nach den Karten und nach der Handfläche prophezeit fte wird sich wieder einfinden hat sie mir in einem fort gesagt. Ein edler König, sagt sie, sorgt dafür, einer aus einem staatlichen Hause. Euer Wohlgeboren, das sind Sie offenbar I Tun Sie mir diesen Liebes- dienst I" Den Rittmeister übermannte hier die Wut und er schrie mit heiserer Stimme: »Na und weshalb haben Dich alle möglichen Leute in Deiner Wohnung besucht, he? Willst Du etwa leugnen? l Da Ivar zum Beispiel Gregor Mosjakow, ein bekannter Revolutionär, ein solcher Vogel, daff wir schon für die Bekanntschaft mit ihm Leute auf die Katorga(Zwangsarbeit und schweren Kerker) schicken I Na, sprich, was Du von ihm und seinen Komplicen weißt, die im Untersuchungs- gefängnis sitzen I Du leugnest? Nein, sprich I Man hat gesehen, wie er nicht nur einmal Deine Wohnung betrat."» Kotscharigin, der an den Ohrenklappen seiner Hasenfellmütze zupfte, starrte den Rittmeister erstaunt an. Eure Exzellenz, wozu soll ich leugnen? Sagen Sie gnädigst: Wie sah er aus?" »Als wüßtest Du es selber nicht?) Mittelgroß, mit einer grauen Pelzmütze." Bei diesen Worten sprang der Häftling wie von einem Peitschen- schlag getroffen auf, während seine Mütze zu Boden fiel und dem Rittmeister vor die Füße rollte. »Mit einer grauen Pelzmütze, sagen Sie?) Und welch einen Schnurrbart trug er?" Einen blonden, nach oben gedreht! Aha, na, sprich. Die Katorga..." Der Rittmeister vennochte seine Drohung nicht zu vollenden. Kotscharigin glühte im ganzen Gesicht, flammende Wortelentströmten, wie einem heißen Sprudel seinem Munde: Das ist er) So hat man ihn mir auch geschildert) Ein Blonder, mit einer grauen Pelzmütze I Dieser Lump I Also hier ist er jetzt?! Ist ihm ganz recht! Eure Exzellenz I Geben Sie ihn mir in die Hand l Er ist es, der mit meiner Frau durchgebrannt ist. Ich schlage ihn hier nieder, den Hund, wenn Euer Gnaden mir erlauben. Er wird dann wisien, wie fremde Frauen... »Dummkopf!" heulte plötzlich der Rittmeister auf. indem er wütend mit den Füßen strampelte.»Dummkopf! mach', daß Du fortkommst! Fort! Fort!" Er stieß Kotscharigins Hasenfellmütze mit dem Fuße fort und stürzte wie ein Besessener zur elektrischen Klingel. Im Nu erschienen zwei dienende Geister. »Zu Befehl I" Jagt diesen Dummkops hinaus I Gebt es ihm gut I Die Treppe hinunter I" Selbst nachdem die beiden Spitzel den überraschten Häftling die Treppe herabgezerrt und ihn im Verein mit dem robusten HauS- dienet auf die Straße hinausgestoßen hatten, vermochte der Ritt- meister noch eine ganze Weile nicht zu sich zu kommen. Er wischte sich den Schweiß vom Gesicht und wiederholte in einem fort: »Dieser bockbeinige Dummkopf I Dieser Dummkopf I Wie Gott nur einen solchen Dummkops erschaffen konnte!"... Nach einer halben Stunde wanderte Kotscharigin, der noch nicht einmal sein Arrestantenhemd ausgezogen hatte, stolzen Schrittes und lustig vor sich herpfeifend durch die Straßen des am entgegen- gesetzten Ende der Stadt liegenden Viertels. Er trat in ein HauS und befand sich nach einem Augenblick in einem Zimmer, in dem neben einem Mantel eine graue Pelzmütze am Kleiderständer hing. In der Tür empfing ihn mit freudestrahlendem Gesicht und aus- gebreiteten Armen ein Mann mit einem blonden, nach oben ge- drehten Schnurrbart. Nach den ersten Begrüßungsworten schlug Kotscharigin dem Genossen lustig aus die Schulter: »Na, Grischa, hier hast Du jetzt nichts mehr zu suchen! Mach', daß Du nach dem Auslände fortkommst. Mich hat diesmal meine durchgebrannte Frau gerettet. Wenigstens das verdanke ich ihr." (Deutsch von A. Stein.) Vas Jubiläum der Grimmleben JVIarchcn. 