Noch hängen einige Geschützrohre auS den Panzertürmen, aber Ifie bewachen nur 12 große Anker und für 2 Millionen altes Eisen, sich selbst. Ein Amerika -Dampfer soll heute aus Hamburg kommen, um die Kabinenpasiagiere und das Gepäck aufzunehmen, die mit Extra- zug hergefahren werden. Ich sah am Quai der Gesellschaft einen hohen Bug vorragen und eilte hinzukommen. Er lag schon lange da. Eine dichte Menge stand vorn im Zwischendeck und suchte sich die lange Wartezeit, bis der Extrazug käme, zu vertreiben, so gut es ging. Es war eine Mischung jener Typen, die gerade dem Berliner gilt bekannt sind. Junge Burschen machten ihre Witze und Glossen, fielen gierig über jeden Zwischenfall, jede Schwäche der anderen her. um ihr rohes Gelächter loszulafien, in das die Betroffenen furchtsam einstimmten. Kleine Familiengruppen ließen sich unterscheiden. Kinder drehten sich im Kreise, aber zu fern lag das hohe Deck, und zu trübseligen Be- trachtungen schien mir kein Grund vorzuliegen. Fast alle haben fie den Mut, unleidliche Berhältniffe durch die Abwanderung zu zerbrechen. Ein blechernes Geschmetter mittschiffs lenkte mich ab..Der Zug,' sagte mein Nachbar und wies rückwärts zum Bahnhof der Hamburg- Amerika- Linie . Da erschien auch schon der Zug der Kajütenpassagiere, dem die Mufik galt. Wie auf der Bühne schritten fie in langen Gruppen zur Treppe Italiener in Pantinen, elegante Handlungsreisende mit der neuen gequollenen Reiseonkelmütze und dem Kabinenkoffer, kleinbürgerliche Familien, Bauern und die Ullstein-.Dame' mit hohen Hacken und Papagei- buntem Gockelhut. Mein Nacdbar zeigte mir den Kriminalbeamten, der oben von einem Deck herabspähte und mit einem Helfer Zeichen tauschte. Der dicke Herr hatte schon manchem.Europamüden' zu längerem Verweilen zugeredet, der seine Beute bereits halbwegs gesichert wähnte. Die Blechmusik ging wieder loS. Es kam der zweite Schub. die erste Kajüte. Das Zwischendeck reckte die Hälse. Warum diese schlechte Behandlung der Zwischendeckreisenden, an denen die Gesell- schatten am meisten verdienen? Eine Gesellschaft, die nur«ine Klaffe und gleichmäßige Behandlung bei gleichem Preise und guter Leistung vorsähe, würde vielleicht ohne alle die Umstände und An- forderungen, die die Kajütengäste machen, bester abschneiden. Aber wann wird man bei uns von dem Kastendünkel abkommen? Das Schiff hat seitswärts einen Schnabel aufgesperrt; einige Leute füllen es mit den Handtaschen, Körben und einer Zahl der Stewards, was Schiffskellner bedeute: und wie Sluhrt klingen muß: Oben sehe ich jemand mit einer keinen Fahne spielen. Er winkt damit, und ich sehe, vom Mast des Minenlegers antwortet ein Matrose ebenfalls mit einer Fabnc..Die unterhalten sich', erklärt der Nachbar..Was sagt er jetzt?' ,O, ob wir nicht ein wenig plauschen können.' Er drehte die Fahne einmal nach links, dann nach rechts. Dann ging eS schnell, wie ein Taubstummer die Hände, zog er die Fahne schnell hin und her und der drüben machte ähnliche Bewegungen mit zwei Winkflaggen..O, jetzt ftagt er, wie das Wetter draußen stn See) wäre.' Auf der Kommandobrücke erschien neben dem Käpttän der Lotse. Inzwischen war der Schnabel geschlossen, die Taue gelöst, der Schlepper ging zur Hilfe gegen die zurücktretende Flut mit, die Musik spielte:. Muß idenn, muß i denn', und nach langen Manövern und Abdrehen fuhr er seewärts. Die Taschentücher wurden von den Scbirm- spitzen eingezogen und manche Mutter versteckle ihren Kopf in Tüchern und der Mann sah steif die graue stille Elbe hinab und fühlte die dumme Frage, warum das nun wär, daß der Jumg nicht im Lande vorwärts käm und so weil weg müßte, damit er ihnen helfen könne. Drüben