Pelle sah es nicht gern, daß Ellen noch ferner mit all dem Schmutz zu schaffen haben sollte: er wollte allein für das Auskommen sorgen. Ellen hatte außerdem ihr Teil Arbeit getan, sie sah so müde aus und hatte es nötig, ein wenig gepflegt zu werden. Es war gleichsam, als falle sie ab. jetzt, wo er da stand und die Verantwortung wieder über- nehmen konnte. Aber daß sie die Wäsche aufgeben sollte. davon wollte sie absolut nichts hören. Es ist nie gul, das schmutzige Wasser auszugießen, ehe man reines hat," sagte sie. Jeden Morgen machte er sich auf den Weg, mit einem neuen funkelnagelneuen Fachvereinsbuch ausgerüstet, und ging von Werkstatt zu Werkstatt. Es waren keine guten Zeiten für das Fach, viele von seinen alten Arbeitskame- raden waren in andere Erwerbszweige hinübergedrängt, er traf sie wieder an als Kondukteure. Laternenanzünder und dergleichen: die Maschinen hätten sie überflüssig gemacht, sagten sie. Es waren die Nachwehen von der großen Aus- sperrung, die hatte die kleinen selbständigen Meister totge- schlagen, die ehedem mit einem Mann oder auch mit zweien arbeiteten, und der Großindustrie die Segel gebläht. Die Vereinzelten, die es hatten aushalten können, hatten sich Maschinen angeschafft und waren Fabrikanten geworden, der Rest war hinausgedrängt und saß rings umher in entlegenen Kellerwohnungen und ernährte sich durch Flickarbeit. Am allerwenigsten hatte er sich gedacht, daß er wieder unter den alten Bedingungen auf Arbeit gehen mußte. Und nun ging er hin und bot sich an, war willig, wieder in die Lehre zu gehen, um die Maschinen seines neuen Herrn zu bedienen und bot sich der ärgsten Ausbeutung feil. Und die Fabrikanten hatten nicht einmal Verwendung für ihn, sie erinnerten sich seiner noch zu gut.Sie sind zu lange vom Fach fortgewesen," sagte dieser oder jener zweideutig. Nun, das war ja nur ein wohlgemeinter Dank für alte Zeiten. Aber er fühlte bitter, wie sich die Vergangenheit selbst wider ihn erhob. Da hatte er gekämpft und alles geopfert, um die Berufsverhältnisie zu verbesiern, und die Maschinen waren die niederschlagende Antwort der Entwickelung an ihn und seinesgleichen. Er war nicht der einzige, der fh dieser guten Frühlings­zeit umherging und vergeblich suchte, eine Menge anderer Berufe hatten dasselbe Schicksal gehabt wie der seine. Jeder neue Morgen führte ihn in einen ganzen Zug von Menschen hinein, die dazu verdammt schienen, das Pflaster zu treten in hoffnungslosem Suchen nach Arbeit, Leute, die aus der Maschinerie herausgedrängt waren und nicht wieder hinein- finden konnten. Es muß etwas mit ihnen nicht stimmen, dachte er, während er dastand und beständig derselben Ge- schichte lauschte, wie sie plötzlich abgehakt waren und das ganze davon dampfen sahen. Es mußte ihre eigene Schuld sein, wenn nicht ein neuer Zug kam und sie ankoppelte, vielleicht waren sie träge oder versoffen. Aber allmählich sah er solide. erprobte Leute in den Reihen stehen und ihre Kräfte Morgen für Morgen ohne Ergebnis ausbieten: und es ahnte ihn frierend, daß die Zeiten im Begriff waren, sich zu ändern. (Fortsetzung folgt.) (Nndidruc! txrOoten.) 