Der alte El Askari war ein mächtiger Caïd, der bewährte Statthalter der Stadt, der nicht bloß die oberste Richtergewalt in der Uzara und die ganze Exekutivmacht des Distrikts, sondern zugleich auch die Würde eines Steuereinhebers in seiner Person vereinigte. Dies legte Amt bedeutete den traditionellen Weg der Aristokratie zum Neichtum, da man nach Belieben Steuern ausschrieb und nach den verwickelten Gummiparagraphen des Gesetzes in die Staatskasse einzahlte; aber die Kehrseite der Medaille war, daß diese Würde ebenso unfehlbar Todfeinde verschaffte. Als Hamza, der einzige Sohn des Hauses, verschwand, lag es für El Askari nahe, an einen Rachemord zu denken. Sowohl er wie seine vierte Gattin Lalla Hanifa beweinten ihn schon als tot, als seine Sie erinnerte sich ganz gut, daß sie das erste Mal ein Botschaft anlangte, daß er sich bloß ein Weib geholt habe. wenig enttäuscht war. Er war schmächtiger als das Bild, das Kein Wunder, daß er den elterlichen Segen auf der Stelle fie sich von Nurs Beschüßer gemacht hatte. Indessen erhielt; Lalla Hanifa betrachtete sogar Djerida als die so seltsam geht es zu je öffer sie Ge Retterin ihres Sohnes und bewahrte ihr ihre Güte bis zu Tegenheit hatte, ihn zu sehen, desto mehr war es eben dies ihrem Tode. Schmächtige, biegsam Schlanke seiner Erscheinung, das sie Mabruka, die Tochter jenes Hrammés, der dem jungen bezauberte. Sein Gang hatte etwas ganz Besonderes. Es Paare Obdach gegeben, folgte ihnen nach Sfax   und blieb seit- gab Leute, die behaupteten, er ginge wie ein Dromedar, das her bei ihnen. Sie war an einen alten Hrammés verkauft will sagen, sehr zierlich und behutsam. Andere fanden, er worden, der sie abwechselnd prügelte und liebte und sie hart stolziere wie ein Storch. Mit etwas bösem Willen konnte arbeiten ließ. Ein ums anderemal lief sie heim, wurde aber man sich recht gut über seinen Gang lustig machen. Er jedesmal zurückgeschickt zu noch mehr Prügeln und noch ruderte sich mit den Schultern weiter, drückte gern die Ell­brennenderer Liebe. Sie war soeben vor einigen Tagen bogen an die Hüfte und hielt die über den Daumen ge­heimgekehrt, weil ihr Mann gestorben war. Abends hatte ballten Hände gerade vor dem Magen. Sultana aber sah ihm noch nichts gefehlt. Er hatte nur eine Schüssel Kuskus nur den eigentümlichen Rhythmus dieses Ganges  ; sie war gegessen, die Mabrufa zubereitet hatte. Des folgenden bezaubert von diesem Rhythmus, ahmte ihn nach, lebte in ihm Morgens war er also tot. Mabrufa zerriß sich die Wangen und mit ihm, wenn sie allein war. als Zeichen ihrer Trauer. Abends wurde er begraben. Mabrufa atmete leichter.

Und was Djeridas Bater betraf- so ließ auch er sich besänftigen. Aber zuerst ließ er sich bitten.

Der marokkanische Tbib war kein Narr, der sich wegen eines Turteltaubenpaares mit einem ganzen Stamm ver­feindete. Wohl sprach er mit Djerida, aber zuerst sprach er mit ihrem Vater, und der Alte war nur allzu glücklich über die Aussicht, mit einem so mächtigen Manne wie El Askari ver­wandt zu werden. Er wußte im Vorhinein genauen Bescheid über die Flucht, war aber wiitend und verzweifelt, als sie ent­deckt wurde; denn er fürchtete, der mächtige Caïd könnte seine

