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macht sich an den Lehrern bemerkbar. Ich habe immer gefunden, daß im deutschen Sumpf der Lehrer das beste Gewächs ist.
Kassier Puhlmann, der im üblichen Größenwahn der Geldwächter sich als König des Bureaus fühlt und jeden Kaffeneingang mit Fanfaren verkündigt, schimpfte heute einen Kollegen Ueberbureaukraten. Ein Mann, scheint's Vermittler für Randarbeit, mietet einen robusten und wildschauenden Entlassenen als Pferdefnecht und einen träumerisch- idiotischen Kuhhirten gegen 8,40 Mark Handgeld an Buhlmann. Der dämpft seine laute Manier:" Das bleibt aber unter uns." Wozu? Sind es Schmiergelder? Dann sollte Buhlmann noch leiser sprechen. Ein Arbeitsuchender verwahrt sich erschreckt und beleidigt, entlassener Sträfling zu sein. Und als man ihm bedeutet, daß er hier keinesfalls Arbeit bekommen tann, zeigt sein Gesicht neuen Schrecken, als ob er sagen wollte: also selbst von den Ausgestoßenen ausgestoßen. Wir andern beobachten ihn mitleidig verächtlich. Ein Kaufmann auf der Bank neben mir erzählt geheimnisvollen Tones unheimliche Dinge von Tegel , wo er wegen Hehlerei fünfzehn Monate hatte. Das wäre was für Ihre Zeitungen", sagte er. Da könnten wir beide verdienen." Ich solle ihn doch besuchen: Böttcherstraße 22 I born rechts.
Ich bettelte wieder um Schreibarbeit. Vergeblich. Herr Neces mühte sich aber doch um mich. Was könnte man denn machen?" fragte er. Dann fuhr sein Finger an die Stirn, wie es bei Menschen geschieht, die erleuchtet werden. Pastor Diestel, Gefängnispfarrer in Moabit , ist befreundet mit dem Chefredakteur des Ber liner Lotalanzeiger. Ich bekam einen Brief und zwanzig Pfennig Fahrgeld bis Moabit . Herr Neckes selbst gab die Orientierung, wie ich fahren und fragen müsse, um den Geistlichen noch vor der Mittagspause zu erreichen. Im Moabiter Untersuchungsgefängnis wurde ich durch verschlossene Tore und Türen eingelassen. Die großen Gefängnisse sind für den Besucher wie ein Totenhaus. Leidtragende fiben dort mit friedlosen Gesichtern und warten erschreckt auf ihre Angehörigen hinter dem Gitter. Herr Diestel ist ein vornehmer Mann in jener Pastorenart, die nicht kalt und nicht warm macht. Ich überreichte den Gefängnisschulaufsak, der zum Bassepartout für Bettelzwecke wird. Er schenkte mir zwei Mark. Wie so ein Schandgeld brennt und glücklich macht. Der Empfehlungsbrief des Gefängnispfarrers an den Chefredakteur schwellte meine Segel wieder. Im Scherlichen Zeitungspalast in der Zimmerstraße habe ich meinen Brief gleich abgegeben und nach dem Empfänger gefragt. Der Diener im Wartesaal musterte mich und hob die Schultern: Herr von Kupffer ist schwer zu erreichen."" Es ift dringend, ich muß auf Antwort warten!" Diese Türhüter haben einen Instinkt wie Hunde. Er kam zurück mit dem Brief und der flischierten Weisung, ich solle es in zwei Stunden wieder versuchen.
