Anterhaltungsblatt des'Vorwärts Kr. 99: Freitage Ken 24. Mai. 1912 lNachdruck versote«.! 261 Suitana. Ein arabisches Frauenschicksal von Emil Rasmussen. v Abdallah aber schien ein Mann mit Prinzipien zu sein und zugleich ein Mann, der diese Prinzipien durchzuführen wußte mit einem Mllen, der gehärtet und geschärft war in dem fruchtlosen Kampfe wacher Nächte, sich Gott zu nähern. Er las ihr Antlitz ab wie ein Thermometer und bemerkte ihre Scheu recht wohl. Er sah auch, wie erhitzt sie war und schlug vor. sie möge baden. Im selben Atem fügte er hinzu, daß er selbst weiter draußen hinter der Landzunge baden wolle. Sultana willigte ein. Sie war ja trotz alledem eine Taube in den Klauen des Adlers. Sie hatte heute Mabruka, ihre zweite Mutter, nicht bei sich, bei der sie sich Trost holen konnte. Da war es doch befreiend, den Adler für eine Weile außer Sicht zu wissen. Es war das erste Mal in ihrem Leben, daß Sultana in der See badete. Und wie an einem solchen schwülen Sciroccotage, wo der Schweiß auf der Stirne und an den Mundwinkeln perlte, die See lockte und zog l Sie entkleidete sich rasch und lief hinab zum Wasser, mußte aber auf halbem Wege nochmals umkehren und in ihre Pantoffeln schlüpfen, so unerträglich brannte der Sand unter ihren Fußsohlen. Das Meer war niedrig, aber im Begriffe zu steigen. Die letzte Flut hatte etwa zehn Meter draußen eine solide Sandbank abgelagert und solcherart einen ganzen kleinen See eingedämmt, dessen seichtes, sonnenerhitztes Wasser blank und stille stand. Dies Bauen von Eintagsbrücken schien wie eine Kinder- laune der See und gefiel Sultana ausnehmend. Sie plätscherte in dem warmen Wasser umher mit der Neugierde und den für alles offenen Augen eines Kindes. Hier gab es genug zu betasten für solch kleines Mädchen, das nicht viel anderes von der Welt kannte als das eigene Eltern- haus. Sie untersuchte eine nach der anderen, alle diese schnurrigen Raritäten, die das Meer ans Land spülte. Da waren moosgrüne Bälle, die bohl schwappten. Steckte sie einen Finger durch, so floß alles Wasser aus, und das war ja nicht so merkwürdig, aber wie war das Wasser hinein- gekommen? Ob es eine Art Tiere waren, die trinken konn- ten? Dann gab es schneeweiße Sepiaschilder, deren Ur- sprung oder Bestimmung sie nun gar nicht begriff, aber mit denen sich gut im Sande graben ließ. Da waren ganze Schwärme winzigkleiner Fischchcn, die der Damm eingesperrt hatte. Sie erbaute selbst neue Sand- bänke, um noch kleinere Seen abzugrenzen, in denen sie die Fische mit den Händen greifen wollte, aber die Behendigkeit der Tierchen machte diese kluge Taktik zu schänden. Als die Sonne die weiße Seidenhaut des Rückens so un- barmherzig sengte, legte sie sich auf den Magen und plätscherte und lief auf dem Strande umher, bis sie wieder trocken war., Als sie an sich hinabblickte, war der ganze Körper mit einem feinen weißen Puder bedeckt, so salzig war das Meer. Wo sie sich mit den Fingern berührte, blieb ein Zeichen zurück. Plötzlich besann sie sich auf ihre Umgebung und sah sich um. .. Immer noch kein Mensch zu sehen. r' Wie wunderlich war es doch, an dieser öden Küste zu stehen, die sie nicht kannte und an der sie nichts zu tun hatte! Sie gedachte schmerzlich der Heimat, der Mutter und Nurs. Und wie mochte es Zleira gehen und dem Vater? Sie trocknete eine Träne von jeder Wange. Dann aber tat sie einen tiefen Seufzer und sagte sich selbst, dies komme nur daher, daß sie Mabruka heute nicht bei sich habe. Es war schon über eine Stunde vergangen, worüber sie selbst sich jedoch keine Vorstellung machte, als sie sich über die Sandbank wagte, die die steigende See wieder zu ver- schlingen im Begriffe stand, und die Wellen an sich