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Ach, immer Deine faulen Lieder!... Petrow!" wandte er sich an den Apotheker. Was meinen Sie zu der Jdee, Michel durchzuprügeln?" Warten Sie I" flehte ich. Wollen Sie nicht, daß ich Ihnen erzähle, wie ich mich vor der Rekrutierung gedrüdt und zwei der schlauesten Häscher an der Nase geführt habe?"

Haben die Geschichte schon genug gehört. Wirklich, ich muß Dich durchprügeln!"

Es soll mir die Grillen vertreiben, ich sterbe vor Langeweile!"[ ein moralisches. Nicht umsonst beschäftigt sich der Dichter fo antwortete er. leidenschaftlich, wie in den Broschüren Du darfst ehebrechen" Wollen Sie nicht," unterbrach ich in einschmeichelndem Zon, oder Brief eines Vaters unserer Zeit" mit ethischen Fragen. wollen Sie nicht, Herr Defonom, daß ich Ihnen das Lied vom Aber man tann das Problem gerne noch weiter fassen: als Beit­Teufel auf dem Ofen vorsinge?" problem. Die Bindungsflucht, die den Elenbergschen Menschen tennzeichnet, ist ein bedeutsames Stigma unseres fulturellen Le bens. Eins ist der bürgerlichen Welt verloren gegangen: ein großer Glaube als zentrale, alles belebende und bindende Macht. Geblieben sind ein Haufen von Richtungslinien, die mit der Idee der Vergangenheit zusammenhingen und nun noch immer ihre Geltung für das Individuum beanspruchen. Neue Bindungen bil­den sich, die aber als äußerlicher, nicht von einem lebendigen Geiste getragener Zwang empfunden werden. Das Individuum fühlt, daß Dinge Beschlag auf seine Entschlüsse legen, die zu seinem Wesen nicht in dem mindesten inneren Verhältnis stehen. Die Folge dieser Empfindung ist die Isolierung, die anarchistische Bin­dungsflucht, die heute in den Kreisen der Intelligenz sich immer stärker vollzieht. Hier berührt Eulenbergs Wesen, das in seiner individuellen Artung einen zeitlosen Charakter trägt, sich mit der Beit und beleuchtet sie durch die Gegensätzlichkeit um so stärker. So wichtig diese Einsicht ist, so erklärt sie natürlicherweise nicht den Dichter Gulenberg, diese nur einmalige Umsetzung eines ganz individuellen Welterlebens in Farbe und Rhythmus von in­dividuellster Betonung. Man muß den Eulenbergschen Menschen in seinem Handeln und Empfinden und vor allem in seinem Empfindungsausdruck ins Auge fassen, um einem vollständigen Begreifen des Dichters und seines Werdes näher zu kommen.

BeJch tönnte mich auch gleich auf den ersten besten werfen," mischte sich, die Knie reibend, der Apotheker ein.

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Verdammter Abend!" brummte der Inspektor. Teufel doch irgendeinen Schafskopf herführen möchte!" Wartet 1" fagte plöglich der Defonom, ich habe eine Idee! Wenn Michel sich nach fünf Minuten nichts ausgedacht hat, schneide ich ihm den Bart ab.... Nimm die Uhr, Michel, und zähle!" befahl er faltblütig, mir die Uhr reichend.

Die Geschichte drohte schlimm zu werden. Der Defonom pflegte in folchen Fällen nicht zu spaßen, und ich sah an dem Ausdrud seiner Augen, daß es mir nicht gut gehen würde.

Herr Defonom 1" begann ich in fläglichem Ton und hielt plög­lich lauschend inne.

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of Was ist das?" fragte er, ebenfalls die Ohren spizend. Ich glaube, es tommt jemand hierher... hören Sie?" Wir lauschten alle. Es tam tatsächlich jemand. Nach einigen Minuten bemerkten wir, wie ein Mensch vom Türkenbrunnen her mit zaghaften, ungleichen Schritten sich uns zu nähern begann. Bielleicht der Türke?" meinte ich vielsagend.

Scher Dich zum Teufel mit Deinem Türken!" sagte der furcht­same Apotheker böse.

