Er anttöoriete nicht, sondern schwatzte nur dtauf los, ganz deralte fröhliche Bursch; er plauderte und lachte, als wolle er sich fürjahrelanges Schweigen entschädigen. Dabei schleppte er mich ineins der feinsten Hotels und ins Cafe hinein, wo man nur Gold,Stuck und große Spiegel sah.„Findest Du es hier nicht großartig?" fragte er mich, sich aufein Sofa hinrekelnd.Ich mutzte gestehen, daß ich mich in einer gewöhnlichen KneipeWohler fühlte.„Das ist das Sklabenmerkmal. mein Freund!" rief er lachend.„Wer nun sollst Du etwas kriegen, was Dir gefallen wird!" Errief den Kellner und bestellte ein Getränk, das ich nicht einmalden Namen nach kannte.Ich mußte überhaupt immer von neuem seine vornehme Lebens-art und seine Bekanntschaften bewundern. Fortwährend stand erauf und begrüßte elegante Damen, und er benahm sich, als wär erals Graf zur Welt gekommen.Ms wir aufbrechen wollten, faßte er erschrocken an seine Brust-täsche.„Ach, hör mal! Leih mir doch zehn Kronen!" flüsterte erund lachte etwas verlegen.—„Ich Hab kein Kleingeld bei mir!"Das war so'ne gebräuchliche nette Redensart vom Gerüst her.„Aber Tu bist doch so reich!" rief ich erstaunt.„Pah, die paar Oere, die Hab ich schnell durchgebracht; jetztleb ich davon, Schulden zu machen. Du entsinnst Dich wohl noch:in der Physik haben wir mal gelernt, daß ein Ziegelstein, der vomfünften Stockwerk herunterfällt, imstande ist, einen anderen Ziegel-stein wieder ebenso hoch zu heben. Genau so ist's hier, siehst Du!'Hat man fünfundvierzigtausend vermöbelt, so kann man Schuldenin der gleichen Höhe machen, bevor das Seil abgelaufen ist.' Undwenn ich erst verheiratet bin, dann...."Er versprach, mir mein Geld umgehend wieder zurückzu-schicken; ich mußte ja davon leben, bis ich Arbeit bekam. Na, ervergaß es allerdings; aber ich fand gleich nach meiner HeimkehrBeschäftigung. Unsere Schornsteinbauerei hatte Meister Olsen Mutgemacht, und er hatte die Maurerarbeiten für eine Kirche über-nommen. Ich kam wieder als Handlanger an.Eines Tages, mitten im Sommer, standen wir beisammen aufdem Gerüst und verschnauften uns. Es war sehr warm und wirhatten uns drüben im Konsumverein Bier geholt und trankengerade«inen Becher zum Gedächtnis des schwindsüchtigen Käme-raden, der kürzlich gestorben war. Da sahen wir auf der staubigenLandstraße einen jungen Burschen, der ein Bündel unterm Armtrug, herantraben. Er schwang den Stock und sang aus vollemHalse.„Der da hat keinen Staub in der Kehle", sagte MeisterOlsen, und wir anderen lachten.„Aber zum Kuckuck! Ich glaubewahrhaftig..Es war wirklich Ludwig. Wie ein Waldteufel kletterte erüber die Laufbrücken des Gerüsts, stand mit einem Sprunge voruns und warf sein Bündel auf die Bretter.„Tag, Meister! Kannich wieder ankommen?" fragte er ganz vergnügt. Und fünf Mi-nuten später war er umgekleidet und schon emsig bei der Arbeit.„Geheiratet hast Du also damals nicht?" fragte ich mit einigerSchadenfreude, als wir wieder im alten Gleise waren.„Ach, das war alles dummes Zeug! Das heißt: für jemand,der Geschmack an so was findet, für den mag's ja recht hübschsein. Aber ich für meine Person bedank mich dafür.——— Undwie geht es mit dem Klub?"„Ja, der war natürlich in Stücke gegangen."