Und als sie ihm das Jawort gab, da hatte sie wieder nichts anderes getan, als wie die übrigen Mädchen ihrer Familie, solange man nur denken konnte: sie halte sich einen starken und großen, einen ein wenig herrischen und forschen Mann genommen, so daß man voraussehe konnte, es werde sich auch in ihrer Familie fortsetzen, was sich schon immer in der Kapesserfamilie herausgebildet hatte, daß die Buben stark und sogar ein bißchen plump waren, die Mäd- chen zart und fast ein wenig städtisch wurden, kurzum, daß die Aeste werden würden, wie es der alte Pfälzer Bauernstamm der Kapesser gewesen war. Die Lulu Kapesser zog nun bald auf den Winkernheimer Hof, der nicht im Tale, wie der ihrige, sondern ein wenig auf der Höhe lag, auf halbem Wege zwischen Ulmenheim unten und Mammen- heim oben, gerade da, wo die Wingerte begannen, und durch seine Lage das Dorf beherrschte und eigentlich auch das ganze Tal, in dem seine Wiesen lagen, so daß er sichtbar war, wie man auch kam, von den vier Himmelsrichtungen aus, von der Höhe der Weinberge oder wiesen- und felderher. Nun war die junge Frau Wintern- heimer noch still und leiseschreitrnd wir früher, aber sie saß nicht mehr untätig den ganzen 5Cag im Garten, sondern führte eifrig ihren Haushalt und regierte den Hof mit der Selbstverständlichkeit, die ihr im Blute lag. Sie regierte, und ihr Mann herrschte und es war alles Ordnung und klarer Verlauf und trug doch alles das Gepräge ihrer beider Persönlichkeiten, ganz besonders auch im Verhalten des Gesindes, das ihr anhing und ihr alles zuliebe tat. dem Herrn aber gehorchte und sich ihm gegenüber nichs ver- geben wollte. Vier Jahre waren sie verheiratet, und sie waren kinderlos ge- blieben und lebten ein wenig in den ungeschickten Zärtlichkeiten ihrer Flitterwochen, die er beibehielt, weil seine Liebe ein auf- richtiges Gernhaben war, und die sie gerne ertrug, weil ihre Lieoe ihrer bedurfte. Sie bedurfte des Beherrschtwerdens und des Kosens zugleich, sie bedurfte der Vereinigung von Ernst und Spiel, der strengen Kameradschaftlichkeit und des zärtlichen Anschmicgens und Unterordnens. Dann im fünften Jahre, sie war nun schon bald vierunddreißig Jahre alt, so um die Zeit, da der Most gärte und der Federweiße so angenehm warm im Glase stand, ward sie sicher, daß sie in gesegneten Umständen war. Anfangs behielt sie das Glück dieser neuen Gewißheit ganz für sich und kostete es mit der ganzen Innigkeit, die nur eine Frau in diesem Zustande haben kann, aus, wechselnd im Träumerischen und ausgelassenen Glücklich- sein, in einer schmerzlichen Müdigkeit, die aber lauter Wohltun war, und wieder in einer Beweglichkeit, die ihr etwas Unbegreif- liches hatte. Als sie ihrem Manne gesagt hatte, wie es stand, hielt er schützend seine große Hand über-sie, hielt sich in seinen Zärtlich- leiten mehr zurück gerade weil er am liebsten ganz überquellend in ihnen gewesen wäre und bereitete ihr mit einer genierten Sorgfalt weil er fürchtete, ein klein wenig schwach und lächerlich dabei zu erscheinen alle Bequemlichkeiten und war sehr behui- sam und manchmal auch ungelenk auf ihr Wohl bedacht, unv daß sie sich in allem auch die richtige Schonung angedeihen ließ. Er fragte sie oft danach, mehr freilich mit den Augen, als mit Worten, und manchmal hatte er einen strafenden Blick für sie, wo er eigentlich einen bewundernden, oder gar begehrenden auf sie werfen wollte. Halb war's nun ihre alte Mädchenart, die ganz instinktiv wieder in ihr herrschend wurde, das Scheue, Müde und Untätige, halb war's auch das Verhalten ihres Mannes, das sie förmlich dazu erzog. Bald kam's nun, daß sie sich um den Haushalt weniger bekümmerte, nur die notwendigsten Anordnungen traf und selbst