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angeboten, um irgend etwas anzufangen. Aber er schuldete zweiter Drud, ein dritter. Das geht mir durchs Gebein wie eine ihm bereits Geld, und wenn nun das Kapital sein Unter- berrostete Klinge. Wacht auf, macht auf, ein jammervoller König nehmen niederrannte? Es war auf seinen Posten und kommt, der nach Kanossa will. duldete dergleichen Wirksamkeizen nicht neben sich. Es war Wer ist da?" eine Unsicherheit über ihn gefo.amen, er hatte nicht den Mut, den Einsatz zu wagen.
Der alte Philosoph kam fast täglich, Belle war ein Teil feines Lebens geworden, er sah mit Sorge den Zustand seines jungen Freundes. Hatte das Gefängnis oder vielleicht die Bücher diesen jungen Mann, der einstmals rücksichtslos draufIos ging wie ein Sturmwetter, in einen Zauderer verwandelt, der keine Wahl treffen konnte? Die Persönlichkeit wurde von zweifelhaftem Wert, wenn sie auf Kosten der Tatkraft wuchs! Der Alte hatte gerade gehofft, daß sie eine größere Energie entfalten sollte, wenn fie in einen neuen und unberührten Erdboden verpflanzt wurde, und er fam- mit allerlei Stiche leien, um Belle aus seinem schlafartigen Zustand zu reißen. Dann schüttelte sich Belle ungeduldig. Von allen Seiten stichelten sie an ihm herum und wollten, daß er eine Wahl treffen sollte, und er konnte seinen Weg nicht sehen! Ja, wohl lag er im Schlummer, er merkte es selbst recht gut. Er fühlte sich wie jemand, der dem allen entrückt war, und verlangte Ruhe, sein Wesen arbeitete für ihn da draußen im Ungewissen.
" Ich weiß ja nichts," sagte er halb gereizt, was fann es da nüßen? Ich glaubte, die Bücher sollten mich irgend wo hinführen, von wo aus ich das Ganze sammeln könnte, aber nun bin ich nur ganz verwirrt worden. Ich bin zu klug geworden, um blindlings drauflos zu gehen, und nicht klug genug, um den Zapfen zu finden, um den sich das Ganze dreht. Einerlei, woran ich rühre, stets löst es sich in etwas für und etwas wider auf." Er lachte verzweifelt.
Eines Tages gab ihm Brun ein Buch. Dies Werk hat viele befriedigt, die die Wahrheit suchten," sagte er mit einem eigenen Lächeln. Lassen Sie uns jetzt sehen, ob es auch Sie befriedigen kann." Es war Darwins Kampf ums
Dasein.
Belle las wie in einem Nebel. Hier war ja der Punkt, das Ganze mächtig zusammengefaßt zu einem einzigen Sat. Es tochte in seinem Gehirn, er fonnte das Buch nicht wieder hinlegen, sondern fuhr die ganze Nacht fort, darin zu lesen, berzaubert und entsegt über die unbarmherzige Aussicht. Als Ellen verwundert riit dem Morgenkaffee herunterfam, war er mit dem Buch fertig; er antwortete nicht auf ihre freundlichen Vorwürfe, sondern goß schweigend den Kaffee herunter. Dann nahm er seinen Hut und ging hinaus in die öden, morgentrüben Straßen, um seinen heißen Kopf zu fühlen.
Es war noch sehr früh, die Arbeiter hatten noch nicht angefangen, auszurücken. In den Morgenwirtschaften war man im Begriff, die Läden wegzunehmen. Warm gekleidete Straßenbahnbeamte trampelten auf ihren holzsoligen Stiefeln durch die Straßen, unsaubere, verfrorene Frauen jagten in strauchelndem Lauf dahin zu ihrer frühen Beschäftigung, winselnd vor Kälte und Lebensüberdruß. Sie waren schon müde, ehe sie noch ihren Tag begonnen hatten. Hier und da arbertete fich eine verspätete Frau über die Straße, einen Wäschekorb vor sich, eine Mutter, die ihr Kind nach der Krippe schleppte, ehe sie auf Arbeit ging.
2)
( Fortsetzung folgt.)
Tagebuch
eines entlaffenen Sträflings.
Um ein Kind.
Der Nachtwächtersmann in den still ruhenden Gassen hat einen Harten Tritt. Der dröhnte wie eine Drohung zu mir herauf und scheuchte meine Phantasien auf dem Philosophenwege. Ich flüchtete jenseits des leßten Laternenscheins, der beim Lindenbudwirtshaus auf Wache stand. Was ist die Stunde? Ich habe keine Uhr. Mich friert mit fieberheißem Kopf. Ich habe feinen Mantel. Die Mitternachtsfälte fliert unter den Füßen. Darf ich so fühn sein, in die Stadt zu dringen, wenn noch das letzte Licht nicht verlöschte? Da ist ein bleiches, schlankes Haus, das die Nachbarn spöttelnd den Pulverturm heißen schon ehe mein Leben dort explodierte. Ein Klingelfnopf ist an der Tür. Du unheimlich furchtbare elettrische Kraft: mit einem leisen Drucke alarmiert sie Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft. Ich weiß nicht, welche der Parzen häßlicher, gräßlicher ift. Meine Herbergsnothelfer haben guten Schlaf. Ein
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„ Ich Glümer."
Das Schiebefenster klirrt herab und wieder sauft die gähnende Stille mir um die Ohren. Und mein Name, ein gräßliches Wort, schallt zurück, wie wenn alle Wände und Winkel der Stadt ihn verhundertfacht hätten. Es kommt die Treppe herab. Es raffelt im Schloß. Gin müder Mann steht in der Tür, mit schweren, fast angstbollen Augen. Und mir ist, als ob aus diesen Augen ein Schlag mich mitten ins Gesicht träfe.