Der Mensch näherte sich und ich erkannte ihn sofort. Leiboticka?!" rief ich erstaunt.

Leibotichka?!" riefen im Chor der Apotheker, der Dekonom und der Inspektor. Wie kommst Du hierher?"

" Ja, Leibotschka!" antwortete, traurig den Kopf schüttelnd, als ob ihn etwas ersticke, der Mufitant.

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Was machst Du hier?" fragte ich. Spielst Du denn heute nicht?" Nein Jch komme, um Medizin bitten, Herr Apotheker , irgendeine Medizin. Mein zweites Kind ist sehr trant ge­worden. Was heißt das Dein zweites?" fragte ich, ihn argwöhnisch betrachtend. Ist denn das erste beffer geworden?" Ja, beffer", antwortete Leibotfchla seufzend und zupfte an seinem Bart. Gestern abend ist es gestorben."

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Was, Leibotichla? Bei Euch ist ein Kind gestorben?" fragte der Inspektor.

Gestorben, Herr Inspektor, Gott sei Dank gestorben 1"... ,, Gewiß ist das zum besten"... fügte er traurig hinzu. ( Schluß folgt.)

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Zeitgenoffe Eulenberg.

Die Natur wagte mit Herbert Eulenberg einen Anachronis­mus; aber es wurde ein kulturelles Anpassungsproblem. Sie wollte den in unbeirrter Instinktsicherheit handelnden natürlichen ( Rousseauschen) Menschen; die Zeit jedoch und ihr Menschenprodukt: der Bürger, machte diesen Wilden unsicher, spaltete ihn. Sie unter­band das Motorische und wühlte, Unfrieden und Empörung stif­tend, im Gefühlsleben des Ungebändigten. Da wurde Herbert Eulenberg , gehemmter Tatmensch, aum Dichter. Es ist die Re­volte des Gefühls, die in seinen dichterischen Visionen sich ein Ventil zu schaffen sucht.

Gefühl ist Alles bei Eulenberg; subjektives, eigensinniges, anarchisches, felbstherrliches Gefühl, gegen das der Intellekt, die intelligente Einsicht nicht ankommt. Alles jetzt er auf diese Karte. Maßlos, heiß, überschäumend: ist es das Mächtige, Selbstverstände liche. Noch in seinem jüngsten Roman Katinta, die Fliege" preift er die unbedingte Sicherheit des Instinkts, die den Menschen und Hunden und allen gezähmten Geschöpfen in der Zwangsjade der vielfachen Gesellungsbindungen abhanden gekommen ist, und er träumt von den Menschen des 30. Jahrhunderts, die wieder einfach und felbstverständlich zu handeln vermögen, neue Griechen, heitere Individualisten.

Beitlos nannte ich den Dichter, und es würde auch vergeblich sein, das Klima seiner Seele historisch abgrenzen zu wollen. Es gibt gewiffe Neigungen bei ihm, die in die Zeiten ungebundenen Abenteurertums und in die Atmosphäre verschollener Kriegsläger verweisen. Auch eine feine fleinstädtische, etwas bizarre Architet tur von vor hundert Jahren samt den zugehörigen Kostümen stellt er in Erinnerung an E. Th. A. Hoffmenn und Jean Paul wohl einmal hin. Aber nun von einer historischen Echtheit sprechen zu wollen, wäre unsinnig. Es ist romantische Gefühlsprojektion eines einsamen Träumers.