Die zwei Stunden war ich im Zeitschriftensaal der Königlichen Bibliothek. In den vom Mannheimer Landesgefängnisdirektor Engelberg redigierten Blättern für Gefängniskunde referiert mein Freiburger Anstaltsaffeffor Ott über das Probations- und Reformatorysystem der Vereinigten Staaten . Die sind weiter als wir. Im gleichen Auffah stand auch ein gutes Wort über gezüchtete Perversitäten. Wie harte Männer der Praxis in der Theorie doch biegsam sein können. Herr Ott machte auf mich stets den Eindrud, als ob er nur Assessor wäre. Die Stuttgarter Polizeiassistentin Henriette Arendt empfiehlt in der Monatsschrift für Kriminalpsychologie und Strafrechtsreform vermehrte staatliche Fürsorge für Gefallene und Gefährdete. In der deutschen Juristenzeitung schreibt Profeffor William Stern- Breslau über Psychologie der Kinderausfagen, namentlich bei Sittlichkeitsverbrechen . Wenn mir jemand doch den Weg weisen könnte, daß ich von der Praxis dieser Dinge zu ihrem Studium fäme! Mit feurigem Herzen, che es verbrannt ist!
Herr von Kupffer war nicht zu sprechen. Ich habe den Brief dort gelassen. ( Fortseßung folgt.)
Die eigenen" Patronen.")
Bei jedem militärischen Schießen wird über den Verbrauch der Patronen genau Buch geführt. Nicht eine einzige Rugel fann zu gegeben werden, ohne daß es der Hauptmann erführe. Dem Mann stehen gewöhnlich fünf Patronen zur Verfügung; erreicht er damit die erforderliche Ringzahl nicht, so triegt er vom Hauptmann einen Anschiß, vom Korporal Rippenstöße und fliegt in den Zielverein Nur die Herren Unteroffiziere machten eine Ausnahme. Taten fie einen minderwertigen Schuß, so ballerten sie eben mit ihren „ eigenen" Patronen so lange weiter, bis das Resultat genügte. Daß sie alle den Schüßenbendel trugen, kann daher nicht wundern. Lange habe ich nicht gewußt, woher sie ihre eigenen" Patronen bezogen. Vom Schießunteroffizier gewiß nicht, denar der hütete seine Vorräte, wie ein Geizhals seine Kaffetten; eine Er
*) Wir entnehmen dieses Bild aus dem Militärleben, das durch den Kaiserpreisschießstandal besondere Attualität erhält, dem Büch Mein Unter der Pickelhaube" von N. Klotzhuber( Verlag von M. Ernst in München ).
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werbung durch Kauf beim Waffenhändler hielt ich bei der mageren Löhnung ebenfalls für ausgeschlossen.
Die Aufklärung wurde mir bald zuteil. Es hieß einmal während des Sommers, unser Bataillon werde nächstens ein Gefecht schießen im Gelände abhalten. Zur Bestätigung dieses Gerüchtes tam bald darauf ein Oberleutnant, der mit dem Aufbau der Ziele beauftragt war, zu dem Einjährigen Göler von unserer Kompanie. Göler war von Profession preußischer Landmesser und Kultur ingenieur. Zwischen dem Oberleutnant und Göler entspann sich folgender Dialog Sind Sie der Freiwillige Göler?" " Jawohl, Herr Oberleutnant."
„ Na, Sie sind doch von Beruf so'n bißten " Jawohl, Herr Oberleutnant."
"
Zeichentünstler?"
,, Könnten Sie mir da wohl' n bißten im Jelände helfen, ein Kroki anfertigen von der Stellung der Ziele? Wissen Se, ich sols nämlich dem Obersten so'n Plan von dem janzen Schießjelände aufmalen". Nu habe ich aber faktisch keine Lust und feine Zeit, mich mit dem ollen Quatsch zu befassen, da könnten Sie mir ja das dolle Jemälde machen. Wie?"
" Jawohl, Herr Oberleutnant."
Die Sache war also gedeichselt. Göler drückte sich im Verlauf der Handlung fast ständig vom Nachmittagsdienst und fuhr mit dem Ober ins Gelände. Und während dieser mit den Muskoten Gräben auswarf und Dedungen grub, maß Göler die Entfernungen der Ziele oder lag auf dem Bauch und„ malte".