ist die»alte Liebe', auf dem Wellmeer wohl so bekannt, wie Bahnhof Friedrichstraße dem Europäer , denn alles was nach und von Hamburg kommt, grüßt zunächst oder zuletzt dieses Boll« werk von Cuxhaven ..Olivia' hieß ein abgetakeltes Schiff, das hier einst als Anlegestelle diente..Olle Liewe' machte daraus der Seemann scherzend und in seiner Art symbolisierend. Nun bat man auch eine.neue Liebe' geschaffen, aber was hat fie noch mit.Olwia' und dem schönen.olle Liewe' zu tun? Noch vieles gibt eS in dem Hafennest, in dem wirklich sonst nichts loS ist. Ein Semaphor zeigt in sechs Armen, welche Windstärke und Windrichtung auf Helgoland und Borkum ist. Eine große Anlage von Drähten und Masten dient dem Funkipruchwesen. Abends be- ginnen der alle Leuchtturm und viele Bojen ihre Lichtwellen aus- zusenden. Dazwischen enthüllen sich plötzlich wohl die sonst verdeckten Strandbatterien. Ferne, scharfe Kommandos er- schallen. Scheinwerfer tasten mit breitem Band über die totensttlle, nächtlich« Elbe und hängen sich an eine helle Wand, die dort schwimmt. Kommandos, Krachen und so minutenlang, bis der Scheinwerfer sein Licht wieder verschluckt und Stille einttitt oder ein Ozeandampfer aus allen runden Luken leuchtend mit hestigem Gelute Durchlaß durch das Schutzfeld ver­langt und erhält. Lange hört man nun nichts, als das Stoßen seiner Maschinen und das Pratschen der beiseite gestoßenen Wasser. Hrtur Scbnltzlcr. Die Jubiläumsreife, die früher nicht vor dem SV. Jahre ein- treten durjbe, hat man nun schon längst aus SV. herabgesetzt, mit einer so wohlwollenden Dringlichkeit� als handle es sich um die Herabsetzung LeS PensionsalterS. DaS laufende Jahr bringt eine ganze Reihe deutscher Dichter als solche Pensionäre. Artur Schnihler eröffnet sie am 15. Mai. Das gibt manche Gelegenheit zur Rückschau auf die jungen Tage unserer modernen Literatur« die nun allmählich, im dritten Jahrzehnt, der Jugend entwachsen ist. Aber daß diese Gelegenheit,-ja vorliegenden wie in den weiteren Fällen, besonders zur Freud, oder auch nur zur Genugtuung stim» men könnte, läßt sich kaum behaupten. Man fragt sich: Weichs Versprechen hat jene Generation eingelöst, die um 1890 auf den Plan trat und sich aus den Kräften und Kämpfen der Zeit einen neuen Inhalt erobern wollte, um der Kunst neue, jenem Inhal» kongeniale Formen zu bescheren? Jeder ist seine eigenen Wege gegangen, mit mehr oder mit weniger Glück, mit mehr oder weniger Gönnerschaft, mit mehr oder weniger Ehrlichkeit. Aber all dies« eigenen Wege haben doch nur in das Land der Literatur geführt» in die kleine Welt des Individuums und seiner Klaffe, der fie durch Geburt oder Erfolg zugeteilt waren, über die sich hinauszuschwingen. um das Volksganze zu überschauen, wohl keinem jener Generation» des Naturalismus gelungen sein dürste. Unter dieser Fahne fanden sich im übrigen so viel Köpfe, f» viel dissentierende Sinne zusammen. Auch Schnitzler hat nie im entferntesten zu denKonsequenten' der Schule gehört. Er ist von Anfang an ein sicherer Virtuos der Bühnentechnik, der über- lieferten(selbst der Jbsenschen) gewesen; ein Kultivierer mehr de» geistreichen, gepflegten, als des blutvoll charakterisierenden Dialogs. Von der starken Morgenbrise sozialen Mitgefühls, die damals wenigstens in Norddeutschland die Dichtung durchwehte, ließ sich bei Schnitzler nie ein Hauch verspüren. Seine Perspektive ist nie eine andere gewesen, als die der gebildeten Wiener Bourgeoisie, die neben der Bildung noch immer vor dem Wohlstand mindestens ebenso viel Respekt hat, wie vor der zwar nicht gebildeten, aber dafür ihr äußerlich um so imposanteren Aristokratie. Etnxis Hoffnungsloses