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ie Mutter jekt zurüd muß nach Göttingen , weil sie im Armenhaus Lampenpuberin ist, zieht sie mich in eine dunkle Rammer und weint:" Nun soll ich wieder leben ohne Dich!" Sie ist wie ein junges Weib, das vom Liebsten Abschied nimmt.
Ich bleibe im Hause des Schwagers, fibe, ohne es zu verdienen, am Tisch und vertilge das Gnadenbrot in großen Rationen. Die Schwester macht kein Hehl aus meiner Gefräßigkeit und hält mich an, für ihren strengen Mann, der nur arbeitende Menschen gelten läßt, fleine Dienste zu tun: Kohlen Klopfen, Holz hacken und Schweine füttern, die seine Lieblinge find. Handarbeit und niedrige Verrichtung hat man ja nun gelernt in Freiburg vom Dütenkleben und Zellenreinigen und von der Untersuchungshaft her, wo Schuldige und Unschuldige ihre Kloakenfübel eigens leeren müssen. Mit den Nichten ist Onkel Hans doch rasch in ein vertrautes Verhältnis gekommen. Wenn auch auf beiden Seiten Mißtrauen Tauernd bleibt. Die beiden Aeltesten konnten wohl nicht ganz überhören, was die Eltern seit einem Jahr in Schrecken und Entrüstung hielt. Sie sind in einem Alter, die den am Kinde Gescheiterten borsichtig machen gegen die Mädchenpsyche, das Feuer fangen tann schon am grünen Holze. Kinder werden im Spiel erobert. Der Onkel tummelt und balgt sich mit den Nichten, zur Kurzweil und Gymnastik und weil es die Sinne ableitet von hungrigen Phantasien, die monatelang eingemauert waren und nun nach Erlösung schreien. Die Großmutter schüttelt oft berstohlen den Kopf und warnt ihren Sohn durch Blide, weil Hans so ausgelassen mit den Kindern ist. Abends sitt er an ihren Betten und hört oder erzählt Geschichten. Die Zweitälteste, die Zwölfjährige, ein schlan-| tes stilles Mädchen von großen Träumen, ist seine Favoritin geworden und möchte geliebtost sein.
Eine junge Küchenhelferin aus dem ersten Stock, die schöne Augen und goldglänzende Haare hat, trifft den Hausgast täglich im Keller. Die beiden suchen sich dort. Aber in ihm ist die Starrheit der Menschen, die zur Enthaltsamkeit gezwungen und durch Liebeselend störrisch geworden sind. Bei einem Sonntagstreffen hat er eine Bekannte der Schwester gesehen, ein feines süddeutsches Mädchen, in deren Augen jene Seele liegt, die Unendliches geben fann. Und nun erkenne ich, daß meine Hand sich nicht ausstrecken darf nach einem feuschen Wesen für ehrliche Werbung. Dennoch zieht es mich zum Weibe in jeglicher Gestalt, so stark, daß die eigene Schwester von meinem Kusse erschrecken muß.
Neben der Schmach des Gnadenbrotes steht nun die Geldjorge auf. Ende Dezember ist ein für mich beträchtlicher Wechsel der Bonndorfer Hausleute fällig. Den ersten hat der Schwager mit hundert Mark bezahlt. Mein Kredit bei den Verwandten ist erschöpft. Die Eltern haben ihren letzten Sparpfennig geopfert für Bariser Hungertage und die Landstraßenflucht ans Aermelmeer, schon vor der Gefängniszeit. Der Freiburger Bezirksverein für Jugendschuß und Gefangenenfürsorge deckt den zweiten Wechsel mit einem unverzinslichen Darlehen. Der Waldshuter Albbote, die Freiburger und Frankfurter Zeitung haben kleine Resthonorare geschickt. Ich kann den Nichten etwas zu Weihnachten kaufen und nach Berlin fahren. Die Weltstadt ist doch der Unterschlupf der Entgleisten. Sie müssen das Meer der Häuser und Menschen suchen, das weit und tief ist im Schweigen. Auch ein zertrümmertes Schifflein tann treiben im Sturm. Noch hält uns die Planke. Ein Eiland muß doch in der Nähe warten, um Unseligen eine Insel der Seligen zu sein.
( Fortjehung folgt.)
