muh aus dem Vollen leben; er kann nicht Werte schaffen, sondernsolche nur lonsmuieren. Der Zigeuner wollte arbeiten— er gingaus der Ueppigkeit verschwiegener Kabinetts auf die Estrade desKonzertsaales. Es war ein klägliches Fiasko.Eine neue Zeit brach heran, in der das freie Zigeunerlied nichtmehr Platz hatte. Man wollte sich seinen Reiz aber doch erhaltenund griff zu wohlfeilen Fälschungen. Es entstanden Sänger undSängerinnen, die wohl über die„Träne" verfügten, in deren Brustjedoch nicht die Glut urwüchsiger Kraft flammte, an der sich die un-verkümmerten Leidenschaften ihrer Mecänaten entzündeten und derenSinne mit heiszer Lohe versengten.An der schwächlichen Nachahmung mag ein anderes, ein schwäch-liches Geschlecht sich genügen lassen � bis auch die Nachahmungenüberflüssig geworden sein und dem Schicksal der Taborleute verfallenwerden.... Dieser Weg ist gewiß.Der demokratische Geschmack braucht nicht mehr das brausende,klingende Lied der Söhne und Töchter der Pharaonen, das vonWäldern, Steppen, Bergen und Strömen sang und sich in lohenderLeidenschaft und wehem Schmerze erging; es ergötzt sich an denGesängen verrenkter, blutarmer und verbitterter Fabrikarbeiter.Sie sind der Hahnenschrei einer neuen Gesellschafts» und Kultur-epoch«. Bruno L i k.Eingewandte Psychologie.In weiten Kreisen ist man noch immer geneigt, der modernenPsychologie, die sich auf mühevolle Laboratoriunisversuche stützt,jeden größeren Wert für die Er�iintms individuellen Seelenlebensund die Möglichkeit der praktischen Verwertung ihrer Resultate abzu-leugnen. So sehr man sich auch vor der Neberschätzung der wenigenund nicht imnier aller Zweifel baren Ergebnisse hüten muß � dieabsolute Skepsis gegen die nun ein halb Jahrhundert lange Arbeitgr Psychologie ist nicht berechtigt. Gerade einzelne„praktische"isienschaften haben Bereicherungen und zum Teil sogarUmwälzungen durch sie erfahren. Selbst die auf Drillbis zur Bewußtlosigkeit basierende militärische Unter-Weisung sucht von der Psychologie zu profitieren. DieArmeepsychologie erfreut sich bei unseren strebsamen Militärsregsten Interesses. Natürlich treibt man nickt Studien über dieVerflachung des Geistes durch den Kommiß, sondern man bemühtsich, unter Benutzung psychologischer Erfahrungen planmäßig allegeistigen Hemmungen auszuschalten, die der Ausführung eines Be-fehls entgegenstehen. So hat man z. B. mit Erfolg für den Schußmit dem Gewehr Hilfsvorrichtungen erfunden, die eine größere Ein-Übung und damit Treffsicherheit des Schützen erzielen. Das Zielder Hilfsvorrichtung selbst ergab sich aus der genauen Analyseder das Zielen und Schießen begleitenden seelischen Vorgänge.lDas am meisten bearbeitete Feld der angewandten Psychologiebildet die Pädagogik. Die Piychologie gibt die Hilfsmittel, umzu erfahren, in welchem Lebensjahr, zu welcher Jahres- und Tages-zeit ein Kind am aufnahmefähigsten ist. Bekanntlich schwanken dieAufmerksamkeit, die geistige Kapazität, der Lerneifer nach zeitlichenPerioden. Die psychologische Untersuchung bietet weiter Anhalts-punkte für die individuelle Beschaffenheit des Zöglings, seinen Vor-stellungS- und AuffasiungslypuS. Sie entscheidet, ob der Schülerleichter mit dem Gehör oder mit dem Gesicht auffaßt und lernt, obmehr sein Phantasieleben oder seine Beobachtungsgabe der Anregungbedarf. Die pädagogische Psychologie weist die Mittel auf, dasgesteckte Ziel unter Anpassung an die Veranlagung einesSchülers