CqW Welt Ja das Blui der Kinder aus der Erde? And sie find noch glücklich zu nennen», wenn sie sich aus dem Staube Machen könnein Stell' Dir vor, wenn Johanne mit ihrem Schicksal am Leben geblieben wärel Die Schatten der Kind- iheit reichen über das ganze Leben I" „Ja, und ebenso der Sonnenschein der Kindheit!" rief Pelle warm aus.„Gerade darum dürfen wir die Kinder der Vinnen nicht im Stich lassen. Wir werden» Verwendung für �tne Generation mit warmem Herzen haben." „Ich habe ja ebenso gedacht," sagte Morien vergrämt. Weißt Du. Pelle, ich habe dies Kind geliebt, das von unten her zu mir kam; sie umschloß für mich das Ganze, nie äst mir das Elend so grausam klar geworden. Es ward für mich ein schöner Traum, ein törichter Traum, daß sie leben würde. Ich wollte Leben und Glück durch Zärtlichkeit wieder iin ihr wachrufen, und dann wollte ich ein Buch über das ischreiben, was siegt. Ich weiß nicht, ob Du mich verstehst: über das Elend, das gesund und glücklich wird unter der Sonne des Guten. Sie war ja das Ganze, tiefer hinab kann das Leben wohl nicht geführt werden! Und hast Du wohl beachtet, wieviel Leben und Feinheit bei ihr trotz alledem unter dem Kloakenschlamm begraben war? Ich hatte mich darauf gefreut, es hervor zu locken, losgelöst von aller Not und Häßlichkeit, und dann der Welt zu zeigen, i>aß wir hie- uieden so schön sind, wenn man uns den Schmutz abschabt. Vielleicht würde es sie gelockt haben», Gerechtigkeit zu üben. So habe ich geträumt, aber es ist ein herbes Los, wenn einem die Unglückliche zur Geliebten ausersehen ist. Meine einzige Liebe ist unwiederbringlich tot, und jetzt kann ich über nichts schreiben, das siegt. Was soll ich da noch?" „Ich glaube, Victor Hugo sagt irgendwo:„Das Herz jsci der einzige Vogel, der sein Bauer trägt," sagte Pelle. „Aber Dein Herz weigert sich, wohl zuzugreifen, wenn am dringendsten Verwendung dafür ist." 111'Cacfebuch eines entlassenen Sträflings. Von Hans von Glümer, (Schluß.) t. Juni, Urbanstraße, tt Uhr. StimMungsmenschcn schreiben doch oft elendes Zeug zusammen. Ilm zehn zu Haus, um sechs aus dem Haus sein, heißt auch Frau Müllers Stundenweisung. Gleich nach fünf war ich schon aus. Frau Müller kam und sagte scharf:„Zuriegeln, das gibts hier «ich". Aber schuhriegeln, das gibts hier wohl, dachte ich. Der Hausschlüssel ist mir noch nicht präsentiert worden. Die Lampe wagt nicht, ihr Licht leuchten zu lassen'. Nur meine Pfeife glimmt jetzt, am Fenster, damit der Rauch rasch abzieht. Das Rauchen «st vermutlich verboten. Ich muß eS daher heimlich im dunklen Zimmer wagen. Das leise Licht des Himmels, der auch für den hobci» Hof ein Stückchen Stcrnenland freigibt, gestattet das schreiben. 2. Juni, früh um fünf. Wanzen sind ein waches Volk. Ich» möchte Nachtarbeiter sein fijie sie und das Blut der Menschen trinken. Ich schlief wie ein junger Gott und erwachte mit hundert Stichen. Die Herrgotts- «frühe lacht blau vom Himmel über den Hof. Von gestern ist noch zu berichten, daß eS mir gelang, bis zu Herrn Vollrath vorzudringen, dem Vorfitzenden des Vereins Ber - «liner Presse, in seine Redaktionsstube im Mossehaus. Es gelang ober nicht, ihn zu überzeugen, daß ich Journalist bin und Redakteur war. Fruchtlos blieb auch die Berufung auf die Ullstein-Redaiteure Bernhard und Conrad, die durch Telephon und Brief ein kleines Darlehen befürwortet hatten.