klassenbewegung anfing, in Schwung zu kommen. Von unten her wurde energisch auf Untersuchung gedrungen; die Ge- schichte ganz niederzuschlagen, wagte man aber nicht, um nicht der Behauptung von der Verderbnis und der Parteilichkeit des Bestehenden Wind in die Segel zu blasen. Als es sich zu einer Untersuchung zusammenzog und vorauszusehen war, daß der Lebeniann Brun auf dem Altar der Menge geopfert werden würde, um die zu decken, die höher standen, drückte Kornelius Brun seinem Sohn die Pistole in die Hand. Oder schoß ihn nieder, der Bibliothekar vermochte nicht zu ent- scheiden, welche Tatsache die richtige war. „Sieh, das waren die beiden Früchte an dem absterbenden Stamnrbaum," tagte Brun bitter,„und es läßt sich ja nicht leugnen, daß sie wurmstichig waren. Die dritte bin ich!� Ich kam gleichsam als jammervoller Rest zur Welt, fünfzehn Jahre nach nieinem jüngsten Bruder. Meine Eltern hatten gewiß schon damals genug von ihrer Nachkommenschaft; ich wurde wenigstens schon von vornherein als hoffnungslos miß- glückt betrachtet, noch bevor ich Gelegenheit gehabt hatte, irgendetwas zu beweisen. Vielleicht haben sie instinktmäßig gefühlt, daß auch ich eine veqkehrte Richtung einschlagen würde. Auch in mir waren die auflösenden Kräfte vorHerr- fchend, ich ermangelte zum Beispeil in hohem Maße jeglichen Familiensinns. Schon als kleines Kind entsinne ich mich, gehört zu haben, wie sich meine Mutter über meine plebejischen Neigungen beklagte, ich hielt mich inimer zu den Dienstboten und nahm Partei für sie gegen meine Eltern. Man sah mich in der Familie mit scheelen Blicken an, wenn ich auf dem Recht unserer Untergebenen bestand, vielmehr als den Idioten, wenn der alles zerriß, oder als den Perversen, der Schulden und Skandal machte— und wohl mit gutem Grund! Mutter versah mich reichlich mit Geld, wofür ich mich amüsieren sollte, wahrscheinlich um meinen plebejischen Neigungen ent- gegenzuwirken; aber ich war schnell mit den Vergnügungen fertig und stürzte mich auf die Studien. Tie Jetztzeit inter - essierte mich nicht, aber schon als Knabe hatte ich ein eigen- artiges Bedürfnis zurückzublicken; ich legte mich hauptsächlich auf die Geschichte und ihre Philosophie. Vater sah richtig, wenn er mich verhöhnte und es ins Kloster gehen nannte; in denr Alter, wo andere junge Leute schwärmen, konnte ich keiner Frau ein Interesse abgewinnen, während mich fast jedes Buch zu näherer Bekanntschaft reizte. Lange Zeit hindurch hoffte er im stillen, daß ich in mich gehen und das Geschäft übernehmen würde, und als ich endgültig das Studium wählte, zerriß das Band zwischen uns völlig. (Fortsetzung folgt.) 33 Das jVleer. Von G usta f I a n s o n. Joel Nord blickte umher, und da er den beabsichtigten Eindruck seiner Rede konstatierte, nickte er energisch. „Was ich sagen wollte, ist. gesagt, mehr bedarf's nicht. Komm, Anna, nun geh'n wir auf We Höhe und reden drüber, wie wir's holten woll'n." Damit faßte er Anna bei der Hand und zog sie mit sich. „Der Lumpenterl." murmelte Eiderman halblaut. Joel wandte sich um und warf ihm einen.Blick zu, daß Eider - man lieber das. Maul gehalten hätte. „Mas man nicht hat, kann man bekommen. Es ginge doch merkwürdig zu, wen», nicht redlicher Wille und'n paar starke Arme das Wenige, was fehlt, schaffen könnten. Er, Eidermann, hat ja