heran- kommen ließ. Da hörte sie eine Stimme vom Lande und sah Abdallah oben auf dem Ufer stehen. Er rief ihr zu, sich nicht weiter hinaus zu wagen, da der Grund plötzlich jäh abfalle: aber Sultana hörte ihn nicht. Sie war verletzt, daß er so plötzlich kam und sie überraschte, und ging weiter hinaus, um sich von dem Wasser verbergen zu lassen. Als sie sich umwandte, kam Abdallah das steile Ufer her­abgestürzt. Sie verstand seine Absicht falsch und begann sich zu fürchten. Sie war heute so erregt, daß das Geringste ihr Herzklopsen verursachte. Das Wasser ging ihr nun ungefähr an die Brust. Da kam eine mächtige Woge ihr entgegengerollt. Sie fühlte, wie sie sie hob und trug. Sie wurde umgerissen und focht ver- gebens mit Armen und Beinen. Die Woge zog sie mit sich zurück. Sie fühlte ein behagliches Sausen vor den Ohren und im letzten Augenblick einen kräftigen Griff in ihr Haar. Dann nichts mehr. Als sie wieder erwachte, lag sie im Sande, eingehüllt in Abdallahs Bcrnus. Sie fühlte einen schneidenden Schmerz und bat ihn sich zu entfernen. Er küßte sie mit einem wunderlichen Lächeln und ging seiner Wege. Als er fort war, schlug sie den weißen Bernus beiseite und erschrak. Als sie am späten Nachmittag zurücksegelten, lag sie bleich und verwirrt im Hintersteven des Bootes und dachte nur an den getöteten Delphin  . Abends, als sie sich Sfax   näherten, segelte eine ganze kleine Flotille illuminierter Boote ihnen entgegen. An Bord waren sowohl Aissauias wie Kadrijas, die den Marabu aus Gafsa   ehren wollten. Den ganzen nächsten Tag verbrachten die Neuvermählten in Hamzas trotz all seinem Verfall noch prachtvollen Hause. Mabruka war wieder bei ihnen. Aber Sultana weinte von Morgen bis Abend keiner wußte lvarum. XII. Bei Sonnenuntergang des vierten Tages langte die kleine Hochzeitskarawane in El Gettar an, das zwischen Djebel Orbatas und Djebel Berdas ragenden Gipfeln in der Nähe eines Salzsees liegt und von wo aus sie nur eine kleine Tagereise nach Gafsa   hatten. Für Sultana war die Reise anstrengend genug gewesen. Sie und Mabruka waren auf je einer Seite desselben Kamels gesessen, vollständig verhüllt von einem ausgespann- ten Baldachin aus rotem gestreiften Seidenstoff. Dies kleine Zelt sammelte nicht nur ihre eigene Körper- wärme und die des Kamels, sondern wurde überdies von den unbarmherzigen Sonnenstrahlen wie ein Treibhaus durchglüht. In der drückenden Hitze hatte die von dem Paß- gang des Reittieres hervorgerufene rüttelnde Bewegung des Unterkörpers, die anfänglich ganz angenehm war, auf die Dauer leicht Ueblichkeiten im Gefolge. Von den Landschaften, die sie durchzogen, bewahrte Sul- tana nur eine schwache Vorstellung. Sie konnte durch ihr kleines Guckloch nicht viel sehen, und was sie sah, erschien ihr einförmig und ohne großes Interesse. Als sie nach einem langen Ritt durch die unvergleichlichen Oliven- und Obstwaldungen, die Sfax   in meilenweitem Um- kreis umgeben, die Steppe der Nomaden vor sich liegen sahen. schlug das Unbekannte ihr entgegen mit einem beklemmen- den Gefühl rauhen und trüben Ernstes. Nur hie und da erblickten sie die Stoppeln eines ge- mähten Kornfeldes. Der Beduine ging schon hinter dem Pfluge, der mit einem Kamel, einem Esel oder dem Weibe des Pflügenden, zuweilen aber auch mit einem Esel und dem Weibe bespannt war. Der größte Teil der Landstrecken aber schien nie den Pflug gekannt zu haben. Hier schoß das grobe Halfagras von selbst empor, wenn die allzu spärlichen Regen- güsse es erlaubten, oder welkte, vom Scirocco versengt, dahin. Da und dort stand eine einsame vergessene Olive und rang ihren tausendjährigen Stamm, wie in nie versiegendem Schmerze ob dieser Landschaft, deren üppige Gärten Md MM &-