Anterhaltungsblatt des Horwärts Nr. 220 Dienstag� den 12. November. 1912 lNachdniS verbotin.1 m Die Oberwälder. Don Alfred Bock . Eine volle Stunde hält er Wacht. Mit einem Male brechen die Bienen los, mittenin ihre Königin. Weit ver- nehmbar klingt ihr Schwarmgesang. Hoch in der Luft er- scheinen sie wie eine dunkle Wolke. Die schwebt eine Zeit- lang hin und her. Mählich senkt sie sich nieder und bleibt am Ast eines Zwetschenbaums hängen. Flugs setzt der Margolf die Leiter an. Die mächtig qualmende Pfeife im Mund, steigt er Sprosse um Sprosse hinauf. Droben zeigt er, was er kann. Sacht gleitet der Federwisch über die Bienentraube. Die fällt in den Korb, der Schwärm ist gesaßt. Der Bienenväter waren mehr im Ort. An Geschicklich- keit tat's dem Peter Margolf keiner gleich. Während er die Kolonie in der neuen Wohnung einlogierte, trat der Lehrer in den Garten. „Guten Tag, Margolf." „Großen Dank!" >, Jetzt ist die Zeit, daß die Bienen schwärmen." „v>a. „Man sollt meinen, der Herr Pfarrer hätt auch daran gedacht." „Wieso der Herr Pfarrer?" „Er hat über die Bienen gepredigt, wie's in der Schrift heißt:„Du sollst niemand um seines geringen Ansehens willen verachten, denn die Biene ist ein kleines Bögelein und gibt doch süße Frucht." Der Bauer nickte. „Das is wahr." „Der Herr Pfarrer hat das schön ausgelegt," fuhr Wei- landt fort.„Wie die Bienen zusammenhalten und wie darin ihre Stärke liegt. Und daß sie den Menschen ein Beispiel geben. Er wär noch nicht lang' im Ort, hat der Herr Pfarrer gesagt, aber so viel hätt er doch schon gesehen, um die Einigkeit wär's schlecht bestellt. Wie die alten Ritter auf ihren Burgen, säß hier jeder auf seinem Hof.'s tät nur noch fehlen, daß auf den Donbalken stünd:„Selber essen macht fett." Und's wär auch kein rechtes Frohsein unter den Leuten. Wo das wachsen sollte, müsse man Liebe säen." Der Peter tat bedächtig ein paar Züge aus seiner Pfeife. Dann sagte er:„Der Herr Pfarrer hat, scheint's, eine Kapital- predigt gehalten. Aber dademit wird die Welt net regiert. Die Engel, mein ich, sein bloß im Himmel. Hier drunten gibt's allerhand Menschen. Meine Sag' is: Nachbar hin, Nachbar her, bleib mir von meinen Kartoffeln." Er fuhr mit der Hand über das frisch rasierte Kinn und sprach weiter:„Der Bauersmann hat sein Werk und muß sich das ganz' Jahr krümmen und kratzen. Was etz der Herr Pfarrer vom Frohsein gepredigt hat, da hat hier meinem Be- dunk nach keins keine Gedanken drauf. Der Herr Pfarrer is noch neu im Ort. Ich schätz, he lernt noch dezu. Wo hat he dann eigentlich gestanden?" „Im Rheinhessischen," erwiderte Weilandt.„Da ist frei- lich ein anderer Menschenschlag." „Gellese?" „Er kann aber seine Gemeinde mit Ehren nennen. Die is selbigmal mit an der Spitze marschiert, wie's galt, den bäuerlichen Genossenschaften den Boden zu bereiten." „So, so." „Wir sind ja jetzt glücklich hier auch so weit, daß wir eine Kasse gründen wollen." „Ich Hab was läuten hören." „Ihr seid doch dafür?" -„Nee, ich mach net mit." „Ihr macht nicht mit?" sagte der Lehrer enttäuscht.„Und gerad' auf Euch haben wir gezählt." Der Bauer schüttelte den Kopf. „Was könnf Ihr denn gegen die Kaste haben?" polterte Weilandt heraus. Der Peter nahm die Pfeife aus dem Mund, spuckte aus und sagte ruhig:„Das will ich Ihnen auseinanderlegen. Die mit dem Geld net Häuseln können, für die is die Kasst. Die sich grün stehn, brauchen sie net. Hat so ein Schuldenmacher alleweil nix zu beißen, legt er sich krumm. Hilft ihm die Kassi auf den Gaul, reit' er die Leut um. Das unterstütz' ich net. Der Ort hat so lang' ohne Kass' bestanden und wird auch noch weiter ohne Kass' bestehn." Der Lehrer ließ sich nicht verdrießen, ein langes und breites zu wiederholen, was er all die Tage den Dörflern ans Herz gelegt hatte. Seme Mühe und Kunst war aber verloren. Wie auf seinen Absatzeisen