Ich konnte nicht anders."
In der Küche oben ist es falt. Der Mann schaut mich an: was willst du hier? Und ich spreche mit mir und mit ihm ohne Worte. Als ob feindliche Wünsche harte Zwiesprache halten: Du bist ein ungelegener Gast, sagt der eine. Und der andere: Siehe, es trie5 mich mit widerstandsloser Gewalt wie den Mörder dorthin, wo fein Opfer gefallen ist.
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will den Aufruhr der Gedanken niederzwingen. Aber kein Topf Mit einem Male habe ich Hunger. Das förperliche Gefühl und fein Schrank tut sich auf. Der Herd hat keinen wärmenden willkomm für den Fremdgewordenen.
Ein Glas Wasser, bitte."
Und der Mann sieht mich immer noch an und schweigt. Und dieses Schweigen, wenn es auch nur den Bruchteil einer Minute währt, ist wie eine schwere Anflage ohne Ende. Dann reden wir mechanisch gleichgültige Dinge und halten uns in Gedanken an der Gurgel gepackt. " Darf ich den Heinz nicht sehen?"
Nun öffnet er doch die Kammer. Die ist hell und geheizt und riecht nach Menschen. Die Mutter, der Bub und Röschen liegen im Doppelbett. Das Mädchen schläft fest. Die Mutter ist ganz wach. Sie hat das Gesicht zu mir hergewendet. Wissen auch diese Augen nicht, wie sie sich einstellen sollen für mich? Ich greife nach ihrer harten Arbeitshand wie der Berdurstende nach dem Wassertrug.
Heinz, Buteli, schau, wer ist denn da?"
So inhaltschwer ist dieser Anruf. Das können nur Mütter: in fieben Worten erzählen; so viel. Der Bub, im Halbschlummer ganz nahe gebettet an die Mutter, richtet sich halb auf und starrt mich an mit den großen, schönen, biel zu flugen Kinderaugen. Die wieder, wie um Schuß zu suchen und das Köpfchen legt sich zurück Augen sind fern und fremd, angstvoll, fast entsetzt. Sie schließen sich an die mütterliche Brust.
Heinz ist drei Jahre alt und die sind eine Geschichte Darf fie erzählt werden?
Ich kannte dieses Kind schon lange vor der Geburt. In den Augen seiner Mutter lag ein lichter Glanz vom ersten Tage an. Ich hatte ihr Leben erforscht nach Menschenrecht. Keine Gesellschaftsordnung kann uns das Erbarmen verbieten. Bor mir stand jung, als Jüngling wohl gar in eine mühelose Ehe gekommen. Die die alltägliche Tragödie Kleinbürgerlicher Ehen. Der Mann ist Hochzeiterin trägt die Myrte nicht als Lüge. Die beiderseitigen Sippen und Sparkassenkonten, Pfarrherr und Standesamt haben Bewilligung und Segen gegeben. Der Mann und sein Weib sind schaffige Menschen, so sehr, daß für das Liebhaben nur jene Spanne austürzen. Sie lieben wie die Tiere im Walde und haben doch keine Zeit bleibt, die man braucht, um ein paar Gläser Wein hinunterBeit, wie diese in Luft und Erdenduft, in Sonne und Baumwerf fich täglich zu erneuern. Haben keine Zeit, zu fragen, wenn schon das erste zerrende Gefühl über den Rüden oder unter dem Herzen sich einstellt. Der Mann erträgt es, er ist gut und trinkt wenig. Er erträgt auch die erste schwere Geburt oder die Tötung im Mutterleibe. Sie aber wird eine Wehmutter ohne Ende, eine trante Frau wie die Nachbarin links und rechts. Was kann man da machen?
Zwei Kinder sind da und leidlich am Leben. Man baut fich der Traum wird wirklichkeit- ein eigenes Häuschen, zahlt pünktlich den Zins und hastet weiter zur Zinsenfreiheit, des Glückes Höhe. Wenn wieder ein Reim unter ihrem Herzen wuchert, wird die Seele des Weibes ein angstvolles Gebet. Das hatte ich nun er= lauscht an dieser Mutter.
Es muß wohl Menschen geben von besonderer Heilkraft. Die Kraft heißt immer nur Liebe, jenes forgliche Umfassen und hellfichtige Ergründen der Eigenart des anderen. Unter dem Herzen der Mutter wuchs das neue Leben ohne Beschwerde und in ihren Augen leuchtete Dankbarkeit und frohgewordene Hoffnung.
Am Vortag zum heiligen Weihnachtsabend ist das Kind geboren worden, so leicht von der Wehe zur Sehensfreude, daß der in Geschäften abwesende Vater( diese Ehemänner sind ja so tapfere Geburtshelfer!) ein lächelndes Weib und einen lachenden Knaben fand. Ein Christkind!
Mein Herz erhob sich damals zu Gott und hatte die Welt wieder lieb und vergaß die Verachtung gegen sich selbst.
Der kleine Heinz und ich wurden so vertraut, daß die Stadt verdächtige Reden flüsterte. Ich war des Buben getreueste Kindsmagd, lernte das Trockenlegen und noch schönere Dinge. In mir ist immer ein Trieb gewesen, die Menschen an der Quelle, in der Familie zu erforschen. Und es ist manchmal zornig über mich gefommen, daß ich den Eltern sagen mußte: Wie sündigt ihr an den Kindern. Wollt Ererbtes aus ihnen herausprügeln und eure Un