Wände schmückte er mit Bildern ihrer westfälischen Heimat. Die mußte er sich irgendwoher verschaffen. Die Dechenhöhle durfte dabei nicht fehlen, von der sie Wunderdinge erzählte. Und der Lünkenhohl, wo sie mit ihrer Mutter gewohnt hatte. Wenn er p0 dann hincufsüh.te, würde sie ihren Augen nicht trauen. Lachen und Weinen hatte sie immer in einem Sack- chen beisammen gehabt. Nun würde sie Freudentränen ver- gießen! Und er, er würde vor Vergnügtheit nicht wissen, wo er in feiner Haut bleiben sollte. Von heiteren Bildern umgaukelt, setzte er seinen Weg fort, und der Bach mit melodischem Rauschen begleitete seine Träumereien.— Der Aufforderung des Lehrers folgend, kamen am andern Abend im„Ritter" etwa dreißig Männer zusammen. Damit sie ungestört seien, wies ihnen der Wirt die Oberstube an. In der Mehrzahl waren es geringe Bauern, doch waren auch ein paar größere Besitzer erschienen. Als der letzte stellte sich der Krämerskarl ein. Weilandt, der eine stärkere Beteili- gung nichr erwartet hatte, erklärte, er wolle über eine An- gelegenheit sprechen, die für alle von höchster Bedeutung sei. Der Ortsdiener habe bereits bekanntgemacht, worum es sich handle, um die Gründung einer Spar- und Darlehnskasse. In Deutschland habe das Genossenschaftswesen einen un- geahnten Aufschwung genommen. Drunten in Bayern hätten die Kassenvereine im vergangenen Jahre achtundvierzig Millionen Mark umgesetzt. Das fei ein schlagender Beweis dafür, daß die öffentlichen Sparkassen den Forderungen des modernen Wirtschaftslebens nicht mehr genügten. Was be- zwecke die Genossenschaftskasse? Sie unterbinde die Verein- zelung, die gerade auf dem Lande die schlimmsten Blüten treibe, und schließe alle Kräfte zusammen. Sie schütze den Landmann vor gewissenlosen Geldverleihern und Leute- schindern. Sie gewähre die Mitgliederschaft nur Männern, deren Lebens- und Wirtschaftsführung unantastbar sei. Sie erkenne an, daß auch des Aermsten Arbeitsleistung ein Kapital darstelle, das man in Rechnung ziehen müsse. Darum fessle sie den Landarbeiter an die Scholle und wirke der Verderb- lichcn Lai dflucht entgegen. Durch Bürgschaftsleistung beuge sie menschlichen Wechselfällen vor. Indem sie die Genossen zu solidarischer Haftung verpflichte, biete sie den Spar- einlegern volle Sicherheit. Bedenke man, daß die Genossen- fchaftskasse auch für die öffentliche Wohlfahrtspflege eine Stütze abgeben könne, so dürfe man gewiß sagen, daß sie den Einrichtungen beizuzählen sei, die Segen säen und Segen ernten. (Fortsetzung folgt.) Bei den Dueboborzen. Von Arthur H o l i t s ch c r*) Ich segle Herrn Welker, dem Eintoandererkommifsar in Winni- peg(Cnnada):„Von den Duchoborzen geht die Sage um, daß sie sich zuweilen, mitten während der Ernte oder auch im Winter, aus- kleiden, und Männer und Weiber ziehen nackt und jammernd durch die Felder, Christum zu suchen, der sich irgendwo in der Nähe auf- halten soll." Mr. Walfcr:„Well, das ist vorgekommen. Mer ich habe sie dann so lange ins Gefängnis und in die Irrenhäuser gesteckt, bis ihnen die Lust an ihren Märschen vergangen ist." „Verzeihen Sie— aber dazu sind doch diese armen Leute nicht aus Rußland herübergekommen! Dort hat man sie auch so lang in Gefängnisse und Irrenhäuser gesteckt, bis—" „All das können wir hier nicht brauchen. Was wir