019 Dann die Hungerjahre in den Dreißigern, Ivo der Laib Schwarzbrot einen Gulden kostete und man den Emeran, den einzigen Buben, beinahe nicht satt kriegte. Von sich selbst kaum zu reden. Das waren harte Zeiten damals. Und ein Lotterleben führten die Großen. Tann starb ihr Mann. Aber der Vub, der Emeran, war schon groß, ein starker Mensch mit klaren Augen. Nun kam 48. Da hatte der Bub einmal abends im Stadtbrau den Mund ein bißchen voll genommen. Anderen Morgens kamen die Stadtgendarmen...Sie müßten den Emeran haben. Er hätte über den König geschimpft." Laut rumorten sie in der Stube. Mittlerweile sprang der Bursch durchs Kammcrfenster. Später kam die Nachricht, daß man ihn drüben am Rhein erschossen hätte. Im Gefecht, er war zu den Freischärlern gegangen. Jetzt war sie wieder allein. Da sing sie an mit Nüssen in de» Bauernstuben und Wirtshäusern zu handeln. Und einen guten, starken Enzian zu brennen. Sie hatte vor Gram weiße Haare gekriegt und war bissig gegen die Menschen geworden. Aber Nüsse kaufte man ihr ab und schlug sie laut und dröhnend mit der Faust auf. Das war die Zeit, wo Meister und Geselle» rittlings auf ihren Stühlen in den Wirtshäusern saßen und mitsammen auf die Regierung schimpften. (Schluß folgt.) �eicbnencle Künste. lAuSstellung der Sezession.) Diese Ausstellung zeigt sehr deutlich, daß dieSezession" in sich beunruhigt ist. Sie weiß nickit recht: soll sie beharren oder soll sie mitgehen. Als sie sich zusammenfand, galt es dem Impressionismus zum Siege zu helfen; inzwischen sind nun die Jungen und Jüngsten heraufgekommen, die zwar noch nicht genau sagen können, wohin sie streben, die aber ganz gewiß anderes wollen, als Lieberman», Corinth, Trübner oder Gaul. Nun ist eS wohl richtig, daß in den Ausstellungen am Kursürstendamm auch Cezanne und Hodler ge­hangen haben, auch van Gogh und Gauguin . Indessen, die eigentliche Absicht dieser Künstlergrnppe war es doch: die gute, von Manet und Monet geschulte, von Delacroix und Courbet kommende, gegen den Akademismus und die schöne Pose anrennende, den Naturalismus auf eine kürzeste und vollkommenste Forniel brin- gmde Malerei zu pflegen. Und so eben erklärt sich der Konflikt. Soll man die stürmischen Gegner, die Fanatiker der mo- numentalen Linie, die neuen Rätselaufgeber. Propheten und Mystiker auf den Kampfplatz und an die Krippe lasien. Das ist die Frage. Man hört sie bang und peinlich aus allen Ecken raunen, während mau diese Säle durchschreitet. Für heute ist die Sezession noch ein- mal mit einem Kompromiß davongekommen. Ob das aber morgen abermals so glücken wird, ob nicht schon beim nächsten Mal sich heraus- stellen mutz, daß eigentlich und um der Klarheit willen Leute wie Barlach und�Pechstein und selbst Großmann und Pascin nicht hierher gehören, das hängt als drohendes Geschick über dem Künstlerbund der Sezession. Man wird abwarten müssen; die Kunst, so versklavt sie auch immer den wirtschaftlichen Bedingungen war und ist. geht letzten Sinnes doch ihren Weg, unbekümmert um VereiiiSpolitik und kapitalistische Organisationen. UnS aber dünkt, als habe die Kunst der neuen Jugend, wenn auch noch keine Reife, so doch Zukunfts kraft. « Die Väter. Wir treffen etwa ein Dutzend Blätter von D a u m i e r. Welch ein Chaos stürzt uns entgegen, welch eine Bän- digung der eigenen Leidenschaft machte diesen französischen Revolu- tionär zu einem absoluten Herrscher. Es gibt da keinen Widerstand. Wie es in diesen Szenen dröhnt und schreit, wie die Wogen des Menschlichen stürmen und peitschen; und wie doch aller Aufruhr gebannt ist unter«inen Willen, der nicht um Haaresbreite den