selbst gezeigt, daß ein Lotse zu Wohlstand und Reichtum gelangen kann. Was einem möglich ist, kann wohl auch'neu andern glücken. So, Anna, jetzt gehen wir." Hoch ausgerichtet, schickte sich Joel zum Gehen an. Er pflegte m'e sich zu beugen und tat es auch jetzt nicht, schlug aber die Stirn gegen den Türbalken, daß es krachte. Eiderman spitzte vergebens die Ohren, um einen Schmerzens» schrei oder Fluch zu hören, aber Joel Rord verriet wder durch Miene oder Wort, daß er sich weh getan habe. Da begriff Eiderman. mit wem er's zu tun hatte, und der Glanz in seinen Augen erlosch. � Alt und müde sank«r in seiner Sofaecke zusammen, indem er den> beiden jungen Leuten einen langen, neidischen Blick nachsandte. Draußen auf der Anhöhe ständen Joel und Anna. Er wußte wohl, daß die Eltern des Mädchens und sein Nebenbuhler ihn durch das Fenster beobachteten, aber da er sich sein Lebtag nicht versteckt oder sich etwas erschlichen hatte, dachte er am allerwenigstens daran. es jetzt zu tun. Hand in Hand standen die beiden draußen, Joel sprach und Anna nickte bejahend. Als sie ihre Verabredung ge- troffen hatten, küßte er sie und jagte: „Warte Du» mrv... zwei, vielleicht drei Jahre? Dann woll'n wir seh'n, ob Joel Nord das Seine nicht im Trocknen hat." Anna vergoß ein paar Tränen, was wohl dazu gehört, rieb mit der Schürze ihre Augen rot und gelobte zu warten. Tann empfing sie seinen Kuß und schied mit einem langen Händedruck. Gleich darauf flog Joels Boot zur Bucht hinaus. Da der Wind umgeschlagen war, lockte es ihn nicht, den Weg durch die Rinne zu nehmen� auch hatte er anderes im Kopf. Bevor er um die Land- zunge gelangt war, hinter der er bald verschwinden sollte, stellte er sich aufrecht im Achter und winkte mit der Mütze. Anna stand aus der Schiffsbrücke und winkte wieder. Der Wind pfiff scharf und die Wogen trugen weiße Kämme, aber Joel stand aufrecht, solange sie ihn sehen konnte. Obwohl ihr Herz angstvoll klopfte, war sie doch stolz auf seinen Uebermnt. Nicht einer der vielen Burschen auf der Insel würde es wagen, in einem so kleinen Boot zu stehen, wenn die See hoch ging Schließlich der- schwand die letzte Spitze des Segels, und mit einem langen Blick aufs Meer hinaus wandte sich das Mädchen und schritt zögernd dem Hause zu. Drinnen saßen die Alten mürrisch und stumm. Anna tat, als merke sie nicht die Verstimmung, sondern machte sich eilig an die Arbeit. Die Mutter blickte ärgerlich drein, aber der Vater schien nachdenklich und Anna begann im Stillen zu hoffen, daß Joels festes Auftreten vielleicht seinen Sinn geändert habe. Eiderman wich den Blicken der Anwesenden aus, und als er endlich aufstand, um zu gehen, fühlten sich alle erleichtert. „Ja, ja." bemerkte er sachte und gleichgültig,„wir werden ja sehen, wie's abläuft," aber in seinen Augen lauerte Bosheit. Daher blickte er weg, als er die Hand zum Abschied reichte und schleppenden Ganges sich entfernte. Auf dem Heimweg grübelte er unablässig über einen Gedanken, der in seinem Gehirn keimte, aber noch keine Gestalt gewonnen hatte, auch gelangte er zu keinem Resultat, wes- halb er abermals alt und müde zusammensank. Joel Nord war ebenfalls in Gedanken vertieft hermgesegelt. aber nach Verlaus eines Monats trat er feinen Dienst als wohlbestallter Lotsenlehrling an. Da er bereits im voraus mit allen