So langsam, wie man beim Militär gewohnt ist, stellte er zu Hause seinen Plan fertig und überreichte ihn dem Oberleutnant, der ihn dafür mit einem warmen Händedruck honorierte. Ganz im Vertrauen und mit der Forderung strittester Diss fretion gab Göler unserem Schießunteroffizier die Entfernungen der vier Ziele vom Schüßengraben an, und mit denselben Kautelen erzählte es der Schießunteroffizier seinen Kollegen weiter, so daß am Tage des Ausmarsches im ganzen Bataillon kaum ein Chargierter gewesen sein dürfte, der über die Entfernungen in Un
fenntnis war.
Der Tag war schwül, und schon morgens beim Marsch zum Bahnhof drüdte der mit Eandbüchsen beschwerte Tornister ganz empfindlich. Dazu hatte jeder Mann drei Nahmen scharfe Pa tronen in den Heringsfistchen".
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Lieder
Eine militärische Eisenbahnfahrt ist ein fraglicher Genuß; inc Sommer schon gar. Man sitt schwitzend, beinahe unbeweglich, sektionsweise in einem Abteil, zusammengepreßt wie die Erbsen in den Schoten Da wird geschrien, gequalmt, gespuckt. werden geplärrt, fremde Feldflaschen geftaucht und ausgetrunken Beim Passieren einiger Tunnels fand es mein Buzzer oppor tun, unsere Sandbüchsen aus dem Tornister zu nehmen und der schwerwiegenden Inhalt zum Fenster hinaus zu entleeren. Einige Hasenfüße, denen dies im Hinblick auf, eine zu befürchtende Gepädrevision zu gewagt schien, erleichterten sich dadurch, daß sie irgend einem dummen Kerl ihre Sandbüchsen in den Tornister schoben. So trug nachher der Einjährige Scherr die Büchsen seiner halben Korporalschaft im Schweiße seines Angesichts zum Schießplaz und zurück.
Unsere Kompanie tam als die lekte ans Schießen. Der Hauptmann ließ uns zur Besetzung des Grabens schwärmen, und wie wir darin lagen und unsere Gewehrauflagen bauten, sprengte von rechtsrückwärts seitwärts, wo der General hielt, ein Adjutant heran mit dem Befehl, die Kompanie solle sämtliche Patronen verschießen. Das ging unseren Unteroffizieren gang wider den Strich, fie frauchten hinter der Schützenlinie herum und murmelten der Leuten in die Ohren:
H
Ihr braucht nicht alle Patronen zu verschießen; fünf oden zehn Schuß genügen. Gebt die übrigen Patronen her."
Dabei nahmen sie fast jedem Mann unauffällig Batronen ab; mancher gab zwei, drei Stüd, mancher einen ganzen Rahmen. Auch ein anderer Schwindel wurde noch getrieben. Schlechte Schüßen lieferten ihre Patronen den Gefreiten und besseren Schüßen ab, um das Resultat nicht herunterzudrücken. Da ich meinen Gewehrlauf schonen wollte, überreichte ich die meisten der meinigen dem Puzer.
Aha! Da tauchten die Scheiben auf! Alles wandte den Kopf nach vorn. Da standen sie an einem Aderrand, jenseits einer fleinen Mulde; eine gnze Reihe zierlicher Brustscheibchen, die sich scharf abhobe. Sofort tönte es von allen Seiten:
Gradaus! Feindliche Schützen! Visier zwölfhundert! Schützen- feu- er!"
Das ging verflucht prompt und Justig fnatterte es drauf los. Nach dem Schießen, während die Treffer festgestellt wurden, traten wir zurüd. Manche Unteroffiziere trugen Hosensäde und Brotbeutel boll Patronen, die sie jetzt geschwind in dem Tornister verstauten. Wir hatten im Durchschnitt höchstens zehn Patronen pro Mann verschossen.
Nach einer Weile kam der General mit seinen berittener Trabanten gegen unseren Ruheplatz hergaloppiert und rief von weitem unserem Alten zu:
.Gombanie vorzüjlich jeschossen."
Das Weitere verhallte. Später sagte uns der Alte: ... Beute, das Resultat isi gut. Der Prozentsaz der Treffer ist der höchste im Bataillon. Heute abend Freibier.