Mnierhaltungsblatt des Vorwärts Nr. 86. Sonnabend den 4. Mai 1912 13] Suitana* (?!a»druck verboten.) Ein arabisches Frauenschicksal von Emil Rasmussen. Sultana stand weist wie die Mauer und wagte vor Ent- setzen nicht zu schreien. Weder Hamza noch die Mutter gaben einen Laut von sich. Man konnte nicht wissen, ob er sie nicht getötet hatte. Endlich schleuderte er sie von sich und sie stand ganz stramm auf den Beinen. Geh, woher Du gekommen I brüllte er heiser. Du bist für mich wie ein totes Ding! Abermals durchfuhr es Sultana. Das war die fürchter- liche Verstostungsformel selbst, die unwiderrufliche! Hamza ging wieder hinein. Der Schmerz hatte Lalla Djerida keinen Laut erpreßt, über als ihr brutaler Ehegenosse die Türe zuschlug, reckte sie zwei drohende Arme verwünschend nach ihm aus und machte sich Luft in einem wild scharrenden, schrillen Kreischen. Auch sie soll für Dich werden wie ein totes Ding! lautete ihr Fluch. Sultana öffnete einen Spalt ihrer Türe und zog die Mutter zu sich herein. Das gelbweiste Gesicht war über- strömt von Blut, das aus den zerbissenen Lippen guoll. Sie sprach nicht: sie warf sich stöhnend in einem Anfall krampfhaften Zitterns auf das Bett, aber ohne Schluchzen, ohne Tränen. Sultana legte sich auf sie, ihr Trost ins Ohr flüsternd. Ibrahim, der Kutscher, hat sich gerächt, weil ich seine vorjährigen Diebstähle verriet, brach Djerida aus, als sie endlich sprechen konnte. Er hat Sidi Hamza erzählt, daß wir Freitag dem Schlangenbändiger zusahen. Der Hund, er hat mir versprochen zu schweigen! Und er hat gelogen oder Sidi Hamza lügt. Er be- schuldigt mich, daß ich mich von einem Rumi   umarmen liest. Oh ich Unglückliche! Warum mußte ich Dich mit zu bem Mssama locken! Ich bin schuld, daß Vater Dich verstößt! Sultana war in diesem Augenblick nicht weit davon, das Schicksal zu verwünschen, das sie in Marcels Arme geführt hatte. Nein, meine kleine Sultana. es ist nichts als ein Vor- wand. Hätte Dein Vater nicht diesen, so gebrauchte er meine Weigerung, Madame Barriöre zu besuchen oder irgend etwas anderes. Er lauert ja fast seit einem Monat darauf, mich zu verstosten, weil mein Kontrakt ihm verbietet, zwei Frauen zu nehmen und er darauf brennt, El Bidis Cirkesserin zu heiraten?" Sultana war von der Gemlltserregung so erschüttert, daß sie in Tränen ausbrach. Weine nicht, meine Sultana, auch Du kannst ja bald dies Haus verlassen. Aber sollte wirklich jene andere als Braut in Sidi Hamzas Hofe sitzen, dann schwöre ich bei Bel- Abbas, daß sie und Hamza dieser Brautnach eingedenk sein sollen, bis sie sterben!" 6. Eines ftühen Vormittags einige Tage später wurde Lalla Djerida in das Frauengefängnis oder, wie der Volks- Witz es getaust hat: dar sokna b hosna,den lieblichen Auf- enthalt" übergeführt, wo die verstostenen Ehefrauen saßen und sich grämten, bis der Kadi die Sache untersucht hatte und die Scheidung vollzog. �Si Hamza war gleich des Morgens fortgegangen. Sultana lag in verzweifeltem Weinen auf ihrem Divan, von einem sprühenden Hast auf den Vater erfüllt. In einem Winkel des Gemachs saß Mabruka auf dem Boden, die Knie bis unter das Kinn aufgezogen und be- weinte den Verlust ihrer Herrin, die sie niemals als Dienende, weit eher als Schwester behandelt hatte. . Draußen im Hofe war Kmar, eine alte Negerin auS dem Sudan  , das einzige Wesen, das sich hörbar machte. Sie wurde zu der gröberen Vormittagsarbeit verwendet, war aber verheiratet und wohnte, ebenso wie der Kutscher Ibra- him, nicht im Hause. Man hörte den Türhammer von dem Korridor de? Vorderhauses dröhnen.' Und gleich darauf meldete Kmar, dag Risja Selluf, die jüdische Krämerin, die im Hause aus und ein ging, mit zwei großen Bündeln voll köstlicher Waren draußen stehe. Sultana überlegte einen Augenblick. Es