Pflichten eines Lotsen gründlich Bescheid wußte und ein tüchtiger Bursche war, machte er sich bei Kameraden und Vorgesetzten beliebt. Das einzige, was man möglicherweise an ihm auszusetzen fand, war sein Eigennutz. Wo es eine Gelegenheit zu einem mitzergewvhn- lichen Verdienst gab, drängte er sich rücksichtslos vor, selbst wenn er bisweilen den Rechten anderer zu nahe trat. Und jede Oere, die er glücklich ergattert hatte, legte er gewissenhaft beiseite. Als man den Grund dieser, bei einem jungen Mann nngewöhnlichen Sparsamkeit erfuhr, entschuldigte man ihn lachend: „Er denkt an sein Mädel und seinen geizigen Schwiegervater, gönnt's ihm!" Und der freundlichste von allen war Eiderman. Er schien ganz vergessen zu haben, was auf Gransiär vorgefallen war, und wenn er es nie erwähnte, schwieg Joel vollends. So ging die Zeit draußen auf der Lotserfwtion und der Winter nahte. Es war ein stürmisches Jahr und die Arbeit war oft hart. Joel Nord war fast der einzige, der nicht klagte. Er brachte seine Stunden ans dem Ausguck zu und spähte über das Meer hinaus, das tobend um die Klippe schäumte, und war die Reihe an ihm, mit dem Lotsenboot hinaus zu segeln, war er stets der erste auf dem Platz. An einem dunklen Märzabend, als Schiffe signalisiert wurden. die eines Lotsen bedurften, stand er, wie gewöhnlich, rechtzeitig ans der Schiffsbrücke. Die See ging nicht besonders hoch, aber die Nacht war pechschwarz, als ob man den Kopf in einen Sack steckte, und Joel dachte gerade, daß es ein paa-r tüchtiger Kerle bedürste. um den Weg hinaus und wieder heim zu finden. Neben ihm zerrte das Boot an der Fangleine und das Segel klatschte gegen den Mast. „Kommt Larsson nicht bald, so..." In dem Augenblick tauchte eine dunkle Gestalt aus der Finster- nis auf und watete durch den Schnee mif ihn zu. „Gesckzoind!" ertönte eine rauhe Stimme,„wir haben keine Zeit zu verlieren." Joel dachte verwundert, ob Larsson zu tief ins Glas geguckt habe, denn er kannte seine Stimme nicht wieder, er hatte jedoch nicht Zeit, weiter darüber zu grübeln, sondern sprang ins Boot hinab. Ter andere folgte ihm schwerfällig nach und stolperte zur Bank am Steuerruder. „Los!" kommandierte er. Joel knüpfte die steifgefrorene Fanglein« los und schob da? Boot hinaus. Es legte sich sofort auf die Seite, richtete sick aber wieder auf und stach in die See. Die Wogen brachen sich zischend und brodelnd am Bug, und je weiter es hinaus kam, je schneller ging die Fahrt. Weit fort blinkten durch die Finsternis eine, bisweilen zwei Laternen, auf die Joel unverwandt seine Blicke gerichtet hielt. Er selbst saß am Mast und kehrte seinem Kameraden den Rücken zu. Plötzlicki hörte er das Segel flattern und wandle sich halb ärgerlich, halb verwundert nach Larsson um und wollte ihm bc. deuten, daß ein rechtschaffener Lotse im Dienst nicht trinkt, als der Mann am Steuerruder ihn barsch anfuhr: „Kümmre Dich nicht um mich, Du!" Offenbar hatte der be- merkt, was Joel im Sinne hatte. „Was ist das!" brach Joel aus, ist's nicht Larsson?" „Der ist krank. Weißt Du's nicht?" „Potztausend, ich glaubte... aber nun höre ich, dah's Eider » man ist." »Weißt Du denn nicht, daß nach Larsson die Reihe an mir ist?"
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29 (23.10.1912) 206
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