liegt in der Sattheit und Stagnation dieser Mener Bvurgeoisieschicht, die so klug und so ironisch, aber auch so senti- mental über sich selbst zu reflektieren versteht, der aber jeder Ge- danke an Zukünftiges und an» eigene Tatkraft verdorrt zu sein scheint. Was ihr in ihrer engen Welt der Betrachtung, Entwickelung und Diskussion würdig bleibt, ist lediglich noch das Verhältnis der Ge- schlechter zueinander. Und wenn Schnitzlers und seiner Umwelt Geschmack ihn auch hierbei vor der kindlichen Animalitäd der Fran- zosen bewahrt, so entfernt er sich wiederum darin nicht gar so weit von ihnen, daß er seine Probleme dieser Art gewöhnlich dort enden läßt, wo sie für das spirituellere norddeutsche und nordeuropäische Empfinden erst recht eigentlich beginnen. Die physische Vereint» gung bleibt die Hauptsache, Wort und Gefühl das Beiwerk. Die nun 16 Jahre alte SzenensolgeA n a t o l" ist SchnitzlerS Lebensklima sozusagen bis heute geblieben. Die Auffassung seiner dichterischen Mission hat Hofmannsthal , damals noch Loris, in den Eingangsversen charakterisiert:Also spielen wir Theater, Spielen unsre eignen Stücke, Frühgereift ujch zart und traurig, Die Komödie unserer Seele... Böser Dinge hübsche Formel, Glatte Worte, bunte Bilder..." Ein Spiel, ein intellektueller Lujus» den sich ein ftühreifer, müder Sinn mit der Welt, seiner Welt allerdings nur, leisten darf. Diese Welt war im Anfang die des süßen MädelS", das in der Stadt von den jungen Bürgerherren geliebt und in der Vorstadt von braven Handwerksmeistern ge» heiratet wird, wie sich ungefähr dieser Zynismus des Besitzes an Menschenleben mit unschuldiger Nonchalance imAnatol" auS- drückt. Und imWeiten Land" von 1911 steht es so wesentlich anders nicht um das, was die Menschen bewegt. Sie sind zum Teil älter und bürgerlicher geworden; aber ihres Herzens letztes Trachten wird doch von der Frage ausgefüllt, mit wem man dem» nächst das Bett teilen wird. Schnitzler durchstreift diese Welt mit» einem sichtbaren und nicht einmal unappetitlichen Wohlbehagen» und eS ist wohlverständlich, wenn seinesgleichen in dieses Wohl- behagen mit hineingezogen wird. Denn jede Kunst findet ihr dank- bares Publikum bei dem Kreise, der sich in den Werken dieser Kunst widergespiegelt findet. Daß dies in SchnitzlerS Fall nicht oie aufstrebenden Volksschichten sind, bedarf wohl keiner weiteren Erörterung. SchnitzlerS künstlerische Begabung bleibt auch streng auf jenes Gebiet beschränkt. Wo er jemals den Versuch gemacht hat, darüber hinauszugehen, hat er sich starke geistige und künstlerische Blößen gegeben. ImFreiwild" noch am wenigsten, da hier der Fall sozialer Vogelfreiheit doch eigentlich nur den Hintergrund zu einer der vielen Süßen-Mädelgeschichten abgab. Auch der Spott gegen den aristokratischen Familienstolz inKomtesse Mizzi' ist wahr- haftig ein kaum noch zeitgemäßes, jedenfalls sehr billiges Ver- gnügen. Aber das vorgeblich tragische Motiv eines todgeweihten Reiterregiments, das, eine alte Scharte auszuwetzen, mit dieser Aussicht in den Krieg geschickt wird(imRuf des Lebens"), ist die erschwitzte Heroensttmmung eines Mannes, der eigentlich nur in Anatols parfümiertem, dämmerigem Musikzimmer zu Hause ist, das an das Schlafzimmer stößt. Und gar sein Versuch, sich(wie imJungen Medardus") mit der Historie einzulassen, zeigt ihn auch nur wieder als den Dichter desAnatol" im Wen von 1809 und dort auch allenfalls noch glaubhaft. Wo er aber diese Sphäre verläßt, um den männlichen Kampf und die Unbarmherzigkeit des Kriegsschicksals zu zeigen, da bleibt seiner Phantasie nur die Wahl zwischen der patriotischen Schulanekdote und dem Dumaschen Kolportageroman ,»kc.