Dle Eltern wissen es nicht minder, dass ihr Karl kran! ist. Der JuNge geht jetzt ins sechste Jahr. Von seinem ersten Jahre an hatte er diese eingefallenen, blauumränderten Augen, diese grauweiße Gesichtsfarbe, diesen grämlichen Zug um den Mund... Auf den Beinen war er immer schwach. Und wie dünn sind seine Aermchen, wie mager ist sein kleiner Leib, wie deutlich sieht man beinahe jede Rippe«... Er hat den Eltern schon viel Kummer und Kopfzerbrechen ge- macht, der arme Bengel! Sie sind blutarme Leute. Ihr Verdienst ist sehr kärglich. Der Vater verdient monatlich nicht ganz vierzig Mark als Arbeiter im Produktengeschäft von Steinbeck und Kompanie. Das ist wenig genug. Die Miete für ihre kleine Wohnung eine Stube, eine enge Kammer und Küche, in der sich kaum einer herumdrehen kann, und dazu ist die Kochmaschine ein altes, zerbrechliches Ding, das seinen Rauch und Qualm nie für sich behalten kann! muß die Mutter durch Waschen und Plätten verdienen. Aber sie ist selbst eine schwache Frau, die nicht viel Strapazen auszuhalten vermag. So kann sie in der Woche höchstens drei Tage waschen. Dann hat sie genug. Man kann nicht über seine Kräfte hinaus leisten. So herrscht denn in der Familie ein steter Ton der Trauer und Niedergeschlagenheit. Eine rechte, helle Lustigkeit und Lebens- freude will nicht aufkommen. Worüber sollten sich die Armen auch freuen? Die Mutter immer kränklich. Der Vater eine etwas jäh- zornige und heißblütige Natur, die das Gehorchen nicht recht ge- lernt hat. Er wäre schon zehnmal aus dem Geschäfte entlassen. wenn die Frau dem alten Steinbeck nicht immer wieder gute Worte gegeben hätte: er solle ihren Mann doch um alles in der Welt be- halten sie müßten ja verhungern wo sollte er gleich wieder Stellung finden, wenn ihn der Herr Kommerzienrat fortgeschickt? Und der Herr Kommerzienrat ließ sich erweichen und behielt den Widerspenstigen aus Mitleid... Das wurmte Vogt von neuem.., Er war im ganzen ein guter Arbeiter, der sein Teil leistete... Und das wollte er an. erkannt wissen. Er war sogar der beste Arbeiter auf dem Hofe. Und weil er sich dessen ganz genau bewußt war, glaubte er sich allerhand herausnehmen zu dürfen. Noch dazu imponierte ihm der Niederlagsdiener, sein nächster Vorgesetzter, ein kleines, dünnes Männchen mit einer impertinent schnarrenden Stimme und großen, grauen Glotzaugen, sehr wenig. So lagen denn allerlei Streitig» leiten und Zerwürfnisse sehr nahe... Und nun bei seiner Leistungsfähigkeit nur weiter arbeiten zu dürfen, weil seine Frau sich ins Mittel gelegt!... Seinem Weibe das verdanken zu müssen: der Gedanke konnte ihn wütend machen!... Und schließlich die ewige Sorge uqi den Jungen! Er hatte den kleinen, stillen, anspruchslosen Knaben so lieb aber die Hände waren ihm gebunden er konnte nichts für ihn tun... Karl hätte mal'ne tüchtige Kur gebrauchen müssen n paar Monate aufs Land recht viel Milch trinken und kräftig essen: ja! daS war die richtige Arznei! Was halfen die Pillen und Tropfen vom Armendoktor! Der kam alle vierzehn Tage einmal, sah sich den Knaben an, schwatzte'n paar nichtssagende Worte: eS würde schon besser werden! Der Junge sollte die Medizin fort« nehmen er konnte weiter nichts machen! und ging, oHae auf die Fragen, die in den angstvoll blickenden Augen der Mutter zu lesen waren, weiter zu achten... Es war ja richtig: der Mann hatte mehr Patienten da konnte man eine größere Teilnahme für den einzelnen nicht erwarten!... Und er war noch dazu der Armendoktor, dem sie keinen Pfennig zu bezahlen brauchten! Sie mußten froh sein, daß sie wenigstens ihn hatten... Das alles ging