Nnterhaltungsblatt des vorwärtsNr. 219 Sonnabend den 9. November 1912lNachdruck vsrvotnU7] Die Oberwälder.Von A l f r e d B o ck.Weilandt sprach so langsam wie möglich, hob alles hervor,was ihm besonders wichtig erschien. Und doch waren unterden Zuhörern nur wenige, die seinen Ausführungen zu folgenvermochten. Denken war an sich eine schwere Sache. In deneigenen Sack denken, dazu trieb einen lange Gewöhnung.Für alle denken, wie's der Lehrer tat, das mußte eine harteKopfarbeit kostenWeilandt legte dar, wie er sich den Geschäftskreis unddie Geschäftsführung der Kasse vorgestellt habe. Er las dieSatzungen einer großen, weithin bekannten Genossenschaftvor, die man sich zum Vorbild nehmen solle. Eine endgültigeBeschlußfassung bleibe der Generalversammlung vorbehalten,die demnächst einberufen werden müsse. Wenn die Anwesendendarüber einig seien, daß eine Spar- und Darlehnskasse ge-gründet werde, so trete an jeden die Aufgabe heran, für diegute Sache Stimmung zu machen. Einstweilen könne er mit-teilen, das der Krämerskarl bereit sei, das Amt des Rechnerszu übernehmen. Einen tüchtigeren und zuverlässigeren Beamten werde man schwerlich finden. Für diesen verant-wortungsvollen Posten sei der Beste gerade gut genug.Als Weilandt geendet hatte, waren die Lippen der Bauernwie versiegelt. Der Wirt kam herbei und brachte Bipr.Nach einem kräftigen„Prost!", worauf ihm alle Bescheidtaten, sagte der Lehrer, einen gemütlichen Ton anschlagend:„Man hält's nicht für möglich, und's doch wahr, daß esauf dem Land noch Leute gibt, die nicht wissen, was sie mitihrem baren Geld anfangen sollen. Vorige Woche erzähltmir ein Kollege, in Dirlammen hatte ein Landwirt vierHundertmarkscheine unter der Treppe Versteckelt. Da bal-dowerte sie freilich kein Spitzbub aus. Aber die Mäuse kamendahinter. Und wie der Mann eines Tags seine blauen Lappenhervorholen wollte, fand er nur noch ein paar elende Fetzen.Und hatte Kapital und Zinsen verloren."Der Krämerskarl wußte zu berichten, eine Frau im Ort— der Name tut nichts zur Sache— habe ihr Vermögen inihren Strohsack gestopft. Für das Vergnügen, daß sie nachtsauf den Goldstücken liege, büße sie monatlich an dreißig MarkRente ein.„Wie in Wallenrod die Eisenbahn gebaut wurde," setzteWeilandt darauf,„war dort eine Witwe. Die sparte ihrGeld in alten Strümpfen auf. Eine Nachbarin, die in dasGeheimnis eingeweiht war, machte ihr Angst, den italienischenArbeitern wär' nicht zu trauen. Die stiegen ein undgrapschten, was sie grapschen können. Da hat die Witfraugekrischen:„Ei, du lieb' Himmelche, alleweil schaff' ich's fort!"Und lief schnell wie ein Wiesel auf die Kasse nach Lauterbach."So ernst die Männer bis dahin dreingeschaut hatten,nun brach eine allgemeine Heiterkeit durch.Der Polenschmied rief:„Vorn gerührt, brennt hinten netan. Ich sein für die Kass'!"Die meisten stimmten ihm bei. Der Bäcker Dippel aber,der den Spitznamen Teignase hatte, konnte sich nicht ent-brechen, zu sagen:„Wer kein Geld hat, bleibt doch einLappanicr. Und wann wir zehn Kossen gründen!"Weilandt fiel es nicht schwer, dem Einwand zu begegnen.Der Völbelshcinrich raunte seinem Nachbar, dem Schmal-dach, zu:„Wann ich mir was lehnen(leihen) will, ich möchtsehen, wer sich für mich verbürgt! Der Löb macht keineSpargemente(Ausflüchte). Bei dem kann ich haben, was ichwill. Und brauch mir von keinem net in die Karten guckenzu lassen."„Schorsch, noch ein' Schoppen!" stieß der Polcnschmicdden Ritterwirt an, der eben bei ihm vorüberging.„Das Geldliegt auf der Gast'. Ich kauf' mir ein Asf!"Der kleine Kumps gab seiner Verwunderung Ausdruck,warum man beim Trinken nicht heut schon genossenschaftlichgehandelt habe. Man wäre doch billiger zu dem Bier'ge-tommen. wenn man gleich ein Faß aufgelegt hätte.„Das können wir immer noch!". meinte der Lehrer.In der Tat wurde bald ein stattliches Gebinde ange«stachen.