„Vielleicht kann ich hier bei Mosse »irgend eine Beschäftigung finden, wenn Sie ein gutes Wort für «nich einlegen, ich bin gelernter Kaufmann und schon Abonnenten- und Annonren-Akquisitcur gewesen." Herr Vollrath fuhr auf: -Er sei doch kein Stellenvermittler für Kauflcute.„Aber als Chef einer demokratischen Zeitung und als Vorsitzender des Pressevereins haben Sie doch soziale Pslichtenl" Das Mut war mir zu Kopf ge- Ifiiegcir und meine Stimme zitterte zwischen Wut und Weinerlich- Zeit. Nun standen wir uns wie zwei Kampfhähne gegenüber. Herr Wollrath hatte den letzten Stoß:„Ich habe keine Zeit! Sie haben wir keine Vorschriften zu machen! Ich habe keine Zettl Kommen Sie am Nachmittag wieder." Der letzte Satz klang gedämpfter und beinahe wie eine liebenswürdige Einladung. Nachmittags nahm ich die Anklageschrift des WaldShutcr »Skaatsanwalts, steckte sie in ein großes Kuvert und schrieb darauf: „Enthält meine sicherste Legitimation. Das Schriftstück sagt, wo, wann und wie lange der Bittsteller Redakteur war." Ich mußte vartcn. Lach einer Stunde bringt der Rcdaktionsdiener des ge- öffneke KMrti„Hm Pollrath kann daraus nichts geoen.� Dsb Bursche sagte das mit einer frechen Miene. Ich warf mich st» die» Brust und verlieh den Mosscpalast mit hohnlachenden Slugera. Am Abend war ich leichtsinnig. Nahe meiner Herberge ist eil? Rummelplatz, der Südpark. Ich suchte dort das Leben und ging fü» zehn Pfennig in eine Bude, wo königliche Franzgrenadier« dem fahrenden Volke volle Häuser machen und sich für ein paar Groschen» im Ringkampf unterkriegen lassen. In der Schreibstube, am Vormiitag. Frau Müller in der Urbanstratze ist nun vollends Urbanen WesenI bar und nichts wie eine strenge Richterin. Während die Wanzen-. stiche der letzten Nacht eine kalte Ganzwaschung kühlte, kam sie vov die schämig verschlossene Tür.„Gleich, liebe Frau, ich bin noch nackt, wie Adam im Paradiese." Sie trat ein, wie der Erzengel mit bloßhauendem Schwerte , und machte eine Szene wegen des nassen Handtuches. Dieses Weib will bei seinen Schützlingen Geld und Besitz sehen. Daher der Wechsel in zwei Tagen. Ich hatte bei der Schwägerin den Pfingstanzug gegen einen alten auSge-, wechselt. Mein Schwalbenschwanz ist sortgeflogen aus Frau Müllers Habichtsklauen. Mein Korb kommt auch nicht. Sie weih nun. dah ich ein Depot habe. Ohne Korb kein Hausschlüssel. WaS nützt» ein Mensch, der kein Nachtessen verlangt und nicht«inen roten« Heller blicken läßt. Diese Herbergsmutter hat«in Interesse daran, keine Gäste zu haben. Der Fürsorgeverein zahlt ihr feste Miete, einerlei, ob das Zimmer bewohnt oder leer ist. In der Schreibstube ist keine Arbeit mehr. KehrauSstimmunA Meine Schreibmaschine ruht. Die Adressenausträge bleiben aus. Wenn der Wohlstand Sommer macht, haben die Hungrigen Winter« Nur ein Kleber wie Zack wird sich halten. Genosse Karl Meier,«in Sträfling a. D. von so schlicht bürgerlicher Art, dah er vom Chrom- sten der Schreibstube unerwähnt blieb, Karl Meier hat das große Los gewonnen: eine Stellung für hundert Mark. Freilich kann» selbst er nur durch Unehrlichkeit wieder ein ehrlicher Mensch werden und hat sein Zeugnis fälschen und den künftigen' Brotherrn de- lügen müssen. Die Welt will betrogen sein, sagte Longinus (der uns besuchte) auf lateinisch und Herr Gnade, der auch Quartaner war. übertrug es ins Deutsche. Dieser Seeleutnant fährt mit stolzen Segeln. Der Verlag Elsner schrieb wieder an das