kaum mehr tätig war, dagegen gern und viel im Garten saß, unter den grünen Bäumen oder in dem Nebenspaliergang und die Hände in den Schoß legte. Sie lebte auch jetzt wieder dem Unbe- stimmten ihres Erwartens, wie sie es als Mädchen getan hatte. Und um so mehr und verlorener, je mehr das Jahr wuchs. Die Felder sich begrünten, und die Wiesen drunten im Tale bunter sich füllten, die Kirschbäume blühten, und das neue Laub der Nußbäume seinen scharfen Geruch ausatmete, das Korn endlich wogte, und die Trau- benblüte duftete, und die Sonne hoch über dem Lande stand, über den Hügeln, die die Reben deckten, und über den Dörfern, die rings von den Höhen blickten. Immer reicher, satter, voller die Natur wurde, immer erfüllter die Luft von Düften und Klängen und immer inniger alles Leben in den Blumen des Gartens und den Nehren der Felder, den Früchtchen der Bäume, die sich mehr und mehr rundeten, und den Beeren der Reben, von denen die letzten Blütenteilchen nun abfielen. Sie sah alles und lebte alles, was sie vom Ausblick der Gartenbank, die an der Himbeermauer stand, übersehen konnte. Sie folgte den Arbeiten der Bauern auf den Feldern, den Fuhrwerken der Landstraße und der Feldwege, sie sah die Vorübergehenden und die Ankommenden, und ihre Blicke gingen mit den Zeigern der Kirchturmuhr, die golden zu ihr heraufglänz- ten. Sie sah alles und machte sich keine Gedanken dabei. Sie nahm es wie eine Nahrung in sich, schied nichts und unterschied nachts, nährte sich nur. Den Wolken allein schenkte sie keine Auf- merksamkeit. Sie liebte den Himmel, wenn er blau und klar war, höchstens mit hellen Flocken bestreut, wenn er schwer und grau war, sah sie nicht zu ihm auf. Sie blickte zur Erde und sah vor sich hin und sah aus ihre Hände, die in ihrem Schoß ruhten. Daß die Wolken in die Weite zogen, dafür hatte sie keinen Sinn, sie dachte nicht dqran. Sie war erfüllt von dem, was um sie war, sie liebte und besaß es.»» .(Fortsetzung folgt.)! (Nachdruck verbot««.! R.eKorc!e der Sommerbitze. Von Dr. Richard Hennig. Als im vergangenen Jahr wochenlang Tag für Tag glühende Sonnenhitze über der Erde brütete und in ganz Mittel-, West- und Ofteuropa die Menschheit schließlich kaum noch ein und aus wußte, da meinte wohl mancher ein ganz unerhörtes, beispielloses Witte- rungsereignis erlebt zu haben. Tatsächlich war der Sommer 1911 wegen der langen Dauer seiner hohen Temperaturen so warm, wie kein anderer seit 1875, also seit 36 Jahren; aber eine wirklich bemerkenswerte Höhe der beobachteten Thermometerstände war doch nur an einigen wenigen Orten Mitteldeutschlands zu verze,ch-< nen, und auch an diesen nur während weniger Stunden an einem einzigen Tage, dem 23. Juli. Im übrigen ging jedoch die Intensität der Hitze nirgends über das hinaus, was eigentlich in jedem Sommer vereinzelt einmal vorkommt, und nur die tage- und Wochen- lange Wiederkehr so beträchtlicher Temperaturgrade wirkte wie eine noch nie dagewesene Sensation. Derjenige Hitzewert, der die Grenze der extremen Thermometerstände darstellt, wie sie aber oft in vielen Jahren nicht vorkommen, der Wert von 35 Grad Celsius im Schatten, ist im ganzen Sommer 1911 an zahlreichen Orten Deutschlands , z. B. auch in Berlin , nicht ein einziges Mal erreicht worden; meist hielten sich die Extremwerte der heißesten Tage auf den keineswegs außergewöhnlichen Höhen von 31 bis 33 Grad, und nur an jenem einen Tage des 23. Juli gab es vielfach wesentlich höhere Temperaturen von 35 bis 37, in Jena sogar von über 39 Grad Celsius. Freilich, wer im vorigen Jahr seine Kenntnis der erreichte» Hitzegrade aus den Zeitungsmeldungen geschöpft hat, der wird dar» über erstaunt. sein, wieniedrig" jene authentischen