Rhythmus des Werkes, die Balance des Blattes, sich verrücken läßt. Da ist ein Aquarell aus jenem Lebenskreise, den Daumier als ein Erster der Darstellung eroberte: ein Advokat verteidigt sltö). Die Grimasse des schauspielernden Rechtsverdrehers fährt durch die Luft wie ein Gekreisch. Alle Konturen zucken, alle Flächen fliegen; hier scheint da? Paradoxon Wirklichkeit geworden, daß nichr der Mensch, sondern die Rede die sprudelnde Hast der Phrasen festgehalten wurde. Selbst die Hände reden, die Falten des Talars unterstreichen jede Vokabel; die Haare sind wie ein geiferndes Züngeln. Und doch steht solch psychisches Toben innerhalb der ihm gesetzten Grenzen des Blattes wie ein aus Stein geschnittenes Relief. Nicht ganz so vollkommen wirkt die Eingangshalle eines Bahnhofes(143); hier flackern die Einzelheiten ein wenig gegen einander. Dafür sind die beiden Schwarzroben, die mit Augurenlächeln gegen einander apinsen(ISO) von unerhörter Vollkommeuheit. Man möchte sie tot- schlagen, diese Hyänen des Gerechtigkeitsgeschäftes; und man möchte docb zugleich diese beiden Hieroglyphen als eine höchste Spannung künstlerischer Energie verehren. Sehr interessant ist das Blatt, das uns in einen Eisenbahnwagen dritter Klasse(142) blicken läßt. Es zwingt zu einem Vergleich mit dem bekannten Blatt, auf dem Menzel genau das gleiche Thema dargestellt hat. Menzel pirscht nach Anekdoten, nach einzelnen Scherzen, einem bäuerlichen Regenschirm, einem Schlafende», einem quäkenden Kind. Das alles tut auch Daumier; nur daß er nicht über dem Detail deie Raumgebalt und die Architektur deS Ganzen vergißt. Daumier hebt selbst die Genreszene in das Monumentale und Scbicksalsvolle. Er ist mehr als ein unermüdlicher Techniker, er ist mehr als ein vollendeter Zeichner und Maler; er ist die zur Form drängende Leidenschaft, er wirkt als Organ einer Masse, deren Fein- hörigster und Tatkräftigster er war. Die Revolutionen des zweiten Kaiserreichs sind längst erledigt; aber Daumiers Fanfare» rufen mit nngemiiidcrter Gewalt. Noch immer ist seinRatapoil"<1032) auf- spritzender Hohn gegen den Napoleonschwindel des Boulevards; noch immer hören wir aus dem Bronzerelief derFlüchtlinge"(10S1) die Flaiuincu der Furcht und die Angstrufe d?s Todes schlagen. Es ist nicht vorteilhaft für Menzel, daß er mit einigen, übrigens un- gewöhnlich schwachen Blättern neben diesen Daumier zu hängen kam Die Dissereuz, auf die wir beim Vergleich der Eisenbahnszenen verwiese», klafft unüberbrückbar. Wie charakteristisch ist es doch: Menzel treibt mit Gralutionskartcn und ähnlichen Gelegenheiten seinen harmlose» Scherz; Daumier hat zu solcherlei keine Zeit ge- snudtu, er wandelte stets als ein Patheliker durch die Hölle, dabei wie ein gcäugsteles Kind das Neuland suchend. D i c N a t u r a l i st e n. Hand B a l u s ch e k ist so recht, was man einen redlichen Naturburschen nennt. Er hat kein künstlerisches Prograinm und trägt in sich keinen Traum von irgendeiner noch ungcborenen Schönheit. Er ist ein harmloser Wandersmann und hat ein gutes Herz. Er sieht die Leiden seiner Mitbürger und registriert sie. Dabei gelingen ihm zuweilen empfindsame Stiininungen. SoDas tote Gleis"(18); dieser Schienenstrang, der gegen den Prellbock käust, überwuchert von gelben Königskerzen» die auch im magersten Sandboden davonkommen, dazu die zwei roten, drohenden Schlußscheiben, solches Nichts macht eine karge Melancholie ausduseln. OderDer Armenfriedhos"(IS); die Reihen der verschneiten Hügel, das Tannenbäumchen auf dem einen und im Hintergrund jenseits des Bretterzauns die klobigen MietS- kasernen: das ist zwar ein