hier wollen, sind gute, gehorsame Bürger. Uebrigens Hab ich den Duchoborzen bei der lebten Gelegenheit gesagt, in ihrem eigenen Interesse ge- sagt: Wenns Euch nächstens wieder mal nach Christus verlangt, schreibt mir eine Zeile, ich will ihn Euch schicken." Also sprach Mr. Walker. Man kann nicht anders, als ihm recht geben. Ein Nacktmarsch, von zweitausend Menschen im Win- tcr ausgeführt, ist keine sehr gesunde Turnübung. Auch das Vieh in den Ställen fährt nickt gut dabei, das nach drei Tage währendem Hunger, weil niemand nach dem Futter sieht, in den Ställen ver- reckt oder aus den Ställen bricht und dann von den Behörden ein- gefangen werden muß. Die Duchoborzen haben ihren letzten Marsch vor fünf Jahren vollführt. Fährt man durch ihre sauberen Dörfer im Norden von Saskatechwan und sieht ihre breiten Gesichter hinter den Fenstern ihrer Giebclbäuschen o! er zwischen den Sonnenblumen in ihren netten Kärtchen auftauchen, so glaubt man nicht an gefährliche Fa- natikcr, sondern daß es brave, bescheidene Muschiks sind, die da *) Aus seinem Reiscbuch: Amenka heute und morgen. (S. Fischer, Verlag, Berlin .) hausen. In Wahrheit sind es die einzigen Menschen, die heute in Kanada unter dem wirtschaftlichen Prinzip des Komniunismus bei- sammen leben, in einer Reservation, wie alle, die sich der Staatsform nicht beyuemen wollen, unter deren Schutz die gehör- samen Burger ringsum ihren Kohl bauen. Ich wohne beim Müller, der ein Schotte und Vorarbeiter in der Mühle ist, wo der Weizen der„Doukhobor Community" zu Mehl vermahlt und in Säcken bis nach Liverpool und Schanghai versendet wird. Freund Kon in Winnipeg , der Einwandereragent der Grand Trunk Pacific und väterlicher Freund und Berater aller Ankömm- linge slawischer Herkunft, die sich in den von der Grand Trunk- Bahn eben erschlossenen Weizenländern im Norden niederlassen wollen— Freund Kon hat mir geraten, nach Verigin zu fahren. ins Reich des„Duchoborzen-Zaren" Peter Verigin , statt nach den Duchoborzen-Kolonien Elbow und Buchanan, die man mir in Ottawa genannt hat. Freund Kon kennt die stkussen hierzulande, wie er sie in seiner alten Heimat kennt. Die alte Heimat gedachte Freund Kon ein bißchen zu henken, wegen irgendwelcher politischen Vorurteile. Vor drei Jahren noch hat er, als ein Armer, als der er herüberkam. oben in Alberta mit einigen seiner Landsleute Bäume im Urwald gerodet. Schwellen gelegt, Schienen an die Schwellen geschraubt— heute sitzt er zwischen den Oberen der Grand Trunk Pacific und hilft, die Schicksale des Systems lenken— eine kanadische Karriere unter Tausenden, die sich in der neuen Heimat in die Höhe ent- wickeln. Ich brachte von ihm einen Brief an seinen alten Kameraden Sam Batschurin mit, und einen zweiten an den Sekretär der kam- munistischen Gesellschaft. Der Präsident der Gesellschaft ist„Zar" Peter und der Ort ist nach ihm benannt.