11 VeinO Von Franz Held . Ting kling tiri fing-- In der großen Kupferschmiedewcrkstatt, Rue du Tcmple, klirr- ten und rasselten die Hämmer, Feilen und Schrauben. Fröhlich pfisf der junge Arbeiter Georg Lorel in den fröhlichen Lärm hinein, während er mit seinem schweren Hammer mächtige Streiche auf ein elegantes Spülbecken führte, das wohl für die Küche eines Millio- närs bestimmt war. Wie die breiten Rinnen glänzten! Wie feist und solid das Geschirr sich bauchte! Und das alles hatte er gemacht. er allein! Nicht wie in den großen Fabriken, wo ein Stück bis zu seiner Fertigstellung durch hundert Hände gegangen sein mutz. Dies Becken hier war sein eigenes Werk, einzig und allein das feine. Wenn er heut' abend die harten Hundertsousstücke dafür ein- strich(es war Akkordarbeit), so machte es ihm zwar auch Freude, vor Schlafengehen sein Geld noch einmal zu überzählen. Aber darin ) Aus: Franz Held Ausgewählte Werke(Verlag Eberhard Frowein, Berlin 1912; geb. 6 M.) Veine; soviel wie Lebensader; hier symbolisch auf de! Helden der Erzählung ge- nommen. bestand nicht seine hauptsächliche Zufriedenheit. Die war dann schon vorbei, die hatte wenig mit dem Geldklingeln zu tun, fondern sie sprang wie ein Funken aus dem Hammerklirren. Die genoß er nicht im Restaurant, wo er sich nach Empfang seines Lohnes einen besseren Braten zu leisten pflegte als gewöhnlich. Nein, sie erfüllte ihn hinter der Drehbank, wenn das ungefüge Metall unter seinen Fäusten allmählich Form gewann, wenn der Patron zu ihm trat, die Fortschritte seiner Arbeit musterte und zu ihm sagte:Lorel, Sie arbeiten so geschickt und aufmerksam, daß es ein Spaß ist; ich mutz wirklich mal was von Ihnen auf eine Fachausstellung schicken!" Jawohl, das Geld allein war's nicht, was glücklich macht! Man mutz wissen, woher man's hat. Das war ihm schon von seinenr Vater eingeprägt worden, dem Zimmermann in einem Dörfchen von Artois, als der mit seinen Sparpfennigen den fünfzehnjährigen Burschen nach Paris in die Lehre schickte. Und dies Axiom(Grundsatz) hatte der Sohn bewahrheitet ge- funden. Wie wars ihm denn gewesen, als er vor ein paar Mo- naten das orotze graue Kuvert erhielt mit etwa 200 Frank aus der Erbschaft einer Tante? Da hatte er doch gerade so gut Geld, als bei Empfang seines Lohnes. Aber es machte ihm keinen Spatz, die fremden Scheine zu betrachten, er kannte sie nicht. Denn seine Finger hatten sich ja kaum gerührt, um das Kuvert zu erbrechen, während sie sich tüchtig um den Hammerstiel krampfen mußten, bis er sich sagen konnte: So, jetzt hast du wieder einen Franken zu- sammengeklopst! Das fuhr ihm so mit dem Hammerschlag durch den Kopf. während er an seinem fast fertigen Stück herum verbesserte. Frei- lich, sein ehemaliger Kamerad, der Eduard Mignon mit der Haken- nase und den kleinen, lebenslustig blitzenden Mausaugen, der hatte ihn wegen solcher Ideen ausgelacht»Lieber wie ein Sous aus des Meisters Kasse ist mir ein stibitzter Frank!" hatte der freche Kerl gerufen, mit seinem übermütigen Augenzwinkern. Aber dem armen Teufel konnte man solche Gemeinheiten nicht gar zu übel- nehmen. Der war krank gewesen, hatte schon Gott weiß wie lange keine Arbeit mehr, lebte Gott weiß wovon und Gott weiß wie schlecht. Wenn ich in seiner Patsche wäre," gestand sich Lorel,was würd' ich wohl alles sagen und tun?" Der Gedanke war für ihn angenehm, denn er hatte ja zu leben, und zwar