Anterhaltungsblatt des'VorwärtsNr. 216.Mittwoch den 6. November.19124]Die OberwäldenVon Alfred Bock.lNachdrua sectoten.j werden wollte, manche Wendung offenbarte im Gegenteil, daß| er die Partei der wirtschaftlich Schwachen ergriff. ImmerButternickel, der setzte hernach die Miene des Großmutigen auf und sagte zu dem Schmalbach:„Jetzt stehstdu da wie die Kinder beim Dreck. Ich schätz','s isdoch keine Kuh verloren. Du hast zu wenig auf dieZündpfann' gelegt. Konntst auch net mehr drauflegen. Ja,Peter, erst muß man den Beutel fragen und dann den Kopf.Das is emal so in der Welt. Ich mein', du brauchst dich netdurcheinander zu machen. Horch zu! Ich setz' dir deine Kar-toffel, zieh' dir dein Futter und versolerier dich(versorg dich).Dadefür gehörst du zu meinem Personal. Und deine Frauauch Ich schätz', du fährst net schlecht debei. Hast keine Lastund keinen Brast. Hast Sommer und Winter dein Brot."Der Schmalbach, der nicht weiter sah, als seine Nase lang war,ging auf den Vorschlag ein. Und war von Stund' an derVasall des Butternickel. Der schoß ihm Holzgeld vor, auchSteuern, und hielt ihn bald so fest am Kragen, daß er nichtmehr japsen konnte. In Ilsdorf tat sich das Bergwerk auf.Dem Schmalbach winkte die Gelegenheit, das Doppelte undDreifache zu verdienen. Er versuchte auch, von dem Butter-nickel loszukommen. Der schnauzte ihn an:„Du gedenkst soein, zwei, drei die Halstern auszustrippen. Oha! Erst be-zahl' emal, was du mir schuldig bist." Das konnte derSchmalbach nicht und blieb wie die Fliege im Spinnennetz.Die vorige Woche hat sich seine Frau gelegt. Für die springtnun seine Tochter ein. Gezwungenerweise. Denn der Butter-nickel hat das alles vorher festgemacht. Jetzt wissen Sie,warum die Christine Ihnen gekündigt hat."Der Pfarer schlug die Hände zusammen.„Mein Gott, das ist ja die reine Leibeigenschaft!"„Jawohl, die reine Leibeigenschaft," bekräftigte derLehrer und fügte hmzu:„Der Fall steht nicht vereinzelt da.Ich kenne so und so viele."In das Gesicht des Geistlichen kam ein Ausdruck vonEntschlossenheit.„Als Vertreter des Evangeliums, als Seesorger, an dendie ganze Gemeinde gewiesen ist, darf ich mich dieser Not.nicht verschließen. Sie sollen's erfahren, die Gewaltmenschen,die auf das Recht des Stärkeren pochen, daß das Wort desHerrn ein Schwert ist, das da haut nach unten und nachoben!"„Herr Pfarrer," antwortete der Lehrer,„Sie kommenaus einer anderen Gegend und stehen den Verhältnissen hiernoch fremd gegenüber. Ich bin weit davon entfernt, denEinfluß des Geistlichen zu unterschätzen, aber glauben Siemir, mit kirchlichen Mitteln rotten Sie das Uebel nicht aus.Die rohe Gewalt hat es geboren, und nur Gewalt kann esersticken. Im Vertrauen gesagt: ich trag' mich schon langemit einem Plan, doch braucht er Zeit zum Reifen. Wenn dieStunde voll ist, werden Sie's schlagen hören."Der Pfarrer, der den Einwand des Lehrers nicht er-wartet hatte, dessen Berechtigung aber nicht bestreiten mochte,verharrte eine Weile schweigend, dann sprach er:„Ich habeallerdings seither unter wesentlich anderen Verhältnissenamtiert. Zwischen Menschen und Menschen ist ein Unter-schied. Wenn Sie im stillen Ihre Waffen schmieden, werdenSie wissen, warum. Wo es sich um praktische Versuchehandelt, soziale Gegensätze auszugleichen, sind mir als Dienerder Kirche Schranken gezogen, die ich nicht gern durchbreche.Was Sie im übrigen tun, den Armen und Elenden in derGemeinde zu einem besseren Dasein zu verhelfen, Sie werdenmich an Ihrer Seite finden."Damit verließ er das Thema und berührte andere Gegen-stände. Erst beim Mittagläuten schied er unter Gruß undHändedruck.Auf dem Schulhof lag ein Haufen Brennholz geschichtet.Dahin ging der Lehrer, die rundlichen Knüppel mit Sägeund Beil zu zerkleinern. Während der Arbeit kehrten feineGedanken zu der Unte?haltung zurück, die er mit dem Pfarrergepflogen. Dessen Predigten ließen keinen Zweifel darüber,daß er nicht für