Kn den Wänden auf ledergepolsterten Divans gestikulierende Gruppen, all die kleinen Tische mit den Ellenbogen drückend, den Abendkourier in der Hand. Aber es waren auch Leute da, die direkt aus Beauvais kamen. Sie bilbeten den Mittelpunkt dichter Ansammlungen. Das unerhörte Resultat ward von ihnen be- stätigt. Eine Menge bleicher Gesichter lauschten ihnen, in manchen traten die roten Finnen durch die Farblosigkeit doppelt ekelhaft hervor. Es waren Arbeiter, kleine Ladenbesitzer, Kommis, Nähe- rinnen, Wäscherinnen, überhaupt lauter Personen, die keine Zeit fanden, um persönlich auf das Rennfeld zu gehen. Sie alle hatten durch Kommission die Favoris gespielt. Und nun waren ihrer aller schwer«rsetzliche Sparpfennige verschluckt! Wie sie verzweifelt dasaßen, vor sich hinbrüteten! Pang! Da hatte einer seine leere Literflasche an der Wand zerschmettert, was von dem handfesten Kellner unter tätigem Beistande der Wirtin sofort durch Entfernung aus dem Lokale geahndet wurde. Lorel sah unsicher um sich, ihm kam's vor. als müßte sich all der Unmut plötzlich gegen ihn kehren. Denn sein Gewinn wo kam er her, wenn nicht aus dem Verlust dieser Leute? Da legte ein ganz alter Mann die beiden runzeligen Hände schlaff auf die Knie.Ein Flickschuster!" sagte ihm jemand.Wird aber wohl nicht länger vor seinen grünen Glaskugeln sitzen, über die gebeugt er fünfundzwanzig Jahre lang am nämlichen Fleck Sohlen klopfte. Man wirft ihn morgen hinaus, denn er hat das Miets- geld fürs nächste Vierteljahr verloren." Lorel griff schon in die Tasche, um dem Alten ein Zehn- frankstück zuzustecken. Er war ja reich fetzt! Aber halt! Er hatte ja seinen Gewinn noch nicht einkassiert. Mit dem Besitze stellte sich auch sofort der Geiz ein. Eine plötzliche Angst überkam ihn, daß dies alles wie ein Traum zerrinnen könne. Er erzählte seinen Fall einem Mann, der gerade aus Beauvais kam, offenbar ein Bookmaker. Ah. das ist der Hippolyte? den kenn' ich! So gut, als ob Sie's schon in der Tasche hätten! Heut abend? Nein, im träfen Sie ihn doch nicht zu Haus. Ist ins Theater gegangen mit seiner kleinen Schwarzen. Er kommt aber morgen sicher nach Vincennes zum Rennen." Seine dreiFreunde" hingen sich anderen Tags beim Mittag- essen wieder an ihn undzogen jeder eine Rübe(d. i. ein Fünf- frankstück) aus ihm heraus". Sein Bargeld war aber noch für einige Wetten hinreichend, als er auf dem Platze von Vincennes ankam. Vom Bahnhofe führten zwei Wege zum Rennplatz. Der eine, kürzere, übers freie Feld. Wie ein Ernte-Bittgang zog sich der schwarze Menschenschwarm auf dem engen Pfade zwischen den jungen Halmen hin. Und sie wollten ja alle eine goldne Ernte zurückbringen. Der andere Weg, beschattet von einer Allee mäch- tiger Kastanien, bildete einen rechten Winkel. Er wuxde meist von Equipagen benützt, in deren blanklackierten Flächen die samt- grünen Lappenblätter sich phantastisch spiegelten. (Fortsetzung folgt.) Beruf und fteuswirtfcbaft. Wenn wir den Ueberblick über die Frauenbewegung nicht bis fünf Uhr bekommen, können wir ihn nicht mehr gebrauchen!" hatten sie auf der Redaktion gesagt. Das waren ja schöne Aussichten. Dann hätte ich drei Tage umsonst in alten Papieren herumgestöbert. Geistig arbeiten auf Kommando, selbst wenn nur journalistisch, ist schrecklich. Voll und ganz begreift man es, daß Gottfried Keller vor Jahren hier in Berlin , als ihm sein Verleger ein Kapitel desGrünen Heinrich " nach dem andern abdrängte, bittere Tränen beim Dichten auf das Manuskript