Anterhaltungsblatt des Vorwärts

Nr. 178.

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Freitag, den 13. September.

Nachdru& berboten.2

Pelle der Eroberer.

Von M. Andersen Nerö. Uebersetzt von Mathilde Mann . Belle ging in einer eigenen, gehobenen Stimmung umher. Er hatte eine Empfindung, als habe etwas, das größer und schöner war als er selbst, Siz in ihm genommen und müsse sich nun da drinnen zu seiner Vollendung aus wachsen. Inwendig in ihm wuchs es, ein neues Wesen, das dennoch er selbst war, ruhte dort und sog Nahrung aus allem, was er unternahm. Er bewegte sich behutsam und still, mit einem nach innen gekehrten Ausdruck, als wäge er alles ab; da war so viel, was man nicht durfte, weil es diesem schaden konnte! Sie waren jezt immer zwei- Belle und dies wunderliche, ungesehene Ich, das sicher und schwer in ihm ruhte wie eine Leibesfrucht, mit ihrer Wurzel im Dunklen.

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Belles Verhältnis zu den Büchern war tief begründet, er mußte jezt Klarheit über die Welt haben. Den Dichter­werken gegenüber war er ein wenig mißtrauisch; man ge­langte zu leicht zu ihrem Inhalt, damit konnte es nicht seine richtige Bewandtnis haben. Sie waren ja übrigens auch gemacht! Er hatte ein Bedürfnis nach wirklichem Stoff, nach Tatsachen: es waren mächtige Räume in seinem Gehirn, die danach hungerten, mit handgreiflichem Wissen von den Dingen angefüllt zu werden. Er gab geschichtlichen Werken den Vorzug, namentlich sozialhistorischen, und las bis auf weiteres alles, was ihm in die Hände fiel, roh und ungesüßt. Dann mußte es selbst sehen, wie es sich ausschied. Es war dies ein Hunger, der nie befriedigt worden war und jetzt unersättlich erschien.

Aber seine Arbeit verrichtete er pedantisch; er hatte es sich zum Grundsatz gemacht, niemals ein Buch anzurühren, Solange Arbeit auf dem Fußboden lag und wartete. Er hatte im Gefängnis von einem vernünftigen Arbeitstag von zum Beispiel acht Stunden geträumt, so daß einem Zeit und Kräfte blieben, sich mit dem Geistigen zu beschäftigen; iegt nahm er statt dessen vom nächtlichen Schlaf. Hier war auf alle Fälle ein Gebiet, wo man es wohl lassen sollte, ihn aus­zuschließen; er wollte seinen Anteil an dem Wissen der Zeit haben. Er fühlte, daß darin Waffen lagen, lange genug hatte sich der arme Mann gutwillig in die Ecke gestellt aus Mangel an Aufklärung; jedesmal, wenn er den Kopf hervor­steďte, log man ihn wieder zurück. Warum eroberte der arme Tropf nicht ganz einfach das Vorrecht der Oberklassen? Es kostete ja nur Mühe, und mit der Münze zu bezahlen, war er gewöhnt! An Fähigkeiten fehlte es ihm kaum; so weit Belle vorläufig sehen konnte, tamen fast alle Bahn­brecher für das Neue von unten herauf.

Er entdeckte zu seiner Freude, daß sein Suchen innen, in sich selbst, ihn nicht von der Welt wegführte; dort, tief da drinnen, tauchte er ja wieder ins Licht hinaus. Ja, ins Licht! Er folgte den geheimen Gefeßen seines eigenen, innersten Wesens und stand wieder mitten in der Frage nach dem Wohlergehen der Vielen. Sein praktischer Sinn bedurfte dieser Bestätigung des Zusammenhanges. Darin lagen auch Ergebnisse nach außen hinaus; schon jetzt konnte die Geschichte nicht länger benußt werden, um ihn und seinen Ideen heim­auleuchten, er wußte zu viel. Und sein Blick wuchs von Tag zu Tag und umspannte einen immer größeren Horizont. Eines Tages würde er ganz einfach den Kobolden die Zauber­formel rauben und damit den Kampf entfachen!

Er war von unermüdlicher Ausdauer und in der Regel voller Zuversicht. Wenn die letzten Artisten aus dem Artisten­café nach Hause kamen, brannte in der Regel seine Studier­lampe noch, und er saß da und arbeitete. Dann blieben sie vor dem geöffneten Kellerfenster stehen und machten einen Schwaz mit ihm in ihrem gebrochenen Dänisch.

Es ging knapp her im Hause, die Abzahlungen der An­leihe und die Schulden von der Einrichtung her verschlangen noch immer alles, was sie zusammenscharren konnten, und Belle hatte keine Aussicht auf bessere Arbeit. Aber die Arbeit trägt selbst den Glauben in sich; er vertraute blind darauf,

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daß sich ihm schon ein Ausweg erschließen würde, wenn er nur underdrossen seine Pflicht tat.