„Dann müssen wir ihn wieder auf die Beine bringen, Du—und überhaupt die Agitation'n bißchen in die Hand nehmen. Dennich will Dir mal was sagen: es gibt Leute, die sie auf Kosten desarmen Mannes betreiben— Lebemänner, verstehst Du!"Er hatte ja selber Erfahrung auf diesem Gebiet. Seinem Be-nehmen merkte man übrigens selten etwas an; sein Humor warder alte, und er bereute nie. die paar Moneten durchgebracht zuhaben. Er war König für einen Tag gewesen; es gefiel ihm abermindestens ebenso gut. auf dem Gerüst zu stehen und von dort ausdie Zukunft zu betrachten.lNaSdruck verboten.)ktockverrat für die Dynastie.Der steinalte Emile' O l I i v i e r, der letzte MinisterpräsidentdeS zweiten französischen Kaiserreiches, veröffentlicht in der„Revuedes Deux Mondeü" Auszüge miS dem neuesten Band seines großenWerkes über da«„Liberale Kaisertum", das vor allem seiner eigenenVerteidigung dienen soll, aber eine Fülle historischen Tatsachen-Materials enthält. Der im ersten Juniheft der genannten Zeitschriftabgedruckte Beitrag enthält die Enthüllung eines von dem Verfasserselbst geplanten Staatsstreiches, der das durch die Volksentrnstungnach den ersten Niederlagen von 1870 bedrohte Kaiserreich rettensollte. Der saubere Plan, den der alte Intrigant mit merkwürdigerUngeniertheit aufdeckt, stellt sich als würdiges Gegenstück zumBanditenstreich vom 2. Dezember dar, das den dritten Napoleon zumHerrn Frankreichs gemacht hatte.Am 8. August 1870 erschienen zwei Manifeste der oppositionellenDeputierten und der Journalisten. DaS zweite forderte die allge-meine Bewaffnung der Bürger und die Errichtung eines a»S Depu-tierten bestehende» VcrtcidigungSkomitees. Der Ministerrat unter»drückte zunächst die Zeitungen, die den Vorschlag unterstützten. Inder Kammer formierte sich indes eine Deputation, die von de»Kaiserin die Entlassung des Ministeriums verlangte; am Abendsammelten sich Volksmassen auf den Straßen und fordertenWaffen. Ollivier hielt eS unter diesen Umständen für das beste»den Kaiser, der ohnehin Physisch außerstande war, das Kommandoder Armee zu führen, nach Paris zurückkommen zu lassen.Da sich die republikanische Bewegung— Ollivier sagt:„DasKomplott"— im ganzen Land immer stärker kundgab, hielt er esnötig, sie zu zerschmettern— angeblich weil das die einzige Chancewar, gegen den äußeren Feind siegreich zu bleiben. Dazu aber wardie Anwesenheit des Kaisers in Paris nötig. In dieser Situationkam der Minister des Innern Chevaudier zu Ollivier und legte ihmeinen ausgearbeiteten Staatsstreichplan vor. zu dessen Ausführung erschon die notwendigen Vorkehrungen getroffen hatte. Ein Staats-»schiff war nach Granville beordert und die Westbahngesellschaft an»gewiesen, in der Nacht vom 8. zum 9. einen Zug mitgeheizten Kesseln zur Fahrt dorthin bereitzuhalten. DerPolizeipräfekt Pietri hatte den Auftrag bekommen, den Unter-suchungsrichter zu berufen, der die Haftbefehle unterzeichnensollte und die zur Vornahme der Verhaftungen nötigen Polizei-Mannschaften bereit zu halten. Die Personen der revolutionärenFührer waren dem Präfekten nicht erst bekanntgegeben worden,„daer sie selbst besser kannte" als der Minister, dagegen war eine List«von 22 Deputierten der Opposition aufgestellt, die ver-haftet werden sollten. Unter ihnen waren Arago, JuleSFavre, Gambetta. Jules Ferrh, Pelleta n. HerrChevaudier war so gütig, seinem Spießgesellen Ollivier zu ver-sichern, daß ihnen kein Leid angetan werden würde. Es handlesich nur darum,.der Revolution ihre Fahne und ihre Köpfe zuentreißen".Ollivier stimmte dem Vorschlage zu und korrigierte nur dieProskriptionsliste ein wenig. Auch erklärte er, erst nach der Be-seitigung der Regentschaft der Kaiserin, mit der er auf schlechtemFuße stand, losgehen zu wollen. Zu einem solchen gefährlichenUnternehmen sei gegenseitiges Vertrauen nötig, wenn der Kaiser dasei. könne man die Sache indes wagen.