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Zeitlos ist auch der Mensch Eulenbergs; allein im All, fremd unter den Menschen, daheim nur im Chaos seiner franken Ge fühlswelt; ein einsam überreizbarer Träumer, dessen Gemüt jedem Druck der Luft nachgibt und jeden Nadelstich als Hölle empfindet. Jedem Ding gibt er die Farbe des Traumes, und steht verwirrt, und erschredt, daß die ganze Welt nicht diese Farbe trägt. Bis zum äußersten verleßlich ist er, als ob die Nervenendungen zuckend bloßliegen. Jm Ulrich von Waldeck" hat der Dichter die Genesis seines Helden gegeben. Ueberempfindlich, ein lyrischer Schwärmer, steht Ulrich in der Schranzenwelt, die ihn umgibt. Sein Gefühl ist offen, rein und glühend. Er möchte Herzen öffnen, daß fie im selben Gefühlston reden wie er selber. Men­fchen seht, so spricht mein Gefühl, möchte ei ihnen zurufen, Men­fchen, gebt mir recht." Er will den natürlichen Menschen, und nicht eine Gallerie stummer Mumien. An der Verschlossenheit der an deren wird er frank. Die Menschen greifen in sein Gefühlsleben hinein, schänden es, weil sie nicht auf Gefühle, sondern auf Inter­effen Rüdsicht au nehmen gewohnt sind. Da geht Ulrich wie Limon von Athen in die Wälder, zu Jgel, Eichkaß und den Nachtigallen, und füttert seinen Menschenhaß, bis er wie ein wildes Tier in feinem Innern tobt; bis das Gefühl schwärt und eitert und zu einer irren Rachsucht wird, die maglos, alles niedersengend, wie Brand aus ihm herausbricht.... Hier liegt die Wurzel, daraus das tragische Verhängnis dieser Menschen sprießt: ihr weit ausschwin gendes Gefühlsleben kann zum eng gezogenen, aus Klugheiten, Rüdsichten und Beschönigungen zurechtgeflidten Dasein des Alltags nicht in die Wage kommen. Sie fönnen nur in den Träumen der Nacht leben. Das Eichmaß, nicht das geistige, sondern das des Empfindens läßt sie nicht unter den anderen Menschen aus­halten. Sie finden sich ifoliert, fremd vor Gott und den Men schen. Einsam stehen sie im All, schaudernd erfüllt vom Gefühl der Sinnlosigkeit alles Geschehens. Und sie ziehen sich zurück in die große dunkle Höhle ihres Jch und lassen die Träume immer zuchtloser und wilder aufsteigen und zur rasenden vernichtenden Flamme werden; hinauswachsen wie eine Flamme aus dem First Ein eines Hauses, das von ihr langsam eingeäschert wird. Angstgefühl befällt diese Menschen selber, wenn sie eines Tages wie in einen schauervollen Abgrund in ihr herrenlos gewordenes Innere hinunterstarren; aber sie sind die willenlos getriebenen, die Opfer ihres einsamen, erkrankten Blutes.

So wird das Problem vom Durchbruch der Gefühle durch die Sphäre des bewußt gelenften Willens das durchgängige Problem des Eulenbergschen Schaffens. Die Angst vor dem Verwildern des entzündeten Blutes, vor der Zuchtlosigkeit, vor dem in tollem Das Gefühl, der Instinkt ist das Gute, ist Sicherheit, Klar. Gischt und Taumel aufbrausenden Blute, das den bewußten heit. Unsicher, trübe wird er erst dann, wenn die Schnürbrust Willen überschäumt und wegschwemmt und den Menschen in unnatürlicher Hanlungsvorschriften ihn einengt, daß er nach Innen sein Schicksal hineinreißt wie in ein fremdes vorüberfahrendes schwelen muß. Da wird das Gefühl verwirrt, die Gradlinigkeit Ding, aus dem er nicht mehr herauskommt", wird zum dichteri­des Handelns gebrochen. Sucht aber der tranfgewordene Instinkt schen Grunderlebnis. Das Eulenbergsde Drama seßt dort ein, sich seinen Ausweg, eruptiv, alle Schranken individueller und sozia- wo der physische Mensch dem moralischen zu lebenentscheidenden ler Bindungen niederbrechend, so wird er zum moralisch Bösen, Ringen entgegentritt, einem wilden Tiere gleich ihn anfällt und zum Verbrechen. Hier seht Eulenberg, der Dichter, ein. Hier am ihn würgt, bis die lekte Lebenskraft des Individuums erschöpft ist. Zusammenstoß des subjektiven, in sich selbst beschlossenen Gefühls mit dem sozialen Bindungswillen. Das Problem ist, allgemein gesehen, aus dem speziellen dichterischen Erlebnis herausgenommen,

Der Austrag eines inueren Erkrankungsprozesses, einer tod bringenden Spaltung des tiefsten Lebensterns ist dieses Drama. Sie ein ungeheures Etwas, wie eine unheimliche Höhle voll