dem er in diesem Augenblick spielte— gestohlen! Wenn er gewann — nur um so größer der gestohlene Betrag! „Das Weib hatten Sie sich warm halten sollen!" sagte der alte Zyniler.„Von der könnten Sie etwas lernen. Die beiden bringen's noch weit in der Welt, glauben Sie einem alten Pral- tikuö!" „Sehen Sie, die Pferde, die da herankommen.— so wird's gemacht! Hals über Kaps vorwärts, wer zum Ziel kommen will. Versuchen Sie's doch mal, werfen Sie sich dem Goldfuchs ent- gegen, der als erster herankommt— er wird sich keinen Augenblick besinnen, Sie über den Hansen zu treten!" Lorel fuhr auf— sah das» Nahen der Pferde mit plötzlichem Interesse— der Gold fuchst, von dem der Alte sprach, der Vor- derste— das war ja Veine, fein Pferd! In zwei Minuten war er voraussichtlich Besitzer von zehntausend Frank, der Hälfte ihres gemeinschaftlichen Gewinnes. Berthens Mutter zupfte ihn am Aermel. „Das ist doch Ophir, der erste, nicht wahr? Ach! Sie müssen nämlich wissen— ich Hab' auch noch den Louis von Ihnen auf den Ophir gesetzt." Und die arme Frau da neben ihm hatte also ihr letztes ver- loren. Brthe mußte anfs Trottoir— pah, das zählte nicht! Eine mehr? Beine kam näher und näher? DvS schwitzende Tier glänzte im Schein der vorbrechenden Sonne, als ob es aus eitel Gold ge- gössen wäre, als ob es Reichtum triefte. Und wirklich brachte es ihm ja Summen, die für ihn Schätze waren! Aber die Augen des keuchend vorgestreckten Kopfes gleißten und glotzten so wahnsinnig- brutal, daß ihn eine unsinnige Wut ergriff gegen diese donnernden Hufe! Gegen sie sah er tausend Arme zitternd und mitleidflehend ausgereckt. Aber sie setzten zerschmetternd weg über die quer in die Bahn geworfenen Leiber. Nin! Er wollte keinen Gewinn auf Kosten anderer, arbeiten- der Menschen! »Warum so renitent? Sie ändern's doch nicht!" flüsterte Massereau hinter ihm, als ob er ihm seine Gedanken von der Stirn läse. Veine war setzt nah. Ophir als Zweiter nicht allzuweit hinter drein. „Veine ! Veine?" klang das allgemeine frenetische Geschrei. „Bravo . Veine! Vorwärts!" „Und es soll nicht gewinnend" In dieser fixen, Idee besangen, ergriff Lorel mit beiden Fäusten die Ouerstange der Barriere— infolge von Massereaus Anwesenheit hatte man dort ehrerbietig einen kleinen Raum frei gelassen— ehe die Umstehenden Zeit fanden, ihn zurückzuhalten, schwang er sich über das Geländer mitten in die Bahn hinein, dem herantollenden Hengst entgegen. Im selben Augenblick stürmte Veine auf ihn los. Der Jockey, ein nervös zitternder Bauschärmel, versetzte ihm einen wütenden Schlag mit der Reitpeitsche quer übers Gesicht, um ihn aus die Seite zu bringen. Aber schon hatten sich die Vorderbeine des Pferdes in seine entgegengestreckten Arme verwickelt. Ein un- geheures Geschrei der Verwunderung, des Entsetzens, des Aergers über getäuschte, des Jubels über neu belebte Hoffnungen durchlief! die Wiese und die Tribüne. Mit dem Jockey und dem verwegenen Burschen stürzte dos Pferd in einen wirren Klumpen blutiger Glied- maßen zusainmen. Die nachfolgenden Tiere scheuten wiehernd, stampften und stolperten rückwärts, dann wieder vor. Eine tiefe Schläsenwunde führte Loreis augenblicklichen Tod herbei. Schutzleute rannten auf die Unglücksstätte. Massereau warf eine Faust voll Louis über die Gruppe von Verstümmelungen. »Die richtigste Leichenrede!" sagt« er. Ophir war erster. Berthes Mutter bekam