— In diesem Sinnemodifizierten die beiden Ehrenmänner ihren Plan. Amnächsten Morgen wollten sie von der Kaiserin die Rück-berufung des Kaisers unter Vorwänden militärischer Natur ver-langen. Würde der Kaiser sofort nach der telegraphischen Verständi»gung abreisen, könne er noch in der Nacht in St. Cloud sein unddas von Ollivier vorbereitete Dekret unterzeichnen, das die Ver-tagung der Kammer anordne und so die Immunität der Ab-geordneten si stiere. Gleichzeitig sollte ein anderes Dekreteinen Staatsgerichlshof in Renncs einsetzen,„damit das Publikumwisse, daß es sich uin einen legalen und nicht um einenWillkürakt handle." slj Unterdes habe Chevaudierauf der Polizeipräfektur die Ausführung der getroffenenAnordnungen zu überwachen. Proklamationen zur Rechtfertigungde« Staatsstreiches seien in Druck zu geben und am nächstenMorgen würde die Polizei wie die Ministerkollegenvor der vollzogenen Tatsache stehen. Wenn einige vonihnen ihre Mitwirkung verweigerten, würde man sie ersetzen.Bliebe freilich das Volk. Aber der wackere Herr Ollivier meint, einresolutes Vorgehen hätte den aufrührerischen Elementen den Mutgenommen und das Volk hätte die Verhaftungen gleichmütig an-gesehen, wie am 2. Dezember. Wenn aber doch einige zum Wider»stand entschlossen gewesen wären—„nun, da»n"hatten wir mehrals genügend Mittel, sie zu bändigen. Wir waren in derLage, nicht nur eine Enieute zu nuterdrücken, sondern auch«ineregelrechte Schlacht in den Straßen von Pariszu b e st e h e n". Offenbar also hat sich diese patriotischeRegierung sogar in der Kriegszeit besser gegen den inneren.als gegen den äußeren Feind vorgesehen.—„Die Eventualität einerstrengen Repression in den Siraßen der Hauptstadt", setztHerr Ollivier mit zynischer Heuchelei hinzu,„schreckte unsnicht. Erstens war sie wenig wahrscheinlich und dann war eSkeine Humanität, der Enieute aus Furcht, dasBlut einiger Verräter zu vergießen, freie Handzu lassen."Der Anschlag scheiterte indes— am Widerstand der Kaiserin.die. wie Ollivicr entrüstet meint, ohne Rücksicht auf das dynastischeund nationale Interesse es vorzog, daß ihr Ehegemahl den Throneher als seinen guten Ruf verliere. Schließlich beschloß derMinisterrat in Abwesenheit Olliviers einstimmig gegen die StimmeChevaudierS, die RiickherufungSdepesche zurückzuhalten.Ollivicr betitelt seine Unternehmung:„Projekt zu einem Conpder G e r e ch t i g ke i t und der öffentlichen Wohlfahrt".Sie verdient diesen Namen mit demselben Recht wie die Umtriebe.um derentwillen Ludwig XVI. und Marie Antoinette daS Schafottbesteigen mußten. Ob Napoleon seinen Thron gerettet hätte, wennder Anschlag gelungen wäre, ist eine müßige Frage. Bismarck hateinmal gesagt, daß Napoleon selbst den Untergang des Kaiserreichsverschuldet habe, weil er nicht die„Pariser Canaille" zusammen-geschossen habe. Der„liberale" Ollivier meldet nun nachträglichsein Autorrecht an diese Infamie an. Er verdient jedenfalls Dankfür seine Offenheit. Denn es ist sehr nützlich, den Völkern dietückische Muckernatur von Ministern vorzuführen, die biedermännisch„vor ihre Fürsten treten" und zu Handlangerdienste» bereit find,wenn es gilt, Verfassungen in Scherben zu schlagen,