Anterhaltungsblatt des Horwärts Nr. 212. Donnerstag den 31. Oktober 1912 MllÄdruck vervolen.) 611 Pelle cler Eroberer. Von M. AndersenNexo. Uebersetzt von Mathilde Mann . (Schluß.) Eines Sonntags vormittags zu Ende Mai saßen sie draußen im Garten. Die Wiege war in die Sonne hinaus- gesetzt, Pelle und Ellen saßen jeder auf einer Seite davon und beredeten häusliche Angelegenheiten.- Ellen hatte ihm viel zu erzählen, wenn sie ihn ganz für sich hatte. Ter Kleine lag da und glotzte in die Luft hinauf mit seinen dunklen Augen, die Ellen wie aus dem Gesicht geschnitten waren: er war braun von Hautfarbe und rundlich. Man sah ihm an, daß er in Sonne und Liebe empfangen war. Lasse Fredrik saß für sich unter dem Dornbusch und malte ein Bild, das Pelle nicht sehen durfte, ehe es fertig war. Er be- suchte jetzt die Zeichenschule und war tüchtig: er hatte einen scharfen Blick für Menschen, namentlich die Armen konnte er aufs Korn nehmen, wie sie gingen und standen. Er hatte eine leichte Hand, mit zwei, drei Strichen konnte er das geben, was der Vater sich mühselig hatte erarbeiten müssen.Du sudelst," pflegte Pelle halb verdrießlich zu sagen,es verträgt nicht, daß man es in der Nähe betrachtet I" Aber er mußte zugeben, daß es ähnlich war. «Nun, bekomme ich denn das Bild bald zu sehen?" rief 'er hinüber. Er war sehr neugierig. Ja, jetzt ist es fertig," sagte Laste Fredrik und kam damit an. Das Bild stellte eine Straße dar. in der ein einsamer Milchwagen stand: hinter dem Wagen lag ein Milchjunge mit blutendem Kopf.Er ist eingeschlafen, weil er so früh auf muß," erklärte Lasse Fredrik.Und dann, als der Wagen weiterfuhr, ist er hintenüber gefallen." Die Morgenröte in der Straße war gut wiedergegeben, aber das Blut war zu sehr knallrot. Das ist so unheimlich," sagte Ellen schaudernd.Aber wahr ist esl" Marten kam aus der Stadt nach Hause.Hier ist Nach- richt von Brun an Dich!" sagte er und reichte Pelle einen qroßen Brief. Pelle ging in die Gartenstube, um ihn in Ruhe zu lesen, nach einer Weile kam er wieder heraus. Ja, große Neuigkeiten sind es diesmal," sagte er bewegt. Wollt Ihr es hören?" Er setzte sich hin und las: Lieber Pelle! Ich sitze in meinem Bett und schreibe an Dich. Es steht schlecht mit mir und ist schon seit ewigen Tagen so gewesen: doch hoffe ich, daß es nichts Ernstes ist. Wir schulden dem lieben Gott ja alle einen Tod, aber ich möchte die große Welt- umsegelung gern daheim von Euch aus antreten. Ich sehne mich nach der Morgendämmerung und nach Euch allen und fühle mich einsam: falls das Geschäft Dich einige Tage entbehren kann, würde ich mich freuen, wenn Du hierher kämst. Dann könnten wir zusammen nach Hause reisen, allein wage ich mich nicht auf den Weg. Gerade jetzt geht die Sonne unter und sendet ihre letzten Strahlen zu mir herein: der ganze Tag ist grau und trübe gewesen, aber jetzt bricht die Sonne durch die Wolken und küßt die Erde und auch mich alten Mann zum Abschied. Das gibt mir Lust, Dir etwas zu sagen, Pelle: denn so ist mein Tag ja auch gewesen, ehe ich Är begegnete. Endlos lang und grau! Wenn man das letzte Glied eines aus- sterbenden Geschlechts ist, muß man auch die grauen Schicksale der anderen mit sich herumschleppen! Ich habe oft daran denken müssen, wie wunderlich die verborgene Kraft des Lebens ist. Der Verkehr mit Dir ist wie eine Verheißung für mich gewesen, obwohl ich freilich wußte, daß ich nichts mehr ausrichten und mich auch nicht mehr fortpflanzen würde. Trotzdem fühle ich mich durch Dich im Bunde mit der Zukunft! Du stehst im Aufgange und siehst wohl auf mich, wie auf etwas, das verschwindet. Aber sieh doch einmal, wie das Leben uns alle leben läßt, indem es jeden auf seine Weise benutzt! Bleibe Du stark in Deinem Glauben an die Zukunft, bei Dir ist die EntWickelung. Ich wünsche von ganzem Herzen, ich wäre ein erwachender Prole- tarier und stände in der