also vom mutucl eine große Summe ausbezahlt. Die folgenden Rennen verliefen trotz des unliebsamen Zwischenfalles ungestört. Als der Platz sich leerte, ging Massereau noch einmal zurück, um sich die Blutspurcn anzusehen, die der Sturz zurückgelassen hatte. Er interessierte sich für so etwas. Am abendlich bleichen Himmel beleuchtete der Sonneminter- gang ein zerfließendes Wolkcnbüschel hellgrüngelb. Der Alte war jetzt allein auf der grünjchwcirzen Kohlenerde des Terrains. Rur ganz hinten weit fuhr seine wartende Equipage aus und ab, klein and träge, wie ein MisÄäser. Der dunkle Boden war mit hell- farbigen Papierschnitzeln bedeckt. Billetts, die verloren hatten» und weggeworfen worden waren, manche zerissem Ein starker Wind- stoß fuhr tückisch über diese öde Fläche und fegte die am Boden verstreuten Papierfetzen bor sich her, wie dürres Laub. Der Alte setzte sich unter eine mächtige Eiche mit kraus ge- senkten Aestcn auf die Erde und schaute dem tollen Tanz der bunten Lappen zu. Die schlugen Purzelbäume, sprangen-, rollten, raschelten hintereinander her, übereinander weg, als suchten sie sich gegenseitig zuvorzukommen, sich beiseite zu stoßen. Jetzt bob sich ein großer gelber Zettel hoch über die andern.„Ein Millionär!" sagte der einsame Alte laut vor sich hin.»Und patsch! da liegt er doch wieder platt im Dreck, Was überhastet sich nicht alles in dieser wilden Jagd? Jeder Fetzen eine Villa, ein schönes Weib, ein Titel. Und all die Fetzen vom Zufall! gehoben und niedergeworfen. Weg mit Dir. schales Zeug!" Und er warf die letzten! Goldstücke, die er bei sich hatte, in du» wirbelnden Schnitzel vas 6i cler vame mit dem weißen Schleier. Wir nehmen gewöhnlich an, der süße Honigsaft der Blüten sondere sich in den Pslanzen ab, um mit diesem Mittel Insekten anzulocken, die dann die Befruchtungsvermittler zwischen verschie- denen Blüten spielen. Einen ähnlichen„Zweck" können wir auch bei verschiedenen Pilzen sinden. Junge Aehrchen im blühenden Roggenfeld scheiden den vom Landmann gefürchteten„Honigtau" aus, eine sonderbar riechende Flüssigkeit, die den Aehren ein Aus- sehen gibt, als habe man sie mit Sirnp verschmiert. Aber aus diesem süßlich schmeckenden Schleim brechen bald jene schwarz- violetten Hörnchen, das gefürchtete Mutterkorn, das nicht nur das Getreide verwüstet, sondern auch für den Menschen ein äußerst ge- fährlicher Pilz ist. Im Mittelalter, als man diesen giftigen Ge- seilen sLIaviceps purpurea) noch nicht in seiner bösartigen Wir- kung kannte und aus Unverstand das verpilzte Korn mitmahlte» traten oft unter Tausenden gräßliche Vergiftungserscheinungen auf» die das Aussehen»der davon Befallenen furchtbar entstellte. Das „Antoniusfeuer ", wie man die Krankheit nannte, da man vergebens den hl. Antonius dagegen anrief, ließ vom Körper die Zehen ab- fallen, die Finger, die Hände, die Nasen, welche Glieder alle vom inneren Brand des Pilzes verwüstet waren. Wie der Mutteriornpilz sich durch die vom„Honigtau" ange- lockten Insekten verbreiten läßt, so auch in gleicher Weise der ktypkollus impudicus, die Stintmorchel unserer Wälder, die aus ihrem kleinen Glockenhütchen eine schmierige schmutziggrüne Flüssigkeit absondert, die begierig von den weither angelockten Aas- fliegen aufgesogen wird. Diese schleppen dafür, wieder als Dienst- leute des Pilzes dessen Sporen fort und müssen so für»die Ver- breitung seiner