Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 124.

Sonnabend, den 29. Juni.

( Nadbrud berboten.)

Jakobs wunderfame Reife!

Von Martin Andersen Nerö. ( Autorisierte Uebersezung von H. Kiy.)

1912

er nicht, und vielleicht machte ihn das so einsam und sonder­bar. Jedenfalls war er es nun einmal und verstand es, gleich großen Leuten, sich durch seine Unzugänglichkeit Respekt zu verschaffen; es fiel niemandem ein, unangemeldet mit ihm anzubinden.

Es sah aus, als ob Jakob beständig Hochspannung sam­melte, während andere von Stunde zu Stunde ihren Dampf in fleinen Stößen von sich gaben. Denn wenn er endlich die Eines Tages mitten zwischen zwei Fahrten nach Deutsch   Schweigsamkeit abschüttelte und sich unter die Leute mischte, land schlich Schiffer Morten Andersen nach Hause und troch dann entfuhr seinem Halse ein festlicher Strom von großen in die Koje. Seine forpulente Frau, die den ganzen Tag Worten, die das kleine Krähwinkel dem drückenden Alltag über Vesperbrote für sich schmierte, legte das Brotmesser wirf- enthoben und in direkte Verbindung mit der weiten, aben­lich einmal aus der Hand, trocknete die Finger sorgfältig auf teuerreichen Welt brachten. ihrem hervorstehenden Bauch und half den müden Beinen ihres Mannes dann in den Alkoven hinauf.

Es geht Dir wohl nicht besonders, Morten?" fragte sie teilnehmend.

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,, Es ist aus mit mir das ist alles!" erwiderte Morten Andersen refigniert.

Sie widelte ihm nun die Beine ordentlich ein und ging fort, um das nötige mit dem Küster, dem Sargtischler und dem Schlächter zu besprechen.

So ruhig und selbstverständlich sich das abspielte, drohte es doch ernstlich in das tägliche Dasein des Städtchens ein­zugreifen. Es war nicht Sitte, fich gleich zu Bett zu begeben, wenn man bloß ein wenig unpäßlich war; legte sich einer vor Schlafenszeit hin, dann bedeutete das schlecht und recht, daß eine Veränderung mit ihm beborstand. Und Schiffer Morten Andersen war nach Hause geschlichen, die eine Hand hinten auf der Hüfte. Man mußte sich also nach einem andern Führer für die Galeasse Andreas umsehen!

Man hätte meinen sollen, daß es nicht so schwer sein könne, einen Ersatz für Andersen zu finden, wo hier doch jeder sozusagen mit einem Steuerruder in der Hand zur Welt fam. Der Bornholmer ist ebenso selbstverständlich Seemann  , wie er Steinarbeiter und Acerer ist; er wechselt das Gewerbe denn auch gern ein paarmal in seinem Leben. So gut wie alle Aderbauer und kleinen Handwerksmeister des Städtchens kannten denn auch das Meer und seine Straßen aus eigener Erfahrung; bevor sie aufs Trockne krochen, hatten die meisten von ihnen die chinesischen Meere und die malabarischen Küsten­gewässer befahren und zwar in der guten alten Zeit, wo das Fahren noch eine Kunst war. Für uns Knaben war es ein ordentlicher Spaß, den alten, steifbeinigen Stäuzen zuzu­hören, wenn sie nach beendetem Tagewerk auf der Hafen­anhöhe zusammenkamen und den Seglern draußen auf dem Meere eine tüchtige Lektion in der Segelführung und im Kurse erteilten.

Nun aber, wo sich eine ausgezeichnete Gelegenheit bot, zu zeigen, wie eine Schute geführt werden mußte, nun zog fich jeder bescheiden zurück und schob den Nebenmann vor. Alle richtigen Seeleute des Städtchens waren ja auf weiter Fahrt unterwegs in der heißen Zone oder auf dem See­hundsfang vor Grönland  ; und es sah beinah so aus, als werde der Andreas" mit seiner Ladung Granit den ganzen Sommer über im Hafen liegen bleiben. Dann würde wohl irgend so ein junger Maulaffe, der aus der Ferne zurückkehrte, mit der Ladung nach Deutschland   hinüberfliken zur Schmach und Schande für die ganze männliche Bevölkerung der Stadt! Sehr angenehm war dieser Gedanke nicht gerade.