Morgendämmerung: aber ich freue mich doch, daß mir das Neue durch Dich die Äugen zudrückt. Ich ging umher und fand, daß das Leben langweilig und selbstverständlich sei, zu bekannt. Ich hatte es ja in meinen Katalogen alles geordnet! Und wie hat es sich dann er- neuert! Jetzt in meinen alten Tagen habe ich seine ewige Jugend erlebt. Früher hatte ich mir nie etwas aus dem Landleben gemacht, das war für mich eine Wanderung durch Staub und Schmutz. Die schwarze Erde erschien mir eigentlich schauerlich, sie rief nur Gedanken an den Friedhof in mir wach, so weit war ich von der Natur entfernt. Das Land war etwas, wo sich die Bauern betätigten, die derben, gefräßigen Geschöpfe, die einem im Grunde wie eine Art von Tieren vorkamen, die versuchten, unsereins nachzuahmen. Denkende Wesen konnten unmöglich da draußen leben. Das war ja die Auffassung in meinem Kreise und ich hatte selbst ein Stück davon, wenn auch meine akademische Bildung selbstverständ- lich das ganze ein wenig umschrieb und verschleierte. Dies mit unserem Verhältnis zur Natur kam mir ästhetisch ge- sehen sehr interessant vor, aber eigentlich als Gegensatz, um nicht zu sagen als feindliches Verhältnis. Ich konnte nicht begreifen, wie jemand etwas Schönes in einem umgepflügten Acker oder einem Grabenrand finden konnte. Erst als ich Dich kennen lernte, rührte sich etwas in mir und rief mich hinaus; da war etwas an Mr, was so war wie die Luft von da draußen. Jetzt verstehe ich auch meine Vorfahren! Früher standen sie als harthäutige Kerle vor mir, die die Mittel zusammen- schabten, von denen wir zwei Generationen gezehrt haben, ohne auch nur für zwei Schilling wirklich Nutzen zu schaffen. Sie haben uns doch instand gesetzt, das Leben zu leben, habe ich immer gedacht und das als die einzige Entschuldigung dafür betrachtet, daß sie sich in der Familie vorfanden, saftig und robust, wie sie waren. Jetzt sehe ich, daß s i e gelebt haben, während wir nach ihnen bei all unserem Wohlbehagen nur ein Bett in dem Altenheim des Lebens gehabt haben. Für das alles danke ich Euch. Ich bin glücklich, daß ich durch Euch die Menschen der neuen Zeit kennen gelernt habe und mein Vermögen zurückgeben kann. Es ist von allen denen geschaffen, die arbeiten, und von einigen Wenigen zu- sammengehäuft: es ist etwas ganz einfach Selbstverständ- liches, daß ich es zurückgebe. Andere werden es in Zukunft ebenso machen wie ich, freiwillig oder notgedrungen, bis alles allen gehört. Und dann erst kann der Kampf um das Menschliche beginnen! Der Kapitalismus bat wunderbare Maschinen geschaffen, aber was für wunderbare Menschen er- warten uns nicht mit der neuen Zeit! Wer das erlebte .haben könnte! Ich habe Dir und Marten das ganze vermacht. Es gibt bisher noch keine Stiftung, der ich es übergeben könnte, da müßt Ihr es denn im Namen der Genossenschaft verwalten. Ihr beiden seid die besten Vormünder des armen Mannes. und ich weiß, Ihr werdet es auf die beste Weise verwenden, ich gebe es ruhig in Eure Hände. Das Testament liegt bei meinem Rechtsanwalt, ich habe das ganze vor meiner Ab- reise geordnet. Einen Gruß an alle in der Morgendämmerung, an Ellen und die Kinder und Marten. Wenn der Kleine ge- tauft wird, ehe ich wieder nach Hause komme, so wißt Ihr ja. daß er meinen Namen tragen soll. Aber nun hoffe ich. daß Du kommst." Ellen atmete tief auf, als er mit dem Brief fertig war. Wenn es nur nicht ernsthafter mit ihm ist. als er zu- geben will," sagte sie.Du reist doch?" Ja, ich ordne morgen in aller Frühe das Notwendige im Betrieb und reise mit dem Vormittags-Erpreßzug." Dann muß ich mich wohl um Deine Sachen kümmern." sagte Ellen und ging hinein. Pelle und Morien machten einen Gang am Hügelrand entlang, vorüber an den halbaufgeführten Wohnungen, deren rote Steine in der Sonne leuchteten. skommst Du Dir nicht vor wie ein Glückskind, Pelle?" fragte Merten plötzlich.