Unterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 113.

40]

Sultana.

Freitag, den 14. Juni.

( Nachdruck berboten.)

Ein arabisches Frauenschicksal von Emil Rasmussen. Ja aber," begann Marcel, der eine solche Flucht etwas Kompliziert fand und sich auf seine Gewandtheit und seine Körperkräfte in einer so gefährlichen Situation nicht sonder­lich verließ.

Sei nur ruhig, Marcel, Mabruka wird alles abwehren." Sie zog ihn mit sich in eines der kleinen Zimmer, die an den Saal stießen, und schloß die Türe. Ob hier Möbel standen oder nicht, hatte er feine Ahnung; denn sie wagten nicht Licht anzuzünden. Sie fette fich auf die weichen Teppiche und zog ihn zu sich herab.

Liebst Du mich, Marcel?" fragte sie eindringlich. Ja, Sultana, ich liebe Dich."

Bist Du Deiner Liebe ganz sicher?" " Ja, leider."

,, Warum leider?"

" Weil Du mir näher gerückt bist, seit ich Dich wiedersab und seit ich Deinen Brief las. Früher warst Du eine füße Sehnsucht, ein Traum beinahe. Nun stehst Du bor mir als ein leidendes Weib, das ich liebe und dem ich niemals Trost bringen kann. Du trittst in mein Leben wie ein Unglück und zerschmetterſt es wie ein böses Geschick."

Nein, Marcel, denn ich liebe auch Dich und habe be­schlossen, Abdallah zu verlassen und bei Dir zu bleiben." " Das kann nicht geschehen!" wandte er rasch und ent­schieden ein.

Sultana schnappte nach Luft, als habe sie einen brutalen Stoß vor den Magen bekommen.

Einige Augenblicke saßen beide stumm und ernst neben­

einander.

Ich kann Dich ja nicht heiraten, so lange Du das Weib eines anderen bist," leitete er wieder ein, als er den Eindruck bemerkte, den seine Worte auf sie hervorgebracht hatten.

1912

Sag es nur, Sultana: Du zweifelst an meiner Auf­richtigkeit. Aber höre nun, was ich Dir sagen will! Wenn Abdallah Dich verstieße, würde ich Dich im selben Augenblick beiraten. Und ich will Dir noch etwas sagen und es Dir bei meines Veters Grab fapören: ich werde niemals ein anderes Weib heiraten als Dich."

Dann soll er mich verstoßen, so wahr ich lebe!".

Der Schwur, den er leistete, hatte Sultana in einem Nu überzeugt. beraubst, indem Du mich ihm nimmst. Ich habe ihn längst Du mußt nicht glauben," fuhr sie fort, daß Du ihn durchschaut. Ich bin nichts für ihn, nichts als ein Mittel für feinen Ehrgeiz. Er will ein großer Marabu sein, wie sein Bater es war. Das ist sein Leben und sein Ziel. Alles andere hat feinen Wert für ihn. Er tut Gutes, nicht aus Herzens­güte, sondern weil er sich Ansehen verschaffen will. Er wünscht, daß ich ein Kind bekomme, nicht weil er Kinder liebt, sondern weil er fürchtet, man könnte sagen: Abdallah be= kommt keine Kinder; Allahs   Gnade ist nicht über seinem Hause. Ich wäre schon in diesem Augenblick verstoßen, wenn es sich nicht gefügt hätte, daß zwei kleine Kinder, die ich auf mein Bett gelegt hatte, unbeschädigt blieben, obwohl das Dach über sie stürzte. Hätte ich glauben können, daß Abdallah mich liebt, dann hättest Du mich niemals zu sehen bekommen, selbst wenn ich in seinem Hause nicht glücklich gewesen wäre. Nun ist alles anders. Ich gehe in einer täglichen Ungewißheit umher, welche Stunde es meinem Herrn belieben wird, mich aus seinem Hause zu stoßen. Und darum hast Du größere Rechte an mich als er. Oder habe ich nicht recht?"

Wenn Du es so einrichten könntest, daß er Dich ver­stieße-- Ich werde geduldig auf Dich warten."

Sultana verlor sich in der Schilderung ihres täglichen Lebens und dessen peinlicher Ungewißheit. Sie sah auch mit die sie so schlecht vertrug. Angst der heißen Zeit entgegen, die vor der Türe stand und

Es wurde leise an die Tür geklopft. Mabruka flüsterte von draußen, es sei spät geworden.