Thermometer- stände doch eigentlich sind. In der Togespresse wurden ganz andere Zahlenwerte genannt; da sollten bald hier bald dort Schattentempe- raturen von 42, 44, ja von 48 und selbst noch mehr Grad gemessen worden sein, da wurde es als etwas Unerhörtes in die Welt tele- graphiert, daß man in der Sonne Thermometerstände von 59 und 55 Grad Celsius gemessen habe usw. Nun, hierauf ist zu erwidern, daß an heißen Sommertagen in der prallen Sonne derartige Wärmegrade durchaus nicht allzu bemerkenswert und ganz gewiß nicht telegräphierenswert sind. Echatrentemperaturen aber zwischen 49 und 59 Gtad mögen in Südeuropa - in ganz vereinzelten Aus» nahmefällen hier und da einmal vorkommen; in Deutschland aber oder gar in dem kühlen England, von wo sie gleichfalls wiederholt gemeldet wurden, sind sie schlankweg ein Ding der Unmöglichkeit. Die irrigen Meldungen dürften in vielen, wenn nicht in allen Fällen einfach dadurch entstanden sein, daß die Ablesungen an einem nicht ausreichend gegen die Sonnenstrahlung geschützten Instrument gemacht wurden, etwa am Thermometer eines Optikers, das unter einem Sonnensegcl zwar scheinbar im tiefen Schaffen hängt, das aber in Wahrheit dem Einfluß der Sonnenstrahlung in hervor- ragendem Matze unterliegt. Nur durch derartige grobe Versehen ließen sich jene ungeheuerlichen Tatarennachrichtcn erklären, wie sie im vorigen Sommer zu Dutzenden über die vorgekommenen Temperaturextrcme" verbreitet wurden. In der Tat ist in Deutschland noch niemals ein Thermometer- stand im Schatten von 49 Grad Celsius zuverlässig beobachtet worden. Abgesehen von der schon oben erwähnten Jenaer Temperatur, die am 23. Juli 1911 abgelesen wurde, sind die höchsten, glaubhaften Wärmegrade, die authentisch festgestellt sind, am 19. August 1892 zu Grünberg i. S. und Liegnitz mit 38,9 Grad und am Tage zuvor mit 39,8 Grad zu Amberg in Bayern beobachtet worden. Freilich ist es nicht unwahrscheinlich, daß in älterer Zeit diese hohen Zahlen in der Tat schon überschritten worden sind nur läßt sich dafür ein Nachweis nicht erbringen. Unter den norddeutschen Städten pflegt sich naturgemäß die Stadt Berlin durch Hohe Hitzecxtreme im Sommer auszuzeichnen, da eben das riesenhafte Häuscrmeer der Dreimillionen-Stadt die Entwickclung bedeutender Wärmegrade be- güiistigt. Dennoch betrugen die höchsten, in den letzten Jahrzehnten dort beobachteten Schattentemperaturen nur 36,4 Grad am 16. Juli 1994 und 36,3 Grad am 1. Juli 1995. Ueberschritten worden sind diese Werte in den letzten 99 Jahren nur ein einziges Mal, am 29. Juli 1865, wo das absolute Temperaturmaximum der seit 1848 angestelltenamtlichen" Beobachtungen mit 37,9 Grad ab- gelesen wurde. In älterer Zeit soll das Thermometer noch zweimal einen halben Grad höher gestanden haben, denn die schon im Jahre 1719 beginnenden privaten Berliner Wettcrnotierungen verzeichnen für den 4. Juli 1781 und für Anfang Juli 1819 Temperaturen von 39 Grad Reaumur, was einem ungefähren Stande von 37,5 Grad Celsius entsprechen würde, doch sind naturgemäß aus mancherlei Gründen die älteren Ablesungen nicht so unbedingt zuverlässig wis die neueren. Jedenfalls besagen die' vorstehenden Ausführungen zur Ge« nüge, daß die Phantasietempcraturen, die in der heißen Zeit so- wohl des vorigen wie des gegenwärtigen Jahres gemeldet und i» die Welt binaustelegraphiert wurden, recht erheblich reduziert werden müssen, um der Wahrheit nahe zu kommen. Soweit wir bis heute, nach jahrzehntelangen, sehr sorgfältigen Beobachtungen unterrichtet sind, gehören schon die Thcrmometerstände über 28 Grad Reaumur(35 Grad Celsius) für Deutschland zu den seltenen Aus- nahmeerjcheinungen, die man z. B. selbst in dem heißen Berlin in