Nun findet sich ja überall, wo eine besonders schwierige Aufgabe sich meldet, auch der rechte Mann in der Nähe, der fie zu lösen versteht. Aber damit ist die Sache nicht immer geklärt. Hier hatte man zum Beispiel Jakob. Jedermann wußte, daß Jakob die Fahrt übernehmen konnte, daß das für ihn nicht schwerer war, als ein Briemchen zu nehmen. Jakob hatte in seinen jungen Jahren die Tropengewässer befahren, war Raperfapitän und Sklavenfahrer gewesen, zwischendurch auch einmal Walfischfänger; sein Name stand in dem schwarzen Buch drüben in der Hauptstadt. Das war nun wohl zwanzig oder mehr Jahre her. Jetzt hatte er seinen kleinen Laden zu besorgen und fischte hie und da ein wenig; aber die rauhe Abenteurerlust von einst hing noch an ihm und machte ihn zu etwas Einzigartigem. Für gewöhnlich war er sehr un gefellig, fochte sich selber sein Essen und fischte ohne Gefährten. Eine Frau, die ihm die Ohren hätte vollheulen können, hatte

Es war, wie gesagt, etwa zwanzig Jahre her, seitdem er sich da draußen herumgetummelt hatte; aber wenn Jakob den Mund auftat und vom Meere zu sprechen begann, dann schwieg ein jeder und schrumpfte zu einem Nichts zusammen. Jakob glich dem Walfisch, der auf seichtes Gebiet gespült wird; immer noch umgab ihn die See. Was für verflixte Taten hatte er seinerzeit vollbracht, an was für haarsträubenden Abenteuern teilgenommen! Viel zu vollbringen war ja nicht in dem Städtchen; aber Jakobs einstige Taten reichten aus, um die Erwachsenen in ihren Mußestunden zu beschäftigen und zu unterhalten und um uns Jungen Mut zum Wachsen zu geben.

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Wenn Jakob am Morgen an den Strand ging- Som­mer und Winter trug er die dicht behaarte Brust nadt-, dann war es, als segle ein vollgetakeltes Fahrzeug an den kleinen Fenstern vorbei, in dessen Kielwasser die seltsamsten Begriffe und Erlebnisse aus der weiten, weiten Welt folgten. Alles, was die junge Mannschaft des Städtchens im Lauf der Beiten draußen auf dem Meere erlebt hatte und viel mehr noch-, fonzentrierte sich in eigentümlicher Weise in Jakob. Er war es, der als die Haifische im Stillen Ozean den Stoch fraßen über Bord sprang, das Messer zwischen den Zähnen, und nun in den Schwarm hineinbieb, so daß die kleine Meeresbucht hinter den Koralleninseln ganz im Blute schwamm. Und er war es auch, der mehrere Jahre lang Ge­fangener der Königin Pomare war, der sie heiraten und über eine ganze Insel voller Menschenfresser regieren mußte. Die Stönigin Pomare trug stets die kostbarsten Tätowierungen und fraß ihre eigenen Kinder, sobald sie drei bis vier Wochen alt waren; da war Jakob also in eine schöne Wirtschaft hinein­geraten! ja, er hatte mancherlei durchgemacht! Er hatte versucht, an der Felsenküste von Südamerika   zu stranden, und wurde von Cowboys mit langen Lassos ans Land gerettet; und er war es, der die Barke mit glücklicher Hand durch den Strudel führte da, wo das Weltmeer in den Abgrund stürzt.

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Niemand wußte von seinem Treiben auf dem Meer eigentlich mehr, als was er selber erzählte, wenn er mitteil­fam war aber das war auch genug. Jakob gehörte nicht zu den Leuten, die sich auf Zeugen beriefen, sich in eine Dis fussion einließen oder auch nur gestatteten, daß man ihre Be hauptungen anzweifle; die bloße Möglichkeit war von vorn­herein ausgeschlossen. Wenn Jakob sagte, so und so sei es, dann war es auch so; die wildesten unwahrscheinlichkeiten wurden in seinem Munde zu alltäglichen Ereignissen.

War es also so wunderbar, daß sich die Gedanken aller Bewohner des Städtchens Jakob zuwendeten, als die alte Galeasse im Hafen lag und unter dem Drud ihrer Stein­ladung Wasser zog? Jakob konnte ja das Fahrzeug führen... so leicht, wie er ein Briemchen nahm. Aber niemand wagte es, ihm eine Andeutung zu machen, ihm auch nur mit den Augen zuzublinken. Den Hohn durfte man ihm nicht bieten. Eine Korvette war Andreas" ja nun einmal nicht!

Doch eines Morgens machte sich alles ganz von selbst. Es war, als habe der gefegnete nächtliche Schlaf auch das aus­gerichtet, wie so vieles andere Gute im Städtchen. Der Teufel mochte wissen, wie das Gericht aufkam; jedenfalls erzählte man sich in jenem Morgen, Jakob wolle die Galeasse nach Deutschland   führen.

Die Sache war ungeheuer spannend, und man warf Jakob von allen Seiten verstohlene Blicke zu. Vielleicht war doch noch dies und jenes zu besprechen, so tüchtig Jakob auch war; denn die anderen waren ja auch nicht etwa Idioten auf see­