Bureau um einen flotten Schreiber(mein Angebot ist damit verweigert� und Gnade sollte sich melden, begnadete aber Brügge mit dem Brief« Brügge , der Simpel, hat eine flüssige und saubere Schrift und be- kam den Posten an Hand einer BereinSempfehlung,.die fürsorglich von der Freude diktiert ist, wieder«inen Lästigen- loS zu werden». Herr Gnade gibt nur Gastvorstellungen in der Schreibstube, aus Gründen, die nicht klar sind. Vielleicht ist er gar der gefürchtete schwarze Mann, ein Geheimpolizist,-der unsere ungesühnten Ver» brechen belauschen und den Verfolgungswahn Entlassener kitzeln soll>« Die Schreibstubengenossen sind mir Wurst und widerlich ge- worden'. Diese Zack, Reichert, Longinusse und Putrasse— erbärm- lieh mittelmäßige Seelen, zufällig Gestrandete. Sie fühlten sich vordem so wohl aus dem Lebensschifs und sind erwischt worden-, als sie erster Kajüte schwarz fahren wollten. Die Lebemann- und Leicht-» sinnsdelikte sind ohne Tragik. Auf dem Korridor vor der Schreibstube gibt es andere Menschen. Die sitzen im tiefsten Pfuhl und wissen nicht, ob sie morgen noch leben und hungern dürfen. Unser Hausgang stinkt vom Auswurf der Menschheit. Dort sammeln sich jeden Morgen die ganz Verworfenen, nm bei Puhlmann die letzten Speifemarken zu ergaunern. Das gibt Brot oder Geld zu Schnaps. Das sind» die Berliner Pennbrüder, die armseligsten' Verbrecher einer ver- brecherischen Stadt, der Schorf moralischer Fäulnis deutscher Nation. Sie haben die Schwindsucht in den Eingeweiden oder das Messer in der noch wahnfinnig starken Faust. Wie können sie in» stieren oder berauschten Stunden von Arbeits, und Zuchthäuferi, reden. Um sieben Uhr am Morgen belegen sie die Bänke an» Alexanderplatz , halten höhnische Parade vor dem Polizeipräsidium, und kommen in kleinen Kolonnen- zur Grunerstraße, in das Keller- gewölbe des Fürsorgevereins. um Herrn Reckes zu necken und Puhl- mann anzupöbeln. Das ist der vogelfreie Pöbel. Männer ohne Zuhälterglück, die keine Kalle mehr im Herzen haben, nur Galle im Blut, das Gewürm der riesengroßen Stadt. Das Parfüm des Korridors füllt meine Sinne. Beim Kommen und Gehen grüße ich die schrecklichen Gestalten. Ein winziges lustiges Wort macht die verzerrten Mienen hell. Anfangs antworte- ten sie verwundert, fast demütig, machten sich barhäuptig und machten eine Gasse, durch die ich wandeln durfte wie ei» Fürst« Ich bin rotwangig, helläugig und gute Kleider umhüllen meine fetten Glieder. Das gefällt dem Pöbel, wenn es nicht hochmütig ist. Er hielt mich für einen kleinen Gutsbesitzer, der starke Arme sucht, und jeder wollte sich mieten lassen.„Ich bin ja selbst einer wie ihr und Hab nix zu fressen". Als sie das nicht glaubten, zeigte ich meine Legitimation und den leeren Geldbeutel.„Da sind noch zehn Pfennig, sauft euch einen an!" Das erhob ihr Gefühl zur vcrtaulichen Ehrfurcht.„Wer hat denn einen gescheiten Schick?" Sie rissen die Mäuler auf und wollten den Kautaback mit mir! teilen. Ich dankte und entblätterte den letzten Nordhäuser seines Silberpapiers. Nun sagen die Schick- und Schicksalsgenossen Du. Auch ernste Dinge kommen verächtlich zn Wort, namentlich wenn» einer der Schreibstubenschreiber an uns vorbei hastet, scheu und hoffärtig zugleich, die Hand an der Nase, Da lachen die Penney
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29 (8.10.1912) 195
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