Nnterhaltungsblatt des'Vorwärts Nr. 187. Donnerstag� den 26. September. 1912 (NachdruS vttvolen.l 261 Pelle äer Eroberer. Von M. AndersenNexö. Uebersetzt von Mathilde Mann . Und plötzlich kam die Empörung über ihn, heftig fast wie ein Erstickungsanfall. Diese grauenhaft kalte Lehre von dem Recht des Stärkeren, die ihm die Wahl ließ, brutal zu werden oder zugrunde zu gehen das also war der Schlüssel zum Verständnis des Lebensl Der fällte ja von vornherein das Todesurteil über ihn und seine Genossen, über die ganze endlose Welt des armen Mannes. Von hier aus gesehen, war der bestehende Zustand ja der einzig mögliche, er war ganz einfach ideal: der Aussauger und der Wucherer, die er haßte, standen in der allerharmonischsten Uebereinstimmung mit dem Grundgesetz des Lebensl Und das Entsetzliche war, daß die Gesellschaftsordnung von diesem Gesichtspunkt aus hell beleuchtet dalag, das ließ sich nicht leugnen. Wer es am besten verstand, sich dem Bestehenden anzupassen, der siegte: gleichgültig, wie gemein das Bestehende war. Das Buch warf mit einem Schlage ein blendendes Licht auf die Gesellschaftsordnung: aber wo blieben seine Partei- genossen in dieser Lehre, alle die Kleinen? Sie wurden wohl gar nicht mitgerechnet! Die menschliche Gesellschaft bestand also in Wirklichkeit nur aus den Besitzenden, und hier hatte er ihre Religion, die moralische Stütze für ihre rücksichtslose Ausnutzung. Es war immer schwer gewesen, zu verstehen, wie die Menschen einander mißbrauchen konnten: aber hier war es ja eine heilige Pflicht, Steine statt Brot zu geben. Der große Kämpfer stand im Grunde dem heiligen Mutter- berzen des Lebens am nächsten, er war ja ausersehen, die Entwicklung weiter zu tragen. Die Armen hatten keinen Anteil an dieser Lehre. Wenn da ein schlechter Arbeiter in seiner Gruppe war,, so drängten ihn die anderen nicht, daß er zugrunde gehen mußte, nicht einmal wenn er selbst an seinem Unvermögen schuld war. Sie nahmen ihn mit, legten Steine auf seine Schicht und halfen ihm weiter, die Armen ließen den Schwachen nicht fallen, sondern nahmen ihn unter die Schwingen. Sie setzten sich selbst über das Gesetz hinweg und verzichteten auf jegliche Chancen. Mit einem verwundeten Kameraden auf dein Rücken siegte man nicht im Wettlauf. Aber es lag hierin eine Erkenntnis, daß sie nicht mit zu dem Bestehenden ge- hörten, sondern Recht hatten, ihre eigene Glückszeit zu fordern. Es mußte eine neue Zeit kommen, wo alles das, was er- forderlich war, damit sie mit Anteil haben konnten Herzensgüte und Solidarität ans Ruder gelangte. Der große Zusammenschluß selbst, an dessen Errichtung er sich be- teiligt hatte, zeigte also doch nach der richtigen'Seite hin. Es war das Gegenteil vonEinem gegen Alle" gewesen, auf dem Gegenseitigkeitsgesetz hatte es sich aufgebaut. Ein armer Kerl war doch kein elender Wicht, der von der Entwicklung dazu verurteilt war, zugrunde zu gehen wie ein Phantast, der infolge eines leeren Magens Utopien er- träumte. Pelle hatte seine Kindheit draußen in der Natur verlebt und sich mit der übrigen Schöpfung in allem mög- lichen Wetter herumgetummelt. Er hatte die kleinen Sing- vögcl sich dem Habicht in ganzen Schwärmen entgegenwerfen sehen, wenn er einen von ihnen geraubt hatte, er hatte sie ihn verfolgen sehen, bis er verwirrt seine Beute frei gab. Wenn er eine Ameise in einem gespalteten Strohhalm fing, stürzten sich die andern Ameisen auf den Strohhalm und nagten den Kameraden frei: sie waren nicht zu verscheuchen. Schlug er nach ihnen, so spritzten sie ihr Gift nach seiner Hand und arbeiteten weiter. Ihre Tapferkeit ergötzte ihn, die Gift- tropfen waren so winzig klein, daß er sie nicht sehen konnte: führte er aber die Hand an die Nase, so fing er einen säuerlich stechenden Geruch ein. Warum ließen sie den Kameraden nicht im Stich, sie, die ihrer so viele waren und es so eilig hatten? Sie hielten nicht einmal eine Mahlzeit ab, che sie ihn befreit