Ich hatte gedacht, Du würdest mich nach Frankreich  führen," sagte sie in einem Zone, in dem die tiefste Ent- wollte ihn noch nicht gehen lassen. täuschung bebte.

Auch dort könnte ich Dich nicht heiraten."

" Ich verlange gar nicht von Dir, daß Du mich heiraten sollst. Behalte mich bei Dir, so lange Du mich liebst. Ich will fort von Abdallah und bei Dir leben. Wenn es vorbei es ist, so ist das Leben vorbei, und weiter hinaus brauchst Du gar nicht zu denken um meinetwillen nicht."

-

Es ist nicht meine Treue, an der ich zweifle. Was sie betrifft, so fann ich ohne Sorge sein. Aber ich bin nicht so gewissenlos, das Weib eines Anderen zu rauben."

Er haßt Dich. Er hat gesagt, er könnte Dir sein Meffer durch den Leib jagen."

Mag sein! Aber ich hasse ihn nicht und würde niemals einen Menschen bestehlen, auch einen Feind nicht."

,, Du liebst mich nicht, Marcel," sagte sie in überzeugtem Tone mit einem Seufzer der Enttäuschung.

,, Du weißt nur zu gut, daß ich Dich liebe." " Nein! Denn wärest Du verheiratet, so würde ich dennoch mit Dir fliehen, wenn Du es wolltest."

Der Mann ist auch derjenige, der die schwerere Ver­antwortung trägt. Ich kann ein Unglüd ertragen, aber ich fann keine Schande ertragen. Ich kann nicht ertragen, daß jemand aufsteht und mir ins Gesicht sagt: Du hast keine Ehre!" Sultana war nicht imstande, einen Mann wie Marcel zu berstehen.

Saß er nicht da an ihrer Seite wie ein Holzklop, bloß mit ihrer Hand zwischen den seinen!

Etwas von dem alten getränkten Stolz schoß in ihr auf, und ihre Antworten wurden immer unwilliger.

Wie weit, wie weit hatte sie nicht nach der Beschreibung, die Nur ihr gegeben hatte, seine Leidenschaft überschätzt! All diese kalte Weisheit von Pflicht und Ehre fonnte man das Liebe nennen!

-

Er konnte sie also dennoch entbehren! Dann war sie nicht diejenige, die um Liebe bettelte! Marcel aber hörte die Bitterkeit in ihrer Stimme und fühlte, was in ihr vorging.

Marcel stand auf, um Abschied zu nehmen, aber Sultana Und er mußte ihrem heftigen Willen weichen.

25.

Als Marcel sich ängstlich auf die Gasse hinausstahl, war fast heller Tag geworden.

Er war so verwandelt, daß er sich selbst kaum erkannte. Was hatte er getan!

Er war nicht mehr rein, wie da er zu diesem so ersehnten Stelldichein ging, und fühlte sich nicht minder schuldbewußt und schamerfüllt wie das junge Mädchen altväterlicher Er­ziehung, das nach dem ersten Fehltritt seines Lebens allein bleibt und zur Besinnung kommt.

Sein geradliniger Charakter verurteilte, was er getan, obwohl nicht er der verführende Teil gewesen war. Zu spät fah er ein, daß er in diese Zusammenkunft mit dem Weibe eines anderen nicht hätte willigen sollen.

Für ihn, den vornehm zurückgezogenen Stubenmenschen, dessen Leben so arm an Ereignissen war, wurde diese Nacht zu dem großen Erlebnis, um das alle seine Gedanken lange Beit unaufhörlich freisen sollten.

Er schritt durch die stumme Stadt, deren stille Gassen unter seinen Schritten hohl widerhallten.

Noch war das Leben nicht erwacht, und er begegnete keiner Menschenseele auf seinem Wege.

Aber selbst der Frieden der Morgendämmerung schien ihn wie eine Anklage zu umgeben.

Erst vor Bab el Hradra begegnete er einer Schar Nomaden, die die ganze Nacht gewandert zu haben schienen.

Wäre bloß der Belvederepark offen gewesen, so hätte er zwischen den friedlichen schirmenden Bosketts   seine Gedanken ordnen können. Aber es war noch lange bis zu der Stunde, wo die Tore geöffnet wurden.

So beschloß er denn heimzugehen, und in seinem lieben Atelierzimmer angelangt, sant er ermattet in einen Lehnstuhl. Es lag in seiner Natur, sich selbst und alle, die ihm näher­fraten, zu analysieren.

Er war frühzeitig gewahr geworden, daß er sich in vielen