trockenes, aber ein wohlgemeintes Feuilleton für die Sonntagsbeilage. Naturalisten ähnlichen Grades sind der Engländer B o n e, der Berliner Struck und der Süd- deutsche K a l ck r e u t h. Bone ist geradezu der Typus der englischen Langweiligkeit- das Phlegma, mit dem er bald aus Rom , bald auf Orvieto niederschaut, ist so hanebüchen, daß man förmlich die Dinge und die Striche, mit denen sie gebädeckert wurden, knacken hört. Struck ist kaum saftiger, vielleicht ein wenig gemütvoller. Er macht ganz nette Notizen von verichneitenDörfern; er läßt sich aber auch durch einen Wolkenkratzer nicht aus der Ruhe bringen. Kalckreuth schließlich zeigt jene sympathische Kultur der mittleren Linie, die man zuweilen bei Leuten trifft, die halb ein Landleben führen und zum andern mit Büchern gut vertraut find. Ganz anders und diesen trockenen Naturalisten doch nicht so ferir ist Loui« Corinth. Er möchte aber gern wesentlich mehr scheinen. Es ist fast komisch, daß»r die �fällige, aber doch recht wacklige Skizze einer Frauenhand(110). kostbar gerahmt, neben Daumier und Menzel hängt. Er menzelt überhaupt diesmal ein wenig viel. Trotzdem: seine Lithographien nach Tieren und seine radierten Bibelszenen zeigen furchtloses Zupacken und ketzerischen Humor. Kommt man dann aber zu L i e b e r m a n n, so wird das Künstlerische als Reinigung des Wesentlichen von allen Schlacken des Zufälligen prachtvoll spürbar. Es genügt solch eine Radierung oder Lithographie vom Polo<S2S),(532) anzusehen; diese Pferde sind nur noch Kurven, nur noch Schriftzüge, und sind doch so lebendig, wie nur je ein springendes Vollblut es war. Oder die Masienwirkung, Straßen vollgestopft mit Menschen, die sich drängen und treten, das lebt und zuckt und ist doch nichts als ein paar flüchtige, aber eben unendlich sichere Andeutungen. Und noch mehr als das: es atmet in jeder dieser Blätter eine Großheit, die an Daumier mahnt; wenn auch nichts davon zu spüren ist, waS des französischen Propheten Unsterblichkeit bedeutet, nichts davon, die Stimme des Volkes zu sein. Von Lieber» mann her direkte Abkömmlinge sind unter vielen anderen: Kar» dorff, Gabler, Oppler. Diese Leute üben ein redliches Handwerk mit mehr oder weniger Begabung. Kardorff scheint von ihnen allen am meisten künstlerische Kultur zu besitzen. Dann wäre Beckmann zu nennen. Auch er kommt irgendivie von Lieber- mann; er ist aber zugleich ein Akademiker. Was aber den Fall noch komplizierter macht: mit seinen eigentlichen Absichten strebt dieser junge, durch seine Reife fast beängstigende Künstler zu der bürgerlichen Klarheit und der kalten Größe des Manet. Blätter, wie das aus derUlrikenstraße"(31) oder das eines weiblichen KopfeS (33) sind meisterhaft und fast klassisch. Man vergleiche sie nur einmal mit dem Nebeneinander der darunter liegenden Arbeiten (223a 678, 621) und man wird spüren, wie diese dünn und gleich- gültig, fast wesenlos werden gegenüber diesen sinnlichen Dokumenten Beckmanns, die jedes Material. Fleisch. Pelz, Haare und Federn, mit unentrinnbarer Eindringlichkeit erfassen. Von solcher unmittelbaren Kraft deS Naturalismus hat HanS Meid , der vielgerühmte, nur wenig. Bei ihm sehen Flammen genau so aus wie Laubwerk und Lichtwolkcn nicht viel anders als Volants. Das kommt, weil ey mehr ein Regisseur, als ein Bildner ist. Auf dem Theäter wird alles aus Pappe gemacht; und es wirkt dennoch, wenn nur die richtigen Effekte ans den elektrischen Schein- Werfern darauf fallen. So ist HanS Meid . Er hat diesmal 14 Radierungen zu MozartsDon Juan" arrangiert. Sie ver- bläffen, genau wie Reinhardt verblüfft. Indessen, über das Bühnen»