dem Mann, während sein kleiner Bube vor ihm stand, im Kopfe herum, mehr angedeutet allerdings und vcr« worren als in klaren Gedanken... Die Erinnerung an sein häusliches Elend, die ihm der kurze Schlummer in der feier» lichen Sonntagsstille sanft hinweggewischt, ward wieder ganz lebendig... Zorn und Trauer, die im Herzen eines an Händen und Füßen Gebundenen, eines Ohnmächtigen, so nahe beieinander wohnen, quollen mächtig in ihm empor. �Fortsetzung folgt.! Hermann ConracU. Im Auftakt der um die Mitte der Achtziger Jahre einsetzenden modernen Literaturbewegung nimmt Hermann E o n r a d i«ine be» sondere Stellung ein. Er ist als Chorführer jener jungen Talente, die unter dem Schlagwort: Jüngst» oder Gründeutschland mit ge» waltigem KriegSgcschrei gegen die Literatur von.gestern' Sturm liefen, anzusprechen und war es auch. Aber trotz allem Aufsehen. das er von sich machte und das seine Mitläufer noch vergrößerten. ward seiner doch rasch vergessen; weniger allerdings, weil er noch nicht W Jahre alt inS Grab sank, sondern weil die EntWickelung der allgemeinen und künstlerischen Zustände eine andere Wendung genommen hat. Ja, es schien sogar, als habe bei der profcssoralen Literaturgeschichtsschreibung ernst- hast nie das Bedürfnis bestanden, mehr als den Namen ConradiS, des Rufers im Streite, für die Nachwelt zu retten. Volle 12 Jahre mußten erst noch verstreichen, bevor es Dr. Paul S s y° mank glückte, zugleich mit den Resultaten seines fest lövs betrie- benen Sammeleifers und Gelehrtenfleißes, für ConradiS Werke«inen Verlag zu finden. Dies ist nun dank dem Bemühen Gustav Werner P s t e r S' geschehen; und so konnten endlich von der auf fünf stark» Bände berechneten Gesamtausgabe vorläufig die drei ersten erscheine«. (Verlag von Georg Müller, München.) Unter diesen Umstände» wirkt das Vorwort, in dem Ssymank so schlicht als objektiv über die schließliche Verwirklichung seine? Planes berichtet, wie eine An» klage; selbst dann, wenn wir das Schaffen Conradis Hinte» seine widerspruchsvolle menschliche Erscheinung stellen. Ihr kommt in der Tat symptomatische Bedeutung zu. Darüber hat bei allerg denen er einst persönlich nahe gestanden oder flüchtig be- gegnet ist, immer eine Meinung geherrscht, und in der Schilde­rung dieses problematischen Dichterlebens durch Paul Ssymank treten alle Momente, die inzwischen selbst aus dem Gedächtnis direkt« Freunde oder Mitstreiter verdrängt sein mochten, wieder mit dokumen­tarischer Deutlichkeit zutage. Gleich den meisten Jüngstdeutschen war Conradi kleinbügerlickj« Herkunft. Er wurde am 12. Juli 1862 zu Jeßnitz (Anhalt ) als Sohn eines Zigarrenfabrikanten und Kolonialwarenhändlers gebore«. Die eigentlichen Kinderjahre blieben ihm stei von Ungemach od« kleinlichen Existenzsorgen im elterlichen Hause. Dann kam es stei» lich anders, ohne daß er am Besuch höherer Schulen gehindert blieb. Dennoch aber war sein Dasein auf tragische Erschütterungen auf­gebaut, um hernach so zu enden. Der Keim eines frühen TodeS war in seine Brust gelegt. Von Anbeginn hatte er mit heftigem Asthma zu kämpfen, dermaßen, daß oft auf Wochen, ja Monate hinaus jeder Schulbesuch unterbleiben mußte. Dieser ständig» Kränklichkeitszustand schädigte seine körperliche EntWickelung. Klevch unsagbar zart und schwächlich,- wie er schon als Kind ge­wesen, blieb er auch bis in seine Jungmannsjahre hinein. Man empfand bei ihm immer den Eindruck: ein hochfliegender Geist, eine gewaltige Seelenglut wohne in einem Leibe, der täglich, ja stündlich zusammenbrechen konnte. Später hinzukommende Notstände beschleunigten diese Katastrophe. Hierbei