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Sein Gesicht hatte sogidich ihren Vorstellungen ent­sprochen; sie wußte, es würde schmal und bleich sein, mit dünnen Lippen, etwas vorstehenden Backenknochen und großen, in tiefen Höhlen liegenden dunklen Augen von einer glimmenden Glut, aber ohne blizendes Feuer. Im Grunde sah sie sein Antlig nur das erste Mal Zug für Zug, wie es in Wirklichkeit war. Schon beim zweiten Male hatte die Liebe, die nötigenfalls in einem Holzkloß ein Götterbild er­blickt, ihr Dichterwerk begonnen. Da wurden die bleichen Wangen und die Schwermut der Augen nicht Ausdruck einer schwächlichen Konstitution, sondern Symbole eines geduldig ergebenen Herzens, einer feinen, ja weiblich feinen Seele, und sie freute sich, in dem carmen Licht dieser Augen den Ebenso gut wußte Djerida selbst, daß feiner im Lager Stählernen Glanz, das feurige Begehren zu vermissen, die sie so oft in den Blicken anderer Männer erschreckt hatten. ihnen nachsehen würde. Aber sie genoß die ganze Spannung in Hamzas Flucht, in seinem wilden Ritt ums Leben. Sie So traf es sich, daß Sultana, Tochter des Riesen, Tochter vertraute ihm auch ihr Geheimnis nicht an. Weder damals noch später. Erst als Sultana groß genug war, das ganze Abenteuer zu hören, amüsierte sie sich gemeinsam über den gefoppten Si Hamza.

Mitschuld argwöhnen.

In dem ganzen Jugendabenteuer der Eltern war nur eines, was Sultana fesselte: die Flucht über die Steppe. Abend und Abend hatte sie sich wie ein Kind, das immer wieder dieselbe Geschichte genießen kann, in diese Episode hin­eingeträumt. Sie hatte im voraus in dem Rausche geschwelgt, borne auf einem fliegenden Renner zu siten, die Arme um einen starten, mutigen Araber geklammert, der ihr Herz besaß. Noch jetzt konnte sie des Abends zuweilen in diese Träumereien versinken, aber sie waren in den Hintergrund gedrängt worden; die Träume hatten einen lebenden Menschen als Mittelpunkt erhalten, ein Gesicht, um das sie kreisen fonnten.

Der Held ihres findlichen Frauenherzes war Marcel. Sie hatte ihn eigentlich als Erbteil von Nur über nommen, der zu ihm aufsah, ihn bewunderte und seine Worte ftets als unumstößliche Wahrheiten anführte.

So viel Weisheit ließ Sultana natürlich falt, aber wenn thr lieber Nur heimkam und über die französischen   Jungen

des wilden Beduinenweibes, sie, die sich einen speereschwingen­den Almansur als Bräutigam geträumt hatte, in Demut niederfiel vor der Weiblichkeit eines Mannesherzens, vor dem mindeſt friegerischen und körperstarken der jungen Männer

in Tunis  .

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Selbst die künstlerische oder wenn man so will fommt ja oft auf dasselbe hinaus ein wenig weibliche Bierlichkeit seiner äußeren Person mißfiel ihr durchaus nicht. Sie sah etwas unendlich Vornehmes in seinen hellen, leichten Tropentrachten, in seiner Vorliebe für gestickte Hemden in zart gedämpften Farben, in den hochristigen Stiefeln, die seinen fleinen Fuß so weich umschlossen und immer glänzend weiß waren wie frischgefallener Schnee.

Die Zeit verstrich. Sie hatte gedichtet und geträumt, ihn verschönt und vergrößert; täglich hatte die Liebe neuen Wein aus ihrer reichen Phantasie gesogen.

Und als sie dann endlich draußen auf Sidi bel Hassen ihrem Prinzen begegnete, ihm ganz nahe war, ohne das Holz­gitter des schützenden Musjarabies zwischen sich und ihm, da hatte es sie plößlich unwiderstehlich überkommen, ihm ihr Antlitz und ihre Liebe zu offenbaren.

Seit jenem großen Merktag ihres Lebens hatten Traum