— Den„Zaren" möchte ich für mein Leben gern von Angesicht sehen. Leider wird es nicht möglich sein. Er ist in Britisch-Kolum- bien, wo er Obstland für die'Duchoborzen aufgenommen hat, die das harte Winterklima hier oben im Norden nicht mehr aushalten. Erst in zwei bis drei Tagen wird er zurückerwartet— wenn ich Geduld hätte, so lange zu warten? Nein, es geht nicht. Schade! sagte der Müller. Ein großer Mann! Aber ich muß darauf ver- zichten, diesen Kommunisten-Zaren von Angesicht zu schauen. Auch seinen Sekretär werde ich nicht sprechen können, er ist ihm nach Dortton entgegengefahren. Ich habe Sam Batschurin beim Abiaden von Holz aus einem Waggon angetroffen und habe ihm meinen Brief übergeben. Er ist kein Farmer, sondern Kutscher in einem Mietstall. Heute nach- mittag wird er einen Wagen anspannen und dann fahren wir ein bißchen herum in die Dörfer. Der Müller fragt mich, ob ich Peter Verigin junior, den Neffen des großen Peters in der Mühle besuchen will? Das will ich. gewiß. Und dann finde ich den jungen Verigin zwischen den Mehl- säcken. Er spricht ganz gut Englisch , er scheint es gewöhnt zu sein, Fremden über die Angelegenheiten der Duchoborzen zu berichten, auf meine Fragen kriege ich gut hergerichtete und unverfängliche Anworten zu hören, wir reden laut, denn über uns donnert und schüttelt das Werk der Mühle. Er ist ein junger Mensch mit einem ehrlichen russischen Geficht. Er wird ein bißchen rot, wie er von seiner Religion spricht. Ich glaub's ihm gerne. Es ist gewiß hart für einen, der seine zehn oder mehr Stunden angestrengt arbeitet, Sätze auszusprechen wie diesen:„Christus ist immer leibhaftig Mischen uns!"(Soll das im übertragenen Sinne oder im Sinne der Marschierer gemeint sein? Die Antwort ist geschickt präpariert.)„Ich glaube an den Himmel!" (An die Hölle aber glaubt er nicht.) Er will es nicht wahr haben, daß sein Onkel der Zar sei. Ich beruhige ihn, das sei ja nur so eine Redensart; aber er ereifert sich: Alle, alle sind gleich! Er zeigt auf die Marken der Säcke: „Doukhobor C o m m u n i t h", als ob das ein Beweis wäre. Ich habe das Gefühl: Der will oder darf nicht reden. Darum halte ich ihn nicht länger von seiner Arbeit zurück. Die Duchoborzen sind vor zwölf Jahren aus Rußland her- übergekommen, wo sie als gefährliche Narren und Anarchisten ver- folgt und dezimiert wurden ihr Leben lang. Sie sind Vegetarier und töten weder Tiere noch Menschen. Sie weigern sich, Waffen in die Hand zu nehmen, die den Zweck haben, ihresgleichen damit den Garaus zu machen.„Dem Cäsar geben, was des Cäsars ist," steht nicht in ihrem Katechismus. Die Quäker in Pennsylvanicn, Massachusetts und England waren es, die diesem armen Volk die Mittel verschafften, daß es herüberkommen konnte— aus dem Lande, wo man es sterben und verkommen ließ. Arm, wie Gott sie geschaffen hat, sind sie herübergekommen. Immer waren sie fleißih und bescheiden gewesen, aber das Heilige Rußland hat ihnen Hab und Gut konfisziert und entwendet, sie nach Sibirien und in die Gefängnisse gesteckt, bis sie schwarz geworden sind. Peter Veri- gin selbst, der drüben, obzwar ein Mann von höherer Kultur und Wissen, ein Bauer und Hirt unter seinen Glauoensgenossen war, ist 18 Jahre lang aus einer Festung in die andere getrieben worden, hat mit Schellen an Händen und Füßen Sibirien durchquert in den harten Jahreszeiten... Jetzt zählen sie hier herüben 8000 Seelen. Sie hausen in Saskatchewsn und am Kootenay in Britisch-Kolumbien . Von den 8000 sind 6000 Kommunisten. Sie leben hier um den Ort Verigin herum in 42 kleinen Dörfern, und haben unge-ähr 100 000 Acker
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29 (8.11.1912) 218
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