ist zu beachten, daß sich Conradis geistige Produktivität, Pom ersten uns bekannt gewordenen Gedicht oder feuilletonistischen Versuch an gerechnet, auf seine lebt«- Lebensdekade zusammendrängt, und daß davon die Hälfte auf die Gymnasialzeit entfällt, während welcher er immerhin noch einen, obwohl nur kümmerlichen Stützpunkt im Elternhause besaß. Erst, nachdem Conradi die Universität bezogen hatte, erst, nachdem e� um überhaupt studieren zu können, gezwungen ist, von den spär­lichen Zufallserträgnissen slbriftstellerischer, streng genommen literar» krittscher Betätigung nicht bloß für sich den Unterhalt zu erarbeite«, sondern auch noch väterlicherseits«ingegangene Notschulden zu ttlge«, vollends, seitdem er für sein dichterisches Schaffen und für die Behauptung seiner Künstlerpersönlichkeit mit tausend Widrigkeiten kämpfen muß erst von jetzt an, sage ich hatte« das Elend bis zum letzten bittersten Bodensatz auszukosten. Doch, wie ihm besscre Tage zu winken schienen od« waren eS am Ende auch nur trügerische Hoffnungen, denen stehende« FuheS noch herbere Enttäuschungen gefolgt wären? da brach Conradi zusammen.... Der physische LeidenSzustand mußte naturgemäß sein Gemüt, sein Denken und Handeln ungünsttg beeinflussen. Er war ungemein sensibel und reizbar von Kindheit an. Innige Liebe zur Nattuq schwärmerisches Umherstteifen durch Wälder und Felder in Gemein­schaft nur weniger, ihm engbesteundeter Schulkameraden paart« sich mit dem Hang zur Einsamkeit. Weil er sich ständig von Kränklich­keit bedroht fühlt, muß er förmlich ein Schnecken», ein Maulwurfs­dasein führen in sich hineinkriechen. Dabei belauscht, beschnüffelt er seine Gedanken» und Gefühlswelt, belastet sein Gedächtnis mit literarischen, sprachlichen und philosophischen Kenntnissen. Um s» ttefer bohrt er sich in sein Selbst hinein, analysiert er die in ihm schluntmernden intellektuellen Kräfte, lockt er sie hervor, steigert« ihre Tragfähigkeit; entfacht er»schensünkchen zarter Gefühle z« Flammen gärender Leidenschaft, an denen seme Phantasie sich berauschen, sein schöpferischer Trieb sich nähren, kräftigen, klären soll. Daß er ein Dichter werden müsse, steht bei ihm unerschütterlich fest� Er träumt von großen Taten, erwägt gigantische Werkpläne und wächst sich ganz in die Rolle des Genies hinein, daS berufen se� alles Bestehende von Grund auS umzukrempeln und sich al« Be­herrscher aufzutun. Sein.Ich', seine Persönlichkeit steht überall vornedran. Er drängt sie allen auf. die mit ihm umgehen; und a erhebt sich zum Objekt für quälerische Untersuchungen zum .Problem' schlechtweg, wie das Leben selber, das anderen lediglich ein.Faktum' bedeute. Da« ist eS, was Conradi allen Mit» schaffenden vorwegnimmt. Aber er hat auch früher als sie I die geistigen und sozialen Zettströmungen. dieS«geharnischte Zu­sammenspiel der Konttaste', auf sich wirken lassen. So ist er fast von heute auf morgen sehend, zum mindesten ein durch nichts mehr zu täuschender Borahner Linstiger Umwälzungen geworden. Natürlich hat er sich auch mit der.sozialen Frage' beschäftigt. Obgleich a nun weder die wirttchaftlichen Beweggründe des proletarische« Klassenkampfes, noch den Sozialismus als Weltanschauung zu er­fassen vermag den klaffenden Abgrund zwischen der ArbeiterLass« und dem Bürgertum erkeimt er doch instinktiv, um ihn durch ein« neue Dichtung überbrücken zu helfen. Freilich springt er dann wieder ab. ergeht sich in Max SttrnerS und Nietzsches philosophische« Anschauungen, die ihn nur in seiner eitlen Sichselbstbespiegelung bestärken. Und so zeigt er fich als Charakter: bar jedes Klassengefühls.