sehr auskömmlich, von seiner Hände Arbeit. Kling kling tiling es kicherte so zuversichtlich! Der große Blasebalg, den ein Lehrjungc trat, antwortete mit einem grämlichen Schnauben, das sich anhörte wie: es ist noch nicht aller Tage Abend! Es gab freilich auch Hände übergenug in Paris , die sich eifrig rühren mußten und dafür doch kaum das tägliche Brot schnappten. Da waren die beiden Kartonarbeiterinnen, mit denen er seit einigen Wochen abends auf dem Omnibus nach Belleville heimfuhr, Marie und Berthe. Morgens sechs Uhr fuhren sie schon heraus und kamen erst abends acht zurück. Dazwischen hatten sie höchstens eine halbe Stunde Zeit für ihr miserables Mittagessen in der Crömerie(ein Glas Milch und eine Eierspeise, die ihre beiden cxsten Silben abso- lut nicht verdiente), und bei all dieser Plackerei bekam jede nur 3 Frank täglich, arg wenig in der teuren Stadt. Besonders, wenn man die beiden täglichen Omnibusfahrten abrechnete(ä 15 Cen­times), die nötig waren, weil die Mädchen draußen bei ihren Eltern in der Vorstadt wohnten. Der Mutter lieferten sie ihren Verdienst in die gemeinschaftliche Haushaltungskasse ab. Das war ihnen manchmal hart, weil sie gern auch was für ihre Toilette zurück- behalten wollten, wie sie dem jungen Manne klagten, der schnell ihr ganzes Vertrauen gewonnen hatte. Aber sie wiesen zurück, was er ihnen als Gardcrobezuschutz anbot. Und doch nahmen sich die beiden immer recht schmuck aus! Sie trugen zur Schonung der Meidcr im Geschäft lange weiße Leinen- kittel und hielten diese auch auf der Straße an, beim Ganz zum Mittagessen, das Lorel manchmal mit ihnen zusammen unter Scherzen und Gekicher vertilgte. Die Schulmädchen in Georgs Dorf hatten solche auf dem Rücken kreuzweis gebundene Ueber- würfe, und den großen Frauenzimmern stand es ganz putzig! Unter den Kitteln saubere, prall sitzende schwarze Wollkleidchen und stets ein schmuckes farbiges Seidcnhand um die runden fetten Hälse. Besonders die kleinere und jüngere Berthe, ein ganz kugel- förmiges, rosiges Persönchen mit echt kindlichem Lächeln, sah in ihrcm� langen Arbeitskittel allerliebst aus. Während der ganzen halbstündigen Omnibusfahrt lachte sie ihm mit ihren Mauszähnchen ins Gesicht, wie ein wirkliches Schulmädel, daß die dicken Backen kugelrund heraustraten. Selbst der majestätische, stoppelbärtige Kutscher, an dessen Rücken sie sich mit der Schulter lehnte, fand sich durch ihr süßes Geschwätz bewogen, ihr mit protegierender Halb- schwenkung seines walzenförmigen Rumpfes ein derbes Witzwort hinzuwerfen. An ihrer Seite sah Lorel gar nichts von dem brausenden, strudelnden Leben auf den Boulevards, über das sie hinwegschwanktcn. Tie Häuser wurden schmäler und schmutziger, die Straßen enger und dunkler sie waren in der Borstadt ange- kommen, ohne daß er die Zwischenzeit gemerkt hätte. Die Drei stiegen vom Omnibusdach wie vom Deck eines ge- landeten Schiffes herab. Sie tranken dann schnell noch vor irgend- einem unsauberen Cafe einen VerrnoutK guignole, das ist: ein mit Fruchtsaft versüßter Trcbernschnaps. Lorel warnte vor dem Gift, aber die süßen Mäulchcn mußten was Süßes haben. Abend- essen bot er den Schwestern immer vergebens an. Auch dankten sie für seine Einladungen zum Cafe-Konzert. Am 14. Juli, dem