1812. 18. Oktokber. 1912. Von Dr. Paul Landau. ..Cassel, am 18. Oktober 1812" so steht unter dar Vorrede des ersten Bandes de�»Kinder- und Hausmärchen ",'den die Brüder Grimm zum ersten Mal gerade vor 100 Jahren dem kleinen Johannes Freimund, dem Söhnchen Betti-nens und Achims von Arnim laut ihrer Widmung auf den Weihnachtstisch legten. Ein kleines Volk der schönsten Poesiegestalten, die seitdem als gute Geister in der ttoitschen Kinderstube heimisch geworden sind,«rar mit einem Mal wie aus einer tiefen Verzauberung erlöst; Dorn- röschen und Rotkäppchen, Hänsel und Gretel , Däumling und Schnee- wittchen und wie sie alle heißen, die lieben Freunde unserer Jugend- tage, die unS Freunde bleiben fürs Löben, sie kamen hervor, fein und lieblich, aus den dunklen Winkeln hinter der Ofenbank, aus den gemütlichen Eckchen in der Spinnstube, wo sie treuer Bauern- ' sinn bewahrt, um eine sichere Wohnung zw finden im Herzen de« ganzen Nation. Sie sind, wie Wilhelm Scherer so schön gesagt hat, fortan>der erste Schimmer der Dichtung, der in die aufwachenden Kinderseelen fällt. Wie wenig sich die Brüder Gritlm diese einzigartige verklärte Stellung ihrer Sammlung im deutschen Haus träumen ließen, als Wilhelm das Datum vom 18. Oktober unter seine Vorrede setzte, das beweist eben diese Vorrede, die im Märchen bisher«inen un- beachteten Teil der großen romantischen Poesie erblickt und diesen leisen Nachklang uralter einheimischer Volksdichtung erretten will zur besseren Kenntnis ehrwürdiger Vorzeit. Bei ihrem Studium der Mythen und Sagen, besonders der dänischen Volkslieder, die Wilhelm herausgab» waren den beidenDioskuren der Gcrma» nistik" Märchenmotive aufgesallen, die sie aus mündlichen Erzäh- lungen schon kannten. Eine Wunderwelt war ausgetan, nicht ausl alten Büchern und vergessenen Manuskripten, sondern aus geheimen Quellen des sie umflutenden Lebens, die gleichsam unterirdisch weiterrauschten, wie vor Jahrhunderten, freilich erschüttert von einer fremden Oberflächenkultur. Nicht nur wegen ihrer eigenen Lieblichkeit,die einem jeden, der sie in der Kindheit gehört, eine goldene Lehre und eine heitere Erinnerung daran durchs ganze Leben mit auf den Weg gibt," verdienen die Märchen unsere Auf- merksamkeit,sondern auch weil sie zu unserer Nationalpoesie ge- hören, indem sich nachweisen läßt, daß sie schon mehrere Jahr- hunderte unter dem Volke gelebt" so heißt es im Vorwort. Erst im zweiten Bande 1815 sprechen sich die Brüder über den Wert der Märchen für die Kinder aus. In der Zwischenzeit hatten sie mit Erstaunen gesehen, daß sich die Kleinen der Geschichten als eines ihnen urtümlich eigenen Besitzes bemächtigten, und so ließen sie denn freudig und glücklich ihre wissenschaftliche Arbeit ein Kinderbuch, das ideale Volksbuch werden. Wie Jakob und Wilhelm im Kinder- fühlen und Kinderwesen lebten und webten, strahlt aus ihren Büchern und Briefen und vielleicht am stärksten aus dem innigen Ton der Märchen-hervor. Aber wie hatten sie glauben dürfen, daß dieses verachtete, mißbrauchte, nur noch in niederen Hütten ge- duldete Aschenputtel der Poesie nun plötzlich eine so herrliche Auf- nähme finden würde? Die Schicksale unseres deutschen