—Während die Genossenschaftler sich berieten, hatte derBürgermeister in seiner Wohnung den Gemeinderat und dieOrtspolizei um sich versammelt. Im Dorf ging der. Diebs-teusel um. Der Walkmüllerin waren Wäschestücke von ihremBleichplatz gestohlen worden. Aus der Hofreite des Butter-nickel waren zwei Leitnemen und eine Heugabel verschwunden.Allerlei Vermutungen liefen um, keine führte auf die rechteSpur. Der Bürgermeister redete wie aus dem Sack geschüttet.In der guten alten Zeit habe man mit den Dieben kurzeFünfzehn gemacht, man habe sie einfach aufgehängt. Schade,daß das Gesetz abgeschafft sei. Die Erfahrung lehre: je nach-sichtiger die Gerichte, desto schlechter die Menschen. Er er-mahnte den Ortsdiener, den Flurschütz und den Nachtwächter.ihre Augen offen zu halten. Auch der kliigste Dieb werdezuletzt gefangen.Nach der Sitzung zog die ganze Gesellschaft in den„Ritter". Auf die erleuchtete Oberstube deutend, sagte derBürgermeister:„Groß Getrommel und wenig Soldaten!"Er war ein Gegner der geplanten Genossenschaft, weil er sichbei einem ähnlichen Unternehmen in der Kreisstadt beteiligthatte und nun von der Konkurreirz der neuen Kasse eineSchmälcrung seiner Dividende befürchtete.In der Wirtsstube belferte der Butternickel, der allengenossenschaftlichen Bestrebungen feind war, seitdem seinButierhandel durch die überhand nehmenden Molkereien starkbeeinträchtigt worden war:„Das sein all so Anschläg vomLehrer. He soll sich net so grün machen, sonst fressen ihn dieGeißen,'s is doch eso, daß he net so lang' Ruh' halten kann,wie ein Huhn ein Korn aufliest. Und hat Einfäll' wie einealte Wand. He meint, er könnt die Welt bannen. Das soller ein' weismachen, der keine Knöpf' an die Hosen hat."Der Dürrhannes legte die Stirn in gewichtige Faltenund sagte:„Ich glaub als, die Regierung steckt dahinter. Diewill ausspionieren, wer die Geldlcut' im Dorf sein. Dernachcrt:setzt sie die Steucrschraub' an."Unter den anwesenden Gcmeinderäten befanden sich et-lichc, die der Spar- und Darlehnskasse wohlwollend gegenüber-standen, allein sie schwiegen sich aus. Erst wollten sie ab-warten, ob die Sache eine greifbare Gestalt annehme. Beidiesem und jenem drängte sich der Gedanke vor:„Ich magvon der Kaste wohl Vorteil haben. Mein Nachbar hat ihnaber auch. Deshalb bin ich dagegen."Als es zehn Uhr schlug, herrschte der Bürgermeister denNachtwächter an:„Mach, daß du enaus kommst und paß acht,daß nir gestohlen wird."Der Nachtwächter, der Trinken für keine Schande hieltund Glas um Glas durch die Gurgel gejagt hatte, platzte los:„Was soll dann drauß' gestohlen werden? Tie Hauptspitz-buben sein ja hier!"Da faßte ihn der Butternickel am Kragen und warf ihnunter allgemeinem Gebrüll hinaus.4.Sonntag morgen. Der Himmel hat sich mit Wolkenbedeckt. Zuweilen dringt das Tagesgestirn durch und schicktein bleiches Licht herab. Es ist gewitterschwül. In denStällen zerrt das Vieh an den Ketten und wehrt sich gegendie stechenden Fliegen.Uber dem Dorf schwebt Glockenklang. Eh' der PeterMargolf zur Kirche geht, schaut er nach seinem Bienellskand.Im Grasgarten an windstillem Ort hat er in einem halt-baren Häuschen, dem selbst die Dachkandel nicht fehlt, zwanzigStöcke untergebracht. Es ist aber Raum für dreißig darin.Die Bienen haben einen guten Ausflug ins Feld. Seitdemdie Esparsette den Rotklee verdrängt hat, ist die Tracht be-sonders ergiebig. Man muß allerdings auch mit schlechtenHouigjahren rechnen. Es ist dafür gesorgt, daß die Bäumenicht bis in den Himmel wachsen. Als Bub' hat's der PeterMargolf erlebt, daß sein Vater einen Glücksschwarm fandund dadurch zum Züchter wurde. Dem Alten waren diefleißigen Bienen eine liebliche Unterhaltung, und er freutesich, wenn sie im Frühjahr das Gelbe von den den Weidenkätzchen in ihre Zellen trugen. Er sprach mit ihnen, und sie