Die Teuerung und die franzöfifche
Revolution.
rf. Schon in den 1770er Jahren brachen in Frankreich zahlreiche Hungeraufstände aus. 1774 war die Ernte besonders schlecht gewesen, und so kam es im folgenden Jahre zu Plünderungen, bei deren einer der Stadtkommandant von Dijon jenes Wort sprach, das Volk solle doch Gras fressen. Die Aufständischen aus vielen Orten zogen aufammen nach Versailles , Ludwig XVI. erschien auf dem Balkon des Schlosses und versprach die Herabsehung des Brotpreises um 2 Sous. Es blieb aber bei dem Versprechen, und die Hungrigen plünderten die Parisen Bäcker. Das Militär brachte die Inurrenden Mägen dann zur Ruhe. Aber schon damals erschienen Drohschriften gegen den König, und schon damala versprachen gefälschte Dekrete, der Kornpreis werde heruntergesetzt. Die Hungersnot war allgemein und chronisch, in den Städten wie auf dem Lande. Ein Parijer Industriearbeiter verdiente in vierzehn- oder fünfzehnstündiger Arbeitszeit höchstens 30 Sous am Tage.( Der Sou ist heute etwa 4 Pf.) Das Pfund Brot kostete aber selbst in billigen Zeiten 3 Sous. Andere Nahrungsmittel tamen daneben faum in Betracht. Fleisch schon gar nicht, die Kartoffel war noch unbekannt, und ebenso die meisten Gemüse. Nach der Mißernte des Jahres 1788 stieg der Brotpreis auf 5 Sous, d. h. ein Arbeiter mit vierköpfiger Familie mußte über die Hälfte seines Tagelohnes nur für Prot aufwenden. Die Mißernte und vollends der Beginn der politischen Unruhen hatte aber obendrein massenhafte Arbeiterentlassungen zur Folge. Vom Lande eilten die Bauern nach der mißratenen Ernte von 1788 und dem
darauffolgenden strengen Winter bewaffnet in die Städte, oder sie zwangen die Bächter und die wohlhabenden Landwirte, das Korn zu einem anständigen Preise" zu verkaufen. Man erbrach auch die Speicher dev Aufläufer und Kornzvucherer, und vielfach wurde die drückende Mehlsteuer abgeschafft. Natürlich waren die Mißernten weder die alleinige Ursache der Hungersnöte, noch waren sie auch nur ein reiner Zufall, eine Folge schlechter Witterung. Das primitive System des Ackerbaues lieferte einem dürftigen Ertrag und bereitete auf dem ausgeplünderten Boden immer schlechtere Ernten vor. Frankreich erntete damals selbst in guten Jahren höchstens 10 Zent ner pro hektar, gegen 30 bis 40 im heutigen Deutschland . Der Bentner wurde auf dem Markte günstigen Falles mit 9 Francs bes zahlt, der Bauer bekam aber vom Auffäufer höchstens 5 France. Bei einem Grundstück von etwa 12 Hektar erzielte er, wenn er es zur Hälfte mit Weizen bebaute, nur 60 Zentner, von denen die Hälfte dem Grundherrn gehörte. Von den übrigen 30 Zentnern verschlang den eigene Bedarf fast die Hälfte, und der Verkauf des Restes ergab dann höchstens 70 Franca, wenn man den Kirchenzehnten noch ab zieht. Diese Bareinnahme aber wurde nun durch die Abgaben aller Art fast gänzlich aufgefressen. Wie es dann in schlechten Jahren wurde, kann man sich leicht ausmalen. Im Frühjahr 1789 war es, wie wir schon sahen, mit der Geduld der Bauern zu Ende. In der Provence kam es zu Revolten, und die Berichte der Beamten sprechen es geradezu aus:„ das Volk erklärt, es wolle nichts mehr bezahlen, teine Steuern, feine Abgaben und keine Schulden". Schon wurden die Schlösser hier und da geplündert, denn gegen Adel und Geistlichteit war der Zorn des Boltes schon deshalb entbrannt, weil diese Klassen über die Hälfte des Bodens vor den sehenden Auger der Lauern brach liegen ließen. Im Jura plünderte man die Korntransporte, aber die Gerichte weigerten sich, gegen die Plünderer eins zuschreiten, und die Offiziere wollten nicht auf das Volk schießen lassen. Seit dem März 1789 wurden überhaupt teine Steuern mehr gezahlt. Auch in der Umgegend von Paris griffen die Bauern zur Selbsthilfe. Sie