und das Fassungsvermögen einer Altersstufe zuerreichen. Sie lehrt, in welchem Alier die rein gedäcktniSmäßigeoder die verstandesmäßige Verarbeitung in den Vordergrundtreten muß. Sie gibt auch an, wieviel Material in bemeffencr Zeiteingeprägt werden kann, welches die beste Methode des Lernensist usw Sie untersucht ferner, wieviel Stunden Unterricht am zu-träglichsten sind und welche Willensleistungen man einem Kinde auf-bürden darf. Sie gibt schließlich die besten Unterrichtsmethoden fürden Lehrer in den einzelnen Lehrfächern an. Es ist nicht gleichgültig,ob im Zeichenunterricht schematisch und stumpfsinnig Vorlagenkopiert und„klassische" Gipsmodelle nachgemalt werden, oder ob aneinfachen Gegenständen aus dem AnschauungSkreiS des Kindes dieBeobachtung sür Form und Farbe geschärst und die Darstellungsgabeentwickelt wird. Soll man Steil- oder Schrägschrift, Antiqua-oder Frakturdruck für den Schreib- und Leseunterricht verwenden?Wie übt man am besten das richtige(orthographische) Schreibenein? Das sind nur einige Fragen, die von der pädagogischen Psh-chologie untersucht und beantwortet werden. Eine Zusainmeiistellungder wichtigsten bisherigen Ergebnisie bietet die„Experimentelle Pä-dagogik" von W. A. Lay(erschieneil in Teubners Sammlung„AusNatur und GeistcSwelt". 2. Aufl. Preis 1.25 M.). TaS Büchleinist so weit brauchbar, als es Experinicnte zusammenfaßt. Wo derVerfasser darüber hinausgehend systematisiert, wird seine Darstellunglangweilig und verliert den festen Boden.II.Gleich der Pädagogik ist auch die Aestbetik von der erperi-mentellen Psychologie befruchtet ivorden. Während die spekulativeAesthetik von Begriffen lind Werturteilen ausgeht, schließt fichdie experimentelle Aesthetik an die Erfahrung an. Zur Beant»wortung der Frage: Was nennt man schön? werden die ein«fachsten ästhetischen Verhältnisse(geometrische Figuren u. ä.)den Beobachtern zur Beurteilung vorgelegt und durch planmäßigeVeränderung einzelner Beziehungen(Maße, Farben usw.) die Ge«setze des Schönen abgeleitet. Fechner, der Begründer derAesthetik der Erfahrung, bildet« dazu drei Methoden aus: Nach derMethode der Wahl haben die Versuchspersonen aus einer gegebenenZahl von Größen die ihnen am meisten zusagende herauszufinden.(So zeigte sich z. B.. daß Frauen stets den Kreis, Männer einregelmäßiges Vieleck bevorzugen). Bei der Methode der Her«stellung haben die Personen das ihnen am schönsten erscheinendeVerhältnis gegebener Teilfiguren selbst herzustellen. Die Methodeder Verwendung prüft, welche Verhältnifse an Schmuckaegen«ständen(Büchereinbänden, Briefbogen usw.) sich am häufigsteWnach«weisen lassen. Schon aus diefen Urteilen über so einfache Ver»Hältnisse lassen sich eine Reihe von Grundgesetzen der Aesthetik ge«Winnen.Eine wesentliche Bereicherung erfuhr die psychologische Aesthetikdurch die Analyse der Vorstellungs- und Willensvorgänge. DieAbhängigkeit ästhetischer Gefühle von Erfahrungen individueller undsozialer Herkunft wurde durch sie klar erwiesen. Die ästhetischenErlebnisse treten damit in engsten Zusammenhang mit den seelischenFunktionen überhaupt. Nur eine besondere Art der Erweckung desästhetischen Enipfindens zeichnet sie aus. Die Einfühlung istdas charakteristische Organ für die ästhetische Verarbeitung der Um-Welt. In die Anschauung eines Kunstwerks werden unbewußt Kräfteund Stimmungen der eigenen Seele hineingelegt. So erscheint auchdie Natur als ein Bild unseres Lebens, als