geweint... Fürsorglich kaufte ich auf dem eiligen Heimweg zwei marinierte Heringe und ein Pfund junge blaue Kartoffeln. Ein vornehmeres Mahl war bei der Hetze kaum zu beschaffen. Ins Restaurant zu gehen, erschien ausgeschlossen der Kasse wegen, offen gestanden. Man muß so etwas humorvoll nehmen. Und dann:Pellkartoffeln und Hering ist ein schönes Gericht! I" Eine der wenigen Delika- tessen, die man so leicht nicht dicke kriegt. Ich spreche aus lang- jähriger Erfahrung. Das Fenster, vor dem ich arbeitete und die Balkontüren unserer kleinen Gartenwohnung standen weit offen, es war beängstigend warm. Di« Augustsonne prallte auf das wohlgepflegte Gärtchen, auf die grünen zehn Meter im Ouardrat, auf unser Großstadt- tdyll. Die Fliederbüsche rundum, die im Mai und Juni duftige Dolden eschaukelt hatten, standen in üppigster Blütterpracht, um gaben in stattlicher Höhe, wie ein wellig-plustriger Kranz das ebenmäßig geschorene Stückchen Rasen. Auf dem hübschen Mittel- beet mit seinem imitierten Springbrunnen glühten prächtig-dunkel- rote Geranien und zwei farbenfrohe steinerne Zwerglein, der eine mit einer Harke über die Schulter gelehnt, der andere mit einer zierlichen Brause in der Hand, hielten versteckt im Laubwerk Macht. Auf dem Balkon gegenüber flötete die immer frei im Hof umher- fliegende zahme Spottdrossel unseres Nachbarn ihr charakteristisches Lied, wozu sich die Landleute meiner westfälischen Heimat den in den Schlußlauten aufjauchzenden Text:Jk heb micn Wif w i er!" (Ich habe mein Weib wieder!") kombiniert haben. # So hätte es sich ganz gut arbeiten lassen, den der Papageno im Gartenparterre links, der immer ganz unvermutet sein schrilles: Lorra, Wuppdich!" auskreischt, womit er sämtliche Hausbewohner, einzeln und gemeinschaftlich, schon zu Tode erschreckt hat, war außer» halb in Kost und Logis gegeben worden, weil seine Herrschaft Tirol bereiste, und der Phonograph der Sängerin in der zweiten Etage im Vorderhaus, der sonst in Abwesenheit seiner Besitzerin Sängerinnen sind wenig zu Hause wohl zwanzigmal pro Tag das herzerquickendePaulinchen ging tanzen" herunterschnurrte, schwieg sich schon tagelang geheimnisvoll aus, weil auch die thürin- gische Köchin der Sängerin Ferien hatte. Ich tippte gejagt, immer m Takt, daß die Räder meiner Oliverschreibmaschine rasselten, tipptipptipp, tipptipptipp, und kam auch ziemlich gut von der Stelle. Die Ideen schössen mir nur so zu. Gegen zwölf bekam ich Hunger. Der Körper braucht Kohle. Ich flog in die Küche, wusch mein PfundBlauaugen" spiegelblank und setzte die Gottesfrumt mit Wasser und Salz auf das Feuer. Ein Pfund war natürlich für mich allein zuviel, aber von dem Ueber» schusse wollte ich für den Abend Kartoffelsalat herstellen. Kartoffel- salat und Eier ist auch ein schönes Essen. Ich wartete, bis die Erdäpfel kochten und stellte das Gas ganz klein. Da ging das Telephon.Ob ich nicht ein Stück des Artikels schon früher senden könnte?"Ich hatte doch niemand zum Schicken, kann mir ja keinen dienstbaren Geist genehmigen."Dann lassen wir den ersten Teil holen!" sagte die Telephonstimme.Sehr liebenswürdig 1" sagte ich.Verfluchte Hetzjagd I" dachte ich. Kaum saß ich wieder, schellte es an der Korridortür. Gott verdammt, wenn ich jetzt aber aus dem Konzept komme...! Vor- sichtig spähe ich durch das runde Loch in der Tür und öffnete. Das war Rika, die junge musikalische Russin, eine schriftstellernde Anfängerin.Större ich?" fragte sie und blickte mit mit ihren, heute besonders melancholischen, schwarzen