erlegten Hafen und Kaninchen und schlugen in den Wäldern Holz. In der Hauptstadt selbst tam zu aller Not noch die Arbeitslosigkeit. In den lebten Jahren war sehr viel gebaut worden Paris hatte gegen 600 000 Einwohner und der harte Winter auf 1789 schuf viele Tausende von notgedrungen müßigen Bauhand werkern. Die Stadtverwaltung ließ Notstandsarbeiten vornehmen, bei denen aber der höchste Tagelohn kaum 20 Sous betrug, wofür man damals nur bien Pfund Brot bekam. Außerdem fanden Zehntausende nicht einmal solche Arbeit, und vom. Lande strömten immer neue Scharen herbei. Schon im April tam es zu der Affaire Réveillon". Ein Fabrikant dieses Namens, selben ein früherer Arbeiter, wurde geplündert, das Militär griff ein, es fam zur Straßenschlacht, und zweihundert Arbeiterleichen deckten das Pflaster. Aber dieser Aderlaß war ein ebenso schlechtes Mittel gegen die Teuerung wie Neders weiße Salben. Necker hatte im September 1788 die Getreideausfuhr berboten und suchte die Einfuhr durch Prämien zu heben, aber die 70 Millionen, die dafür ausgegeben wur den, steckten die Händler in die Tasche, indem sie das eingeführte Getreide heimlich immer wieder ausführten, um die Prämie noch male zu verdienen. Am 4. Juli 1789 befaßte sich auch die National versammlung mit der Frage des Korniouchers, aber die Sache berschwand wieder von der Tagesordnung, weil zuviele Leute ein schlechtes Gewissen hatten. Am 10. Juli wurde ein Schlagbaum angezündet, so daß die Lebensmittel ohne Zahlung des Oftrois eingeführt werden konnten. Andere Schlagbäume folgten. Zugleich wurden Angriffe gegen die Akziseeinnehmer, die Weinhändler und die Bäckerläden gemacht. Aber schon verlangte das Volk nicht nur Nahrung. Der Ruf nach Brot und Waffen ertönte. 50 000 Biken wurden in diesen Tagen vor dem Bastillesturm hergestellt, und in den Straßen verlangte man nachts von den Bassanten Geld zum Ankauf bon Pulver. Am 13. Juli wird das Kloster Saint- Lazare gestürmt, man führt 52 Karren mit Mehl, die von den Mönchen aufgespeichert waren, nach den Markthallen, wo sie verteilt werden. Auch flopfte man in verschwiegener Nacht an die Türen der reichen Leute und forderte Nahrungsmittel und Waffem. So wurde die Bastille am 14. Juli erobert, und man hat mit Recht gesagt, weit mehr der Hunger als die Freiheitsliebe habe das Volk zum Aufstand getrieben. Aber von vornherein war es dem Volte nur beschieden, für die Bourgeoisie die Kastanien aus dem Feuer zu holen. Die Hungersnot blieb und ist während der ganzen bürgerlichen Revolution taum jemals aus den Städten verschwunden. So fam es z. B. im Oktober zu jenen Krawallen, bei denen in Paris ein Bäder von alten Frauen getötet wurde, weil er einen Teil seines Vorrates für vornehme Kunden verstedt hielt. Sofort erließ die Nationalversammlung ein Gesetz gegen die Zusammenrottungen. Anderwärts sette das Volk es durch, daß die Stadtverwaltung die Brot- und Fleischpreise be= schränkte. Aber das Prot war darum nicht weniger selten. Auf die Nachricht vom Bastillesturm erhob sich Straßburg . Das Rathaus wurde demoliert und die Steuerkasse geplündert. Der Magiftrat setzte den Brotpreis auf 2 Sous für das Pfund herab. Aber die Kornpreise stiegen immer höher, so daß schließlich den Bäckern berboten wurde, Kuchen und dergleichen Leckerbissen zu backen. Auch in Troyes drang das Volk ins Rathaus und bemächtigte sich der Waffen. Der Salzspeicher wurde erbrochen und das Salz für 6 Sous verteilt. In Cherbourg erzwang man die Herabsehung des Brotpreises durch die Stadtverwaltung, und bald ging es überall ähnlich. Das Volk erreichte in manchen Kommunem schon damals eine Neuregelung der gesamten Steuerverhältnisse, lange bevor die Nationalversamma lung zu einschneidenden Maßnahmen, Zeit fand.