stand der Bauer auf seinem Wort: „Ich mach net mit." Unverrichteter Sache zog Weilairdt ab. Bon der Beihilfe des einflußreichen Mannes hatte er sich viel versprochen. Nun war seine Hoffnung in den Brunnen gefallen. Daß der einzelne sich der Gesamtheit unterordnen mußte, daß der Besitzlose ein Recht darauf hatte, sich eine bessere Existenz zu verschaffen, das begriff der Peter Margolf nicht. Mochte er sich dagegen stemmen, die Entwickelung der Dinge hielt er nicht auf. Bor der Hofreite traf Weilandt die Marie. Sie be- gleitete ihn. Sie war auf dem Friedhof gewesen. Heut waren fünf Jahre vergangen, daß ihre Mutter die Augen für immer geschlossen hatte. All das Traurige, das sie erlebt, stand wieder vor ihrer Seele. Die Bäuerin war gesund wie ein Fisch im Wasser. Sie konnte sich rühmen, daß ihr Körper sie noch nichts gekostet hatte. An einem glühheißen Sommertag war der Ortsdiener zu ihr auf den Hof ge- kommen und hatte gemeldet, bei ihren Eltern im benachbarten Allmenrod stünde die Scheuer in Flammen. Bon Schrecken ergriffen rannte sie fort, langte in Schweiß gebadet an der Brandstl/lle an und half aus Leibeskräften löschein. Am andern Morgen lag sie in Ficberglut. Die Krankheit, die zum Ausbruch kam, schlug sich auf Herz und Lunge. Der Arzt schickte eine Schwester zur Pflege. Nach ein paar Wochen schien's, als trüge der Bäuerin kräftige Natur den Sieg davon. Sie selber sprach's aus:„Etz sein ich durch!" Sie war schon lange außer Bett. Da geschah's, daß sie Plötz- lich zusammenbrach und mit blaurotem Gesicht nach Atem rang. Die Anfälle kehrten wieder, immer bedrohlicher, immer stärker, bis der Tod nach ihrem Herzen griff. Dem Margolf fehlte die Arbeitsgenossin. Die konnte ihm keine Magd er- setzen. Er haderte mit dem Herrgott droben, der ihn züd� tigte, ohne daß er sich schuldig wußte. Die Marie war in die Seele getroffen. Nicht nur, daß sie, die eben kon- firmiert war, die Lücke schmerzlich empfand, die der Tod der Mutter gerissen, es war auch ein Gefühl der Reue, das ihr das Herz beschwerte. All die Liebe, die die Abgeschiedene ihr erwiesen, hatte sie nicht anders hingenommen wie etwas, das sich von selbst verstand. Nun schalt sie sich undankbar. Und sie weinte bittere Tränen, Tränen, die niemand trocknen konnte. Als ein schwächliches, elendes Wesen war sie zur Welt gekommen. Den Nachbarn und Verwandten, die die Wiege umstanden, lag ein„Daß Gott erbarm!" auf der Zunge. Ein Blick auf die Wöchnerin ließ sie schweigen. Die nahm todbleich ihr Kind an die Brust. Und siehe, es gedieh. Dessenungeachtet schrie es oft stundenlang. Der Riihlsadam, der ein gescheiter Kerl tvar, entschied:„Das Kind ist be- hext!" Von wem, gab er nicht an. Aber jedermann dachte an die Keibersdine, die einen Kropf hatte und gern glühende Kohlen lieh. Nun schlug der Adam ein Loch in die Rück- wand der Treppe, die hinauf in den Oberstock führte, und steckte das Kind dreimal hindurch. Von dieser Zeit an war's bibbchenmausstill. Die Keibersdine ging an andern Tag mit einem blauen Mal an der Stirn herum. Die Bäuerin hütete ihr Schleppsäckchen wie ihren Augapfel. Nachdem es ent- wöhnt war, hielt sie ihm eine Kuh, die besonders gefüttert wurde. Und das schwächliche Wesen wuchs zum starken Mädchen heran. Eine lenksame Tochter war die Marie nicht. Es saß ein Eigenwille in ihr, der durch nichts zu bannen war. Schlug der Vater auf sie lvs und schrie:„Ich werd dir den Dickkopf schon brechen!", fiel ihm die Bäuerin in den Arm und sprach:„Peter, tu sacht! Sie ist von keiner schlechten Art und zieht sich allein!" Der Mutter Ruhe und Gleichmäßigkeit war nicht zu erschüttern. Auch während ihrer Krankheit kam kein Wort der Klage über ihre Lippen. Wie's aufs Letzte
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29 (12.11.1912) 220
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