hatten. Der arme Mann mußte an dem Gedanken des Zu- sammenschlusses festhalten, er hatte diesmal den rechten Griff getan! Und nun auf einmal wußte Pelle, wo der Weg lag. Standen sie außerhalb des Bestehenden und seiner Gesetze, warum sich da ihre eigene Welt nicht nach den Gesetzen ein» richten, die nun doch einmal ihre eigenen waren? Durch die Organisationen waren sie dazu erzogen, sich selbst regieren zu können, es war bald an der Zeit, daß sie ihr eigenes Dasein in die Hand nahmen. Die jungen Aufrührer hielten sich frei von der Geld- macht, indem sie entbehrten, aber das war nicht der Weg: das Kapital predigte den Armen immer Genügsamkeit. Er wollte den andern Weg einschlagen und die Produktion durch eine große umlaufende Bewegung erobern. Jetzt war er nicht niehr bange, das Geld des Biblis - thekars anzunehmen, es gab keinen Zweifel mehr in ihm. Er war leuchtend klar und sah in großen Zügen eine weltum- spannende, friedliche Revolution, die alle bestehenden Werte auf den Kopf stellen sollte. Pelle wußte, daß die Armut von keinem Vaterland begrenzt ist: er hatte schon früher einmal eine unbezwingliche Idee zur Geltung gebracht. Seine Ge- nossenschaftstätigkeit mußte der Ausgängspunkt fiir einen Weltkampf zwischen Arbeit und Kapital werden! 10. Zwei Tage später gingen Pelle und der Bibliothekar in die Frederiksborger Straße und besahen ein Geschäft, das abgetreten werden sollte. Es war eine kleine Sache mit einem Dutzend Arbeitern, mit elektrischer Werkstatt im Keller und einem Laden darüber. Das Ganze war gegen Uebernahme des Lagers und der Maschinen nach Einschätzung zu haben. Die Miete war ziemlich hoch, inr übrigen waren es billige Be- dingungen. Ich denke, wir ordnen es so, daß das Anschaffungs- und Betriebskapital verzinst und amortisiert wird wie eine vier- prozentige Kreditanleihe," sagte Brun. Das ist billiges Geld," entgegnete Pelle.Ein gutes Ergebnis kann ja nicht zugunsten der Verhältnisse reden, wenn wir nicht gleiche Bedingungen mit anderen Unter- nehmungen haben." Nicht sonderlich billig! Zu dem Preis kann man gegen gute Sicherheit so viel Geld kriegen, wie man will, und die Arbeiter müßte man doch wohl als feinste Sicherheit in einem Unternehmen betrachten, das auf Arbeit begründet ist," sagte'der Alte lächelnd,es wird einen großen Diskontfall geben, wenn Sie zur Macht gelangen, Pelle! Uebrigens kostet das nackte Kapital jetzt nicht mehr, wenn nicht mehr daran herumschmarotzt wird. Und den Schmarotzern wollen wir ja gerade zu Leibe." Ja, Pelle hatte nichts gegen das billige Geld einzuwenden, der Kampf konnte ohnedies noch hart genug werden. Kam Gang in die Sache, so würde es nicht lange währen, bis ihm die Privatspekulation den Krieg erklärte! Sie waren sich darin einig, daß sie nichts mit Agenten und Ladenverkauf zu tun haben wollten: die Tätigkeit sollte ganz auf sich beruhen und in direkter Verbindung mit den Konsumenten stehen. Was in der Werkstatt angefertigt wurde, sollte nur die Unkosten oben für den Laden decken: der Rest und der Ueberschuß sollten unter die Arbeiter verteilt werden. Nach welchen Regeln?" fragte Brun und sah Pelle forschend an. Zu gleichen Teilen!" antwortete er, ohne sich zu be» sinnen,wir wollen überhaupt nichts mit Akkord zu tun haben. Es war ein großer Mißgriff, daß wir damals, als wir die Bewegung anfachten, dem Akkordsystem das Wort redeten, statt es abzuschaffen. Das hat der Ungleichheit Vorschub geliehen. Jeder, der arbeitet, hat das Recht zu lehen." Glauben Sic, daß der tüchtige Arbeiter sich darein finden wird, gleichmäßig mit dem zu teilen, der weniger tüchtig ist?" fragte Brun bedenklich. Das wird er lernen," entgegnete Pelle bestimmt.Wie kann er sonst geltend machen, daß alle Arbeit gleich wert- voll ist." Glauben Sie das denn selbst?" Absolut. Ich sehe keinen Grund, einen Unterschied etwa zwischen dem Arzt und dem Kloakenreiniger zu machen! Wer von den beiden den größten Nutzen für die Gesundheit d