Nachkommenschast Sorge tragen. Den gleichen Dienst nimmt das„Ei der Dame mit dem weißen Schleier" oder vielmehr die„weiße Dame" selbst in Anspruch. Mit jenein grotesk poetischen Namen wird DictxopKora phalloidea, eine der wunderbarsten und schönsten unter den eigenartigen„Pilz- blumen" Brasiliens bezeichnet. Diese luftige Waldfee ist eine nahe Verwandte der widerlichen Stinkmorchel. Sie sprießt wirklich aus einem Ei, einem 2 bis 2% Zentimeter im Durchmesser dicken, oval kuglichen weißen Körper, der, kaum daß die helle Hülle dem Auge sichtbar geworden ist, mit auffälliger Schnelligkeit sich oben aus der Erde heraus zuspitzt, dann aufplatzt und aus seinem Inneren mit einer Geschwindigkeit, wie sonst nur indische Fakire ihre Mandelbäumchen und ähnliches wachsen lassen, seltsam« Gebilde sich entwickeln läßt. Man kann hier wirklich eine Pflanze„wachsen sehen". Aus geflecktem Stiel schiebt sich ein grünliches Hütchen ziem- lich munter in die Luft herauf. In jeder Minute wächst der Stiel um einen Miimeter mehr empor. Jedoch ist dies kein Wachstum '■ im eigentlichen Sinne des Wortes. Vielmehr werden die schon vorhandenen Bauelemente auseinandergefaltet; das schon im Ei- körpcr vorhanden gewesene Material wird mit einer Schnelligkeit in seine Formen gebracht, daß man sogar ein leises Knistern bei diesem Prozeß wahrnimmt. Also wäre dies wirklich ein Ohren- schmaus für die gefährlichen Menschen, die schon das..Gras wachsen hören". Das Knistern hat seine Ursache darin, daß einzelne Fäden, die den Stiel bilden, infolge des zu heftigen Aufschießens der merk- würdigen Pflanze zerreißen. Wenn die„weiße Dame", die immer noch nur mit ihrem Hütchen bekleidet dasteht, in ungefähr anderthalb Stunden gegen zehn Zentimeter hoch emporgeschossen ist, merkt sie schon, daß es auf dieser Welt sittsamer ist, außer dem Hut auch noch ein weiteres Kleidungsstück anzulegen. Nun beginnt sie ihre Garderobe zu ver- vollständigen, indem sie ein weitbauschiges Röckchen anzieht. Aber mit dieser Toilette scheint sie nur dem Prinzip verführerischer Schönen folgen zu wollen, die mehr durch ihre Robe auf ihre körpcr- lichen Reize aufmerksam machen und mehr davon sehen lassen, als sie verhüllen. Das weiße dustige Röckchen ist so fadenscheinig,»daß die Urwaldschöne zwischen allen Fäden hindurch scheint, wie ein großmaschiger Schleier weht dies reizende Netz unter dem Hut her- vor. Gegen Nachmittag setzt gewöhnlich der Beginn der volleren Toilette ein. Mit einigen leisen Stößen beginnt plötzlich vor den Augen des höchlichst überraschten Beobachters unter dem aus zarten Maschen bestehenden Hütchen jener zierliche Schleier hervorzuflicßen — ein Schauern geht durch das ganze Gebilde, das Köpfchen erzittert und schwankt, und auf allen Seilen sinkt allmählich der weiß schim» mernde Reisrock nieder. Gegen Spätnachmittag hat es die Schöne mit der Vollendung ihrer Toilette immer eiliger. Sie scheint zu fürchten, nicht mehr fertig zu werden, denn ihre Anbeter werden, kaum daß die Dämmerung voll hereingebrochen ist, ihr freundlich Visitc machen. In zirka zwei Stunden nach ihrer Gehurt aus dem Er ist die „Dame mit dem weißen Schleier" fix und fertig. Zu guter Letzt, um sich in» guten Geruch zu setzen, parfümiert sie sich noch. Aber Hb
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29 (17.9.1912) 180
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