ein Symbol menschlichenStrebenS. Die Natur wird erhaben, groß, pathetisch, elegisch,melancholisch, heiter, ernst genannt, kurz mit Attributen unserer„Natur" belegt. Bei dem von Menschenhand geschaffenen Kunst-werk knüpft unsere Phantasie an ein bestimmtes Zeichen an,mit dem wir erfahrungs- und gewohnheitsmäßig die ent«sprechende Empfindung verflechten. Ueber die speziellen Arten derEinfühlung gibt die psychologische Analyse genaue Aufklärung. Nichtdie Qualität deS Objektes ist in erster Linie für den Eindruck„ästhetisch" bestimmend, sondern umgekehrt: die psychologische Be-schaffenheit(Erfahrungen, Veranlagung) entscheidet, ob etwas alsästhetisch empfunden werden kann oder nicht. Die Bedeutung derdurch die soziale Gemeinschaft vermittelten Erfahrungen für dieästhetischen Urteile tritt so erst durch die Beleuchtung der Einfühlungklar hervor.Einige Anregungen zur Vertiefung in psychologisch-ästhetisch«Probleme findet man in Meumanns„Aesthetik der Gegenwart"(aus„Wissenschaft und Bildung", 2. Aufl. Preis 1,25 M.). M. fkizziertneben der psychologischen auch die übrigen Hauptrichtungen in dergegenwärtigen Aesthetik. Durch ausführliche Literaturangaben undein Sach- und Personenregister empfiehlt sich das Büchlein noch be«sonders. D. M.Kleines f euilleton.Aus dem Pflanzenleben.Georginen. Wenn mit den Sommertagen die Zeit der Rosenvorüber ist und allmählich die Tage des Herbstes herankommen,dann beherrscht eine stolze Blume, die Georgine, den Garten undden Blumcnmarkt. In allen Farben, vom leuchtenden Weiß biszum dunklen Rot und in allen Schattierungen von Gelb und Brauntrifft man die großen, kugeligen Blumen an, nur das Blau fehlt,denn es ist den Gärtnern trotz aller Bemühungen bisher nochnicht gelungen, blaue Georginen zu züchten. Wenn wir nunheute auch die Georgine in jedem Dorfgarten antreffen, so daßsie zu den verbreitetsten Blumen gehört, so ist es doch erstwenig mehr als hundert Jahre her, seit die Blume zum erstenmalaus ihrer Heimat Mexiko nach Europa gebracht wurde. 1784sandte �er Direktor des Botanischen Gartens in Mexiko einigeSäirzelknollen der Pflanze an den Botanischen Garten zu Madrid.o die Blume einige Jahre später genau beschrieben wurde und zuEhren des schwedischen Botanikers Dahl den Namen Dahlie erhielt.Die schöne Blume, die damals das größte Anflehen in der bota«nischen Welt- erregte, wurde in dem Madrider Garten streng be»hütet, und es dauerte dreizehn Jahre, ehe die erste Knolle an Frank«reich abgegeben wurde. Zur selben Zeit aber hatte AlexanderV.Humboldt die Pflanze in ihrem Heimatlande aufgefunden undSamen»ach Europa geschickt, aus dem die Blume von neuemgezogen wurde, die nun zu Ehren des damals berühmtenrussischen Reisenden Georgi den Namen Georgine bekam. Sehrbald nach ihrem ersten Auftreten wurde die Georgine zur gesuchtenModebluine, und für auserlesene Exemplare wurden ganz gewaltighohe Preise bezahlt. Die Gärtner Englauds betrieben mit be-sonderein Eifer die Zucht der Georginen; alle möglichen Farben»spielarten wurden gezogen, und eS erregte damals nicht geringesAuflehen, als die erste reinweiße Varietät gezüchtet worden war.Heute dürfen wir wohl über 2000 Spielarten der Georgine unter-scheiden. Einige gelbe Arten haben die Eigenschaft, im Dunkeln zuleuchten; man nennt sie daher vielfach„Deutsche Sonne"._Verantwortl. Redakteur: Albert Wachs. Berlin.— Druck u. Verlag: vorwärtsBuchdruckereiu.Verlagsanjtalt Paul ScngerLEo., Berlin