den Anwalt der Dorfmagnaten gehaltenhin, ob er das Geschick befaß, bei der Hebung der Schädenmitzuwirken, die das Gemcindewesen durchdrangen, war zummindesten ungewiß. Von Berufs wegen war er nicht der-pflichtet, auf dem Markt des Lebens zu treten. Er tat'sWohl auch nur widerstrebend. Das hatten seino Worte an-gedeutet. Und zuletzt, er, Weilandt, brauchte keinen Bundes-genossen. Er setzte seinen Stolz darein, was er sich aus-gedacht, allein zum guten Ende' zu führen.Aus feinem Simulieren weckte ihn der Zuruf:„Eu'nTag, Herr Lehrer!"Es war die Margolfsmarie, die täglich um diese Stundeerschien, ihren Eimer am Schulborn zu füllen. Nirgends imDorf, behauptete sie, sei das Wasser so gut wie hier. ImBackhaus freilich tralatschten die Weiber, es sei ihr mehr umden Lehrer zu tun als um den Born.Sie hatte just das zwanzigste Jahr vollendet. Ihrdunkelblondes Haar war kunstvoll zum„Schmatz" verschlungen. Fehlte ihren Zügen auch das Ebenmaß, lieh dieJugend ihnen doch ihren Reiz. Aus ihren Augen sprachenTatkraft und Verstand.Weilandt hatte sie zu seinen besten Schülerinnen gezählt.Es war für ihn eine Lust gewesen, zu sehen, wie rasch sie dieLehrgegenstände erfaßte. Bei der Schulvisitation lag's aufihrem Gesicht wie Festtagsglanz. Er wußte, daß er sich aufsie verlassen konnte.Schon am ersten Sonntag, den er im Dorf verbrachte,war er auf sie aufmerksam geworden. Am Hegweg schütteltenBuben Maikäfer von den Bäumen und rupften ihnen dieFlügel aus. Zufällig schritt die Margolfsmarie vorüber, da-mals ein Mädchen von zwölf Jahren. Sie verwies den Tier-quälern ihre Schandtat und teilte ein paar kräftige Ohrfeigenaus. Er hatte von fern den Vorgang beobachtet. Dieenergische Art, wie sie für die hilflosen Tierchen eintrat, warbezeichnend für ihre Gesinnung.Von den Unterrichtssächern war ihr die Naturkunde amliebsten. Erklärte er die Wunder des Zellenbaus an einerStaude, die er mitgebracht hatte, beugte sie sich mit einemEifer darüber, als wollte sie das Geheimste ergründen.Sprach er von den Beziehungen der Pflanzen zum Leben derMenschen, löste sein Vortrag Fragen bei ihr aus, die ihn oftin Erstaunen setzten.Jeden Morgen pflegte er nachzusehen, ob die Kinderalles beisammen hatten, was sie für den Unterricht brauchten.Bei dieser Gelegenheit hatte sich die Margolfsmarie verleitenlassen, anstatt eines Hefts, das sie vergessen, das ihrer Nach-barin vor sich hinzulegen, ohne daß er die Täuschung gc-wahrte. Nach der Schule trieb sie ihr erwachtes Gewissen,daß sie zu ihm kam und ihre Vergehung bekannte. Und siewar so erschüttert, daß er davon Abstand nahm, sie zu be-strafen.Am letzten Schultag hielt er an die Konfirmanden undKonfirmandinnen eine Ansprache. Den meisten konnte man'sam Gesicht ablesen, daß sie sich herzlich freuten, der„Schlag-mühle" bald ledig zu sein. Die Margolfsmarie aberschluchzte, daß er Mühe haste, sie zu beruhigen.Nach ihrem Abgang von der Schule sprach er sie fastjeden Tag. Ihre Mutter war nach langer 5trankheit ge-storben, und die Verantwortung für die Wirtschast lag aufihren jungen Schultern. Wenn er sie ermahnte, sie solle sichnicht zuviel aufladen, sagte sie:„Was man gern tut, drücktein' net. Ich hab's ja net leicht, aber ich möcht's gar netanders haben. Die Arbeit gibt Kraft. Das spür' ich Undzum Arbeiten sein ich da." In der Tat sah er, wie sich ihreMuskeln strafften, wie sie in Gesundheit blühte. Nebenihrer schweren Hantierung fand sie doch noch Zeit, die Bücherzu lesen, die er ihr gab. Sie las sie nicht nur, sie sprach auchmit ihm darüber, wobei die unbekannte Welt, die sich ihrerschloß, auf ganz eigene Wesse aus dem Spiegel ihrer Seelewiderstrahlte.„So ein Buch," meinte sie einmal,„is akkuratwie ein Lehrer. Nur daß es net sprechen kann. Etz ich mußjed' Buch zweimal lesen. Das erste Mal flitzt's an mir vor-bei. Ich sein halt gar zu neugierig und will nur rasch er-fahren, wie's läuft. Das zweite Mal tu' ich sacht. Und nn