Augen an.Störren tut mich jederrr!" kopierte ich ihre Aussprache.Dann will ich nurr lieberr..."Kommen Sie nur herein!" sprach ich bezähmt. Ich habe eben fünf lange Notizen von derr Zeitung zurrückerrhalten, ich habe nichts für die Miete, man kann verhungerrn!" klagte sie. Das geht im Anfang oft so," tröstete ich sie,ich bin auch nicht verhungert! Uebrigens können) Sie hier Ihr Mittagbrot der- dienen, wenn Sie mir schnell diese Seite herunterdiktieren. Dafür werden wir nachher auch fürstlich speisen!"Serr gerrn!" willigte sie ein, blickte dankbarlichst und es kam mir vor, als ob sie eine Träne im Auge zerdrücke. Nun ging es aber wirklich bedeutend rascher. Tipptipptipp, tipptipptipp, ich fühlte kaum noch, daß die Fingerspitzen die Tasten berührten. Rika diktierte. Die Drossel trillerte melodisch. Die Rädchen rasselten. Da begann der 11jährige Erich über uns in der dritten Etage wie immer seine Kuhlauschen Sonatinen zu üben, fehlerhast zu üben. Das hätte nicht kommen müssen. Bei jedem falschen Ton zuckte Rika zusammen und sagte:Brrr l" Das machte mich nervös, ich vertippte mich. Es ist doch nicht alles Gold, was in so einer Berliner Garten- Wohnung glänzt," knurrte ich abgebrüht.Seicn Sie bloß froh. daß man nicht gerade Teppiche klopft, und daß kein Nachbar Zwiebeln brät!" Brrrl" zuckte Rika:Riecht serr schlecht!" Ich hielt den Kopf aus dem Fenster und sprach zerfahren: Zwiebel und Speck! Das braten sich nun diese Leute unter uns jeden Tag, den Gott werden läßt!" Dann ging es wieder fünf Minuten lang tipptipptipp, tipptipp- tipp. Rika bezwang höflicherweise dreimal einBrrrl", das Zu- sammenfahren konnte sie nicht unterdrücken. Als ich dieserhalb einmal vorwurfsvoll aussah, blickte sie fast unterwürfig, faßte sich aber schon im nächsten Augenblick wieder ein Herz und bemerktet! Brrr!" Riecht wirrklich serr schlecht!" Wieder streckte ich den Kopf aus dem Fenster, und als in diesem schicksalsschweren Augenblick gerade das unschuldige Lämmchen, unser Portier, Herr Stabewsky, mit Schippe und Kehrbesen über den friedlichen Hof spaziert kam, und weil die Miete doch für den laufenden Monat bezahlt war, brüllte ich ihn mit Stentorstimme an:Das ist hier aber doch nicht mehr auszuhalten! Zwiebel und Speck und Speck und Zwiebel! Morgens und mittags und abends und nachts! Muß man sich das denn eigentlich gefallen lassen?" Wat jeht mir det an?" kam prompt im selben Tonfalle die Erwiderung:Ick wer' hier doch Jhretwejen die Leute nich in'y Pott kieken! Machen Sie doch Ihr Naterijes Fenster zu!" Etwas geknickt zog ich mich zurück und meinte zu Rika:Ja, ja. so ist nun mal unser Portier... Weiter im Text!" Plötzlich... in der Wohnung... in nächster Nähe... eine Explosion... ein Knall... ein Krach! Und unmittelbar darauf, ein Splittern und Klirren und Prasseln, daß mir zunächst vor Schreck die Hände zitternd in der Luft hängen blieben. Rika saß wie versteint offenmäulig... Mit einem Satz war ich in der Küche. Hui, da verbrannte ich mir zuerst die Finger an dem rotstrahlenden Kartoffeltopf, der verkehrt herum wie ein Sodom oder Gomorrha mitten auf dem Boden in der schwarzrauchigen Mche paradierte. Gleichzeitig trat ich, verflucht nochmol, in spitze Scherben, bis ich endlich glücklich den rechten Fensterflügel offenstieß und der graugelbe Qualm langsam abziehen konnte. Nicht mal Pellkartoffeln kann man mehr kochend Und dann stierten wir beiden auf die Bescherung und meine Augen blieben beschämt auf dem kleinen russigen Wecker hängen,