Ellens stilles Mißtrauen seinem Vorhaben gegenüber ertrug er mit Ruhe. Er fühlte sich größer als sie in dieser Beziehung, sie gelangte nicht da hinauf, wo er sein Haupt trug!

6.

Schon um vier Uhr erwachte Belle, obwohl er spät zu Bett gegangen war. Er schlief in dieser Zeit einen Hühner schlaf, die Sommernacht lag wie ein lichtes Mahnen übar seinen Augenlidern. Er schlich in die Küche hinaus und wusch sich und ging dann hinab an seine Arbeit. Der weiß­graue Atem der Nacht hing noch sichtbar unten in der Straße, aber hoch oben bei den Dächern sproßte ein rötlicher Schim. mer auf. Nun geht die Sonne über dem Lande auf," dachte er und erinnerte sich der Morgen in seiner Kindheit: der Felder mit dem silbergrauen Taugespinst, und der Sonne, die plößlich kam und es in Millionen strahlender Diamanten umwandelte. Ach, könnte man wieder einmal barfüßig und leicht erbebend hinauslaufen in das taufeuchte Gras und un­berzagt dem dämmernden Tage entgegen rufen: Auf mit Dir, Sonne, Belle ist schon hier!

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Der Nachtwächter kam schlurfend vorüber an dem ge öffneten Fenster auf seinem Weg nach Hause. Schon auf," fagte er nachtheiser und nickte hinab. Ja, Morgenstunde hat Gold im Munde, Du wirst noch einmal reich. Schuster!" Pelle lachte, er war reich!

Er dachte an Frau und Kinder, während er arbeitete. Der Gedanke hatte etwas Trauliches, daß sie da lagen und fo ruhig schliefen, während er hier saß und sich abmühte; das zeigte, daß er ihr Versorger war. Aus jedem Hammerschlag wuchs das Heim auf, darum hieb er so unter darauf los. Arm waren sie, aber das war gleichgültig im Verhältnis dazu, daß, wenn er jegt fortgerafft würde, vieles zugrunde gehen würde. Für die Kinder war er bereits die Vorsehung: bei allem hieß es: Vater soll! oder: Vater hat selbst gesagt! In ihren Augen war er die Unfehlbarkeit selber. Und Ellen fing an, mit ihren Sorgen zu ihm zu kommen, sie ging nicht mehr stumm mit ihren Angelegenheiten herum, sondern er­kannte, daß er stärkere Schultern hatte.

Es kam im Grunde so unverdient von selbst, als wenn gute Kräfte für ihn arbeiteten. So beschämend es war, daß die Frau mit arbeiten mußte für den Unterhalt der Familie, er war nicht imstande gewesen, sie davon zu befreien. Und was war er für die Kinder gewesen? Es war nicht leicht, alles auf einmal auf nacktem Boden aufzubauen, und die Versuchung lag sehr nahe, etwas fallen zu lassen und das übrige um so schneller durchzuführen. So wie er jegt war, war er im Grunde nichts! Nicht der alte Belle und nicht der neue, sondern etwas Unbestimmbares, das sich unterwegs befand und in hohem Maße der Nachsicht bedurfte! Ein Haufen Hausgerät auf einem Möbelwagen, auf dem Wege zu der neuen Wohnung.

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Bon außen her hatte er Gelegenheit genug, das zu fühlen; alte Freunde wie auch alte Feinde betrachteten ihn wie jemand, mit dem es sehr zurückgegangen ist. Sind das wirklich die Ueberreste des alten Kraftterls?" sagte ihr Blid. Aber die Seinen waren dafür nachsichtig. Vater hat keine Beit," sagte Schwester erklärend zu sich selbst, wenn sie da unten um ihn herumpusselte, aber er friegt wohl bald Zeit!" Und dann malte sie sich all das Herrliche aus, das geschehen sollte. Pelle wurde so wunderlich zumute er mußte zu sehen, daß er ein wenig schnell hier hindurchkam.

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Es war ein finsterer und unwegsamer Weltteil, in den er sich hinausgewagt hatte, aber nun fing er an, sich orien tieren zu können. Da waren Höhenzüge, die beständig wiederkehrten, und einzelne Berggipfel, die man jedesmal erreichte, wenn man aus dem dichten Gewölk herausfam. Und eine reiche Gegend war es, vielleicht war dies das Land, das er und die anderen gesucht hatten. Wenn er da hindurch gekommen war, wollte er es ihnen doch zeigen.

Pelle hatte ein gutes Gedächtnis und erinnerte sich alles dessen, was er gelesen hatte. Vieles davon konnte er wort­getreu zitieren, und des Morgens, ehe die Straße noch er