waren ja die großen Tage in dem einsamen Haremsdasein, wenn Risja mit ihren Bündeln kam. Nicht nur, daß sie das Haus mit Augenweide füllte, ihre Besuche brachten auch in anderer Weise erwünschte Abwechselung: sie wußte über die geringsten Dinge Bescheid, die in den besseren Harems, in denen sie ihre Kunden hatte, vor sich gingen. Nichtsdestoweniger ließ Sultana antworten, sie möge ein andermal wiederkommen: heute sie ihr Besuch ungelegen. Kmar kam sogleich mit dem Bescheid zurück, daß Si Hamza persönlich nach der Krämerin gesendet habe. Sultana stutzte zuerst, dann fuhr sie mit einem kalten Schauer zusammen: sie erinnerte sich plötzlich, daß Risja ja auch mit Frauen handelte, auch Heiraten zustande brachte. So laß sie kommen!" Risja entsprach ihrem Namen nicht, derFeder" bedeutet. Alle Jüdinnen in Tunis   sind Fabeln von Fett. Sie mästen und spicken sich wie Strastburger Gänse: tun sich an leckeren Hündchen gütlich wie die Oasenvölker bei Chott el Djerid, stopfen sich mit schweren Kuchen an, die so honigsüß sind, daß sie in den Zähnen knirschen, und setzen in Halbdunkeln Käfigen Fett an alles, um den verirrten Geschmack ibres künftigen Bräutigams zufriedenzustellen. Unter diesen fetten Damen war Risja ihres Fettes wegen berühmt. Sie war die Fabel der Fabeln. Und die jüdisch-arabische Tracht ist nicht er- funden, um Körperreize zu verbergen. Risjas Beine waren in einem Paar schwarzer Atlasbeinkleider ausgestellt, die sich eng wie eine Aalhaut bis hinab zu den Knöcheln schlössen, wo sie in Seidensocken verschwanden. Der Oberkörper war besser versteckt in einer losehängenden spinatgrünen Seidenbluse und einer lveisten Draperie, die von der Spitzenbrokatl>a»bc über Schultern und Brust he» abfiel. Auf der Straße allerdings war dies Ensemble verhüllt von dem weißen Seidenhaik, und nur der Durchmesser erregte Entsetzen. In dem alten Ghetto El Hara gab es Gäßchen, wo aller Verkehr stockte, wenn Risja hindurch wollte. Sie hatte Sultana kaum begrüßt, als sie schon auf dem Divan an ihrer Seite Platz nahm, die Pantoffeln abstreifte und beide Beine mit einer Geschwindigkeit unter sich kreuzte» die man diesem wandelnden Speckfaß niemals zugetraut hätte. Während die Negerin, die ihre Bündel trug, die Herr- lichkeiten öffnete und auf dem Fußboden ausbreitete, legte sie selbst augenblicklich den Finger an den wunden Punkt, der ja doch nicht zu umgehen war. Sie wußte genauen Bescheid iiber alles Vorgefallene, be- dauerte die Mutter, pries sie mit einer kleinen trockenen. geborstenen Stimme, die sich nur mühsam und mit keuchen- den Intervallen durch das Fett der drei Kinne hervorzwängte, und suchte die Tochter zuletzt damit zu trösten, daß sie ja nun erwachsen sei und bald heiraten könne. Dann würde sie ihre Mutter wiedersehen können.__ Sultana fragte sie angstvoll, ob sie nicht glaube, daß Si Hamza die Mutter wieder zurücknehmen würde. Sidi Hamza will ja heiraten. Er muß sich scheiden lassen. Selbst wenn Lalla Djerida ihre Einwilligung zu einer Nebenfrau gäbe, würde dies nichts helfen. Denn die- jenige, an die er denkt, will allein sein. Weißt Du denn, an wen er denkt?" An dieselbe, auf die ganz Tunis   seit der letzten Zeit versessen ist. Es ist wie ein ansteckendes Fieber, das in die Stadt gekommen ist, obwohl niemand sie gesehen hat. Ich habe sie gesehen, und schön ist sie. aber für Deinen Vater wird sie ein wenig gepfeffert sein. Noch vor drei Tagen stand sie auf siebentaufend Franks, heute ist sie zehntausend wert. Man sagt, ein Prinz von Geblüt hätte seine Garne darin. Wer weiß! Vielleicht besitzt Si Hamza nicht den Goldhaken» mit dem sie gefangen werden muß. In diesem Fall wird er sich einen Wert wie Deine Mutter nicht für alle Zeit ent- gehen lassen das ist meine Meinung." Vater ist sehr reich!"