Märchens haben selbst etwas Märchenhaftes. Wohl hatten Renaissance und Reformation die bescheidenen Blumen, die der dichtenden Volksphantasie entsprangen» zu bunten Sträußen gewunden, aber die volkssremden Strömungen des 17. und 18. Jahrhunderts, die einem künstlichen Ideal, einer Herrschast des Verstandes nachstrebten, spülten diese gar nicht modi- schen Buketts achtlos beiseite. So schlummerte das Märchen den Dornröschenschlaf; höchstens daß sich einmal ein Barockpoet über so-lchnichtsnutziges, unverständiges Zeug" ereiferte. Und als es dann während des 18. Jahrhunderts wieder auftrat, da war es das alte liebe deutsche Volkskind nicht mehr, sondern eine kokette Schöne, nach neuester Mode gekleidet in Reifrock und Lockenfrisur, die französisch parlierte und die zweideutigsten Dinge, die schlimmsten Geistreichig- ketten ohne Erröten vorbrachte. Wenn man bedenkt, daß die feinen Obszönitäten eines Crebillon und Diderot sich in die Form des Märchens hüllten, daß die schlüpfrigsten Feengeschichtcw das Eni- zücken der Salons bildeten, daß ein aufklärerischer, nüchtern witzeln- der Geist auch in den besseren Erzählungen der Art sein Wesen trieb, dann begreifen wir die völlige Erniedrigung und Verderbnis, in die das Märchen geraten war. Blumen aus Papier ohne natür- lichen Duft und Schmelz, künstlich parfümiert und geschmückt, waren «S, die ein Wieland oder gar ein Friedrich Schulz aus Dschinnistan und dem Orient heimbrachten. Auch in den Märchennovellen von Musäus , die hauptsächlich Sagenstoffe behandeln, ohne freilich den durch die Grimms erst festgestellten Unterschied zwischen Märchen und Sage zu ahnen, ist noch ein ganz unnaiver, satirisch spieleri- schct«Ton festgehalten. Erst Herder, der große Entdecker aller natio- nalen Kunst, wies den- fremden Nachahmungen gegenüber auf die Schätze hin, die im Busen unseres Volkes noch ungehoben ruhten. In der Adrastea spricht er vom Ideal des Märchens, das in der magischen und moralischen Gewalt des Traumes liegt, und ruft aus:Eine reine Sammlung von Kindermärchen mit allem Reich- tum zauberischer Weltszenen, sowie mit der ganzen Unschuld einer Jugendseele begabt, wäre ein Weihnachtsgeschenk sür die junge Welt künftiger Generationen." Zehn Jahre später war dies Christ- angebinde da; aber Herder deckte damals schon lange die kühle Erde. Herder war mit feinen Anschauungen den ihm so verhaßten Romantikern sehr nahe gekommen. Im Märchen sahen die Roman- tiker einen Höhepunkt der Dichtung. Aber nicht die schlichte wur.dcr- same Erzählung des Volkes, in der uralt mystisches Gold auf- leuchtete, war es,«as sie wollten, londern eine düstere natur- philosophische Mythologie blinder Gewalten, wie sie Tiecks, Novalis , Fouques Märchen darstellen. Kunstgebilde komplizierter Art, sub- jektive Stimmungen in schwer verständlicher Form boten sie; die Brüder Grimm aber wollten zum ersten Mal nur wiedergeben, was sie im Volke gehört, ohne ausschmückende Willkür; Treue und Wahrheit-der Auffassung erhoben sie zum obersten Grundsatz. Biel weniger gewaltsam n»d selbstherrlich gingen sie vor, als in ihrer VolksliedersammlungDeS Knaben Wunderhorn " Brentano und Arnim, denen sie doch so viel Anregung und Ausmunterung ver- dankten. Die ehrfürchtige Zurückhaltung der Uebcrliefcrung gegen- über, die sie beim Aufzeichnen der Märchen bewahrten, erwuchs aus dem Glaubzn, daß diese Reste früherer Dichtung, wie alle Volks-